OLG Frankfurt vom 8.12.2015 (4 WF 244/15)

Stichworte: Beweisbeschluss, Anfechtbarkeit, rechtliches Gehör, doppelrelevante Tatsachen;
Normenkette: FamFG 30 Abs. 1, 44 Abs. 1 Satz 2, ZPO 355 Abs. 2, 404
Orientierungssatz:
  • Ein Beweisbeschluss des Familiengerichts ist ausnahmsweise dann selbständig mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, wenn mit der sofortigen Beschwerde schlüssig eine dem Erlass des Beweisbeschlusses vorangegangene Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt wird (BGH, MDR 2009, 1184).
  • Ob die schlüssig behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs tatsächlich vorliegt, ist im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Rechtsbehelfs festzustellen.
  • Wird ein Gehörsverstoß festgestellt und ist dieser nicht im Rahmen der vom Familiengericht zu treffenden Abhilfeentscheidung geheilt worden, ist der angefochtene Beweisbeschluss aufzuheben. Das Familiengericht hat dann unter Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten erneut über den Erlass des Beweisbeschlusses zu entscheiden. Das Beschwerdegericht ist hingegen nicht befugt, selbst über die Art und Weise der Beweiserhebung zu entscheiden oder diese dem Familiengericht vorzuschreiben.
  • 616 F 447/15
    AG Wetzlar

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge für

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde der Mutter vom 8.10.2015 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Wetzlar vom 15.9.2015 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 3.11.2015 am 8. Dezember 2015 beschlossen:

    Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

    Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 1.500,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die vom Amtsgericht im Rahmen einer von diesem angeordneten Begutachtung getroffene Sachverständigenauswahl.

    Nachdem den Beteiligten vom Amtsgericht im Rahmen der persönlichen Anhörung am 25.6.2015 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter in Aussicht gestellt worden war, schlugen das beteiligte Jugendamt bzw. die eingesetzte Amtspflegerin mit Schreiben vom 15.9.2015 die Benennung des langjährigen Leiters der V.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in H., Herrn Dr. med. Dipl.-Psych. H., als Sachverständigen vor und teilten dessen Anschrift mit. Das Amtsgericht erließ daraufhin - ohne vorherige erneute Anhörung der übrigen Beteiligten - noch am 15.9.2015 einen Beweisbeschluss folgenden Inhalts.

    Es soll ein psychologisches Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt werden, ob aufgrund des aktuellen psychischen Zustandes der Kindesmutter aufgrund einer im Betreuungsverfahren zugrunde gelegten Persönlichkeitsstörung Einschränkungen bei der Erziehungsfähigkeit für Fabian gegebene sind. Wäre deswegen das Wohl von Fabian bei einer Rückkehr zur Kindesmutter gefährdet? Falls dies der Fall sein sollte, käme für Fabian ein Leben beim Vater in Betracht?

    Zum Sachverständigen bestimmte das Amtsgericht den vom Jugendamt bzw. der Amtspflegerin vorgeschlagenen Sachverständigen.

    Mit ihrer am 9.10.2015 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde gegen den am 24.9.2015 von der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zur Post gegebenen Beweisbeschluss begehrt die Beschwerdeführerin die Bestimmung von Frau Dipl.-Psych. B. in I. als Sachverständige. Die von ihr benannte Sachverständige hatte Mutter und Kind im Jahr 2012 in einem vorangegangenen Verfahren vor dem Familiengericht in P. psychologisch begutachtet.

    Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und trägt vor, sie hätte Bedenken gegen den vom Amtsgericht ausgewählten Sachverständigen vorgetragen, wenn ihr hierzu Gelegenheit gegeben worden wäre. Soweit das Jugendamt vorgetragen habe, die langjährige therapeutische Arbeit des Sachverständigen beziehe sich insbesondere auf die Behandlung psychisch erkrankter Mütter mit deren Kindern, gebe dies Anlass zur Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen, denn woher sonst könne das Jugendamt sein Wissen generiert haben, wenn nicht über langjährige fachliche Verbindungen zu dem gerichtlich bestellten Gutachter. Die von der Mutter vorgeschlagene Sachverständige kenne die Familiensituation und den persönlichen Werdegang der Mutter und ihrer jungen Familie aus den vorangegangenen Verfahren, weshalb es nur mit Verwunderung zur Kenntnis genommen werden könne, dass sie vom Jugendamt nicht benannt worden sei.

    Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es verbleibe bei dem benannten Sachverständigen. Ein Wechsel zu der von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Sachverständigen sei nicht vorzunehmen. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin folge nicht, dass die von ihr benannte Sachverständige besser geeignet ist, die Frage zu beantworten, ob sich aus dem aktuellen psychischen Zustand der Mutter Einschränkungen ihrer Erziehungsfähigkeit ergeben. Die Sachverständige habe ausweislich der beigezogenen Akten des Amtsgerichts P. zwei Gespräche mit der Mutter geführt; ein ausführliches schriftliches Gutachten sei nicht erstellt worden. Eine Vorbefassung in einem Umfang, der es zwingend erforderlich machen würde, sie mit der Einholung eines weiteren Gutachtens zu beauftragen, sei nicht erkennbar.

    Jugendamt, Amtspflegerin und Verfahrensbeiständin sind der Beschwerde entgegen getreten.

    Die Beschwerdeführerin trägt ergänzend vor, sie bestehe auf der Bestellung eines öffentlich bestellten Sachverständigen, weil nur so eine hinreichende Objektivität der Gutachtenerstellung gewährleistet sei. Es sei gerichtsbekannt, dass das Stadtjugendamt ... bei der Auswahl der Gutachter seit vielen Jahren immer wieder auf die gleichen Personen zurückgreife, was seinen Grund darin haben dürfte, dass die von diesen zutage geförderten Ergebnisse, den Vorstelllungen des Stadtjugendamts in der Regel entsprächen. Das Gericht solle den Anregungen der Beteiligten nachgehen. Die von der Mutter benannte Sachverständige sei für die Beantwortung der Beweisfrage eher qualifiziert als der vom Amtsgericht bestimmte Sachverständige. Zur forensischen Erfahrung und Neutralität des Sachverständigen habe das Jugendamt nichts weiter ausgeführt. Im Übrigen sei auch die Art des in Auftrag gegebenen Gutachtens nicht nachvollziehbar, weil vor dem Hintergrund der behaupteten Erkrankung der Mutter die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu erwarten gewesen wäre.

    II.

    Die sofortige Beschwerde ist ausnahmsweise zulässig. Zwar sind Beschlüsse, durch welche eine Beweisaufnahme angeordnet wird, nach §§ 30 Abs. 1, 44 Abs. 1 Satz 2, FamFG, 355 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nicht selbständig anfechtbar, und zwar weder mit der Anhörungsrüge noch mit der sofortigen Beschwerde. Dennoch hält der Bundesgerichtshof eine sofortige Beschwerde auch nach Einführung des - ausdrücklich auf die Anfechtung von Endentscheidungen beschränkten - Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge weiterhin für statthaft, wenn mit ihr eine der angefochtenen Zwischenentscheidung vorausgegangene Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt wird (BGH, MDR 2009, 1184). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung so genannter doppelrelevanter Tatsachen, also von Tatsachen, die sowohl für die Frage der Zulässigkeit als auch der Begründetheit eines Rechtsbehelfs erheblich sind, reicht es dabei für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde aus, wenn eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schlüssig behauptet wird. Ob ein solcher Verstoß tatsächlich vorliegt, ist dann im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Rechtsbehelfs festzustellen (vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu so genannten doppelrelevanten Tatsachen, zuletzt BGH, NJW 2015, 1584, Rdnr. 25, unter Verweis auf BGHZ 124, 237 und BGH, WM 2004, 1146).

    Ausgehend von diesen Grundsätzen reicht die von der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall behauptete Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör für die Annahme einer Statthaftigkeit der von ihr eingelegten sofortigen Beschwerde aus. Auch wenn §§ 30 Abs. 1 FamFG, 404 ZPO keine Pflicht des Gerichts begründen, die Beteiligten zur Auswahl eines Sachverständigen anzuhören (BGHZ 131, 76, 80), gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör dennoch, den übrigen Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem nach §§ 30 Abs. 1 FamFG, 404 Abs. 3 ZPO eingeholten Sachverständigenvorschlag eines Verfahrensbeteiligten zu geben.

    Die demnach zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist jedoch in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Beteiligten - wie vom Jugendamt und der Amtspflegerin behauptet - nicht bereits in der Anhörung am 25.6.2015 zum Sachverständigenvorschlag des Jugendamts angehört worden sind, wofür die in der Sitzungsniederschrift befindliche Formulierung spricht, in der Hauptsache solle nach Übersendung der Adresse durch die Amtspflegerin ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter eingeholt werden.

