OLG Frankfurt vom 22.01.2021 (4 WF 199/20)

Stichworte: Verfahrenskosten; Verfahrensbeistand; rechtliches Gehör; Vollmacht
Normenkette: FamFG 81, 83; FamFG 158
Orientierungssatz:
  • In Kindschaftsverfahren entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, von der Erhebung der Kosten für die Bestellung der Verfahrensbeistandskosten abzusehen, wenn den Eltern vor der Bestellung rechtliches Gehör hätte gewährt werden müssen und sich die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistands dadurch erübrigt hätte. Die Gewährung rechtlichen Gehörs kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrensbeistandes nach § 158 FamFG zweifelhaft und kein besonderes Eilbedürfnis gegeben ist.
  • 75 F 888/20
    AG Groß-Gerau

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 2.12.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Groß-Gerau vom 25.11.2020 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Reitzmann, Richter am Oberlandesgericht Schmidt und Richter am Oberlandesgericht Dr. Kischkel am 22.01.2021 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

    Die Kindeseltern haben die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.

    Kosten, die durch die Bestellung der Verfahrensbeiständin entstanden sind, werden nicht erhoben.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen

    Die durch die Beschwerde verursachten Gerichtskosten werden nicht erhoben. Von der Anordnung eines Ausgleichs außergerichtlicher Kosten der Beteiligten wird abgesehen.

    Der Beschwerdewert wird auf bis 1.000,-- € festgesetzt.

    Gründe:

    Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind die gemeinsamen sorgeberechtigten Eltern der betroffenen Kinder J, geboren 2011, und L, geboren 2014. Sie leben seit Mai 2019 voneinander getrennt. Mit Schreiben vom 1.7.2020 (Bl. 7 f d.A.) ließ die Antragstellerin den Antragsgegner auffordern, der Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Antragstellerin zuzustimmen oder ihr „zumindest eine Vollmacht zur alleinigen Ausübung der elterlichen Sorge zu erteilen“. Nach Ablauf der gesetzten Frist zum 17.7.2020 erinnerte der Antragstellervertreter mit Schreiben vom 16.8.2020 an die Beantwortung des Schreibens. Hierauf erklärte der Antragsgegner mit Faxschreiben vom 25.8.2020, er werde zunächst eine auf ein Jahr befristete Vollmacht zur Ausübung des alleinigen Sorgerechts erteilen. Mit Schriftsatz vom 18.9.2020 beantragte die Antragstellerin die Übertragung der elterlichen Sorge für beide Kinder auf sich. Die Amtsrichterin bestellte mit Beschluss vom 23.9.2020 eine Verfahrensbeiständin und stellte den Antrag mit Verfügung vom gleichen Tag dem Antragsgegner zu. Dieser meldete sich nach Zustellung zunächst telefonisch bei der Geschäftsstelle und teilte mit, dass er sein Einverständnis zur Übertragung der elterlichen Sorge erteile. Mit nachfolgendem Schreiben vom 9.10.2020 (Bl. 14 ff d.A.) wandte er sich gegen die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin und überreichte eine auf ein Jahr befristete Vollmacht vom 9.10.2020 (Bl. 24 d.A.). Hierauf erklärte die Antragstellerin das Verfahren für erledigt, nachdem ihr zwischenzeitlich das Original der befristeten Sorgevollmacht zugegangen war.

    Mit dem dem Antragsgegner am 1.12.2020 zugestellten Beschluss, hob das Amtsgericht die Kosten des Verfahrens gegeneinander auf und setzte den Verfahrenswert auf 3.000,-- € fest.

    Mit seiner am 3.12.2020 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Kostenentscheidung. Die Antragstellerin, die ihren Antrag zurückgenommen habe, solle auch die Kosten tragen. Er habe bereits vor Einleitung des Gerichtsverfahrens mitgeteilt, dass er bereit sei, eine Vollmacht zur alleinigen Ausübung des Sorgerechts abzugeben. Die Einleitung des Verfahrens sei überflüssig gewesen.

