OLG Frankfurt vom 15.03.2011 (4 WF 32/11)

Stichworte: Rechtskraft, entgegenstehend, Bestimmtheit, Vollstreckbarkeit; Leistungsantrag, entgegen stehende Rechtskraft bei fehlender Bestimmtheit des bestehenden Titels;
Normenkette: FamFG 113 Abs. 1; ZPO 114, 322;
Orientierungssatz: Die Rechtskraft eines Unterhaltstitels steht einem erneuten Leistungsantrag aus demselben Streitgegenstand dann nicht entgegen, wenn aus dem rechtskräftigen Titel mangels hinreichender Bestimmtheit nicht vollstreckt werden kann.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 24.01.2011 gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 03.01.2011 am 15.03.2011 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird dem Amtsgericht zur erneuten Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin zurückverwiesen mit der Maßgabe, dass die begehrte Verfahrenskostenhilfe nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht der Anträge gemäß Schriftsatz vom 07.10.2010, Bl. 91 ff d.A., versagt werden darf, hinsichtlich des Haupt- und des ersten Hilfsantrags allerdings nur, soweit mit diesen für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 20.09.2010 rückständiger Trennungsunterhalt vom 11.971,80 E (nebst mit dem Hauptantrag geltend gemachter Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.10.2010) und bis zum 20.09.2010 aufgelaufene Zinsen von 335,85 E geltend gemacht werden. Soweit der Hauptantrag darüber hinausgeht, wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Der Antragsgegner ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 16.04.2009, Az. 62 F 1271/05 UEUK, zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt an die Antragstellerin verurteilt worden. Der für das vorliegende, nach mehrfacher Antragsänderung ausschließlich den Trennungsunterhalt betreffende Verfahren maßgebliche Teil des Urteilstenors lautet wie folgt:

"1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Trennungsunterhalt zu zahlen für den Zeitraum Juli 2006 bis einschließlich Juni 2007 in Höhe von 170,00 E monatlich, für den Zeitraum Juli 2007 bis einschließlich Dezember 2007 in Höhe von 354,00 E monatlich, für den Zeitraum Januar 2008 bis einschließlich Dezember 2008 in Höhe von 505,00 E monatlich, für den Zeitraum Januar 2009 und Februar 2009 in Höhe von 498,00 E monatlich, sowie laufend ab März 2009 in Höhe von 466,00 E monatlich, fällig jeweils monatlich im Voraus am Dritten eines jeden Monats, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. auf den jeweiligen Unterhaltsbetrag ab jeweiliger Fälligkeit.

...

6. Die Zahlungsverpflichtung besteht jeweils abzüglich des im Rahmen der einstweiligen Anordnung gezahlten Unterhalts sowie etwaig freiwilliger Zahlungen durch den Beklagten."

Das Amtsgericht hat der gegen die Erteilung der Vollstreckungsklausel durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gerichteten Erinnerung des Antragsgegners mit Beschluss vom 22.01.2010 stattgegeben. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist vom erkennenden Senat durch Beschluss vom 31.03.2010, Az. 4 WF 20/10, zurückgewiesen worden. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird Bezug genommen.

Nachdem die Antragstellerin im Anschluss an das Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht zunächst eine Abänderung des Urteils vom 16.04.2009 beantragt hatte, beantragt sie nunmehr sinngemäß,

dem Antragsgegner aufzugeben, an sie rückständigen Trennungsunterhalt zu zahlen in Höhe von 12.307,65 E zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 06.10.2010,

hilfsweise festzustellen, dass das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 16.04.2009, Az. 62 F 1271/05 UEUK, folgenden vollstreckungsfähigen Inhalt hat:

Die Klägerin kann aus dem Urteil des Amtsgerichts Hanau rückständigen Trennungsunterhalt in Höhe von 12.307,65 E vollstrecken.

