OLG Frankfurt vom 23.01.2014 (4 WF 264/13)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe, Belegvorlage, nachträglich;
Normenkette: ZPO 114, 117 Abs. 2 S. 1, 118 Abs. 2 S. 4; FamFG 76 Abs. 1;
Orientierungssatz: Zu den zeitlichen Grenzen nachträglicher Belegvorlage und einer sich daran anknüpfenden nachträglichen Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach Abschluss des Rechtszugs

21 F 36/12
AG Alsfeld

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 05.11.2013 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Alsfeld vom 17.10.2013 am 23. Januar 2014 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Die Antragsgegnerin beantragte in dem zwischen den Beteiligten seit dem 2.2.2012 rechtshängigen Scheidungsverbundverfahren im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6.8.2013, an dessen Ende die rechtskräftige Endentscheidung verkündet wurde, die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten, welche die Vertretung der Antragsgegnerin erstmals mit Schriftsatz vom 29.2.2012 angezeigt hatte. In dem Schriftsatz vom 29.2.2012 hatte die Bevollmächtigte eine Nachreichung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin angekündigt; einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe enthielt der Schriftsatz jedoch nicht. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin lag im Termin zur mündlichen Verhandlung entgegen der Ankündigung im Schriftsatz vom 29.2.2012 nicht vor, woraufhin der Antragsgegnerin vom zuständigen Richter am Amtsgericht ausweislich der von diesem eingeholten dienstlichen Erklärung vom 4.12.2013 gestattet wurde, die Erklärung nebst Belegen nachzureichen. Ein zeitlicher Rahmen wurde der Antragsgegnerin hierfür nicht gesetzt.

Nachdem bis dahin immer noch keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingegangen war, wies das Amtsgericht den Verfahrenskostenhilfeantrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.10.2013, Bl. 49 der Akte, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, zurück.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 21.10.2013 zugestellten Beschluss richtet sich die am 6.11.2013 beim Amtsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, mit welcher die Antragsgegnerin eine auf den 26.9.2013 datierte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorlegte und vortrug, die von ihr am 26.9.2013 per Post an ihre Bevollmächtigte abgesandte Erklärung habe das Amtsgericht offenbar nicht erreicht. Der Erklärung waren keine Belege für das mit 650,- Euro monatlich angegebene Bruttoeinkommen der Antragsgegnerin aus selbständiger Tätigkeit beigefügt. Unter Abschnitt "F Abzüge" heißt es: "Steuer 2012 ist in Arbeit, siehe Steuererklärung 2011! Unterlagen sind bei Ihnen!" Wegen der weiteren Einzelheiten der Erklärung und der vorgelegten Belege wird auf Bl. 1 ff. des Sonderhefts Verfahrenskostenhilfe Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 8.11.2013 nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit sei nicht belegt.

Mit E-Mail vom 5.12.2013 hat die Antragsgegnerin dem Beschwerdegericht eine Gewinnermittlung für das Jahr 2012 und für den Zeitraum vom 1.1.2013 bis zum 31.10.2013 sowie den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 übersandt. Auf die vorgelegten Unterlagen wird ebenfalls Bezug genommen.

Der Einzelrichter des Senats hat die Entscheidung über die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache nach vorheriger Gewährung rechtlichen Gehörs durch Beschluss vom 17.1.2014 dem Senat übertragen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen. Die von der Beschwerdeführerin begehrte nachträgliche Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das durch Beschluss vom 6.8.2013 abgeschlossene Scheidungsverbundverfahren kommt - unabhängig von der Frage der Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin - nicht in Betracht.

Bei der Verfahrenskostenhilfe handelt es sich um eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege, welche bedürftigen Personen eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung vor Gericht ermöglichen soll. Im Hinblick auf diese Zielsetzung, durch welche den Hilfebedürftigen der begehrte Rechtsschutz überhaupt erst ermöglicht werden soll, scheidet eine nachträgliche Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach Abschluss des jeweiligen Rechtszugs grundsätzlich aus, weil eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung in diesem Rechtszug dann nicht mehr möglich ist. Das Verfahren ist dann nämlich auch ohne die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durchgeführt und abgeschlossen worden.

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen bereits abgeschlossenen Rechtszug kommt daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag bereits vor Abschluss der Instanz entscheidungsreif war (Zöller/Geimer, ZPO, Kommentar, 29 Aufl., 2012, § 117, Rdnr. 2b; BeckOK-ZPO/Reichling, § 117 ZPO, Rdnr. 10 f., BaumbachLauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl. 2013, § 114 ZPO, Rdnr. 88 jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Dies hat zur Folge, dass spätestens bis zum Instanzende eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse samt entsprechender Belege vorliegen muss (§ 113 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Welche Belege vorzulegen sind, lässt sich dem amtlichen Erklärungsvordruck entnehmen. Unvollständige Angaben im amtlichen Vordruck oder fehlende Belege führen dabei nicht zwingend zur Versagung von Verfahrenskostenhilfe. Vielmehr ist eine Bedürftigkeit nur zu verneinen, soweit sie sich nicht aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, d. h. gegebenenfalls sind lediglich nicht belegte Abzugsposten außer acht zu lassen (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, vgl. BGH, FamRZ 2008, 871).

