OLG Frankfurt vom 19.11.2021 (4 WF 149/21)

Stichworte: Verfahrenskostenhilfe; Nachprüfungsverfahren; Aufhebungsverfahren; Zuständigkeit, Rechtspfleger; Beteiligung
Normenkette: ZPO 120a; ZPO 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2; RpflG 3 Nr. 3; RpflG 20 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c)
Orientierungssatz:
  • Für die Durchführung des VKH-Prüfungsverfahrens ist das Gericht zuständig (§ 120a Abs. 1 ZPO), und zwar gem. § 3 Nr. 3 RpflG, § 20 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) RpflG der Rechtspfleger. Eine weitergehende Übertragung insbesondere auf den mittleren Dienst ist nicht vorgesehen.
  • Jedenfalls die letzte mit einer Fristsetzung verbundene Aufforderung zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren muss durch den zuständigen Rechtspfleger selbst verfügt worden sein, bevor der Aufhebungsbeschluss ergehen kann (Anschluss an LAG Hessen, Beschl. v. 28.5.2018 – 3 Ta 57/18, BeckRS 2018, 26466).
  • 464 F 10317/19
    AG Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hier: Aufhebung der Verfahrenskostenhilfebewilligung

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richterin am Oberlandesgericht Dr. Wierse als Einzelrichterin auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 28.07.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankfurt am Main vom 30.06.2021 – Nichtabhilfebeschluss vom 05.10.2021 –

    am 19.11.2021 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

    Gründe:

    I.

    Die Antragstellerin wendet sich gegen die Aufhebung der ihr mit Beschluss vom 16.03.2020 für ein Gewaltschutzverfahren bewilligten Verfahrenskostenhilfe.

    Mit Verfügung vom 17.05.2021 (Ziffer 1) wurde die Antragsstellerin durch ein ihrer beigeordneten Rechtsanwältin zugestelltes und an sie zusätzlich persönlich formlos versandtes Schreiben aufgefordert, sich unter Verwendung des beigefügten Vordrucks binnen eines Monats über ihre aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erklären, andernfalls sei davon auszugehen, dass sie nunmehr zur Tragung der gestundeten Kosten in der Lage sei. Die Verfügung und das ausgefertigte Schreiben wurden von einer Justizfachangestellten als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gefertigt und gezeichnet. Auf der Grundlage der gleichen Verfügung (Ziffer 2) erinnerte die Justizfachangestellte gemäß Abvermerk vom 17.06.2021 die beigeordnete Rechtsanwältin der Antragstellerin an die Erledigung der Aufforderung vom 17.05.2021. Unter Ziffer 3) der vorgenannten Verfügung vom 17.05.2021 bestimmte die Justizfachangestellte die Vorlage der Akte an den zuständigen Rechtspfleger „1 Monat nach EB/ZU“.

    Mit Schreiben vom 25.06.2021 teilte die beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin mit, dass diese ihr gegenüber erklärt habe, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht offenbaren zu wollen, da sie der Auffassung sei, dass der Antragsgegner die Kosten zu tragen habe und sie nicht Beteiligte des Verfahrens, sondern nur Zeugin sei.

    Daraufhin hob die zuständige Rechtspflegerin mit Beschluss vom 30.06.2021 die der Antragstellerin bewilligte Verfahrenskostenhilfe unter Bezugnahme auf §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2, 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO auf.

    Gegen den der ihr beigeordneten Rechtsanwältin am 03.07.2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin persönlich mit der am 28.07.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, mit welcher sie im Wesentlichen die anwaltliche Tätigkeit und Vertretung durch die ihr beigeordnete Rechtsanwältin sowohl in erster Instanz als auch im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens rügt. Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 05.10.2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    Die gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

    Die Voraussetzungen für die Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 120a Abs. 1 Satz 1 bis 3 ZPO liegen nicht vor. Nach §§ 76 Abs. 1 FamFG, 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO hat sich ein Beteiligter, dem Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Veränderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Die Verfahrenskostenhilfebewilligung soll gem. §§ 76 Abs. 1 FamFG, 124 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO aufgehoben werden, wenn die geforderten Erklärungen nicht oder nur ungenügend abgegeben wurden.

    Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da vor Erlass der angefochtenen Entscheidung eine ordnungsgemäße Beteiligung der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren nicht stattgefunden und somit das Verfahren an einem auch in der Beschwerdeinstanz nicht heilbaren formalen Mangel leidet.

    Für die Aufhebung oder Abänderung der Verfahrenskostenhilfeentscheidung nach den auf Grund der Verweisungsnorm des § 76 Abs. 1 FamFG geltenden §§ 120a, 124 ZPO ist erforderlich, dass der entsprechenden Entscheidung des Gerichts ein von ihm formal ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren vorauszugehen hat; andernfalls ist die Entscheidung des Familiengerichts aufzuheben. Zu den zwingenden formalen Anforderungen an das Überprüfungsverfahren gehört, dass dieses durch das funktional zuständige Organ des Gerichts geführt wird und eine ordnungsgemäße Beteiligung des Beteiligten, dem die Verfahrenskostenhilfe bewilligt wurde, erfolgt (vgl. Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 1010). Letzteres erfordert, dass die nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO vorgesehene fristgebundene gerichtliche Aufforderung an den Beteiligten zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren gemäß § 329 Abs. 2 Satz 2 ZPO bzw. § 15 Abs. 2 FamFG diesem förmlich zuzustellen bzw. bekanntzugeben sind (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2018, 517; OLG Karlsruhe FamRZ 2018, 1341; Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 984). Die förmliche Zustellung bzw. Bekanntgabe hat – wie auch die Zustellung der Entscheidung selbst – gem. § 172 ZPO an den beigeordneten Rechtsanwalt zu erfolgen, soweit dieser den Beteiligten auch im Bewilligungsverfahren vertreten hat (vgl. BGH FamRZ 2016, 1259; FamRZ 2011, 463; OLG Frankfurt FamRZ 2018, 517; Senat BeckRS 2015, 8048). Schon dieser Mangel der förmlichen Beteiligung im Nachprüfungs- bzw. Aufhebungsverfahren steht der Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe entgegen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2018, 517; Senat BeckRS 2015, 08048; OLG Stuttgart FamRZ 2018, 1340; OLG Karlsruhe FamRZ 2018, 1341; LAG Hessen BeckRS 2016, 124668; LAG Hamm BeckRS 2014, 74357). Der Mangel der Zustellung kann allerdings durch eine spätere Zustellung einer Erinnerung an die Übermittlung oder Ergänzung der Erklärung geheilt werden (vgl. OLG Frankfurt, JurBüro 2021, 374; Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 1010).

    Erforderlich ist darüber hinaus, dass der funktionell für das Nachprüfungs- und Aufhebungsverfahren zuständige Rechtspfleger jedenfalls die Zustellung der letzten mit einer Fristsetzung verbundenen Aufforderung zur Mitwirkung selbst verfügt hat (vgl. LAG Hessen BeckRS 2018, 26466; LAG Hamm BeckRS 2016, 69104; Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 1010). Für die Durchführung des Nachprüfungs- wie auch des Aufhebungsverfahrens ist insgesamt das Gericht zuständig (§§ 120a Abs. 1, 124 Abs. 1 ZPO). Im Verfahren über die Änderung und Aufhebung der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe nach den §§ 120a, 124 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 der ZPO sind die Geschäfte dem Rechtspfleger gem. §§ 3 Nr. 3 lit. a), 20 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) RpflG übertragen. Dieser trifft nach § 4 Abs. 1 RpflG alle Maßnahmen, die zur Erledigung der ihm übertragenen Geschäfte erforderlich sind. Im Unterschied zur Sozial- Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit (§§ 73a Abs. 4 SGG; 142 Abs. 3 FGO, 166 Abs. 2 VwGO) besteht für die ordentliche Gerichtsbarkeit (wie auch die Arbeitsgerichtsbarkeit) keine gesetzliche Grundlage für eine Übertragung des Nachprüfungs- und Aufhebungsverfahrens auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Der in § 36b RpflG enthaltene Katalog der Rechtspflegeraufgaben, die auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen werden können, enthält keine Aufgaben aus dem Bereich der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe. Ein dem Rechtspfleger von Gesetzes wegen übertragenes Geschäft kann von ihm nicht dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen werden (vgl. LAG Hessen BeckRS 2018, 26466; BAG NZA 2004, 117). Dementsprechend haben insbesondere Fristsetzungen für die Mitwirkung des Beteiligten im Nachprüfungsverfahren durch den Rechtspfleger als funktionell zuständigem Gerichtsorgan selbst zu erfolgen. Soweit danach nicht bereits die erste mit einer Fristsetzung verbundene Aufforderung zur Mitwirkung im Nachprüfungsverfahren vom zuständigen Rechtspfleger verfügt wurde, ist entweder die Auflage zur Ergänzung von Angaben oder die Erinnerung an die Mitwirkung unter Fristsetzung von ihm zu veranlassen, bevor der Aufhebungsbeschluss ergehen kann (vgl. LAG Hessen BeckRS 2018, 26466; LAG Hamm BeckRS 2016, 69104; Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 1010).

