OLG Frankfurt vom 22.01.2019 (4 WF 145/18)

Stichworte: Herausgabe, Kind, Inobhutnahme
Normenkette: BGB 1632 Abs. 1; SGB VIII 42; VwGO 80
Orientierungssatz:
  • Während einer wirksamen Inobhutnahme wird ein Kind dem Personensorgeberechtigten nicht widerrechtlich vorenthalten, weshalb dieser gegen das Jugendamt auch keinen Anspruch auf Herausgabe des Kindes nach 1632 Abs. 1 BGB hat.
  • Die Inobhutnahme ist wirksam, wenn sie dem Personensorgeberechtigten bekannt gegeben worden ist und wenn - im Falle eines Widerspruchs des Personensorgeberechtigten – ihre sofortige Vollziehung angeordnet und schriftlich begründet worden ist (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 1 VwGO).
  • Gegen den Verwaltungsakt der Inobhutnahme ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Das Familiengericht entscheidet im Rahmen des von ihm nach erfolgter Mitteilung über die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 3 S. 2 SGB VIII einzuleitenden Verfahrens nicht über die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme, sondern lediglich über die Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung und diesbezüglich zu ergreifende sorgerechtliche Maßnahmen. Erst wenn das Familiengericht die Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung ablehnt und das Jugendamt die Inobhutnahme dennoch aufrecht erhält, entsteht ein Herausgabeanspruch der Personensorgeberechtigten, weil die Wirksamkeit der Inobhutnahme nach der Systematik des § 42 SGB VIII mit der Entscheidung des Familiengerichts über die zu ergreifenden sorgerechtlichen Maßnahmen endet. Entsprechendes gilt im Falle einer vorhergehenden Aufhebung der Inobhutnahme oder Aussetzung ihrer sofortigen Vollziehung durch das hierfür zuständige Verwaltungsgericht.
  • Einem während der Wirksamkeit einer Inobhutnahme gestellten Antrag auf Herausgabe des Kindes fehlt die für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erforderliche Erfolgsaussicht.
  • 62 F 878/18
    AG Gelnhausen

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die einstweilige Anordnung Herausgabe des minderjährigen Kindes

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 01.10.2018 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gelnhausen vom 29.9.2018 am 22. Januar 2019 beschlossen:

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Gründe:

    I.

    Die allein sorgeberechtigte Beschwerdeführerin begehrt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Herausgabe ihres vom Antragsgegner am 21.9.2018 in Obhut genommenen minderjährigen Sohnes.

    Das Kind wurde vom Antragsgegner am 21.9.2018 in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Die Beschwerdeführerin wurde telefonisch über die erfolgte Inobhutnahme unterrichtet. Mit Bescheid vom selben Tage, der Beschwerdeführerin zugestellt am 26.9.2018, bestätigte der Antragsgegner die erfolgte Inobhutnahme und ordnete deren sofortige Vollziehung an. Auf die im Bescheid enthaltene Begründung der Inobhutnahme und der Anordnung der sofortigen Vollziehung wird Bezug genommen.

    Mit Faxschreiben ihres Bevollmächtigten vom 27.9.2018 widersprach die Beschwerdeführerin der erfolgten Inobhutnahme. Der Antragsgegner unterrichtete das Familiengericht mit Faxschreiben vom selben Tag über die erfolgte Inobhutnahme, woraufhin das Familiengericht ein gerichtliches Verfahren zur Prüfung der Ergreifung von Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB einleitete, dessen Ausgang dem Senat nicht bekannt ist.

    Bereits mit Antragsschrift ihres Bevollmächtigten vom 25.9.2018, beim Familiengericht eingegangen am 26.9.2018, hatte die Beschwerdeführerin die Anordnung der Herausgabe ihres in Obhut genommenen Sohnes im Wege der einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Den Verfahrenskostenhilfeantrag wies das Familiengericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 29.9.2018 wegen fehlender Erfolgsaussicht des Herausgabeantrags zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, während der Dauer der Inobhutnahme bestehe kein Herausgabeanspruch der Eltern, weil es an der hierfür erforderlichen Widerrechtlichkeit der Vorenthaltung des Kindes fehle. Werde ein Kind vom Jugendamt wegen einer akuten Gefährdung des Kindeswohls in Obhut genommen, müsse das Jugendamt dem Herausgabeverlangen der Eltern nicht Folge leisten, sondern habe unverzüglich das Familiengericht anzurufen, welches dann ein Verfahren nach § 1666 BGB einleite. Für die Dauer dieses Verfahrens sei das Jugendamt berechtigt, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen.

