OLG Frankfurt vom 15.03.2011 (4 WF 198/10)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe, Werbungskosten, Fahrtkosten, Kraftfahrzeug, Pauschale; Fahrtkosten, Verfahrenskostenhilfe, Prozesskostenhilfe, Pauschale;
Normenkette: ZPO 115 Abs. 1; SGB XII 82 Abs. 2 Nr. 4; DurchführungsVO zu § 82 Abs. 2 SGB XII 3 Abs. 6 Nr. 2a;
Orientierungssatz: Kosten der unvermeidbaren Nutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sind im Rahmen der Prüfung der Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit mit der in § 3 Abs. 6 Nr. 2a der Durchführungsverordnung zu § 82 Abs. 2 SGB XII vorgesehenen Pauschale (5,20 Euro monatlich je einfachen Entfernungskilometer, begrenzt auf 40 Entfernungskilometer) als notwendige Werbungskosten in Ansatz zu bringen. Die Pauschale umfasst alle Betriebskosten einschließlich der Kosten für Treibstoff, Instandhaltung, Kraftfahrzeugsteuer und Haftpflichtversicherung. Von der Pauschale nicht umfasst sind hingegen die Anschaffungskosten. Hieraus resultierende Verbindlichkeiten können gegebenenfalls als angemessene besondere Belastungen nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO in Ansatz gebracht werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 22.10.2010 gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 02.09.2010 am 15.03.2011 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Auf das vor dem 01.09.2009 eingeleitete Verfahren findet noch das bis zum 31.08.2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung (Art. 111 Abs. 1 FGG-RG).

Danach ist die Beschwerde zulässig; sie ist insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 127 Abs. 2, 569 ZPO). Zwar ist die Beschwerdeschrift erst über einen Monat nach der Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Antragsteller persönlich eingelegt worden. Die Beschwerdeeinlegung ist jedoch innerhalb eines Monats ab der für die Fristberechnung gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO maßgeblichen Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erfolgt.

Die zulässige Beschwerde ist jedoch in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Zurückweisung kann entgegen der Auffassung des Amtsgerichts allerdings nicht auf die verspätete Einreichung von Unterlagen durch den Antragsteller gestützt werden. Zum einen hätte das Amtsgericht im Hinblick auf die andernfalls bestehende Vorschusspflicht des Antragstellers schon vor der Zustellung des Scheidungsantrags über dessen Prozesskostenhilfeantrag entscheiden müssen. Zum anderen kann eine Verletzung der dem Antragsteller nach Abschluss des Verfahrens im ersten Rechtszug gesetzten Frist für die Einreichung zusätzlicher Unterlagen nicht festgestellt werden, weil die entsprechende richterliche Verfügung dem Antragsteller entgegen § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO nicht förmlich zugestellt worden ist und auch eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO nicht ersichtlich ist.

Im Ergebnis ist dem Antragsteller die begehrte Prozesskostenhilfe dennoch zu versagen, weil vier von ihm auf die Prozesskostenhilfe zu leistende Raten die auf ihn entfallenden Kosten der Prozessführung übersteigen würden (§ 115 Abs. 4 ZPO).

Das gesetzliche Nettoeinkommen des Antragstellers aus seiner Tätigkeit als Beamter belief sich im Jahr 2010 ausweislich der vorgelegten Bezügemitteilung für Dezember 2010 auf 31.142,09 E einschließlich der Nachzahlungen für das Jahr 2009; dies entspricht 2.595,17 E monatlich. Des Weiteren ist dem Antragsteller das von ihm monatlich bezogene Kindergeld von 368,00 E als Einkommen anzurechnen.

Von dem sich daraus ergebenden Einkommen von 2.963,17 E sind zunächst die Beiträge für angemessene private Versicherungen sowie die mit der Erzielung des Einkommens notwendigerweise verbundenen Werbungskosten abzuziehen (§§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1a ZPO, 82 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 SGB XII).

Der Antragsteller zahlt monatliche Beiträge von 169,84 E für seine private Kranken- und Pflegeversicherung sowie monatliche Beiträge von 12,17 E für eine Risikolebensversicherung. Seine Fahrtkosten sind mit der Fahrtkostenpauschale nach § 3 Abs. 6 Nr. 2a der auf der Grundlage des § 96 Abs. 1 SGB XII erlassenen Durchführungsverordnung zu § 82 Abs. 2 SGB XII (BGBl. III, 2170-1-4), also mit 5,20 E monatlich je Entfernungskilometer, begrenzt auf 40 Entfernungskilometer, und somit mit insgesamt 208,00 E monatlich in Ansatz zu bringen, nachdem der Antragsteller die Unzumutbarkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel dargelegt hat.