    Sind die vorstehenden genannten formalen Voraussetzungen des Nachprüfungs- bzw. Aufhebungsverfahrens nicht eingehalten, können diese auch im Beschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden. Denn die formale ordnungsgemäße Beteiligung vor Erlass des Aufhebungsbeschlusses ist Voraussetzung für seinen rechtmäßigen Bestand. Nicht zuletzt im Hinblick auf die nach § 120 Abs. 4 Satz 3 ZPO a. F bzw. § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO nur zeitlich begrenzt für vier Jahre nach rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des Verfahrens bestehende Möglichkeit einer Abänderung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung ist es erforderlich, dass der Aufhebungsentscheidung des Gerichts ein von ihm formal ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren zugrunde liegt (LAG Hamm Beschl. v. 20.09.2013 – 14 Ta 160/15, juris; LAG Hamm Beschl. v. 10.5.2016 – 5 Ta 169/16, BeckRS 2016, 69104; LAG Hessen Beschl. v. 28.5.2018 – 3 Ta 57/18, BeckRS 2018, 26466; LAG Hessen Beschl. v. 31.10.2016 – 3 Ta 398/16, BeckRS 2016, 124668).

    Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze war der angefochtene Beschluss aufzuheben, da eine ordnungsgemäße Beteiligung der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren nicht erfolgt ist. Denn weder die fristgebundene Aufforderung zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch das nachfolgende Erinnerungsschreiben wurden durch den funktionell zuständigen Rechtspfleger verfügt. Die erste aktenkundige eigene Handlung des Rechtspflegers im Nachprüfungsverfahren stellt der angefochtene Beschluss dar, mit welchem die bewilligte Verfahrenskostenhilfe aufgehoben wurde. Das vorausgegangene Nachprüfungsverfahren hingegen wurde auf der Grundlage ihrer eigenen Verfügung vom 17.05.2021 ausschließlich durch die Justizfachangestellte geführt, welche die versandten Schreiben als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zeichnete und ausfertigte. Eine eigene Verfügung des Rechtspflegers zur amtswegigen Einleitung des Überprüfungsverfahrens und zur Durchführung von Maßnahmen im Rahmen desselben enthält die Akte nicht.

    Das Nachprüfungsverfahren leidet daher an einem nicht heilbaren Mangel, weshalb der angefochtene Beschluss aufzuheben war. Vorbehaltlich eines jederzeit von Amts wegen durch den zuständigen Rechtspfleger neu zu führenden weiteren Nachprüfungsverfahrens verbleibt es damit bei der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung.

    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist kraft gesetzlicher Anordnung gebührenfrei (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG i.V.m. Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses); außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

    Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht (§§ 76 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO).

    Dr. Wierse