OLG Frankfurt vom 08.02.2011 (4 WF 7/11)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe, Belegvorlage, Fristsetzung, Instanzende, Erfolgsaussicht; Verfahrensleitungspflicht-;
Normenkette: FamFG 76 Abs. 1, 78 Abs. 1 Satz 2; ZPO 114, 117, 118 Abs. 2 Satz 4;
Orientierungssatz: Reicht ein Verfahrenskostenhilfe begehrender Beteiligter eine unvollständige Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse so rechtzeitig vor Abschluss des Rechtszugs ein, dass eine Vervollständigung noch vor Instanzende möglich ist, ist ihm - jedenfalls wenn er erkennbar von der Vollständigkeit seiner Unterlagen ausgeht - hierfür entweder nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine Frist zu setzen oder zumindest ein Hinweis zu erteilen, der ihm eine Vervollständigung der Unterlagen vor Instanzende ermöglicht. Unterbleibt ein solcher Hinweis, ist ihm für die Vervollständigung seiner Unterlagen gegebenenfalls auch eine über das Instanzende hinausreichende Frist einzuräumen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 17.11.2010 gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 21.10.2010 am 08.02.2011 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

4 WF 7/11 62 F 862/10 Amtsgericht Gelnhausen Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss In der Familiensache hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Schmidt als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 17.11.2010 gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 21.10.2010 am 08.02.2011 beschlossen: Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Gründe: Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO). Sie ist jedoch im Ergebnis unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Begründung des Amtsgerichts, welches das Verfahrenskostenhilfegesuch wegen verspäteter Belegvorlage nach Instanzende zurückgewiesen hat, trägt die angefochtene Entscheidung allerdings nicht. Es trifft zwar zu, dass die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach Instanzende grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt, weil eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung dann nicht mehr möglich ist. Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen bereits abgeschlossenen Rechtszug kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag bereits vor Abschluss der Instanz entscheidungsreif war (Zöller, ZPO, Kommentar, 28 Aufl., 2010, § 117, Randnr. 2 b mit weiteren Nachweisen). Dies hat zur Folge, dass spätestens bis zum Instanzende eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt entsprechender Belege vorliegen muss 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Welche Belege vorzulegen sind, lässt sich dem amtlichen Erklärungsvordruck entnehmen. Dennoch führen unvollständige Angaben im amtlichen Vordruck oder fehlende Belege nicht zwingend zur Versagung von Verfahrenskostenhilfe. Vielmehr ist eine Bedürftigkeit nur zu verneinen, soweit sie sich nicht aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, d. h. gegebenenfalls sind lediglich nicht belegte Abzugsposten außer acht zulassen 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, vgl. BGH, FamRZ 2008, 871). Lässt sich die Bedürftigkeit anhand der vorgelegten Unterlagen nicht abschließend beurteilen, weil zum Beispiel Angaben über den Wert des vorhandenen Vermögens fehlen und nicht geprüft werden kann, inwieweit dieses einzusetzen ist, ist die begehrte Verfahrenskostenhilfe dennoch nicht zwingend zu verweigern. Ist der Verfahrenskostenhilfeantrag mit den unvollständigen Unterlagen so rechtzeitig vor Abschluss des Rechtszugs eingereicht worden, dass eine Vervollständigung noch vor Instanzende möglich ist, ist dem Verfahrenskosten begehrenden Beteiligten hiefür entweder nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine Frist zu setzen oder zumindest ein Hinweis zu erteilen, der ihm eine Vervollständigung der Unterlagen vor Instanzende ermöglicht (so auch OLG Lüneburg, FamRZ 2007, 295 m. w. Nachweisen; OLG Karlsruhe FamRZ 2006, 1852; Gottwald, FamRZ 2004, 384; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess und Verfahrenskostenhilfe, 5. Aufl., 2010, Randnr. 140). Dies folgt unmittelbar aus der Prozessleitungspflicht des Gerichts nach § 28 Abs. 1 Satz 2 FamFG sowie mittelbar aus §§ 76 Abs. 1 FamFG, 118 Abs. 2 Satz 1 u. 4 ZPO. Die genannten Normen sind ihrerseits Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Grundrechts auf rechtliches Gehör. Das Gericht ist in diesem Rahmen gehalten, den Verfahrenskostenhilfe begehrenden Beteiligten umgehend auf von ihm auszuräumende Zweifel an seiner Bedürftigkeit hinzuweisen. Unterbleibt ein entsprechender Hinweis, darf der Verfahrenskostenhilfe begehrende Beteiligte im Hinblick auf die in der Praxis zu beobachtenden höchst unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen Gerichte an die Belegvorlage darauf vertrauen, dass das Gericht für seine Entscheidung keine zusätzlichen Belege oder ergänzende Angaben benötigt. Weist das Gericht ihn nicht rechtzeitig genug auf die fehlenden Belege oder Angaben hin, ist ihm für die Vervollständigung seiner Unterlagen gegebenenfalls auch eine über das Instanzende hinausreichende Frist einzuräumen. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag so rechtzeitig eingereicht worden ist, dass es dem Gericht möglich gewesen wäre, dem Beteiligten für die Vervollständigung seiner Unterlagen eine vor Instanzende ablaufende Frist zu setzen. So verhält es sich hier. Der Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragsgegners ist nämlich mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung am 25.08.2010 beim Amtsgericht eingegangen. Dem Antrag lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Antragsteller noch weitere Belege nachzureichen gedachte. Bis zu der zunächst für den 10.09.2010 anberaumten und später auf den 17.09.2010 verlegten mündlichen Verhandlung wäre noch genügend Zeit gewesen, den Antragsgegner auf eine etwaige Unvollständigkeit seiner Angaben oder auf das Fehlen von Belegen hinzuweisen und ihm zur Nachreichung bzw. Erläuterung eine Frist zu setzen. Tatsächlich erfolgte jedoch erst im Verhandlungstermin am 17.09.2010 ein noch dazu unzutreffender Hinweis auf die vermeintliche Unschlüssigkeit der Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners. Obwohl den vom Antragsgegner angegebenen monatlichen Einkünften von 812,70 Euro bloß monatliche Kosten der Unterkunft von 200,00 Euro und eine monatliche Ratenzahlung von 50,00 Euro auf eine Geldstrafe gegenüberstanden, vertrat der zuständige Amtsrichter die Auffassung, der Antragsgegner habe mehr Ausgaben als Einnahmen. Seine Verfahrensbevollmächtigte erklärte daraufhin, es könnten weitere Belege nachgereicht werden. Hierfür hätte dem Antragsgegner gemäß obiger Ausführung eine Nachfrist eingeräumt werden müssen. Der von ihm nach Instanzende mit Schriftsatz vom 21.09.2010 vorgelegte Beleg ist daher zu berücksichtigen. Dennoch ist die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Ergebnis zu verweigern, weil vier auf die Verfahrenskostenhilfe zu erbringende Raten die auf den Antragsgegner entfallenen Kosten der Verfahrensführung übersteigen würden (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 4 ZPO). Der Antragsgegner bezieht ein monatliches Krankengeld von 812,70 Euro; des Weiteren zahlen die Großeltern dem Antragsgegner die monatlichen Raten auf eine Geldstrafe und unterstützen ihn gelegentlich mit 100,00 - 150,00 Euro monatlich. Auch bei den von den Großeltern bezogenen Leistungen handelt es sich um Einkünfte in Geld oder Geldeswert, die gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO als Einkommen zu berücksichtigen sind (vgl. Zöller, § 115, Randnr. 9 u. 10). Der Senat bringt sie mit 100,00 Euro monatlich in Ansatz. Das danach verfügbare monatliche Einkommen von 912,70 Euro ist zunächst zu bereinigen um den Grundfreibetrag von 395,00 Euro sowie um die Kosten der Unterkunft und Heizung (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a, Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Die Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt der Senat mit 100,00 Euro monatlich. Der vom Antragsgegner geltend gemachte Betrag von 200,00 Euro monatlich beinhaltet neben den Unterkunfts- und Heizkosten auch Kosten für Essen, Strom und Wasser, die bereits im oben genannten Grundfreibetrag berücksichtigt sind. Nach Abzug der genannten Positionen verbleibt dem Antragsgegner ein Einkommen von 417,70 Euro. Dieses ist nicht um die geltend gemachten Raten für die Begleichung einer Geldstrafe zu bereinigen, weil es sich bei den Zahlungen auf die Geldstrafe nicht um angemessene besondere Belastungen im Sinne der §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO handelt. Die Geldstrafe würde ihren Strafzweck verfehlen, wenn sie bei der Beantragung von Sozialleistungen - hierzu rechnet auch die Verfahrenskostenhilfe als Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege - einkommensmindernd in Ansatz gebracht werden könnte. Das verbleibende Einkommen von 417,70 Euro würde zu monatlich auf die Verfahrenskostenhilfe zu zahlenden Raten von 155,00 Euro führen ( § 76 Abs. 1 FamFG, 115 Abs. 2 ZPO). Vier Raten beliefen sich damit auf 600,00 Euro. Dem stehen ausgehend von einem Verfahrenswert von 1.000,00 Euro Kosten der Rechtsverteidigung von lediglich 386,68 Euro zuzugülich etwaiger Zustellungskosten gegenüber. Diese setzen sich zusammen aus einer 1,3fachen Verfahrensgebühr nach Ziffer 3100 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG, einer 1,2fachen Terminsgebühr nach Ziffer 3104 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG, einer Dokumentenpauschale von 20,00 Euro, Umsatzsteuer von 19 % sowie Gerichtskosten von 110,00 Euro nach Ziffer 1320 des Kostenverzeichnisses zum FamGKG. Die der Antragstellerin vom Antragsgegner in Folge der vom Gericht getroffenen Kostenentscheidung zu erstattenden Kosten rechnen nicht zu den Kosten der Rechtsverteidigung im Sinne des § 115 Abs. 4 ZPO (Zöller, § 115 Randnr. 79). Vier vom Antragsgegner zu zahlende Raten übersteigen damit eindeutig die Kosten seiner Verfahrensführung, und zwar selbst dann, wenn man die Unterhaltsleistungen der Großeltern vollkommen außer Betracht lassen würde. Bei einem um 100,00 Euro geminderten verbleibenden Einkommen des Antragsgegners beliefe sich die Ratenhöhe auf 115,00 Euro. Vier Raten würden die auf den Antragsgegner entfallenden Verfahrenskosten dann immer noch übersteigen. Es bedarf daher auch keiner weiteren Erörterung, ob im vorliegenden Verfahren überhaupt die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes erforderlich war. Die Beschwerde ist im Ergebnis wegen fehlender Bedürftigkeit des Antragsgegners zurückzuweisen. Die für die Zurückweisung der Beschwerde für den Beschwerdeführer anfallenden Kosten ergeben sich aus Ziffer 1910 des Kostenverzeichnisses zum FamGKG. Außergerichtlichen Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO). Schmidt