OLG Frankfurt vom 27.06.2011 (4 WF 144/11)

Stichworte: Umgang, Beteiligte, Antrag, Anregung, Verfahrenskostenhilfe, Erfolgsaussicht, Mutwilligkeit; Verfahrenskostenhilfe, Umgangssache;
Normenkette: FamFG 7, 23, 24, 76 Abs. 1; ZPO 114; BGB 1684 Abs. 3;
Orientierungssatz: Leitet das Familiengericht eine Kindschaftssache betreffend den Umgang mit einem minderjährigen Kind ein, kommt es für die Frage der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Beteiligten nicht auf die Erfolgsaussicht oder die Mutwilligkeit von ihm gestellter Sachanträge, bei denen es sich ohnehin nur um Anregungen handelt, an.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache betreffend den Umgang mit dem minderjährigen Kind hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt auf vom 03.06.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 28.04.2011 am 27.06.2011 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wird für den ersten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. M. in H. bewilligt.

Gründe:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für ein von ihr angestrengtes, auf die Abänderung eines gerichtlichen Umgangsvergleichs gerichtetes Verfahren.

Die Beteiligten schlossen am 17.6.2010 vor dem Amtsgericht unter dem Aktenzeichen 61 F 224/10 UG einen Vergleich über die Regelung des Umgangs der Beschwerdeführerin mit dem beim Vater lebenden Sohn T. Auf die Sitzungsniederschrift vom 17.06.2010, Bl. 6f der vorliegenden Akte, wird Bezug genommen.

Nachdem die Umgangskontakte anfangs vereinbarungsgemäß stattfanden, werden sie seit Januar 2011 vom Kindesvater verweigert. Der Versuch einer Konfliktbeilegung unter Einschaltung des Jugendamts ist nach Angaben der Beschwerdeführerin gescheitert.

Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 01.04.2011 beantragte die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht die Abänderung der Umgangsregelung vom 17.06.2010; zeitgleich betrieb sie in einem gesonderten Verfahren die Zwangsvollstreckung der Regelung.

Das Amtsgericht bestellte dem betroffenen Kind daraufhin mit Beschluss vom 06.04.2011 einen Verfahrensbeistand, übersandte dem Kindesvater eine unbeglaubigte Abschrift des Schriftsatzes vom 01.04.2011 mit Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verfahrenskostenhilfegesuch der Beschwerdeführerin und kündigte eine förmliche Zustellung der Antragsschrift für den Fall der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe an.

Nach erfolgter Stellungnahme der Bevollmächtigten des Kindesvaters lehnte das Amtsgericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung ab, der Antrag auf Abänderung der geltenden Umgangsregelung habe keine Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin habe keine triftigen, kindeswohlbezogenen Gründe dargelegt, welche eine Abänderung der geltenden Regelung nach nur zehn Monaten erforderten. Wenn die vereinbarten Umgangskontakte nicht funktionierten, könne die Beschwerdeführerin aus der Vereinbarung vollstrecken. Schließlich erscheine der Antrag auch mutwillig, weil vor Anrufung des Gerichts nicht versucht worden sei, über das Jugendamt oder ein gerichtliches Vermittlungsverfahren eine Einigung herbeizuführen.

Gegen den ihr am 03.05.2011 zugestellten Beschluss hat die Kindesmutter mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 03.06.2011, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt, mit welcher sie auch die zuvor nicht vorgetragene Einschaltung des Jugendamts vorgetragen hat. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerdeführerin.

Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug darf der Kindesmutter nicht mit der Begründung fehlender Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung verweigert werden, nachdem das Amtsgericht ein das Umgangsrecht der Kindesmutter mit dem betroffenen Kind betreffendes Verfahren eingeleitet hat. Bei Kindschaftssachen betreffend das Umgangsrecht handelt es sich nicht um Verfahren, die auf Antrag eines Beteiligten zu führen sind, sondern um - bei Vorliegen eines Regelungsbedürfnisses - von Amts wegen einzuleitende Verfahren, deren Einleitung gemäß des eindeutigen Wortlauts des § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB keines Antrags eines Beteiligten bedarf; dies gilt auch für die Abänderung diesbezüglicher Entscheidungen oder Vergleiche nach §§ 166 FamFG, 1696 Abs. 1 BGB (vgl. insoweit Zöller, ZPO, Kommentar, 28. Aufl., 2010, § 151 FamFG, Rdnr. 12, sowie § 166 FamFG, Rdnr. 3 zum Abänderungsverfahren). Beantragt ein Beteiligter die Durchführung eines solchen Verfahrens, handelt es sich deshalb nicht um einen verfahrenseinleitenden Antrag im Sinne des § 23 Abs. 1 FamFG, sondern um eine Anregung zur Einleitung eines Verfahrens im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG. Sieht das Gericht kein Bedürfnis für eine gerichtliche Regelung, sieht es von der Einleitung eines Verfahrens ab und teilt dies dem "Antragsteller" mit (§ 24 Abs. 2 FamFG).

