OLG Frankfurt vom 08.07.2021 (4 WF 99/21)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe, Abänderung; Überprüfungsverfahren, Vierjahresfrist; Verfahrensende; Vierjahresfrist; Aufhebungsverfahren
Normenkette: FamFG 76 Abs. 1; ZPO 120a Abs. 1 Satz 3; ZPO 120a Abs. 1 Satz 4; ZPO 120 a Abs. 4; ZPO 124 Abs. 1 Satz 2
Orientierungssatz:
  • Nach erstinstanzlicher Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe wegen mangelnder Mitwirkung im Überprüfungsverfahren kann die erforderliche Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse auch noch im Beschwerdeverfahren, das keine Präklusion kennt (§ 571 Abs. 2 ZPO), nachgeholt werden.
  • Wenn sich das Überprüfungsverfahren nach § 120a ZPO infolge Mitverschuldens des Gerichts so verzögert, dass die Vierjahresfrist nach Beendigung des Verfahrens abläuft, ist die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe nicht mehr zum Nachteil des Beteiligten abänderbar.
  • 467 F 13027/16
    AG Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge

    hier: Aufhebung der Verfahrenskostenhilfebewilligung

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters vom 14.05.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankfurt am Main vom 09.04.2019 am 08.07.2021 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

    Gründe:

    I.

    Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Kindesvater gegen die Aufhebung der ihm mit Beschluss vom 24.06.2016 ratenfrei bewilligten Verfahrenskostenhilfe für die damals beim Amtsgericht anhängig gewesene Kindschaftssache betreffend die elterliche Sorge für zwei seiner Kinder.

    Die Kindschaftssache wurde durch Endentscheidung des Amtsgerichts vom 29.12.2016, abgeschlossen. Der Beschluss wurde sämtlichen Beteiligten zugestellt; die letzte Zustellung erfolgte an den beigeordneten Bevollmächtigten des Kindesvaters am 02.02.2017.

    Mit förmlich zugestelltem Anschreiben vom 07.02.2019 setzte die Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den beigeordneten Bevollmächtigten des Kindesvaters, Herrn Rechtsanwalt X, über die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens in Kenntnis und forderte diesen unter Fristsetzung auf, auf beigefügtem Vordruck eine aktuelle Aufstellung der monatlichen Einnahmen und Ausgabe des Kindesvaters mit entsprechenden Belegen einzureichen. Der Kindesvater erhielt eine Durchschrift des Schreibens. Mit weiterem, ebenfalls förmlich zugestellten Schreiben vom 08.03.2019 wurde der Bevollmächtige an die Erledigung des Aufforderungsschreibens vom 07.02.2019 erinnert.

    Nachdem keine Reaktion auf beide Aufforderungsschreiben erfolgte, hob die zuständige Rechtspflegerin mit Beschluss vom 09.04.2019 die dem Kindesvater bewilligte Verfahrenskostenhilfe unter Verweis auf §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2, 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO auf. Gegen den seinem beigeordneten Bevollmächtigten am 18.04.2019 zugestellten Beschluss legte der Kindesvater unter gleichzeitiger Anzeige seiner nunmehrigen Vertretung durch den Beschwerdebevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt Y, mit Schriftsatz vom 14.05.2019, beim Amtsgericht gemäß Faxgerät eingegangen am 14.05.2019, gemäß Eingangsstempel eingegangen am 15.05.2019 Beschwerde ein. Am 17.05.2019 wurde für den Kindesvater zudem die von diesem persönlich ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Mietvertrag, Bescheinigung über einen Kredit bei der Z-Bank sowie Gehaltsabrechnungen für die Monate Januar, Februar und April 2019 in den Tagesbriefkasten des Amtsgerichts eingelegt.

    Nachfolgend forderte die Rechtspflegerin den Kindesvater mit Schreiben vom 04.06.2019 über seinen vormals beigeordneten Bevollmächtigten Rechtsanwalt X unter Fristsetzung zur Einreichung von Kontoauszügen der letzten sechs Monate zum Beleg für die von ihm geltend gemachten Unterhaltszahlungen sowie zur Erklärung darüber auf, für welche Zwecke der Kredit bei der Z-Bank sowie bei der ZX in Anspruch genommen wurden. Am 22.07.2019 wurde ein Erinnerungsschreiben an den vormaligen, beigeordneten Bevollmächtigten versandt. Unter Rückreichung des Aufforderungsschreibens vom 04.06.2019 wurden für den Kindesvater weitere Gehaltsabrechnungen, ein Beleg über die Zahlung von Rundfunkbeiträgen sowie Kontoauszüge für den Monat Juni 2019 am 15.08.2019 in den Tagesbriefkasten des Amtsgerichts eingeworfen. Daraufhin forderte der nunmehr zuständige Rechtspfleger mit Schreiben vom 28.08.2019 unter erneuter Fristsetzung den vormaligen, beigeordneten Rechtsanwalt X zur Beantwortung der Fragen aus dem gerichtlichen Schreiben vom 04.06.2019 auf. Anschließend geriet das Verfahren in Stillstand bis mit Schreiben vom 20.05.2021 der beigeordnete vormalige Bevollmächtigte des Vaters Rechtsanwalt X durch die Geschäftsstelle an das gerichtliche Schreiben vom 28.08.2019 erinnert wurde.

