OLG Frankfurt vom 15.05.2012 (4 WF 115/12)

Stichworte: Gewaltschutz Tatbestandsvoraussetzungen, Darlegungslast, Erfolgsaussicht;
Normenkette: GewSchG 1, FamFG 76 Abs. 1, ZPO 114
Orientierungssatz: Eine nicht mit einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit verbundene Nötigung rechtfertigt den Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz nicht. § 1 GewSchG schützt nur die körperliche Bewegungsfreiheit, nicht die allgemeine Handlungsfreiheit. Insoweit ist der Verletzte auf die vor dem Zivilgericht geltend zu machenden allgemeinen Unterlassungsansprüche nach §§ 1004, 823 BGB zu verweisen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Einzelrichter auf vom 13.04.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 7.3.2012 (hier: Zurückweisung des Antrags auf Verfahrenskostenhilfe) am 15. Mai 2012 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Art der Bestattung des verstorbenen Ehemanns der Antragstellerin, welcher der Vater der Antragsgegnerin war. Die Antragstellerin begehrt im Rahmen dieses Konflikts wegen eines Vorfalls vom 12.2.2012 vor dem Familiengericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz.

Im Rahmen ihres auf den Ausspruch eines Näherungs- und Kontaktaufnahmeverbots gerichteten Antrags hat die Antragstellerin folgenden Sachverhalt dargelegt und durch die Vorlage mehrere eidesstattlicher Versicherungen glaubhaft gemacht: Die Antragsgegnerin, welche zuvor schon dreimal den Gottesdienst in der Kirchengemeinde der Antragstellerin aufgesucht und die Antragstellerin sowie deren Tochter und Schwiegersohn mehrfach angerufen hatte, stellte die Antragstellerin am 12.2.2012 nach dem Gottesdienst in den Räumen der Kirchengemeinde zur Rede. Nachdem die Antragstellerin ein Gespräch abgelehnt hatte, wollte sie sich von der Antragsgegnerin abwenden. Diese hinderte sie daran, indem sie die Antragstellerin am Arm festhielt und ihr sagte, sie werde sie erst loslassen, wenn sie mit ihr rede. Erst nachdem die Tochter der Antragstellerin diese losgerissen hatte, ließ die Antragsgegnerin von der Antragstellerin ab. Gegenüber dem Schwiegersohn der Antragstellerin äußerte die Antragsgegnerin im Anschluss: "Sie hat mir den Vater genommen. Jetzt sorge ich dafür, dass sie hier rausfliegt. Sie kann sich noch auf etwas gefasst machen. Bis jetzt habe ich versucht, ruhig zu bleiben, aber jetzt wird sie was erleben." Die Antragstellerin lebt aus Angst vor Nachstellungen der Antragsgegnerin mittlerweile bei ihrer Tochter.

Für ihren Antrag hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ohne vorherige mündliche Erörterung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, keine der für den Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 GewSchG sei erfüllt. Das Zerren am Arm der Antragstellerin sei nicht mit einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit der Antragstellerin verbunden gewesen. Die allgemein gehaltenen Ankündigungen der Antragsgegnerin seien auch nicht als Drohung mit der Verletzung eines der genannten Rechtsgüter zu verstehen. Schließlich fehle es an der konkreten Darlegung eines wiederholten Nachstellens. Dem Vortrag der Antragstellerin lasse sich nicht entnehmen, wann die Antragsgegnerin die Antragstellerin gegen deren Willen aufgesucht oder angerufen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses, Bl. 14 - 17 der Akte, Bezug genommen.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 13.3.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 13.4.2012 beim Amtsgericht eingegangene sofortige Beschwerde, mit welcher die Antragstellerin sich unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens unter anderem gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe wendet. Sie trägt vor, das Verhalten der Antragsgegnerin am 12.2.2012 stelle eine Nötigungshandlung dar. Unter Berücksichtigung der Gesamtlage sei die Ankündigung der Antragsgegnerin, die Antragstellerin könne sich auf etwas gefasst machen, als Drohung zu verstehen.

Die Antragsgegnerin ist auch der gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe gerichteten Beschwerde entgegen getreten. Sie hält diese für unzulässig, weil die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, für den Verfahrenskostenhilfe begehrt wird, (derzeit) nicht mit der Beschwerde anfechtbar ist.