    Die Antragstellerin hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

    Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 58 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht erhoben, §§ 63, 64 FamFG. Die isolierte Kostenbeschwerde in Kindschaftssachen ist auch dann zulässig, wenn der Beschwerdewert nach § 61 Abs. 1 FamFG nicht erreicht ist, da diese Vorschrift auf eine Kostenbeschwerde in einer nicht vermögensrechtlichen Angelegenheit keine Anwendung findet (BGH FamRZ 2013, 1961).

    Die Beschwerde ist auch zum Teil begründet. Soweit das Amtsgericht die Kosten „gegeneinander aufgehoben“ hat, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zwar ist der Ausdruck „Kostenaufhebung“ an § 92 Abs. 1 S. 2 ZPO angelehnt, der in Kindschaftsverfahren nicht entsprechend anzuwenden ist (vgl. Keidel/Weber, FamFG, 20. Aufl., § 80 Rn. 1). Die Tenorierung ist allerdings vorliegend dahingehend auszulegen, dass die beteiligten Kindeseltern ihre Anwaltskosten selbst zu tragen haben und die Gerichtskosten im Übrigen jeweils zur Hälfte auferlegt werden.

    Die Kostenentscheidung richtet sich nach Erledigungserklärung im ersten Rechtszug nach §§ 83 Abs. 2, 81 Abs. 1 FamFG. Danach entspricht es vorliegend billigem Ermessen, wenn die Gerichtskosten von den Kindeseltern jeweils hälftig getragen und die außergerichtlichen Kosten nicht erstattet werden. In Abänderung der amtsgerichtlichen Kostenentscheidung entspricht es jedoch zudem der Billigkeit, wenn die Kosten, die durch die Bestellung der Verfahrensbeiständin entstanden sind, nicht erhoben werden.

    In Kindschaftsverfahren ist grundsätzlich von einer hälftigen Kostentragung auszugehen, wenn nicht gem. § 81 Abs. 2 FamFG die Kostenauferlegung auf einen Beteiligten nach Maßgabe der in § 81 Abs. 2 Nr. 1-5 normierten Regelbeispielen angezeigt ist oder sonstige Gründe:für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten sprechen. Es ist nicht feststellbar, dass in der Person der Antragstellerin eines der Regelbeispiele nach § 81 Abs. 2 FamFG erfüllt wäre. Insbesondere ist nicht von einem groben Verschulden der Kindesmutter auszugehen, welches Anlass für das Verfahren gegeben hätte. Es war der Kindesvater, der nicht fristgerecht auf die Anforderung einer Vollmacht vom 1.7.2020 reagierte. Erst auf Nachfrage mit Schreiben vom 16.8.2020 kündigte der Antragsgegner eine Vollmacht an, befristet für ein Jahr, ohne eine solche vorzulegen. Es stellt kein Verschulden der Kindesmutter dar, dass sie nicht noch einmal beim Antragsgegner nachgefragt hat, bevor sie das vorliegende Verfahren anhängig gemacht hat.

    Es bleibt daher bei dem in Kindschaftssachen allgemein geltenden Grundsatz, dass es der Billigkeit entspricht, jeden Elternteil mit den Kosten gleichermaßen zu belasten, da es im Interesse beider Eltern liegt, Sorgerechtskonflikte bezüglich der Belange der gemeinsamen Kinder einer tragfähigen Lösung zuzuführen (vgl. Heilmann/Dürbeck, Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 81 FamFG Rn. 9 m.w.N.).

