OLG Frankfurt vom 03.01.2011 (4 WF 195/10)

Stichworte: Beiordnung, Rechtsanwalt, Gewaltschutzsache; Gewaltschutzsache, Beiordnung, Rechtsanwalt; Verfahrenskostenhilfe, Beiordnung;
Normenkette: FamFG 78 Abs. 2
Orientierungssatz: Zu den Voraussetzungen der Beiordnung eines Rechtsanwalts in einer Gewaltschutzsache

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengerichts- Gelnhausen vom 09.06.2010 am 03.01.2011 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Der Antragsgegnerin zu 1. und Beschwerdeführerin ist vom Amtsgericht mit dem ihr am 22.06.2010 zugestellten Beschluss Verfahrenskostenhilfe für die Verteidigung gegen einen von der Antragstellerin ohne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz bewilligt worden. Die ebenfalls beantragte Beiordnung des von der Beschwerdeführerin beauftragten Rechtsanwalts hat das Amtsgericht mit der Begründung abgelehnt, eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheine nicht erforderlich. Auf den Inhalt des der Antragsgegnerin zu 1. am 09.04.2010 zunächst mit einer Aufforderung zur Stellungnahme binnen drei Tagen zugestellten Antrags der Antragstellerin, Bl. 1 f.d.A., wird Bezug genommen. Das einstweilige Anordnungsverfahren ist am 21.04.2010 im Rahmen der anberaumten mündlichen Verhandlung unter Mitwirkung des von der Antragsgegnerin zu 1. beauftragten Rechtsanwalts durch einen gerichtlichen Vergleich beendet worden.

Mit ihrer am 16.07.2010 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin zu 1. gegen die Versagung der Beiordnung des von ihr mit ihrer Vertretung im ersten Rechtszug beauftragten Rechtsanwalts. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, die Sachverhaltsschilderung der Antragstellerin sei für sämtliche Beteiligte problemlos verständlich gewesen; die Rechtslage habe keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hält an ihrer Beschwerde fest. Sie trägt vor, sie habe als 19-jährige Auszubildende ohne jegliche juristische Erfahrung keine Vorstellung vom Gang des gerichtlichen Verfahrens gehabt. Nachdem ihr der Antrag mit den darin enthaltenen erheblichen, kaum durchführbaren Auflagen und der maßlos überzogenen Ordnungsgeldandrohung zur Stellungnahme binnen drei Tagen zugestellt worden sei, habe sie die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe daher für erforderlich halten dürfen.

Die zulässige, sofortige Beschwerde ist in der Sache aus den zutreffenden Gründen der Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts unbegründet und daher zurückzuweisen.

Nach § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten im Rahmen der ihm bewilligten Verfahrenskostenhilfe auch in Verfahren, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es hierzu, die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung sei nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Ausschlaggebend für die Beiordnung eines Rechtsanwalts sei hierbei ausschließlich die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Die Schwere des Eingriffs in die Rechte eines Beteiligten erfülle dagegen die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Basis der Verfahrenskostenhilfe regelmäßig nicht (BT-Drucksache 16/6308 S. 214). Diese einschränkende Auslegung ist in Rechtsprechung und Literatur auf Kritik und verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen (vgl. BGH, FamRZ 2010, 1243; Zimmermann in Keidel, FamFG, Kommentar, 16. Aufl., 2009, § 78, Rdnr. 4; OLG Hamburg, FamRZ 2010, 1459; OLG Zweibrücken, FamRZ 2010, 1002; OLG Celle, FamRZ 2010, 582; zustimmend hingegen Götzsche, FamRZ 2009, 383). Unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 121 Abs. 2 ZPO (vgl. BVerfG, NJW-RR 2007, 1713) soll danach auch in familiengerichtlichen Verfahren nach dem FamFG maßgebend für die Anwaltsbeiordnung neben dem Umfang und der Schwierigkeit der Rechtssache auch die Fähigkeit der Beteiligten sein, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken (vgl. BGH, a.a.O. unter Bezugnahme auf BGH, FamRZ 2009, 857). Dem aus dem Sozial- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der weitestgehenden Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten trägt die Entscheidung über die Beiordnung eines Rechtsanwalts nämlich nur dann Rechnung, wenn sie auch die subjektiven Umstände des konkreten Einzelfalls einbezieht. Dabei ist darauf abzustellen, ob ein bemittelter Rechtssuchender nur in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Auch ein bemittelter Verfahrensbeteiligter beurteilt die Notwendigkeit zur Beauftragung eines Rechtsanwalt unter Berücksichtigung seiner eigenen subjektiven Fähigkeiten; § 78 Abs. 2 FamFG ist insoweit verfassungskonform auszulegen (vgl. BGH a.a.O.).