äußerst hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, an die Antragstellerin Trennungsunterhalt zu zahlen für den Zeitraum Juli 2006 bis einschließlich Juni 2007 in Höhe von 170,00 E monatlich, für den Zeitraum Juli 2007 bis einschließlich Dezember 2007 in Höhe von 354,00 E monatlich, für den Zeitraum Januar 2008 bis einschließlich Dezember 2008 in Höhe von 505,00 E monatlich, für den Zeitraum Januar 2009 und Februar 2009 in Höhe von 498,00 E monatlich, sowie laufend ab März 2009 in Höhe von 466,00 E monatlich, fällig jeweils monatlich im Voraus am dritten eines jeden Monats, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. auf den jeweiligen Unterhaltsbetrag ab jeweiliger Fälligkeit abzüglich hierauf vom Antragsgegner geleisteter Zahlungen in Höhe von 764,00 E am 23.08.2006, in Höhe von 120,00 E am 12.09.2006, im Oktober und November 2006 jeweils gezahlter 382,00 E, im Zeitraum Januar 2007 bis einschließlich 01.10.2009 monatlich gezahlter 156,00 E sowie am 02.11. und 01.12.2009 sowie am 04.01. und 01.02.2010 jeweils gezahlter 466,00 E.

Aus der dem Schriftsatz vom 07.10.2010 beigefügten Forderungsaufstellung, Bl. 110 ff. d.A., ergibt sich, dass sich der rückständige Trennungsunterhalt für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 20.09.2010 unter Zugrundelegung der vom Amtsgericht ausgeurteilten Beträge und der vom Antragsgegner hierauf geleisteten Zahlungen auf 11.971,80 E beläuft, die aufgelaufenen Zinsen auf 335,85 E.

Die für die Anträge begehrte Verfahrenskostenhilfe hat das Amtsgericht der Antragstellerin mit dem angefochtenen Beschluss vom 03.01.2011 versagt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Hauptantrag und dem weiteren Hilfsantrag stehe die Rechtskraft des Urteils vom 16.04.2009 entgegen. Ein erneuter Leistungsantrag sei wegen der Identität des Streitgegenstandes unzulässig. Dem ersten Hilfsantrag stehe die Rechtskraft des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 31.03.2010 entgegen, in welchem rechtskräftig festgestellt worden sei, dass eine Vollstreckung aus dem Urteil vom 16.04.2009 nicht möglich ist.

Mit ihrer am 25.01.2011 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 24.01.2011 verfolgt die Antragstellerin ihren Verfahrenkostenhilfeantrag weiter. Das Amtsgericht hat der Beschwerde unter Verweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegen getreten und hat sich der Auffassung des Amtsgerichts angeschlossen.

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- und fristgerecht eingelegte (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2, 569 ZPO) sofortige Beschwerde ist in der Sache weitestgehend begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Die begehrte Verfahrenskostenhilfe kann der Antragstellerin nicht mit dem Argument der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils vom 16.04.2009 oder der Beschwerdeentscheidung im Erinnerungsverfahren vom 31.03.2010 versagt werden. Es ist schon zweifelhaft, ob ein unbestimmter und daher nicht vollstreckbarer Urteilstenor überhaupt in Rechtskraft erwächst. Jedenfalls ist aber anerkannt, dass ein Gläubiger, der über einen rechtskräftigen Titel verfügt, dennoch einen erneuten Titel aus demselben Streitgegenstand verlangen kann, wenn er daran wegen besonderer Umstände ein berechtigtes Interesse hat (BGHZ 36, 11, 14; OLG Zweibrücken, FamRZ 1996, 749; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., 2010, vor § 322, Rdnr. 20a).