    Es entspricht jedoch vorliegend billigem Ermessen, im Sinne des § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG, von der Erhebung der Gerichtskosten insoweit abzusehen, als diese durch die Beauftragung der Verfahrensbeiständin entstanden sind. Die Bestellung der Verfahrensbeiständin ohne die Gewährung vorherigen rechtlichen Gehörs, erweist sich im vorliegenden Fall als verfahrensfehlerhaft. Das Familiengericht hat gemäß § 158 FamFG einen Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes erforderlich ist. In § 158 Abs. 2 FamFG sind Regelbeispiele normiert, die grundsätzlich zur Bestellung eines Verfahrensbeistandes führen. In Betracht kam hier lediglich § 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, nämlich wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz stünde. Dies war allerdings angesichts des Vortrags in der Antragsschrift vom 18.9.2020 nicht ohne weiteres feststellbar. Zumindest hätte der Vortrag Anlass gegeben, vor der Bestellung des Verfahrensbeistands dem Antragsgegner rechtliches Gehör zu gewähren. Mit der Antragsschrift hat die Kindesmutter zu erkennen gegeben, dass es ihr nicht allein auf die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ankommt, sondern dass sie auch ggfs. mit der Erteilung einer Vollmacht zufrieden wäre. Zudem wurde in der Antragsschrift vorgetragen, dass sich der Antragsgegner bereits mit Schreiben vom 25.8.2020 einer solchen Vollmachtserteilung nicht abgeneigt gezeigt und diese bereits angekündigt hat. Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 29.4.2020 - XII ZB 112/19 - , FamRZ 2020, 1171) und des Senats (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschl. v. 16.12.2011 - 4 UF 257/11 - , veröffentlicht unter www.hefam.de) kommt als milderes Mittel gegenüber einer Sorgerechtsübertragung auf einen Elternteil die Erteilung einer Vollmacht in Betracht. Bei dieser Sachlage hätte es nahegelegen, dass das Amtsgericht zunächst Vorermittlungen dazu anstellt, ob überhaupt ein elterlicher Interessenkonflikt besteht (vgl. OLG Frankfurt v. 29.6.2016 - 2 UF 154/16 -, FamRZ 2017, 543 Rn. 18; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 5.4.2018 - 16 BF 2/18 -, FamRZ 2019, 630). Im Rahmen der Vorermittlungen zur Notwendigkeit der Verfahrensbeistandsbestellung ist es auch geboten, den Eltern vor Bestellung des Verfahrensbeistandes rechtliches Gehör zu gewähren, zumal die Bestellung des Verfahrensbeistands gemäß § 158 Abs. 3 S. 4 FamFG nicht isoliert angefochten werden kann. Zwar ist der Verfahrensbeistand gemäß § 158 Abs. 3 S. 1 FamFG so früh wie möglich zu bestellen, sodass in Einzelfällen für die Gewährung rechtlichen Gehörs möglicherweise nicht genügend Zeit verbleibt, um das Kindeswohl sicherzustellen. Vorliegend war ein Eilbedürfnis jedoch unter keinem Gesichtspunkt zu erkennen. Der Aufenthaltsort der Kinder war unstreitig, ein besonderes Eilbedürfnis wurde in der Antragsschrift auch nicht geschildert.

    Im Hinblick auf die erheblichen Kosten für die Verfahrensbeistandsbestellung bei zwei Kindern erscheint es für den Senat daher unbillig, diese Kosten den Kindeseltern aufzuerlegen.

    Angesichts der fehlerhaften Verfahrensbeistandsbestellung entspricht es billigem Ermessen von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen, § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG. Im Übrigen entspricht es billigem Ermessen von der Auferlegung von außergerichtlichen Kosten abzusehen, zumal nicht ersichtlich ist, dass solche angefallen sind, nachdem der Vater nicht anwaltlich vertreten ist und sich die anwaltlich vertretene Kindesmutter im Beschwerdeverfahren nicht geäußert hat.

    Die Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren orientiert sich an den auf den Antragsgegner nach der angefochtenen Entscheidung entfallenen erstinstanzli-chen Kosten. Diese betragen bei einem Verfahrenswert von 3.000,-- € 577,-- € (1/2 der hälftigen Verfahrensgebühr nach Nr. 1310 KV zum FamGKG = 27,-- € zzgl. der hälftigen Kosten der Verfahrensbeiständin i.H.v. 550,-- € gemäß § 158 Abs. 7 FamFG).

    Reitzmann Schmidt Dr. Kischkel