Hinsichtlich der Berechnungen der im Falle der unverzichtbaren Nutzung eines Privatfahrzeugs abzuziehenden Fahrtkosten werden in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten. Teilweise wird auf die Pauschale nach § 3 Abs. 6 Nr. 2a der o. g. Verordnung abgestellt, wobei unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden, ob die Begrenzung auf 40 Entfernungskilometer zu berücksichtigen ist oder ob die Pauschale auch Anschaffungskosten und die monatlichen Kosten für die Kraftfahrzeughaftpflicht- und die Kaskoversicherung sowie die Kraftfahrzeugsteuer beinhaltet. Teilweise wird auch auf die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte oder die in JVEG für die Zeugenentschädigung vorgesehenen Pauschalen abgestellt (zum Meinungsstand vgl. OLG Celle FamRZ 2010, 54; OLG Karlsruhe, FamRZ 2009, 1165).

Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Pauschale der Durchführungsverordnung zu § 82 Abs. 2 SGB XII in Ansatz zu bringen ist und dass lediglich etwaige aus der Anschaffung des Fahrzeugs resultierende Verbindlichkeiten zusätzlich als angemessene besondere Belastungen in Sinne des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO in Abzug gebracht werden können. Zwar verweist § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1a ZPO lediglich auf § 82 Abs. 2 SGB XII und nicht auf § 96 Abs. 1 SGB XII, der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Durchführungsverordnung ist. Es ist allerdings nicht ersichtlich, weshalb Fahrtkosten im Rahmen der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe trotz des ausdrücklichen Verweises auf § 82 Abs. 2 SGB XII anders behandelt werden sollten als im Rahmen der Sozialhilfe. Bei der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe handelt es sich um eine Form der Sozialhilfe auf dem Gebiet der Rechtspflege. Für die Gewährung von Sozialhilfe nach dem SGB XII gilt die auf der Grundlage des § 96 Abs. 2 SGB XII erlassene Durchführungsverordnung als bindendes Recht. Soweit der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe ausführt, bei der Rechtsverordnung handele es sich lediglich um eine Verwaltungsvorschrift, an welche die Gerichte nicht gebunden seien (OLG Karlsruhe, FamRZ 2008, 69), verkennt er den Charakter der Verordnung als materielles Recht, welches von den Gerichten im Rahmen seines Geltungsbereichs zwingend anzuwenden ist. Wenn die Verordnung bei der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung aber zwingend zu beachten ist, ist nicht verständlich, weshalb sie bei der prozesskostenhilferechtlichen Bedürftigkeitsprüfung, die ausdrücklich auf den sozialhilferechtlichen Einkommensbegriff verweist, nicht zu beachten sein sollte.

Eine Heranziehung unterhaltsrechtlicher Grundsätze für die Bestimmung des sozialhilferechtlich maßgeblichen Einkommens scheidet im Hinblick auf die Unterschiede zwischen dem sozialhilferechtlichen und dem unterhaltsrechtlichen Einkommensbegriff aus. Das Unterhaltsrecht beruht auf den persönlichen, familienrechtlichen Beziehungen von Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten. Mit Hilfe der unterhaltsrechtlichen Bestimmungen soll eine ausgewogene Verteilung von Mitteln zur Gewährleistung des Lebensunterhalts erreicht werden. Die Bedürftigkeit orientiert sich dabei am Lebensstandard des Berechtigten und des Verpflichteten. Das Sozialhilferecht wird hingegen dadurch geprägt, dass es eine Mindestsicherung garantiert, falls sich der Betreffende nicht selbst helfen kann (so OLG Karlsruhe, FamRZ 2009, 1165).

Vor dem Hintergrund der mit der Sozialhilfe bezweckten Mindestsicherung begegnet die Anwendung der Pauschale des § 3 Abs. 6 Nr. 2a der zu § 82 Abs. 2 SGB XII ergangenen Durchführungsverordnung auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Pauschale entspricht bis zu einer Entfernung von 40 Kilometer zwischen Wohnort und Arbeitsplatz einem Betrag von 0,14 E je gefahrenem Kilometer und liegt damit beispielsweise nur 0,01 E unter der steuerrechtlich maßgeblichen Pauschale von 0,30 E je Entfernungskilometer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Die in den ADAC- Tabellen ausgewiesenen Beträge weisen zwar selbst für Kleinwagen deutlich höhere Kosten von mindestens 0,253 E je gefahrenem Kilometer aus. In diesem Betrag sind jedoch - wie im Übrigen auch in den Pauschalen der unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte - Anschaffungskosten enthalten, welche bei der vom ADAC unterstellten Bildung von Rücklagen für die Beschaffung eines gleichwertigen Neuwagens nach jeweils vier Jahren etwa die Hälfte der Gesamtkosten ausmachen. Die Annahme, dass eine in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen lebende Partei monatliche Rücklagen bildet, um sich alle vier Jahre ein Neufahrzeug kaufen zu können, erscheint dem Senat weder wirklichkeitsnah noch sozialhilferechtlich billigenswert (so auch OLG Karlsruhe, FamRZ 2009, 1165). Rechnet man die dem o.g. Betrag von 0,253 E je gefahrenem Kilometer enthaltenen Anschaffungskosten heraus, wird deutlich, dass die Pauschale von 0,14 E je gefahrenem Kilometer durchaus zur Deckung des sozialhilferechtlich anzuerkennenden Mindestbedarfs, also zur Deckung der mit der Nutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz unverweigerlich verbundenen Betriebskosten, ausreicht. Die Beschränkung der Pauschale auf eine einfache Entfernung von 40km zwischen Wohnung und Arbeitsplatz bewegt sich dabei nach Auffassung des Senats innerhalb des dem Gesetzgeber im Rahmen der Sicherstellung des Existenzminimums eingeräumten Gestaltungsspielraums, dient sie doch der Vermeidung unangemessen hoher Fahrtkosten auf Kosten der Allgemeinheit mit der Folge einer etwaigen Verpflichtung zum Umzug in die Nähe des Arbeitsplatzes.

