OLG Frankfurt vom 01.08.2017 (4 WF 122/17)

Stichworte: vereinfachtes Verfahren, Beschwerde, Unzulässigkeit, Rechtspflegererinnerung
Normenkette: GG 19 Abs. 4; FamFG 240, 249, 251, 252 Abs. 4, 256 S. 2, 493 Abs. 2; RPflG 11 Abs. 2
Orientierungssatz:
  • Auch nach dem bis zum 31.12.2016 gültigen Verfahrensrecht ist die Beschwerde des Antragsgegners eines vereinfachten Unterhaltsverfahrens, mit der er erstmalig Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG erhebt, unzulässig; es ist in diesen Fällen auch die Rechtspflegererinnerung nicht statthaft. Der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG wird durch die Antragsmöglichkeit nach § 240 FamFG hinreichend Rechnung getragen.
  • 65 FH 61/16
    AG Gelnhausen

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – 4. Senat für Familiensachen – am 01.08.2017 beschlossen:

    Die Beschwerde des Antragsgegners vom 02.05.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gelnhausen vom 30.03.2017 wird verworfen.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

    Beschwerdewert: 7.572,- EUR.

    Gründe:

    I.

    Der Antragsteller, vertreten durch den ... als Beistand, hat am 15.12.2016 (korrigiert am 27.12.2016) beim Amtsgericht - Familiengericht – Gelnhausen beantragt, im vereinfachten Verfahren Unterhaltsansprüche des Antragstellers ab dem 1.5.2016 im Umfang von € 3.204,00 bis Januar 2017 und von 100% des Mindestunterhaltes in der dritten Altersstufe abzüglich des halben Kindergeldes für ein erstes Kind ab Februar 2017 festzusetzen. Daraufhin hat das Amtsgericht den mit dem Hinweis auf die zeitlich befristeten Einwendungsmöglichkeiten verbundenen Festsetzungsantrag nebst Einwendungsvordruck an den Antragsgegner übermittelt, der diesem am 02.02.2017 zugegangen ist. Nachdem der Antragsgegner binnen der Monatsfrist (und auch im Folgenden) keine Einwendungen gegen den Festsetzungsantrag erhoben hat, hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 30.03.2017 den beantragten Unterhalt festgesetzt. Gegen diesen ihm am 04.04.2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 02.05.2017, eingegangen beim Amtsgericht am gleichen Tag, Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass er nicht leistungsfähig sei.

    II.

    Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 58 ff. FamFG) ist unzulässig und daher gemäß § 68 Abs. 2 S. 2 FamFG zu verwerfen.

    Da das Verfahren vor dem 31.12.2016 eingeleitet worden ist, finden die §§ 249 ff. FamFG in der vormaligen Fassung (vor der Veränderung durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts und des Unterhaltsverfahrensrechts vom 20.11.2015 (BGBl. 2015 I, 2018 II) Anwendung, § 493 II FamFG.

    Die von dem Antragsgegner erstmals im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwendungen können nicht in zulässiger Weise mit der Beschwerde geltend gemacht werden.

    Nach § 256 S. 1 FamFG können mit der Beschwerde nur Einwendungen gegen die Zulässigkeit oder die Unzulässigkeit des vereinfachten Verfahrens, die Zulässigkeit von Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG sowie die Unrichtigkeit der Kostenentscheidung oder Kostenfestsetzung, sofern sie nach allgemeinen Grundsätzen anfechtbar sind, geltend gemacht werden. Soweit sich die Beschwerde auf Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG stützt, kann dies nach der bis zum 31.12.2016 gültigen Fassung von § 256 S. 2 FamFG keine Grundlage für eine Beschwerdeentscheidung sein, soweit diese nicht erhoben waren, bevor der Festsetzungsbeschluss erlassen war. Dies ist vorliegend der Fall, da der Antragsgegner die von ihm behauptete Leistungsunfähigkeit, welche als Einwendung unter § 252 Abs. 4 FamFG fällt, erstmals mit der Beschwerde geltend machte.

    Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, aus welchem Grund der Antragsgegner seine Einwendung der fehlenden Leistungsfähigkeit erstinstanzlich nicht vorgetragen hat, soweit er dazu objektiv die Gelegenheit hatte. Dies ist vorliegend der Fall. Der Antrag des Antragstellers ist dem Antragsgegner zusammen mit den nach § 251 Abs. 1 S. 2 FamFG zu erteilenden Hinweisen einschließlich der nach § 251 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 FamFG zu setzenden Monatsfrist am 02.02.2017 zugestellt worden. Warum er innerhalb der Stellungnahmefrist keine Einwendung formulierte, ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 256 FamFG nicht von Relevanz, da das Beschwerdegericht lediglich zu prüfen hat, ob die vom Pflichtigen erhobenen Einwendungen nach § 252 Abs. 2 bis 4 FamFG vom Rechtspfleger zutreffend behandelt wurden (Keidel/Giers, § 256 FamFG Rn. 9). Da es sich bei der Frist des § 251 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 FamFG um keine Frist i.S.d. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 233 ZPO handelt, ist eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nicht möglich (OLG Bremen FamRZ 2013, 560; Keidel/Giers, § 256 FamFG Rn. 9).