Leitet das Gericht hingegen ein Verfahren ein, kommt es für die Frage der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zwingend zu beteiligenden Eltern nicht auf die Erfolgssaussicht etwaiger "Anträge" der Eltern an, an welche das Gericht bei seiner Entscheidung ohnehin nicht gebunden ist. Die Eltern können sich der Beteiligung am Verfahren nämlich überhaupt nicht entziehen. Einziger Maßstab für die Frage der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist daher ihre Bedürftigkeit.

Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht mit der Bestellung eines Verfahrenbeistands ein Verfahren eingeleitet, an welchem die Beschwerdeführerin zwingend zu beteiligen ist. Auch wenn das Amtsgericht entgegen § 155 Abs. 2 FamFG zunächst keinen Erörterungstermin anberaumt und dem Kindesvater lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verfahrenskostenhilfeantrag der Kindesmutter gegeben hat, hat es durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands gegenüber den Beteiligten eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es eine Kindschaftssache nach § 151 Nr. 2 FamFG einleitet. Ohne die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens hätte es nämlich überhaupt keinen Verfahrensbeistand bestellen können. Die bloße Übersendung der "Antragsschrift" der Kindesmutter an den Kindesvater zur Stellungnahme zum Verfahrenskostenhilfegesuch vermag daran nichts zu ändern, zumal eine förmliche Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Eltern ohnehin nicht Voraussetzung der Einleitung eines Umgangsrechtsverfahrens ist. Da die Beschwerdeführerin als Kindesmutter an dem vom Amtsgericht eingeleiteten Verfahren zwingend zu beteiligen ist, hat eine Prüfung der Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung im Rahmen der Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unabhängig von etwaigen von ihr in dem Verfahren verfolgten Zielen gemäß der oben dargestellten Grundsätze zu unterbleiben.

Wegen der zwingenden Beteiligung der Beschwerdeführerin am eingeleiteten Abänderungsverfahren kommt es auch nicht auf die Frage eines etwaigen Vorrangs des Vollstreckungsverfahrens an. Ein solcher lässt sich dem Gesetz ohnehin nicht entnehmen. Da § 89 FamFG, anders als früher § 33 FGG, der lediglich die Erzwingung künftigen regelkonformen Verhaltens zum Gegenstand hatte, inzwischen auch die Verhängung von Ordnungsmitteln als Sanktion für regelwidriges Verhalten in der Vergangenheit eröffnet, ist das Vorliegen eines gleichzeitigen Bedürfnisses für eine Vollstreckung und eine Abänderung einer bestehenden Umgangsregelung durchaus denkbar. Im vorliegenden Fall bestehen darüber hinaus Zweifel an der Vollstreckbarkeit des Vergleichs vom 17.06.2010, weil sich der Sitzungsniederschrift weder dessen Billigung durch das Gericht noch irgendwelche Hinweise auf die Folgen einer Zuwiderhandlung entnehmen lassen.

Schließlich ist der Verfahrenskostenhilfeantrag auch nicht mutwillig im Hinblick auf die der Beschwerdeführerin durch § 165 FamFG eröffnete Möglichkeit der Einleitung eines gerichtlichen Vermittlungsverfahrens. Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung scheidet bei einer zwingenden Beteiligung des um Verfahrenskostenhilfe Nachsuchenden an einem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren schon begrifflich aus. Im Übrigen wären die mit einem Vermittlungsverfahren für die Beschwerdeführerin verbundenen Kosten die gleichen wie die eines Abänderungsverfahrens. Auch eine wirtschaftlich vernünftig denkende Person, welche die Verfahrenskosten aus eigenen Mitteln bestreiten müsste, würde ein Vermittlungsverfahren der Anregung eines Abänderungsverfahrens daher nicht zwingend vorziehen. Die gilt umso mehr, als der Kindesvater den Umgang zwischen Mutter und Kind seit fast einem halben Jahr trotz zwischenzeitlicher Einschaltung des Jugendamts ohne Angabe nachvollziehbarer Gründe verweigert, weshalb wenig Aussicht auf die Erzielung einer Einigung im Vermittlungsverfahren besteht.

Da die Beschwerdeführerin ausweislich der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig ist, ist ihr ratenfreie Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 115 ZPO).

Die Entscheidung über die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf § 78 Abs. 2 FamFG. Im Hinblick auf das offenbar völlig verfahrene Verhältnis zwischen beiden Eltern erscheint dem Senat die Sachlage hinreichend schwierig, um eine Beiordnung zu rechtfertigen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil sich die Kostenfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG i. V. m. Ziffer 1912 der Anlage zu § 3 Abs. 2 FamGKG). Außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Schmidt