Da die Pauschale die mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs unweigerlich verbundenen Kosten abdeckt, umfasst sie die Kosten für Versicherung, Steuer, Treibstoff und Instandhaltung. Etwaige über die Pauschale hinausgehende unvermeidbare Fahrtkosten müsste die um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei konkret darlegen. Anschaffungskosten, die - wie dargestellt - nicht in den Betriebskosten enthalten sind, können über § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO als angemessene besondere Belastungen abgesetzt werden, soweit hierfür Kredite aufgenommen worden sind, die in wiederkehrenden Raten abzuzahlen sind.

Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz die Höchstpauschale von 208,00 E monatlich (40 Kilometer x 5,20 E) in Ansatz zu bringen ist. Anschaffungskosten sind nicht mehr zu berücksichtigen, weil die letzte Rate auf den hierfür aufgenommenen Kredit am 11.01.2011 fällig war.

Des Weiteren sind der Erwerbstätigenfreibetrag von 180,00 E nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 1b ZPO sowie der Grundfreibetrag von 395,00 E nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2a ZPO abzuziehen. Für die Tochter Susan ist der Unterhaltsfreibetrag von 276,00 E abzüglich des von ihr bezogenen Unterhaltsvorschusses von 180,00 E, für die Tochter Alena der gezahlte Barunterhalt von 300,00 E in Abzug zu bringen (§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2b, S. 7 u. 8 ZPO).

Die gemäß § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 ZPO abzuziehenden Kosten der Unterkunft und Heizung sind mit 550,00 E in Ansatz zu bringen. Soweit der Antragsteller der Vermieterin monatlich weitere 450,00 E überweist, damit diese davon für seine Tochter und ihn Lebensmittel kauft, handelt es sich nicht um Kosten der Unterkunft.

Die monatlichen Raten auf einen Kredit der Sparkasse Gelnhausen in Höhe von 197,31 E sowie die monatlichen Raten von 50,00 E auf die Verfahrenskosten eines Sorgerechtsverfahrens sind als angemessene besondere Belastungen im Sinne des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO in Abzug zu bringen.

Nach alledem verbleibt dem Antragsteller ein einzusetzendes Einkommen von 804,85 E, aus welchem gemäß § 115 Abs. 2 ZPO monatliche Raten von 354,85 E auf die Verfahrenskostenhilfe zu leisten wären.

Die auf den Antragsteller entfallenden Prozesskosten belaufen sich gemäß des Kostenfestsetzungsantrags seines Prozessbevollmächtigten auf 755,65 E zuzüglich der hälftigen Gerichtskosten, die sich bei einem Streitwert von 10.400,00 E gemäß Ziff. 1310 der bis zum 01.09.2009 gültigen Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG sowie der Anlage zu § 11 Abs. 1 GKG auf 219,00 E belaufen, insgesamt also auf 974,65 E. Vier Monatsraten würden die Prozesskosten daher übersteigen, weshalb dem Antragsteller die begehrte Prozesskostenhilfe gemäß § 115 Abs. 4 ZPO zu versagen ist.

Die vom Antragsteller zu tragenden Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens ergeben sich aus Ziffer 1812 des Kostenverzeichnisses zum GKG (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) in seiner bis zum 31.8.2009 gültigen Fassung. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Berücksichtigung von Fahrtkosten im Rahmen der prozesskostenhilferechtlichen Einkommensberechnung bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 u. 2, Abs. 3 S. 1 ZPO). Die Frage ist für das vorliegende Verfahren auch erheblich, weil dem Antragsteller im Falle einer Heranziehung der Fahrtkostenpauschalen der unterhaltsrechtlichen Leitlinien oder des JVEG oder im Falle der Berücksichtigung weiterer Kosten neben der Pauschale des § 3 Abs. 6 Nr. 2a der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung zu bewilligen wäre.

Schmidt