    Mit Beschluss vom 25.06.2021 half der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde des Vaters nicht ab und legte die Akten dem Senat zur Entscheidung vor. Zur Begründung führte er aus, dass trotz Erinnerung, zuletzt mit Datum vom 20.05.2021, der Kindesvater seiner Pflicht zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgekommen sei.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

    Nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO hat sich ein Beteiligter, dem Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Veränderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Hierfür hat er sich gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 4 Satz 1 ZPO des gemäß § 117 Abs. 3 ZPO eingeführten Formulars zu bedienen. Das Gericht kann gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 4 Satz 2, 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO verlangen, dass er seine Angaben glaubhaft macht. Die Verfahrenskostenhilfebewilligung soll gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO aufgehoben werden, wenn er die geforderten Erklärungen nicht oder nur ungenügend abgibt. Die erforderliche Erklärung kann allerdings auch noch im Beschwerdeverfahren, das keine Präklusion kennt (§ 571 Abs. 2 ZPO), und ohne Entschuldigung für die Verspätung nachgeholt werden (BGH BeckRS 2018, 26436; OLG Hamm BeckRS 2014, 10191; BeckOK ZPO/Kratz, 40. Ed. 1.3.2021 Rn. 20, ZPO § 124 Rn. 20 mwN).

    Eine Änderung zum Nachteil eines Beteiligten ist gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen, wenn seit der rechtskräftigen Entscheidung oder der sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind. Für die Wahrung der Frist des § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO (§ 120 Abs. 4 Satz 3 ZPO a.F.) genügt es nach wohl h.M. grundsätzlich nicht, wenn das Änderungsverfahren innerhalb der Vierjahresfrist eingeleitet wird; es muss vielmehr die Änderungsentscheidung vor Ablauf dieser Frist getroffen werden (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2011, 130; BAG NZA-RR 2009, 158; OLG Koblenz OLGReport 1999, 96; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 120a Rn. 31; BeckOK ZPO/Reichling, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 120a Rn. 25). Nach anderer Auffassung soll es dagegen genügen, dass das Überprüfungsverfahren rechtzeitig vor Ablauf der Vierjahresfrist eingeleitet wurde (vgl. OLG Bamberg FamRZ 1995, 1590; OLG Naumburg FamRZ 1995, 1425; in diese Richtung deutend Musielak/Voit/Fischer, 18. Aufl. 2021 Rn. 12, ZPO § 120a Rn. 12). Ungeachtet dessen besteht jedoch Einigkeit, dass bei rechtzeitiger Einleitung des Überprüfungsverfahrens vor Fristablauf auch noch nach Fristablauf eine Entscheidung zu Lasten des Beteiligten ergehen kann, wenn dieser mangels Mitwirkung die eingetretene Verzögerung des Überprüfungsverfahrens maßgeblich zu verantworten hat (vgl. LAG Hamm LAG Hamm Entscheidung v. 13.2.2019 – 5 Ta 25/19, BeckRS 2019, 2567; LAG Berlin-Brandenburg NZA-RR 2019, 214; OLG Koblenz MDR 2013, 488; OLG Frankfurt AGS 2014, 241; Dürbeck/Gottschalk PKH/VKH, 9. Aufl. 2020, Rn. 988; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 120a Rn. 31; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 120a ZPO, Rn. 13; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 18. Aufl. 2021 Rn. 12, ZPO § 120a Rn. 12; Johannsen/Henrich/Althammer/Markwardt, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, ZPO § 120a Rn. 7). Hat hingegen auch das Gericht die Verzögerung zu vertreten, scheidet eine Abänderung nach Fristablauf zum Nachteil des Beteiligten aus (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2019, 214; Zweibrücken FamRZ 2007, 1471; Dürbeck/Gottschalk PKH/VKH, 9. Aufl. 2020, Rn. 988; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 120a ZPO, Rn. 13; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 120a Rn. 31), wobei das gesamte Verfahren, einschließlich des Abhilfeverfahrens in den Blick zu nehmen ist (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2006, 1136). Scheidet eine Änderung der Verfahrenskostenhilfe zum Nachteil des Beteiligten aus insbesondere, weil seit der rechtskräftigen Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind (§ 120a Abs. 1 S. 4 ZPO), kommt auch eine Aufhebung nach § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nicht mehr in Frage (BeckOK ZPO/Kratz, 40. Ed. 1.3.2021 Rn. 20, ZPO § 124 Rn. 20).

    Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der durch die Verfahrensgestaltung des Amtsgerichts eingetretenen Verzögerung des Verfahrens, durch welche der Ablauf der Sperrfrist des § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO (i.V.m. § 76 Abs. 1 FamFG) allein bedingt wurde, sowie der nicht hinreichenden Beteiligung des Beschwerdeführers am Verfahren, kann nach Ablauf der Sperrfrist die Aufhebungsentscheidung vorliegend keinen Bestand haben.

    In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zur Erhebung der sofortigen Beschwerde durch seinen neumandatierten Verfahrensbevollmächtigten hat der Beschwerdeführer eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung von Belegen beim Amtsgericht eingereicht und hat damit grundsätzlich – da es sich nicht um eine inhaltlich vollständig unzureichende Erklärung handelte (vgl. Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 18. Aufl. 2021 Rn. 6, ZPO § 124 Rn. 6) – die zunächst erforderte Mitwirkungshandlung nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO nachgeholt. Soweit das Amtsgericht danach ergänzend weitere Auskünfte und Belege für erforderlich erachtete, hat es diese unter Missachtung der ordnungsgemäß angezeigten Bevollmächtigung des für das Beschwerdeverfahren mandatierten Rechtsanwaltes Y diese noch bis zuletzt ausschließlich an den vormaligen, beigeordneten Bevollmächtigten des Beschwerdeführers Rechtsanwalt X gerichtet. Zwar hat den Beschwerdeführer offensichtlich das erste ergänzende Aufforderungsschreiben vom 04.06.2019 noch erreicht, da er dieses – an seinen vormaligen Bevollmächtigten adressierte – Schreiben im Original zusammen mit weiteren Belegen zur Akte zurückreichte. Ob die daraufhin seitens des Amtsgerichts erneut bei dem nicht mehr mandatierten Bevollmächtigten veranlasste weitere Nachfrage den Beschwerdeführer überhaupt erreichte, ist hingegen nicht feststellbar. Der tatsächlich mit der Vertretung im vorliegenden Beschwerdeverfahren beauftragte Bevollmächtigte des Beschwerdeführers wurde jedenfalls seitens des Gerichts zu keinem Zeitpunkt – auch nicht im Rahmen der Abhilfeentscheidung – in die gerichtliche Korrespondenz einbezogen. Nach dem Aufforderungsschreiben vom 28.08.2019 kam das Verfahren offensichtlich faktisch zum Erliegen und wurde erst mit Erinnerungsverfügung vom 21.05.2021 – erneut ausschließlich versandt – an den vormaligen Bevollmächtigten seitens des Gerichts wieder aufgegriffen. Zwischenzeitlich war allerdings die Vierjahresfrist des § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO mit Ablauf des 02.03.2021 verstrichen.

    Der Fristablauf beruht vorliegend maßgeblich auf dem Handeln und Unterlassen des Amtsgerichts, das im Rahmen des Abhilfeverfahrens trotz ordnungsgemäßer Anzeige der Bevollmächtigung eines neuen Rechtsanwaltes in ausschließlicher Korrespondenz mit einem für das Verfahren nicht mehr bevollmächtigten Rechtsanwalt geführt und aus ungeklärten Umständen zudem über einen Zeitraum von 21 Monaten nicht mehr gefördert hat. Durch die Vierjahresfrist soll der Beteiligte davor geschützt werden, auf unabsehbare Zeit wegen der gewährten Verfahrenskostenhilfe in Anspruch genommen werden zu können (vgl. Dürbeck/Gottschalk PKH/VKH, 9. Aufl. 2020, Rn. 985; BeckOK ZPO/Kratz, 40. Ed. 1.3.2021 Rn. 20, ZPO § 124 Rn. 23). Vorliegend ist infolge der Verfahrensgestaltung durch das Amtsgericht von einem anerkennenswerten Vertrauen des Beschwerdeführers in den weiteren Bestand der Bewilligungsentscheidung auszugehen, nachdem er im Rahmen der von ihm erhobenen sofortigen Beschwerde die zunächst erforderte Vordruckerklärung nebst Belegen nachgeholt und in der Folge auf das weitere Nachfassen des Amtsgerichts ergänzende Unterlagen eingereicht und daraufhin über einen Zeitraum von 21 Monaten weder über den von ihm bevollmächtigen Rechtsanwalt noch persönlich weitere Mitteilung erhielt.

    Da die Vierjahresfrist des § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO (i.V.m. § 76 Abs. 1 FamFG) abgelaufen ist, kann dahinstehen, ob die im Rahmen des Verfahrens gemachten Angaben eine Abänderung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 1 ZPO rechtfertigen könnten.

    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist kraft gesetzlicher Anordnung gerichtsgebührenfrei (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG i.V.m. Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG)); außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

    Dr. Wierse