    Mit ihrer am 1.10.2018 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde verfolgt die Beschwerdeführerin ihren Verfahrenskostenhilfeantrag weiter. Sie ist der Auffassung, als Inhaberin der elterlichen Sorge stehe ihr das Recht zu, die Herausgabe ihres Sohnes zu verlangen, zumal seitens des Jugendamts nicht einmal ein Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt worden sei. Die Inobhutnahme sei widerrechtlich erfolgt und stehe dem Herausgabeanspruch daher nicht entgegen.

    Das Familiengericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    Die Inobhutnahme ist von der Antragsgegnerin mit Ablauf des 26.11.2018 beendet worden. Das betroffene Kind ist in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurückgekehrt. Der Widerspruch gegen die Inobhutnahme ist durch Widerspruchsbescheid vom 4.12.2018 zurückgewiesen worden. Ob der Widerspruchsbescheid bestandskräftig geworden ist, entzieht sich der Kenntnis des Senats.

    Die Beschwerdeführerin hält trotz der mittlerweile erfolgten Herausgabe des Kindes an ihren Anträgen fest.

    II.

    Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet

    Der Antrag auf einstweilige Anordnung der Herausgabe des betroffenen Kindes an die Beschwerdeführerin hat in dem für die Verfahrenskostenhilfeprüfung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts (vgl. BGH, FamRZ 1982, 367) nicht die für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach §§ 76 Abs. 1 FamFG; 114 ZPO erforderliche Aussicht auf Erfolg. Das Kind befindet sich längst wieder in der Obhut der Beschwerdeführerin, weshalb die von ihr weiterhin begehrte Anordnung der Herausgabe des Kindes an sie nicht mehr in Betracht kommt.

    Selbst wenn man für die BeUrteilung der Erfolgsaussicht trotz zwischenzeitlichen Wegfalls der Erfolgsaussicht auf einen vor der eingetretenen Erledigung der Hauptsache liegenden Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfeantrags abstellen würde (vgl. BVerfG, NJW-RR 2003, 1216), wäre der Beschwerdeführerin die begehrte Verfahrenskostenhilfe aus den zutreffenden Gründe:n der angefochtenen Entscheidung zu versagen.

    Nach § 1632 Abs. 1 BGB kann der personensorgeberechtigte Elternteil die Herausgabe eines Kindes von jedem verlangen, der es ihm widerrechtlich vorenthält.

    Die Widerrechtlichkeit des Vorenthaltens entfällt unter anderem, wenn sich aus öffentlichem Recht eine Befugnis zur Vorenthaltung des Kindes ergibt. Eine solche öffentlich-rechtliche Befugnisnorm stellt beispielsweise § 42 Abs. 1 SGB VIIII dar, welcher dem Jugendamt die Befugnis zum Eingriff in die elterliche Sorge durch Verwaltungsakt verleiht und das Jugendamt für die Dauer der Wirksamkeit des Verwaltungsakts im Zeitraum bis zur Entscheidung des Familiengerichts über die zu ergreifenden sorgerechtlichen Maßnahmen (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII) zur Entscheidung über den Aufenthalt des Kindes berechtigt (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 1996, 1026; OLG Bamberg, FamRZ 1999, 663; OVG Lüneburg, FamRZ 2010, 769; Salgo in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1632, Rdnr. 16; Fink in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Aufl. 2015, § 1632 BGB, Rdnr. 13; Dürbeck in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Aufl. 2015, § 42 SGB VIII, Rdnr. 25; Kerscher in BeckOGK, § 1632 BGB, Rdnr. 34, Schmidt in BeckOGK, § 42 SGB VIII, Rdnr. 181 ff.; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, - Kinder- und Jugendhilfe, 4. Aufl. 2011, § 42, Rdnr. 31).