    Jedenfalls wäre eine mit einer unterbliebenen Anhörung der Beteiligten zum Vorschlag des Jugendamts verbundene Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör nämlich zwischenzeitlich geheilt. Das Amtsgericht hat sich im Rahmen seiner ihm nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO obliegenden Abhilfeprüfung ausweislich des Beschlusses vom 3.11.2015 mit den Bedenken der Beschwerdeführerin gegen den vom Amtsgericht ausgewählten Sachverständigen und mit dem eigenen Sachverständigenvorschlag der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt. Der Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 42, 364; 47, 1829). Diesem Anspruch hat das Amtsgericht spätestens im Rahmen seiner Nichtabhilfeentscheidung genügt. Dass diese nicht im Sinne der Beschwerdeführerin ausfiel ist für das vorliegende Verfahren unerheblich, weil der verfahrensrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör keinen über die bloße Berücksichtigung der Erwägungen der Beteiligten hinausgehenden Anspruch auf eine bestimmte Sachentscheidung oder Verfahrensgestaltung begründet.

    Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde die Auswahl eines anderen als des vom Amtsgericht ausgewählten Sachverständigen durch das Beschwerdegericht begehrt, verkennt sie den dem Beschwerdegericht eröffneten Prüfungsumfang. Die auf einen behaupteten Gehörsverstoß gestützte sofortige Beschwerde gegen einen Beweisbeschluss eröffnet dem Beschwerdegericht lediglich die Prüfung des Vorliegens eines entsprechenden Verstoßes und - im Falle seines Vorliegens - die Aufhebung des angefochtenen Beweisbeschlusses (vgl. BGH, MDR 2009, 1184). Das Beschwerdegericht ist hingegen nicht befugt, dem Gericht des ersten Rechtszugs im Rahmen der Anfechtung von Zwischenentscheidungen die Art und Weise der Beweiserhebung oder die Auswahl eines Sachverständigen vorzuschreiben. Entsprechende Rügen sind durch §§ 30 Abs. 1, 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG; 355 Abs. 2 ZPO von Gesetzes wegen eindeutig einer etwaigen Anfechtung der Endentscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs vorbehalten.

    Für die vom Senat zu treffende Entscheidung kommt es also nicht darauf an, ob der Senat den vom Amtsgericht ausgewählten Sachverständigen für geeignet oder die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Sachverständige für geeigneter hält. Der Senat erlaubt sich insoweit allerdings die Anmerkung, dass der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht geeignet sein dürfte, Zweifel an der Geeignetheit des vom Amtsgericht ausgewählten Sachverständigen zu wecken. Im Gegenteil erscheint dieser gerade auf Grund seiner Qualifikation als Psychiater und Diplom-Psychologe für die Beantwortung der Beweisfrage besser geeignet als die nur über eine Qualifikation als Diplom-Psychologin verfügende, von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Sachverständige. Eine öffentliche Bestellung psychologischer oder psychiatrischer Sachverständiger im Sinne des § 404 Abs. 2 ZPO ist gesetzlich ohnehin nicht vorgesehen.

    Soweit die Beschwerdeführerin die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen äußert, ist dieser Einwand dem Ablehnungsverfahren nach §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 ZPO vorbehalten und kann einer auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützten sofortigen Beschwerde gegen die Auswahl des Sachverständigen nicht zum Erfolg verhelfen. Auch insoweit erlaubt sich der Senat dennoch die Anmerkung, dass der Umstand, dass der Sachverständige vom beteiligten Jugendamt bzw. der Amtspflegerin vorgeschlagen wurde, für sich allein keineswegs geeignet ist, die Besorgnis einer Befangenheit des Sachverständigen zu begründen. Eine Tatsachengrundlage für die von der Beschwerdeführerin angestellten Mutmaßungen über langjährige fachliche Beziehungen zwischen dem beteiligten Jugendamt und dem von ihm vorgeschlagenen Sachverständigen ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin verkennt in diesem Zusammenhang offensichtlich auch die sich aus §§ 8a Abs. 3, 50 Abs. 1 und 2 SGB VIII ergebende Aufgabe des Jugendamts, welches der Beschwerdeführerin nicht in einem streitigen Verfahren gegenübersteht, sondern das Familiengericht bei seiner Entscheidungsfindung durch die Einbringung seiner Fachkenntnisse zu unterstützen hat.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG. Umstände, welche ein Abweichen von der in § 84 FamFG vorgesehenen Regelkostenfolge rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich, nachdem die Beschwerdeführerin auch nach Hinweis auf die erfolgte Heilung des gerügten Gehörsverstoßes aufrechterhalten hat.

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 FamGKG. Der Senat bewertet das mit der Beschwerde verfolgte Interesse der Beschwerdeführerin mit der Hälfte des für die Hauptsache in Ansatz zu bringenden Werts.

    Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil das Verfahren im Hinblick auf die festgestellte Heilung des gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO). Vielmehr ist im Interesse von Mutter und Kind eine schleunige Begutachtung geboten.

    Schmidt