Liegen im Zeitpunkt des Abschlusses der Instanz weder eine vollständige Erklärung noch sämtliche Belege vor, kann das Gericht dem Hilfe suchenden Beteiligten nach freiem Ermessen ausnahmsweise gestatten, seine Angaben bzw. Belege innerhalb einer über den Abschluss der Instanz hinausreichenden Frist zu vervollständigen (vgl. BeckOK ZPO/Reichling, §117 ZPO, Rdnr. 11 m.w.N.). Hierzu kann es sogar verpflichtet sein, wenn der Hilfe suchende Beteiligte erkennbar von der Vollständigkeit seiner Angaben bzw. der vorgelegten Belege ausging und das Gericht ihn weder auf die Unvollständigkeit hingewiesen noch über seinen Verfahrenskostenhilfeantrag entschieden hat, obwohl hierfür ausreichend Zeit gewesen wäre (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.2.2011, 4 WF 7/11, veröffentlicht unter www.hefam.de). Bei der über das Instanzende hinausreichenden Frist handelt es sich aber in jedem Fall um einen Notfrist, nach deren fruchtlosem Verstreichen - unabhängig von den Gründen der Fristversäumung - keine Verfahrenskostenhilfe für ein bereits abgeschlossenes Verfahren mehr bewilligt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1217).

Unter Berücksichtigung vorstehender Grundsätze muss im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass das Amtsgericht durch seine im Termin zur mündlichen Verhandlung abgegebene Erklärung, der Formularvordruck und die Belege könnten nachgereicht werden, zunächst einen dahingehenden Vertrauenstatbestand geschaffen hatte, dass es später nachgereichte Unterlagen bei seiner Entscheidung über das (verspätete) Verfahrenskostenhilfegesuch berücksichtigen würde (vgl. insoweit auch OLG Karlsruhe, FamRZ 2006, 1852). Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob das Amtsgericht die Antragsgegnerin vor seiner ablehnenden Entscheidung unter Fristsetzung an die Belegvorlage hätte erinnern müssen. Jedenfalls muss die Zurückweisung des Verfahrenskostenhilfeantrags im Hinblick auf die oben beschriebene Zielsetzung der Verfahrenskostenhilfe nach Auffassung des Senats nämlich so verstanden werden, dass es sich bei der mit der Zustellung der Entscheidung beginnenden Beschwerdefrist um die oben beschriebene Ausschlussfrist handelt, innerhalb derer die fehlenden Unterlagen zwingend hätten vorgelegt werden müssen. Ein darüber hinausgehender Vertrauenstatbestand, auf Grund dessen die Antragsgegnerin darauf hätte vertrauen dürfen, die fehlenden Unterlagen bei rechtzeitiger Beschwerdeeinlegung auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist nachreichen zu dürfen, lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die Antragsgegnerin anwaltlich vertreten war und ihr die grundsätzliche Unzulässigkeit der Nachreichung der für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erforderlichen Unterlagen nach Abschluss des Verfahrens damit hätte bekannt sein müssen.

Innerhalb der Beschwerdefrist hat die Antragsgegnerin zwar formwirksam Beschwerde eingelegt und eine vollständig ausgefüllte Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Belege für die meisten geltend gemachten Abzugspositionen vorgelegt. Sie hat jedoch keinerlei Belege für die Höhe des von ihr angegebenen Erwerbseinkommens vorgelegt und dies erst nach Ablauf der am 21.11.2013 abgelaufenen Beschwerdefrist nachgeholt. Da dem Gericht ohne die nunmehr vorgelegten Belege im maßgeblichen Zeitpunkt des Fristablaufs eine Beurteilung der Einkommenshöhe und eine sich daraus ergebende Beurteilung der Bedürftigkeit der Antragsgegnerin nicht möglich war, bleibt es daher bei der Zurückweisung des Verfahrenskostenhilfeantrags.

Die Antragsgegnerin kann sich insoweit auch nicht auf die dem Amtsgericht mit ihrem Verfahrenskostenhilfeantrag in dem Verfahren 21 F 392/12 UE des Amtsgerichts mit ihrer dortigen Erklärung vom 15.7.2012 vorgelegten Belege berufen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob eine Bezugnahme auf die dort vorgelegten Belege überhaupt zulässig ist. Jedenfalls sind die vor über einem Jahr eingereichten, offensichtlich das Jahr 2011 betreffenden Belege nämlich keinesfalls geeignet, das aktuelle Einkommen der Antragsgegnerin im Jahr 2013 zu belegen.

Im Hinblick auf die aus den vorgenannten Gründen ohnehin gegebene Unzulässigkeit der Bewilligung rückwirkender Verfahrenskostenhilfe bedarf die Abweichung zwischen den Angaben der Antragsgegnerin zur Höhe ihres Einkommens aus selbständiger Tätigkeit und der sich aus den vorgelegten Einnahmeüberschussrechnungen ergebenden Höhe dieses Einkommens keiner weiteren Aufklärung.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin kraft gesetzlicher Anordnung zu tragen (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG in Verbindung mit Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG)), Außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 113 Abs. 1 FamFG, 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 ZPO. Im Hinblick auf das Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung zu den zeitlichen Grenzen einer rückwirkenden Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe misst der Senat der Sache grundsätzliche Bedeutung zu bzw. sieht das Erfordernis einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zwecks Fortbildung des Rechts.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft. Gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht - Bundesgerichtshof, Herrenstrasse 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt ebenfalls mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

Diehl Dr. Schweppe Schmidt