OLG Frankfurt vom 10.02.2015 (4 WF 265/14)

Stichworte: Wertfestsetzung, Ehesache, Versorgungsausgleich, Einkommensbegriff, Sozialleistungen als Einkommen;
Normenkette: FamGKG 43, 50 Abs. 1
Orientierungssatz: Staatliche Transferleistungen ohne Entgeltersatzfunktion wie die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder dem SGB XII sind im Rahmen der Wertfestsetzung in Ehesachen und in der Folgesache Versorgungsausgleich nicht als werterhöhendes Einkommen zu berücksichtigen.

530 F 188/13
AG Wiesbaden

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 10.11.2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 25.9.2014 (Festsetzung des Verfahrenswerts) am 10. Februar 2015 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit seiner am 11.11.2014 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Festsetzung der in den §§ 43 Abs. 1 Satz 2, 50 Abs. 1 Satz 2 genannten Mindestwerte für die zwischen den Beteiligten rechtshängig gewesene Ehesache und die Folgesache Versorgungsausgleichs und begehrt unter Zugrundelegung von beiden Beteiligten monatlich bezogener Sozialleistungen von 2.036,- Euro die Festsetzung eines Werts von 6.108,- Euro für die Ehesache und - ausgehend von zwei Versorgungsanrechten - von 1.221,60 Euro für die Folgesache Versorgungsausgleich.

Tatsächlich bezog die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags am 16.10.2013 ausweislich der von beiden Beteiligten vorgelegten Verfahrenskostenhilfeunterlagen Arbeitslosengeld I von 445,50 Euro monatlich und ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 490,01 Euro monatlich. Darüber hinaus gehende Leistungen wurden für die beiden Töchter gewährt. Der Antragsteller bezog ausschließlich Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 715,85 Euro monatlich.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der an sich zuständige Einzelrichter hat die Entscheidung über die Beschwerde durch Beschluss vom 6.2.2015 wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache auf den Senat übertragen.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 32 Abs. 2 RVG, 59 Abs. 1 FamGKG zulässig, jedoch in der Sache unbegründet.

Gemäß § 43 Abs. 1 FamGKG ist in Ehesachen der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht unter 3.000,- € bestimmt werden. Nach § 43 Abs. 2 GKG ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.

In Versorgungsausgleichssachen beträgt der Verfahrenswert gemäß § 50 Abs. 1 FamGKG für jedes Anrecht zehn Prozent des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens der Ehegatten, mindestens jedoch 1.000,- Euro.

Ob es sich bei staatlichen Transferleistungen ohne Entgeltersatzfunktion, also insbesondere bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und dem SGB XII, um (werterhöhendes) Einkommen im Sinne der §§ 43 Abs. 2, 50 Abs. 1 Satz 1 FamGKG handelt, ist umstritten.

Zum Teil wird vertreten, jegliche staatliche Sozialleistungen seien als Einkommen zu behandeln (z.B. OLG Celle, NJW 2010, 3587; OLG Celle, Beschluss vom 17.12.2013, 12 WF 92/13 - zitiert nach juris; OLG Zweibrücken, FamRZ 2011, 992; OLG Brandenburg, FamRZ 2013, 2009; OLG Köln, FamRZ 2009, 638; OLG Düsseldorf, FamRZ 2009, 453; OLG Hamm, FamRZ 2006, 632; OLG Frankfurt, FamRZ 2008, 535 (soweit den Sozialleistungen kein übergegangener Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten gegenübersteht); Dürbeck in BeckOK Streitwert Ehesachen, Rz. 8 m.w.N.; Klüsener in: Prütting/Helms, FamFG, 2. Auflage 2011, § 43 FamGKG Rz 12 f.; Thiel in: Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 13. Auflage 2011, Rz. 7144 m.w.N.). Zur Begründung wird ausgeführt, eine Beschränkung auf Erwerbseinkommen sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Im Übrigen sei ein Abstellen auf den Mindestwert für die Verfahrensbevollmächtigten nicht hinnehmbar, weil dieser von 1975 bis 2013 überhaupt nicht angehoben und 2013 nur von 2.000,- auf 3.000,- Euro angehoben worden sei.

