OLG Frankfurt vom 26.02.2013 (4 WF 279/12)

Stichworte: Ehewohnungssache, Kosten;
Normenkette: FamFG 81, 200 Abs. 1 Nr. 1; BGB 1361b;
Orientierungssatz: In Ehewohnungssachen nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ist wie in allen der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterfallenden Streitigkeiten unter Familienangehörigen bei der Auferlegung von Kosten Zurückhaltung geboten. Von einem groben Verschulden des der Wohnung verwiesenen Ehegatten im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG ist regelmäßig bei einer schuldhaften Begehung einer der in § 1361 b Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Rechtsgutverletzungen auszugehen. Stützt sich die Wohnungszuweisung maßgeblich auf Belange eines im Haushalt lebenden minderjährigen Kindes scheidet die Annahme eines groben Verschuldens des der Wohnung verwiesenen Ehegatten hingegen regelmäßig aus, es sei denn, er hat durch gegen den anderen Ehegatten oder das Kind gerichtete Rechtsgutverletzungen der oben beschriebenen Art oder durch ähnlich krasses Fehlverhalten Veranlassung zur Antragserhebung gegeben.

537 F 124/12
AG Wiesbaden

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 22.10.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 19.9.2012 am 26. Februar 2013 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdeführrein auferlegt.

Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren festgesetzt auf 675,08 Euro.

Gründe:

I.

Mit ihrer am 22.10.2012 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Kostenentscheidung in der zwischen den Beteiligten vor dem Amtsgericht anhängig gewesenen Ehewohnungssache.

Das Amtsgericht wies der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 19.6.2012 hin die im gemeinsamen Haus der Beteiligten gelegene Ehewohnung nach Einholung einer Stellungnahme des zuständigen Jugendamts vom 9.8.2012, Anhörung der Beteiligten am 31.8.2012 und Zeugenvernehmung des minderjährigen Sohns der Antragstellerin am 18.9.2012 für die Dauer der Trennungszeit zur alleinigen Nutzung zu. Wegen des der Wohnungszuweisung zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Antragsschrift vom 19.6.2012 (Bl. 1ff. der Akte), die Stellungnahme des Jugendamts (Bl. 18f. der Akte), die Sitzungsniederschriften vom 31.8.2012 (Bl. 41ff. der Akte) und vom 18.9.2012 (Bl. 78ff. der Akte) sowie auf die angefochtene Entscheidung (Bl. 82ff. der Akte) Bezug genommen.

Die Gerichtskosten erlegte das Amtsgericht den Beteiligten je zur Hälfte auf und sah im Übrigen von der Auferlegung von Kosten ab; den Verfahrenswert setzte es auf 3.000,- Euro fest. Zur Begründung der Kostenentscheidung führte das Amtsgericht aus, diese beruhe auf §§ 80, 81 FamFG. Zwar habe der Antragsgegner für das Verfahren, soweit es die Ehewohnung betreffe, durch grobes Verschulden Anlass gegeben. Da die Antragstellerin die Wohnungszuweisung jedoch zu Unrecht bezüglich des gesamten Hausgrundstücks beantragt habe, entspreche die Aufhebung der Kosten der Billigkeit.

Mit ihrer am Montag, den 22.10.2012, beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gegen den ihr am 21.9.2012 zugestellten Beschluss begehrt die Antragstellerin eine dahingehende Abänderung der Kostenentscheidung, dass die Verfahrenskosten vom Antragsgegner allein zu tragen sind. Zur Begründung führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, soweit der Antrag in der Antragsschrift vom 19.6.2012 missverständlich formuliert worden sei, ergebe sich sowohl aus der darin enthaltenen Beschränkung auf "4 Zimmer, Küche, Bad, Flur, Balkon und Kellerraum" als auch aus der Begründung des Antrags, dass lediglich die Zuweisung der in dem Haus befindlichen Ehewohnung und nicht die Zuweisung des gesamten Hausgrundstücks einschließlich der im Erdgeschoss verpachteten Gaststätte begehrt wurde. Das gerichtliche Verfahren habe der Antragsgegner durch sein gesamtes Verhalten überhaupt erst notwendig gemacht. Er habe sich seinem minderjährigen Stiefsohn gegenüber so verhalten, dass dieser sich aus der Wohnung gedrängt fühlte und sich in sein Mansardenzimmer verkroch. Eine vorgerichtliche Aufforderung zur Überlassung der Wohnung habe der Antragsgegner zurückgewiesen. Das gerichtliche Verfahren habe er künstlich in die Länge gezogen.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegen getreten. Er hält die Voraussetzungen für eine vollständige Kostentragung seinerseits, insbesondere eine Veranlassung des Verfahrens durch grobes Verschulden seinerseits, nicht für gegeben.