    Damit ist die Beschwerde nach § 256 S. 2 FamFG unzulässig. Die in der Vergangenheit gelegentlich vertretene Auffassung, § 256 FamFG aF regele nur die Präklusion bestimmter Einwendungen, weshalb die Beschwerde im Anwendungsbereich der Norm nicht unzulässig, sondern unbegründet sei (OLG Brandenburg FamRZ 2015, 1512; OLG Frankfurt BeckRS 2015, 13831), lässt sich nach redaktioneller Neufassung von § 256 FamFG zum 01.01.2017 jedenfalls nicht mehr vertreten (OLG Dresden MDR 2017, 770).

    Über die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde hat nach § 68 Abs. 2 S. 2 FamFG der Senat selbst zu entscheiden, insbesondere ist nach der zutreffenden, wohl überwiegenden Meinung eine Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegen die Entscheidung des Amtsgerichts nicht eröffnet (OLG Dresden MDR 2017, 770; OLG Brandenburg FamRZ 2016, 1904; FamRZ 2014, 681; OLG Jena FamRZ 2015, 1513; OLG Bremen FamRZ 2013, 560; OLG Hamm FamRB 2011, 377;OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 49; Prütting/Helms/Bömelburg, § 256 FamFG Rn. 20a; Zöller/Lorenz, § 256 FamFG Rn. 16; a. A.: OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1993; OLG Naumburg FamRZ 2014, 59; Keidel/Giers, § 256 FamFG Rn. 13). Soweit sich die Gegenauffassung auf die in FamRZ 2008, 1433 veröffentlichte Entscheidung des BGH zu § 652 ZPO aF beruft, wonach ein Rechtsmittel i.S.d. § 11 Abs. 2 RpflG dann nicht „gegeben“ sei, wenn es entweder nicht statthaft oder zwar statthaft, aber im Einzelfall unzulässig sei, erfasst diese Entscheidung nicht die vorliegende Fallkonstellation einer unzulässigen Beschwerde des Antragsgegners infolge einer selbst von ihm verabsäumten Frist zur Geltendmachung grundsätzlich zulässiger Einwendungen. Der vom BGH entschiedene Fall betraf ein Rechtsmittel des Antragstellers eines vereinfachten Unterhaltsverfahrens, dem unabhängig von seinem eigenen Verhalten keine Möglichkeit eröffnet war, die an sich nach damaligen Recht statthafte sofortige Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss einzulegen. Insoweit bestand in dieser Fallkonstellation ein Bedürfnis, die Entscheidung des Rechtspflegers einer richterlichen Überprüfung zu unterziehen und so der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) nachzukommen. Ein solches Bedürfnis besteht jedoch nach der oben genannten vorherrschenden Auffassung dann nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Unzulässigkeit des Rechtsmittels auf eine Nichtbeachtung von Form- oder Fristerfordernissen durch den Rechtsmittelführer zurückzuführen ist (so auch zutreffend Hintzen: Arnold/Meyer-Stolte/Herrmann/Rellermeyer/Hintzen, RpflG, 8. Aufl., 2015, § 11 Rn. 54).

    Wollte man dem in der Begründung nicht folgen, erforderte auch die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht die Zulässigkeit der Rechtspflegererinnerung. Denn es ist bei Versäumung der Frist von § 251 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 FamFG ebenso zu bedenken, dass § 256 FamFG auch bei Durchführung des Erinnerungsverfahrens dem zuständigen Richter des Amtsgerichts keine Möglichkeit eröffnen würde, eine von der getroffenen Festsetzungsentscheidung abweichende Entscheidung in der Sache zu treffen, weil die Einwendung eben nicht vor Erlass des Festsetzungsbeschlusses formuliert war (OLG Dresden MDR 2017, 770; OLG Bremen FamRZ 2013, 560).

    Hinzu kommt, dass die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG in diesen Fällen auch deshalb nicht verletzt ist, weil § 240 FamFG dem betroffenen Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit eröffnet, im Wege des Abänderungsverfahrens mit dem Einwand fehlender Leistungsfähigkeit Gehör zu finden und ggf. durchzudringen. Damit gibt es zwar keine richterliche Überprüfung in einem Verfahren; dies ist aber für Art 19 Abs. 4 GG auch nicht nötig. Vielmehr ist es hierfür ausreichend, wenn sich der Betroffene einer nichtrichterlichen Entscheidung mittels (Anfechtungs-)Klage gegen die Entscheidung wehren kann, wie dies im Verwaltungs-, Sozial- und Steuerrecht vorgegeben ist, vergl. z.B. § 42 I VwGO. Rechtsschutz wird dann, wie hier über § 240 FamFG, in einem separaten Verfahren gewährt.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG, wobei der Senat es im Hinblick auf das Unterliegen des Antragsgegners für billig erachtet, diesem die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus §§ 40, 51 Abs. 1 FamGKG und nimmt Bezug auf die nicht zu beanstandende Wertfestsetzung des Familiengerichts.

    Einer Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die oben genannte abweichende Rechtsprechung bedurfte es nicht, da die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 117 Abs. 1 S. 4 FamFG, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO bei der Verwerfung der Beschwerde in einer Familienstreitsache ohnehin kraft Gesetzes eröffnet ist.

    Rechtsbehelfsbelehrung: …

    Diehl Dr. Kischkel Dr. Fritzsche