OLG Frankfurt vom 14.05.2013 (4 WF 74/13)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe, Kosten der Unterkunft, Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung; Kosten der Unterkunft, Wasserkosten;
Normenkette: ZPO 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 a), 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3
Orientierungssatz: Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung werden vom verfahrenskostenhilferechtlichen Grundfreibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO nicht erfasst und rechnen daher zu den nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO vom Einkommen abzusetzenden Kosten der Unterkunft.

612 F 775/11
AG Wetzlar

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 08.03.2013 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wetzlar vom 19.2.2013 am 14. Mai 2013 beschlossen:

Die Ratenfestsetzung im angefochtenen Beschluss wird abgeändert. Die Höhe der von der Antragsgegnerin ab April 2013 auf die bewilligte Verfahrenskostenhilfe zu zahlenden Raten wird festgesetzt auf 60,- Euro.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 19.2.2013, dem Bevollmächtigten der Antragsgegnerin zugestellt am 22.2.2013, hat das Amtsgericht der Antragsgegnerin für die mittlerweile abgeschlossene Scheidungssache der Beteiligten Verfahrenskostenhilfe bewilligt und die von der Antragsgegnerin ab April 2013 auf die Verfahrenskostenhilfe zu zahlenden monatlichen Raten auf 155,- Euro festgesetzt. Die von der Antragsgegnerin geltend gemachten Kosten der Unterkunft hat es bei der Berechnung des für die Ratenzahlung verfügbaren Einkommens in Höhe des auf "Wassergeld- und Kanalgebühren" entfallenden Vorauszahlungsbetrags von 60,- Euro monatlich mit der Begründung unberücksichtigt gelassen, diese seien aus dem Selbstbehalt zu entrichten. Wegen der Berechnung der Ratenhöhe im Übrigen wird auf die Anlage zum angefochtenen Beschluss, Bl. 12 des VKH-Hefts, und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Mit ihrer am 11.3.2013 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin eine Überprüfung der festgesetzten Ratenhöhe. Mit ihrer Beschwerde macht sie erstmals monatliche Kreditraten von 141,69 Euro für den Kauf eines Kraftfahrzeugs zum Preis von 9.650,- Euro am 10.9.2012 geltend, außerdem eine Reduzierung ihres monatlichen Einkommens.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das von ihm in Ansatz gebrachte Einkommen ergebe sich aus den aus der Verdienstbescheinigung für Dezember 2012 ersichtlichen Jahreswerten. Eine Einkommensreduzierung des Jahreseinkommens lasse sich der nun vorgelegten Verdienstbescheinigung für Januar 2013 nicht entnehmen. Die geltend gemachten Kreditraten seien nicht abzugsfähig, weil die Antragsgegnerin den Kredit erst während des laufenden Verfahrens aufgenommen habe und nicht dargelegt habe, zwingend auf die Nutzung des Fahrzeugs angewiesen zu sein.

Die Antragsgegnerin hat gegenüber dem Senat dargelegt, als Aufsicht in einer fünf Kilometer von ihrem Wohnort entfernten Spielhalle im Zweischichtbetrieb von 10 bis 18 Uhr bzw. von 20 bis 4 Uhr beschäftigt zu sein und jedenfalls nach Dienstschluss um 4 Uhr mangels um diese Zeit verkehrender öffentlicher Verkehrsmittel auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen zu sein. Von ihrem Arbeitgeber werde sie im Übrigen gelegentlich als Springerin in Spielhallen in L., S. oder G. eingesetzt und sei insoweit ebenfalls auf ein Kraftfahrzeug angewiesen. Ihren 17 Jahre alten Opel Astra habe sie im Jahr 2012 als "Bastlerfahrzeug" zum Preis von 400,- Euro verkauft und dafür das nun genutzte Fahrzeug erworben.

Die Antragsgegnerin hat dem Senat außerdem Belege über monatliche, bislang nicht geltend gemachte Heizkosten (Kosten der Gasversorgung) von 38,- Euro vorgelegt.

Der zuständige Einzelrichter hat die Entscheidung über die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Absetzbarkeit von Kosten der Wasserversorgung als Kosten der Unterkunft durch Beschluss vom 6.5.2013 dem Senat zur Entscheidung übertragen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Herabsetzung der Ratenhöhe.

Neben der vom Amtsgericht bereits abgesetzten monatlichen Kaltmiete von 331,89 Euro und den im Mietvertrag nicht näher bezeichneten Betriebskosten von 31,42 Euro sind auch die vom Amtsgericht nicht berücksichtigten "Wassergeld- und Kanalgebühren" von 60,- Euro als Kosten der Unterkunft im Sinne der §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO vom Einkommen abzusetzen.

Der noch an die Verordnung zur Durchführung des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelsatzverordnung - RSV) vom 3.6.2004 (BGBl. I S. 1067) anknüpfenden gegenteiligen Auffassung des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 8.1.2008, VIII ZB 18/06, FamRZ 2008, 781, vermag der Senat nach Inkrafttreten des im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010, 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, BVerfGE 125,175, erlassenen und zum 1.1.2001 in Kraft getretenen Gesetzes zur Ermittlung des Regelbedarfs nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG, BGBl. I, S. 453) nicht mehr zu folgen.