Nach der Gegenmeinung (u.a. OLG Frankfurt, BeckRS 2014, 01627; OLG Köln, BeckRS 2014, 00233; OLG Bremen, FamRZ 2012, 239; OLG Hamm, FamRZ 2012, 897; OLG Stuttgart, FamRZ 2011, 1810; OLG Saarbrücken, MDR 2013, 1231; OLG Karlsruhe, FamRZ 2002, 223; OLG Oldenburg, FamRZ 2009, 1173; OLG Celle, FamRZ 2012, 240; OLG Naumburg, FuR 2012, 207; OLG Schleswig, famRZ 2010, 1939; OLG Dresden, FamRZ 2010, 1939; OLG Jena, FamRZ 2010, 1934; KG, FamRZ 200, 1854; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., Anh. § 3. "Ehesachen", m.w.N.) haben staatliche Transferleistungen ohne Entgeltersatzfunktion unberücksichtigt zu bleiben. Zur Begründung wird ausgeführt, die gebührenrechtliche Bezugnahme auf das Einkommen knüpfe an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eheleute an. Diese werde nicht von staatlichen Transferleistungen bestimmt, deren Höhe sich nicht an zuvor erzieltem Erwerbseinkommen, sondern ausschließlich am Grundbedarf des Empfängers orientiere. Andernfalls liefe der vom Gesetzgeber festgelegte Mindestwert weitgehend ins Leere.

Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung, weil nur sie der vom Gesetzgeber gewollten Anknüpfung der Wertfestsetzung an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerecht wird. Der Bezug staatlicher Sozialleistungen zur Sicherung des Grundbedarfs ist Ausdruck fehlender eigener Mittel des Hilfeempfängers und kann daher auch gebührenrechtlich nicht zur Annahme einer dadurch begründeten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen. Andernfalls hinge der für die Ehesache festzusetzende Wert bei den Empfängern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder dem SGB XII maßgeblich von der Höhe der übernommenen Kosten der Unterkunft ab, obwohl den Empfängern dieser Leistungen sämtlich nur der sozialhilferechtliche Regelsatz zum Verbrauch zur Verfügung steht und damit von einer einheitlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszugehen ist. Zu welch paradoxen Ergebnissen die Gegenauffassung führt, verdeutlicht folgendes Beispiel: Verfügen einkommenslose Eheleute in dem für die Wertfestsetzung maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags über Vermögen, welches die Freibeträge des SGB II oder des SGB XII geringfügig überschreitet, sind ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zum Verbrauch des Vermögens zu versagen, weil die Eheleute in der Lage sind, ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu decken. Gleichwohl wäre für die Ehesache mangels Einkommens bzw. berücksichtigungsfähigen Vermögens der Mindestwert anzusetzen, es sei denn der Wert des Vermögens wäre so hoch, dass er die Wertfestsetzung beeinflussen würde, was allerdings selbst nach den strengsten in der obergerichtlichen Rechtsprechung hierfür vertretenen Maßstäben ein Vermögen über 60.000,- Euro voraussetzte (bei einem Freibetrag von 15.000,- Euro für jeden Ehegatten und einer Berücksichtigung von fünf Prozent des verbleibenden Gesamtvermögens, vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2009, 74). Würde der Scheidungsantrag im selben Fall hingegen erst nach erfolgtem Verbrauch des Schonvermögens und Beginn des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zugestellt, wäre der Wert mit dem Dreifachen des Regelsatzes und der Kosten der Unterkunft und Heizung für beide Eheleute und damit im Regelfall weit über dem Mindestwert anzusetzen. Die Eheleute würden damit gebührenrechtlich in dem Moment als leistungsfähig(er) angesehen, in dem sie sozialhilferechtlich als nicht mehr leistungsfähig gelten.

Soweit zur Begründung der Gegenauffassung auf das Interesse der Verfahrensbevollmächtigten und die zwischen 1975 und 2013 unterbliebene Anhebung des Mindestwerts abgestellt wird, vermag dies ebenfalls nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat den Mindestwert zum 1.8.2013 in Kenntnis des Streits über die Berücksichtigung von Sozialleistungen bei der Wertfestsetzung nur auf 3.000,- Euro angehoben, was zwischen Bundesrat und Bundesregierung zunächst sogar noch umstritten war (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 17/11471, S. 315). Es kann vor diesem Hintergrund nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Wertfestsetzung in Höhe des Mindestwerts im Falle der Scheidung nicht leistungsfähiger Eheleute nicht zu einer angemessen Vergütung der Verfahrensbevollmächtigten führt. Dies gilt umso mehr als eine Nichtberücksichtigung staatlicher Transferleistungen bei der Wertfestsetzung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. BVerfG, FamRZ 2006, 841).

Es verbleibt daher bei dem vom Amtsgericht festgesetzten Verfahrenswert, weil lediglich das von der Antragsgegnerin bezogene Arbeitslosengeld I im Rahmen der Wertfestsetzung als Einkommen berücksichtigt werden kann und somit das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Eheleute den Mindestwert von 3.000,- Euro unterschreitet.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§ 59 Abs. 3 FamGKG).

Diehl Dr. Schweppe Schmidt