II.

Die auf die Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss beschränkte Beschwerde ist zulässig.

Sie ist nach §§ 58 Abs. 1 FamFG statthaft; ein Verbot der isolierten Anfechtung von Kostenentscheidungen sieht das FamFG für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht vor (vgl. Feskorn in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 58 FamFG, Rdnr. 5 m.w.N.).

Sie ist innerhalb der Frist des § 63 Abs. 1 FamFG in der durch § 64 Abs. 1 und 2 FamFG vorgeschriebenen Form eingelegt worden.

Der sich aus § 61 Abs. 1 FamFG ergebende Beschwerdewert von 600,- Euro ist erreicht. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Antragstellerin die Abwälzung ihr auferlegter Kosten von insgesamt 675,08 Euro (1,0 x 89,- Euro (Ziffer 1320 KV FamGKG), 1,3 x 189,- Euro (Ziffer 3100 VV RVG), 1,2 x 189,- Euro Ziffer 3104 VV RVG), 20,- Euro Post- und Telekommunikationspauschale (Ziffer 7002 VV RVG), 93,58 Euro Umsatzsteuer (Ziffer 7008 VV RVG)) auf den Antragsgegner.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache jedoch im Ergebnis unbegründet und daher zurückzuweisen.

Über die Verteilung der Kosten des ersten Rechtszugs ist vom Familiengericht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei das Gericht einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise auferlegen soll, wenn die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 FamFG erfüllt sind.

Die Überprüfung der vom Familiengericht zu treffenden Ermessensentscheidung ist lediglich einer eingeschränkten Überprüfung des Beschwerdegerichts zugänglich. Die Überprüfung von Ermessensentscheidungen im zweiten Rechtszug beschränkt sich grundsätzlich auf die Frage, ob das erstinstanzliche Gericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Der Sinn des Ermessens würde verfehlt, wenn das Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet wäre, ein vom erstinstanzlichen Gericht fehlerfrei ausgeübtes Ermessen durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Die erstinstanzliche Entscheidung wird daher nur auf etwaige Ermessenfehler in Form eines Ermessensnichtgebrauchs, eines Ermessensfehlgebrauchs oder einer Ermessensüberschreitung überprüft (vgl. BGH, Beschluss vom 28.2.2007, XII ZB 165/06, FamRZ 2007, 893; OLG Brandenburg, Beschluss vom 5.7.2012, 9 WF 147/12, FamFR 2012, 425; KG, Beschluss vom 2.9.2010, 19 WF 132/10, FamRZ 2011, 393, alle zitiert nach juris). Lediglich im Falle des Vorliegens eines solchen Ermessensfehlers ist das Beschwerdegericht im Rahmen der ihm obliegenden Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht berechtigt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des nicht oder fehlerhaft ausgeübten Ermessens des erstinstanzlichen Gerichts zu setzen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 11.9.2012, 4 WF 196/12, und vom 27.11.2012, 4 WF 259/12, beide veröffentlicht unter www.hefam.de).

Im vorliegenden Fall ist von einem Ermessensfehlgebrauch des Amtsgerichts im Hinblick auf die der Kostenentscheidung zu Grunde gelegte fehlerhafte Auslegung des Antrags der Antragstellerin auszugehen. Der Antragstellerin ist dahingehend zuzustimmen, dass sie mit ihrem Antrag vom 19.6.2012 ausschließlich die Zuweisung der Ehewohnung für die Dauer des Getrenntlebens beantragt hat. Das vom Amtsgericht seiner Kostenentscheidung zu Grunde gelegte Begehren einer Zuweisung des gesamten Hausgrundstücks einschließlich der von den Beteiligten verpachteten Gaststätte im Erdgeschoss lässt sich weder der Antragsbegründung noch dem Wortlaut des Antrags entnehmen. Soweit dort von einem "Haus" die Rede ist ergibt sich aus dem Zusatz "bestehend aus 4 Zimmern, Küche, Bad, Flur Balkon und Kellerraum" sowie aus der Antragsbegründung eindeutig, dass damit die Ehewohnung im ersten Obergeschoss des Hauses gemeint war.

Der Senat ist daher befugt, selbst Ermessen auszuüben. Dies führt im Ergebnis allerdings nicht zu einer Abänderung der angefochtenen Kostenentscheidung.

