OLG Frankfurt vom 09.10.2020 (4 WF 158/20)

Stichworte: Umgangsverfahren; Verfahrenseinleitung; Amtsverfahren; Verfahrenskostenhilfe; Zurückverweisung
Normenkette: BGB 1684 Abs. 3; BGB 1696 Abs. 1 S 1; FamFG 7 Abs. 2; FamFG 24; FamFG 76 Abs. 1, ZPO 114 Abs. 1 S 1; FamFG 166 Abs. 1
Orientierungssatz:
  • Die Einleitung von Umgangsverfahren nach §§ 1684 Abs. 3 BGB und 166 Abs. 1 FamFG, 1696 Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt von Amts wegen (§ 24 FamFG). Das Familiengericht ist zur Einleitung eines Verfahrens verpflichtet, wenn Kindeswohl oder Elternrecht eine gerichtliche Regelung des Umgangs erfordern oder triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Umstände die Abänderung einer gerichtlichen Umgangsregelung erfordern.
  • Weil sich die Kindeseltern einer Beteiligung am Verfahren nicht entziehen können (§ 7 Abs. 2 FamFG), ist ihnen in einem Umgangsverfahren auf ihren Antrag hin bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit grundsätzlich unabhängig von der Erfolgsaussicht etwaiger Sachanträge Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.
  • Daraus folgt zwingend, dass das Familiengericht noch vor Bescheidung der Verfahrenskostenhilfeanträge der Eltern über die Einleitung des Umgangsverfahrens zu entscheiden hat. Wird ein Verfahrenskostenhilfeantrag bereits vorher zurückgewiesen, ist diese Entscheidung auf das Rechtsmittel des Beschwerten aufzuheben und die Sache zur Nachholung der Prüfung einer Verfahrenseinleitung und zur anschließenden Neubescheidung des VKH-Antrags an das Familiengericht zurückzuverweisen.
  • 53 F 277/20
    AG Büdingen

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend den Umgang …

    hier: Verfahrenskostenhilfe

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Einzelrichter auf die sofortige Beschwerde des Kindesvaters vom 22.09.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Büdingen vom 01.09.2020 über die Zurückweisung seines Verfahrenskostenhilfeantrags am 9. Oktober 2020 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen mit der Maßgabe, zunächst über die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung einer Abänderung der von den Kindeseltern am 04.04.2019 zu Az. 53 F 121/19 UG getroffenen und mit Beschluss vom 21.04.2020 gerichtlich gebilligten Umgangsregelung, und gegebenenfalls anschließend erneut über den Verfahrenskostenhilfeantrag des Kindesvaters und über die Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten zu entscheiden. Dem Kindesvater ist im Falle der Einleitung eines Verfahrens ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

    Gründe:

    Mit seiner am 22.09.2020 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde vom selben Tag wendet sich der Kindesvater gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für ein von ihm mit Datum 21.04.2020 angeregtes Verfahren zur Prüfung einer Abänderung einer gerichtlich gebilligten Umgangsvereinbarung vom 04.04.2019, Az. 53 F 121/19 UG des Amtsgerichts – Familiengericht – Büdingen. Unter Bezugnahme auf das schriftliche Gutachten der im parallel geführten Sorgeverfahren (Az. 53 F 911/18 SO) beauftragten Sachverständigen … vom 30.09.2019, die unter Kindeswohlgesichtspunkten ein „umfangreiches Umgangsrecht“ empfiehlt, begehrt der Kindesvater in der Sache eine deutliche Ausdehnung der vereinbarten Umgangskontakte zu seinem …jährigen Sohn. Das Familiengericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Kindesvaters fehle es an den erforderlichen Erfolgsaussichten; es liege bereits eine Umgangsregelung vor.

    Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    Die zulässige sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht, das vor einer erneuten Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag des Kindesvaters zunächst über die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung einer Abänderung der gerichtlich gebilligten Umgangsregelung zu entscheiden hat. Anhand der Akten ist nicht erkennbar, dass bislang über die Prüfung des Verfahrenskostenhilfegesuchs hinausreichende Schritte (Zustellungen, Anhörungen, Bestellung eines Verfahrensbeistands) unternommen wurden.

    Bei Kindschaftssachen, die das Umgangsrecht betreffen, sowohl bei Erstverfahren nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB als auch bei Abänderungsverfahren nach §§ 166 Abs. 1 FamFG, 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB, handelt es sich nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Bestimmungen um von Amts wegen zu führende Verfahren iSd. § 24 FamFG (st. Rspr. des Senats, vgl. FamRZ 2020, 1109; Beschlüsse vom 22.06.2018 - 4 WF 83/18 und vom 13.11.2017 - 4 WF 209/17, n. v.; Beschluss vom 19.03.2013 – 4 UF 261/12, juris; so auch BGH FamRZ 2017, 1668; OLG Frankfurt (5. Familiensenat) FamRZ 2015, 1991; OLG Frankfurt (6 Familiensenat) FamRZ 2014, 576 mwN.; OLG Frankfurt (1. Familiensenat) FamRZ 2014, 53; OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1993; zum Abänderungsverfahren ausdrücklich OLG Celle ZKJ 2011, 433; vgl. Palandt/Götz, BGB, 79. A., § 1696 Rn. 6). Wird – wie hier – die Einleitung eines Umgangsverfahrens angeregt, hat das Amtsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob es ein Verfahren einleitet. Hierzu ist es verpflichtet, wenn sich aus der Anregung und den dem Gericht bekannten Tatsachen, von denen das Gericht gegebenenfalls im Rahmen weiterer Vorermittlungen Kenntnis erlangt hat, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Kindeswohl oder das aus dem verfassungsrechtlich geschützten Elternrecht erwachsende Umgangsrecht eine gerichtliche Umgangsregelung im Sinne des § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB erfordern oder dass triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Umstände die Abänderung einer geltenden gerichtlichen Umgangsregelung erfordern (vgl. MüKoFamFG/Ulrici FamFG § 24 Rn. 7 mwN.)