Auch unter Zugrundelegung subjektiver Maßstäbe ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts im vorliegenden Fall nicht geboten. Dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Beauftragung eines Rechtsanwalts über keinerlei Erfahrungen mit Gerichten verfügte, unterscheidet sie nicht von der Mehrheit der Bürger dieses Landes. Dies allein rechtfertigt keine Anwaltsbeiordnung, zumal der Sachverhalt einfach verständlich war und auch die genauso junge und in juristischen Angelegenheiten vermutlich nicht minder unerfahrene Antragstellerin für das Stellen ihres Antrags keine anwaltliche Hilfe benötigte. Sowohl der Tatvorwurf als auch die begehrte Rechtsfolge, ein Kontaktaufnahme- und Näherungsverbot sowie die Androhung von Ordnungsmitteln für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das beantragte Verbot - ergeben sich zweifelsfrei und leicht verständlich aus dem Inhalt des Antrags und der diesem beigefügten Anlagen.

Eine besondere, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erforderlich machende Schwierigkeit der Rechtslage ergibt sich in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetzt auch nicht aus dem hierfür geltenden Verfahrensrecht. Vielmehr lässt die gebotene einzelfallbezogene Prüfung eine Herausbildung von Regeln, nach denen einem mittellosen Beteiligten für bestimmte Verfahren immer oder grundsätzlich ein Rechtsanwalt beizuordnen ist, regelmäßig nicht zu (BGH, FamRZ 2010, 1427). Gerade in Gewaltschutzverfahren zeigt die häufig zu beobachtende Praxis, dass Anträge - wie auch hier - ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei der Rechtsantragsstelle des örtlichen Amtsgerichts gestellt werden, dass das Verfahrensrecht nicht so schwer verständlich ist, dass es für einen juristischen Laien zwingend die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erforderlich machen würde (so auch OLG Celle, FamRZ 2010, 2005).

Die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts folgt auch nicht aus der Schwere des der Beschwerdeführerin drohenden Eingriffs in ihre Rechte. Zum einen soll - wie dargestellt - die Schwere des Eingriffs in die Rechte eines Beteiligten im Hinblick auf den im familiengerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nach der Gesetzesbegründung für die Frage der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts ohne Bedeutung sein (BT - Drucksache 16/6308 S. 214). Zum anderen drohte der Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren kein schwerwiegender Eingriff in ihre Rechte. Das von der Antragstellerin begehrte Näherungs- und Kontaktverbot war nicht nur leicht verständlich, sondern - wie der später geschlossene gerichtliche Vergleich zeigt - offenbar auch aus Sicht der Beschwerdeführerin ohne größere Probleme einzuhalten. Eine schwerwiegende Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit ist damit nicht verbunden. Die Verhängung von Ordnungsmitteln drohte der Beschwerdeführerin im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht. Die Androhung solcher Ordnungsmittel wurde ersichtlich nur für den Fall eines antragsgemäßen Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung und einer anschließenden Verletzung der Anordnung durch die Beschwerdeführerin beantragt. Die beantragte Androhung eines Ordnungsgelds von bis zu 250.000,-- E ist auch keineswegs maßlos überzogen. Insoweit handelt es sich lediglich um eine bloße Wiederholung des Wortlauts des hierfür nach § 96 Abs. 1, S. 3 FamFG maßgeblichen § 890 Abs. 1 ZPO.

Die im Antrag der Antragstellerin erwähnte Strafanzeige gegen die Beschwerdeführerin wegen des dem Gewaltschutzverfahren zugrundeliegenden Sachverhalts führt ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Auch einem juristischen Laien ist die Bedeutung einer Strafanzeige durchaus bewusst, Für das vorliegende Gewaltschutzverfahren war die Strafanzeige ersichtlich ohne jegliche Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 84, 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Schmidt