    Zwar kommt dem Familiengericht im Rahmen des auf Grund der Mitteilung des Jugendamts nach § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII einzuleitenden Verfahrens zur Prüfung der Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen nach § 1666 BGB eine Letztentscheidungskompetenz über die Aufrechterhaltung einer Fremdunterbringung oder die Rückführung des Kindes zu (vgl. BVerfG, NJW 2007, 3560, Rdnr. 32; OLG Koblenz, FamRZ 2012, 1955; Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 1666a, Rdnr. 17; Heilmann, FamRZ 2018, 1797, 1801). Dem Familiengericht obliegt dabei jedoch nicht die Prüfung der Rechtmäßigkeit der erfolgten Inobhutnahme. Insoweit ist für den Sorgeberechtigten, in dessen Elternrecht der Verwaltungsakt der Inobhutnahme eingreift, nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet (vgl. OVG Lüneburg, FamRZ 2010, 769; OVG Münster, NJW 2018, 1116; VGH München, FamRZ 2017, 1136; OLG Bamberg, FamRZ 1999, 663; OLG Frankfurt, NZFam 2015, 517; Schmidt in BeckOGK, § 42 SGB VIII, Rdnr. 182; Dürbeck in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Aufl. 2015, § 42 SGB VIII, Rdnr. 24; Kirchhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, § 42, Rdnr. 177). Vor der von ihm zu treffenden Entscheidung über die Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen ist das Familiengericht im Rahmen eines auf Antrag des Sorgeberechtigten eingeleiteten Herausgabeverfahrens vor diesem Hintergrund auf die Prüfung der Wirksamkeit der erfolgten Inobhutnahme beschränkt (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 1999, 663; Dürbeck in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 1. Aufl. 2015, § 42 SGB VIII, Rdnr. 25). Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts der Inobhutnahme ist den Familiengerichten nicht durch Gesetz zugewiesen. Für die Annahme einer entsprechenden Prüfungskompetenz besteht auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, weil für die Sorgeberechtigten im Falle einer gegen ihren Willen aufrecht erhaltenen Inobhutnahme der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist und weil das Familiengericht in dem von ihm von Amts wegen einzuleitenden Verfahren nach § 1666 BGB ohnehin über die Frage zu entscheiden hat, ob die Fremdunterbringung aufrecht zu erhalten oder das Kind zurückzuführen ist. Bis zur Entscheidung des Familiengerichts können die Sorgeberechtigten eine Aufhebung der Inobhutnahme (und damit eine Herausgabe des Kindes) also im Verwaltungsrechtsweg erwirken, ohne dass es hierfür eines zusätzlichen Herausgabeantrags vor dem Familiengericht bedarf. Auch für die Herbeiführung der vom Familiengericht von Amts wegen zu treffenden Entscheidung über eine Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung bedarf es eines solchen Antrags nicht. Erst wenn das Jugendamt die Inobhutnahme aufrechterhält, obwohl das Familiengericht die Ergreifung sorgerechtlicher Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Fremdunterbringung wirksam abgelehnt hat, wird man von einer Widerrechtlichkeit des Vorenthaltens des Kindes im Sinne des § 1632 Abs. 1 BGB und einer damit verbundenen Erfolgsaussicht eines Herausgabeantrags des oder der Sorgeberechtigten ausgehen können. Bis zu diesem Zeitpunkt steht eine wirksame Inobhutnahme der Begründetheit eines Herausgabeantrags entgegen.

    Der Verwaltungsakt der Inobhutnahme wird gemäß §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB X mit seiner Bekanntgabe an den Sorgeberechtigten, die gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch mündlich erfolgen kann, wirksam. Widerspruch bzw. Klage haben aufschiebende Wirkung, es sei denn, das Jugendamt hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet, deren Anordnung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen ist (vgl. OVG Münster, NJW 2018, 1116; Schmidt in BeckOGK, § 42 SGB VIII, Rdnr. 184).

    Ausgehend hiervon war die Inobhutnahme des Kindes im vorliegenden Fall bis zu ihrer Aufhebung durch das Jugendamt mit Ablauf des 26.11.2018 wirksam und ließ damit die Widerrechtlichkeit des Vorenthaltens des betroffenen Kindes entfallen. Die Inobhutnahme war der Beschwerdeführerin mündlich am 21.9.2018 bekanntgegeben und anschließend schriftlich bestätigt worden. Im Rahmen der schriftlichen Bestätigung, der Beschwerdeführerin zugestellt am 26.9.2018, war auch die sofortige Vollziehung der Inobhutnahme angeordnet und schriftlich begründet worden. Da die Beschwerdeführerin beim Jugendamt erst am 27.9.2018 Widerspruch gegen die Inobhutnahme einlegte und eine Entscheidung über die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge bis zur Aufhebung der Inobhutnahme nicht ergangen war, war die Wirksamkeit der Inobhutnahme bis zu ihrer Aufhebung zu keinem Zeitpunkt entfallen und stand der Erfolgsaussicht des Herausgabeantrags damit als Rechtfertigungsgrund für das Vorenthalten des Kindes durchgängig entgegen. Der Herausgabeantrag verfügte damit zu keinem Zeitpunkt über die für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

    Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin aufgrund gesetzlicher Anordnung zu tragen (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG in Verbindung mit Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG), außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

    Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 3, 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO).

    Schmidt