    Bejaht das Gericht ein gerichtliches Regelungsbedürfnis und leitet ein Umgangsverfahren ein, sind die sorgeberechtigten Eltern hieran gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zwingend zu beteiligen, weil ihr Umgangsbestimmungsrecht (vgl. Art. 6 GG) durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird. Den Eltern, die sich einer Beteiligung am Verfahren nicht entziehen können, ist auf ihren Antrag hin im Falle ihrer wirtschaftlichen Bedürftigkeit Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, und zwar unabhängig von der Erfolgsaussicht etwaiger Sachanträge der Eltern, an die das Gericht bei seiner Entscheidung ohnehin nicht gebunden ist (st. Rspr. d. Senats, vgl. Beschluss vom 27.06.2011 – 4 WF 144/11, juris; Beschluss vom 15.01.2014 – 4 WF 12/14; Beschluss vom 27.06.2017 – 4 WF 109/17). Eine Versagung der begehrten Verfahrenskostenhilfe kommt dann allenfalls noch in Betracht, wenn der Verfahrenskostenhilfe begehrende Elternteil das gerichtliche Regelungsbedürfnis mutwillig herbeigeführt hat (vgl. BGH FamRZ 2016, 1058).

    Verneint das Gericht ein gerichtliches Regelungsbedürfnis und lehnt die Einleitung eines Verfahrens ab, hat es den Anregenden gemäß § 24 Abs. 2 FamFG darüber zu unterrichten, soweit ein berechtigtes Interesse an der Unterrichtung ersichtlich ist, was bei der Anregung der Einleitung eines Umgangsverfahrens oder eines diesbezüglichen Abänderungsverfahrens durch einen Elternteil stets der Fall sein dürfte. Wird durch die Verweigerung der Einleitung eines Umgangsverfahrens oder eines diesbezüglichen Abänderungsverfahrens in eigene Rechte des Anregenden eingegriffen, ist für diesen gegen die Entscheidung des Amtsgerichts die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eröffnet (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1991; OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1993).

    Nach diesen Maßstäben war der Antrag des Kindesvaters auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe dahingehend auszulegen, dass die Einleitung eines Abänderungsverfahrens angeregt und für den Fall seiner Einleitung Verfahrenskostenhilfe beantragt wird. Das Familiengericht ist daher gehalten, zunächst von Amts wegen über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Prüfung einer Abänderung der geltenden Umgangsregelung zu entscheiden. Erst nach Einleitung eines Verfahrens hat es unter Beachtung der oben dargelegten Maßstäbe über den vom Kindesvater gestellten Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten zu entscheiden. Die vom Familiengericht vor der Entscheidung über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens getroffene Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag der Beschwerdeführerin ist daher ersatzlos aufzuheben.

    Die Aufhebung erfolgt im Hinblick auf §§ 76 Abs. 2 FamFG, 572 Abs. 3 ZPO mit der Maßgabe, dass dem Kindesvater im Falle der Einleitung eines Verfahrens ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist. Er hat seine Bedürftigkeit durch die Vorlage des aktuellen Bescheids über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht; Anhaltspunkte für eine mutwillige Herbeiführung eines gerichtlichen Regelungsbedürfnisses sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

    Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass Zweifel am Bestehen eines Bedürfnisses für eine gerichtliche Prüfung einer Abänderung der bestehenden Umgangsregelung allenfalls aus dem Umstand resultieren könnten, dass der Kindesvater zum Zeitpunkt der Abfassung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes vom 21.04.2020 noch davon ausgehen musste, dass das zu Az. 53 F 121/19 UG geführte Umgangsverfahren mangels gerichtlicher Billigung noch nicht abgeschlossen war. Da das Familiengericht die Billigung aber mit einem ebenfalls vom 21.04.2020 datierenden Beschluss nachgeholt hat, dürfte das dem Familiengericht eingeräumte Entschließungsermessen dahingehend reduziert sein, dass eine Pflicht zur Einleitung eines Abänderungsverfahrens besteht. Die zunächst noch bestehende – vorrangige – Möglichkeit, gegen den Billigungsbeschluss Rechtsmittel einzulegen, war infolge Zeitablaufs jedenfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung nicht mehr gegeben.

    Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO.

    Dr. Kischkel