Anders als noch in § 2 Abs. 2 Nr. 3 RSV werden die Kosten der Wasserversorgung - die Kosten der Abwasserentsorgung waren bereits in der RSV nicht erwähnt - in den in § 5 Abs. 1 RBEG erwähnten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Wie sich aus dem dort unter Abteilung 4 genannten Betrag von 30,24 Euro monatlich für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung eines Einpersonenhaushalts ergibt, werden die Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung vom sozialhilferechtlichen Regelbedarf und damit auch von dem daran anknüpfenden Grundfreibetrag des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO nicht erfasst. Das RBEG stellt auf die Ergebnisse der vom Statistischen Bundesamt alle fünf Jahre durchgeführten Erhebungen über die Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte (Einkommens- und Verbrauchsstichprobe - EVS) ab. Soweit der sich aus der EVS 2008 für die hier maßgeblichen Einpersonenhaushalte mit einem jährlichen Nettoeinkommen von bis zu 18.000,- Euro ergebende monatliche Bedarf von 370,25 Euro für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung in die Regelbedarfsermittlung nur mit einem Betrag von 30,24 Euro eingeflossen ist, erklärt sich dies dadurch, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung vom Regelbedarf im Sinne des § 27a SGB XII nicht erfasst werden, sondern vom Sozialhilfeträger nach § 35 SGB XII gesondert in ihrer tatsächlichen Höhe abzudecken sind. Wie sich aus § 27 a Abs. 1 Satz 1 SGB XII bzw. § 5 Abs. 1 RBEG ergibt, sind vom Hilfeempfänger aus dem sozialhilferechtlichen Regelsatz aber jedenfalls die Stromkosten und die Kosten anfallender Schönheitsreparaturen zu tragen. Es ist offensichtlich, dass der hierfür bei der Regelbedarfsermittlung berücksichtigte Betrag von 30,24 Euro monatlich nicht ausreicht, um aus ihm daneben auch noch die Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu tragen, die alleine sich im vorliegenden Fall auf vom Senat als üblich erachtete 60,- Euro monatlich belaufen. Die Kosten der Wasserversorgung- und Abwasserentsorgung sind daher den gesondert zu deckenden Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne der §§ 35 SGB XII, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO zuzurechnen (so im Ergebnis auch BSG, Urteil vom 12.7.2012, B 14 AS 153/11 R, NZS 2013, 108, Rdnr. 68, zitiert nach juris; SG Frankfurt/Oder, Urteil vom 5.12.2012, S 28 AS 3192/10, zitiert nach juris).

Neben den vom Amtsgericht nicht berücksichtigten Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind auch die von der Antragsgegnerin im Rahmen der Beschwerde erstmals geltend gemachten monatlichen Heizkosten von 38,- Euro gemäß der oben genannten Vorschrift vom Einkommen abzusetzen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, in welcher Höhe diese auch die Kosten der Warmwasserzubereitung beinhalten, weil auch diese Kosten ausweislich des zum 1.1.2011 in Kraft getretenen § 27 a Abs. 1 Satz 1 SGB XII bzw. der damit einhergehenden Änderung des § 35 Abs. 4 SGB XII zu den vom Sozialhilfeträger gesondert zu tragenden und daher bei der verfahrenskostenhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung gesondert abzusetzenden Heizkosten rechnen.

Des Weiteren sind die mit dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs im September 2012 verbundenen Kreditverbindlichkeiten von 141,69 Euro monatlich als angemessene besondere Belastung im Sinne der §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO vom Einkommen abzusetzen, nachdem die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren dargelegt hat, für die Erzielung ihres Erwerbseinkommens auf Grund ihrer Arbeitszeiten und ihrer Einsatzorte zwingend auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen zu sein und ihr bis dahin genutztes 17 Jahre altes Fahrzeug im September 2012 als "Bastlerfahrzeug" verkauft zu haben (vgl. zur grundsätzlichen Abzugsfähigkeit der Anschaffungskosten eines Fahrzeugs den Beschluss des BGH vom 8.8.2012, XII ZB 291/11, zitiert nach juris).

Neben den Anschaffungskosten für ihr Fahrzeug hat die Antragsgegnerin keine weiteren im Zusammenhang mit den Fahrten zum Arbeitsplatz anfallenden Kosten geltend gemacht, weshalb sich der Senat an einer Berücksichtigung entsprechender Kosten nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 a) ZPO, 82 Abs. 2 Nr. 3 und 4 SGB XII gehindert sieht.

Nach alledem berechnet sich das für die Zahlung von Raten einzusetzende verfügbare Einkommen der Antragsgegnerin wie folgt:

Summe aller Nettoeinkünfte: . . . . 1.417,33 Euro

Der vorgelegten Verdienstbescheinigung für Januar 2013 lässt sich eine Reduzierung des im Jahr 2012 erzielten Einkommens von durchscnittlich 1.417,33 Euro monatilch nicht entnehmen.

1. Abzug nach § 115 Abs.1 S. 3 Nr.1b ZPO . . .
(Erwerbstätigenfreibetrag)
-201,00 Euro
2. Abzug nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 a) ZPO . .
(Grundfreibetrag)
-442,00 Euro
3. Abzug nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 ZPO . .
(Kosten der Unterkunft und Heizung, 423,31 + 38 Euro)
-461,31 Euro
4. Abzug nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO: . .
(Kreditraten aus Anschaffung Kraftfahrzeug)
-141,69 Euro
------------------
Verbleibendes einzusetzendes Eink.: . . . . . 171,33 Euro

Aus der Tabelle in § 115 Abs. 2 ZPO folgt bei einem einzusetzenden Einkommen in der genannten Höhe eine festzusetzende monatliche Rate von 60,- Euro. Insoweit ist der angefochtene Beschluss abzuändern.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist kraft gesetzlicher Anordnung gerichtsgebührenfrei (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG in Verbindung mit Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG), außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Diehl Dr. Schweppe Schmidt