Es entspricht dem Grundsatz des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dass jeder Beteiligte die Gerichtskosten anteilig und seine eigenen Kosten selbst zu tragen hat. Insbesondere bei Streitigkeiten unter Familienangehörigen ist bei der Anordnung einer Kostenerstattung Zurückhaltung geboten (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschlüsse vom 23.1.2013, 4 UF 309/12, und vom 18.1.2013, 4 WF 269/12, beide nicht veröffentlicht, und vom 27.11.2012, 4 WF 259/12, veröffentlicht unter www.hefam.de, vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 18.11.2011, 13 UF 148/11, FamRZ 2012, 733, so im Ergebnis auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 5.7.2012, 9 WF 147/12, FamFR 2012, 425; OLG Naumburg, Beschluss vom 4.10.2011, 4 WF 79/11; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.10.2010, 1 WF 133/10, FamRZ 2011, 991 = JAmt 2010, 497, alle zitiert nach juris; Feskorn in Prütting/Helms, FamFG, § 81, Rdnr. 13, 14a).

Vor diesem Hintergrund entspricht es unabhängig von der Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache grundsätzlich auch in Ehewohnungssachen billigem Ermessen, die Gerichtskosten den Beteiligten anteilig aufzuerlegen und von der Anordnung einer Kostenerstattung im Übrigen abzusehen, wenn keine der in § 81 Abs. 2 FamFG genannten oder vergleichbare Umstände gegeben sind.

Von den in § 81 Abs. 2 FamFG genannten Umständen käme hier allenfalls eine Veranlassung des Verfahrens durch grobes Verschulden nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 FamFG in Betracht. Hierfür fehlen jedoch hinreichende Anhaltspunkte.

Grobes Verschulden ist zu bejahen bei Vorsatz oder Außerachtlassung der nach den Umständen erforderlichen Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße (vgl. Schindler in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2010, § 81 FamFG, Rdnr. 32 unter Verweis auf KG, NJW 65,1538, OLG Hamm FamRZ 1983, 1264, OLG Brandenburg FamRZ 1996, 496; Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl. 2011, § 81, Rdnr. 15; Musielak/Borth, FamFG, 3. Aufl. 2012, § 81, Rdnr. 7). Es wird regelmäßig bei schuldhafter Begehung einer der in § 1361 b Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Rechtsgutverletzungen, also bei Körper-, Gesundheits- oder Freiheitsverletzungen des anderen Ehegatten oder der Drohung mit entsprechenden Verletzungen, anzunehmen sein. Stützt sich die Wohnungszuweisung hingegen maßgeblich auf Belange eines im Haushalt lebenden minderjährigen Kindes scheidet die Annahme eines groben Verschuldens hingegen regelmäßig aus, es sei denn, der Ehegatte hat durch gegen den anderen Ehegatten oder das Kind gerichtete Rechtsgutverletzungen der oben beschriebenen Art oder durch ähnlich krasses Fehlverhalten Veranlassung zur Antragserhebung gegeben.

Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen kann im vorliegenden Fall nicht von einem groben Verschulden des Antragsgegners ausgegangen werden. Das Familiengericht hat die angeordnete Wohnungszuweisung maßgeblich auf die Belange des im Haushalt der Beteiligten lebenden minderjährigen Kindes der Antragstellerin gestützt. Soweit es ein für das Kind erniedrigendes Verhalten des Antragsgegners festgestellt hat, hat es hierauf zu Recht die Annahme einer für das Kind mit einem weiteren Zusammenleben mit dem Antragsgegner verbundenen unbilligen Härte begründet

Das dieser Annahme zu Grunde liegende Fehlverhalten des Antragsgegners ist allerdings nicht so krass, dass es - vor dem Hintergrund der diesbezüglich gebotenen Zurückhaltung - eine Auferlegung weiterer Kosten rechtfertigen würde. Der Antragsgegner hat weder die Antragstellerin noch deren Sohn an Körper, Gesundheit oder Freiheit verletzt oder mit entsprechenden Verletzungen gedroht. Beleidigung des Kindes wie "Türkenbastard" oder "Schmarotzer" erfolgten anlässlich von laut geführten Selbstgesprächen in der Wohnung und überschreiten die Schwelle zur Annahme eines besonders krassen Fehlverhaltens nach Auffassung des Senats noch nicht.

Die Entscheidung über die Kosten des zweiten Rechtszugs beruht auf §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG. Umstände, welche ein Abweichen von der regelkostenfolge des § 84 FamFG rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

Da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern, ist die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 FamGKG. Maßgeblich für die Wertfestsetzung ist das von der Antragstellerin mit ihrer Beschwerde verfolgte Kosteninteresse in Höhe der gemäß der angefochtenen Entscheidung von ihr zu tragenden Kosten.

Diehl Dr. Fritzsche Schmidt