Das Oberlandesgericht Zweibrücken führt hierzu in der zitierten Entscheidung überzeugend aus:

"Das Verbot, nach Eintritt der Rechtskraft über denselben Streitgegenstand erneut zu verhandeln und zu entscheiden, besteht im Interesse des Ansehens der Gerichte, der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens unter den Parteien. Mit der Streitentscheidung hat der Staat zwischen den Parteien Rechtsgewissheit geschaffen und seine Rechtsaufgabe erfüllt (BGHZ 93, 287, 289 mit Anmerkung Hagen in LM ZPO § 322 Nr. 103). Das Wiederholungsverbot ("ne bis in idem") erfährt aber verschiedene Durchbrechungen. Es greift etwa dann nicht durch, wenn der vollstreckbare Titel nicht wieder herstellbar untergegangen ist (BGHZ 4, 314, 321f), wenn Streit über die Tragweite einer zu Zweifeln Anlass gebenden Urteilsformel besteht (BGHZ 36, 11, 14) oder wenn der zu vollstreckende Urteilsausspruch zu unbestimmt ist (allgemeine Meinung, vgl. z.B. BGH, NJW 1972, 2268; Stein/Jonas/Pohle, ZPO, 20. Aufl., § 322, Rdnr. 200; Stein/Jonas/Münzberg a.a.O., 21. Aufl., vor § 704, Rdnr. 31; Blomeyer, Zivilprozessrecht, § 9, II 2b; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 2. Aufl., § 4, Rdnr. 44). Die in solchen Fällen gebotene Klageart ist grundsätzlich eine Feststellungsklage, weil kein Bedürfnis besteht, den vorhandenen zur Vollstreckung geeigneten Titel voll zu ersetzen und den darin enthaltenen Ausspruch zu wiederholen (BGHZ 36, 11, 14; BGH NJW-RR 1972, 318). Eine nochmalige Leistungsklage ist deswegen aber nicht ausgeschlossen. Sie wird insbesondere für möglich gehalten, bei Vollstreckungstiteln, die wegen ihres unbestimmten Leistungsausspruchs nicht zur Zwangsvollstreckung geeignet sind (vgl. Stein/Jonas/Münzberg a.a.O.; Brox/Walker a.a.O; Thomas-Putzo, ZPO, vor § 704, Anm. IV 1e)."

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der Antragstellerin für einen nochmaligen identischen Leistungsantrag, wie sie ihn als weiteren Hilfsantrag formuliert hat, nicht die für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Es bleibt der Antragstellerin aber selbstverständlich unbenommen, lediglich die bislang aufgelaufenen Unterhaltsrückstände und die aufgelaufenen Zinsen einzuklagen, wie sie das mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag tut, wobei beide Anträge dahingehend auszulegen sind, dass mit ihnen rückständiger Trennungsunterhalt und aufgelaufene Zinsen bis zum 20.09.2010 geltend gemacht werden. Ob die Rückstände mit einem erneuten Leistungsantrag oder mit einem Feststellungsantrag geltend zu machen sind, kann für das Verfahrenskostenhilfeverfahren dahingestellt bleiben, weil beiden Anträgen gemäß vorstehender Ausführungen eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist lediglich insoweit nicht gegeben, als mit dem Hauptantrag auch eine Verzinsung der aufgelaufenen Zinsen beantragt wird. Einen solchen Zinseszinsanspruch sieht das Gesetz nicht vor.

Eine abschließende Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfegesuch ist dem Senat derzeit nicht möglich, weil er die Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit der Antragstellerin nicht beurteilen kann. Die Antragstellerin verweist insoweit auf die im Scheidungsverfahren mit dem Az. 62 F 701/07 S des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vorgelegte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Diese datiert allerdings vom 16.05.2007; eine aktuelle Erklärung liegt nicht vor. Der Senat hält daher eine Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht nach § 572 Abs. 3 ZPO für geboten. Das Amtsgericht wird die Bedürftigkeit der Antragstellerin nach Vorlage einer aktuellen Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen haben.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 1 FamGKG i.V.m. Ziff. 1912 der Anlage zu § 3 Abs. 2 FamGKG. Im Hinblick auf den weitgehenden Erfolg der Beschwerde sieht der Senat von einer Gebührenerhebung ab. Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Schmidt