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde unter Verweis auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug ist zulässig (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Ihr steht insbesondere nicht entgegen, dass die in der Hauptsache ergangene Entscheidung derzeit mangels mündlicher Erörterung vor dem Amtsgericht nicht mit der Beschwerde angefochten werden kann. Der aus § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO hergeleitete Rechtsgedanke, wonach der Rechtsmittelzug im Verfahren der Verfahrenskostenhilfeprüfung nicht weiter gehen darf als in der Hauptsache, führt nämlich nur dann zu einem Ausschluss der Beschwerde, wenn die Hauptsache unter keinen denkbaren Umständen einer Entscheidung des Beschwerdegerichts unterliegen kann (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 127 ZPO, Rdnr. 47, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung, die allesamt (unanfechtbare) Entscheidungen betreffend die einstweilige Anordnung der Zahlung von Unterhalt betreffen). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Vielmehr eröffnet § 57 Satz 1 Nr. 4 FamFG auch für die Hauptsache - nach auf entsprechenden Antrag hin noch nachzuholender mündlicher Erörterung vor dem Amtsgericht - den Rechtsmittelzug zum Beschwerdegericht.

Die demnach zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet und daher zurückzuweisen.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz ist auch unter Zugrundelegung des im Rahmen der Verfahrenskostenhilfeprüfung anzulegenden großzügigen Maßstabs mangels Vorliegens eines der in § 1 Abs. 1 und 2 GewSchG genannten Tatbestände zu verneinen.

Die Anordnung von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz ist beschränkt auf Fälle der in § 1 Abs. 1 und 2 GewSchG abschließend aufgezählten, qualifizierten Rechtsgutverletzungen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21.3.2012, 10 UF 9/12, BeckRS 2012, 09862). Sie kommt daher nur Im Falle einer vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person (§ 1 Abs. 1 GewSchG), einer widerrechtlichen Drohung mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 GewSchG), eines vorsätzlichen und widerrechtlichen Eindringens in die Wohnung oder das befriedete Besitztum einer anderen Person (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 a) GewSchG) oder einer unzumutbaren Belästigung einer anderen Person durch wiederholtes Nachstellen oder Verfolgen mittels Verwendung von Fernkommunikationsmitteln gegen deren ausdrücklichen Willen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 b) GewSchG) in Betracht. Die Darlegungslast für das Vorliegen einer der genannten Rechtsgutverletzungen trägt in den als Antragsverfahren ausgestalteten Gewaltschutzsachen der jeweilige Antragsteller. Die - im einstweiligen Anordnungsverfahren durch § 31 Abs. 2 FamFG ohnehin eingeschränkte - Pflicht des Gerichts zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen knüpft erst an die Darlegung einer Rechtsgutverletzung im Sinne des § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG durch den Antragsteller an (vgl. Krüger in Münchener Kommentar, 5. Aufl. 2010, § 1 GewSchG, Rdnr. 19).

Den Anforderungen an die Darlegungslast wird der Vortrag der Antragstellerin, aus dem sich keine der in § 1 Abs. 1 und 2 GewSchG genannten Rechtsgutverletzungen ergibt, nicht gerecht.

Körperverletzung ist jeder nicht ganz unerhebliche Eingriff in die äußerliche Unversehrtheit oder in die natürlichen inneren Lebensvorgänge des Körpers, der zu nachteiligen Veränderungen der körperlichen Verfassung führt (vgl. Heinke, Gewaltschutzgesetz, 1. Aufl. 2012, § 1 Rdnr. 6), Der Tatbestand umfasst auch so genannte psychische Gewalt, sofern sie nachteilige körperliche Auswirkungen im oben beschriebenen Sinne nach sich zieht ((vgl. Heinke, § 1, Rdnr. 7, 8; Krüger in Münchener Kommentar, § 1 GewSchG, Rdnr. 11). Die Verletzung der Gesundheit setzt darüber hinaus medizinisch feststellbare, nicht nur kurzfristige oder unerhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Funktionsfähigkeit oder des seelischen Wohlempfindens voraus (vgl. OLG Rostock, FamRZ 2007, 921; Krüger in Münchener Kommentar, a.a.O.).

Dass das kurzzeitige Festhalten am Arm durch die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin zu einer nachteiligen Veränderung ihrer körperlichen Verfassung oder sogar zu medizinisch feststellbaren längerfristigen Beeinträchtigungen ihrer körperlichen Funktionsfähigkeit oder ihres seelischen Wohlempfindens geführt hat, lässt sich dem Vortrag der Antragstellerin nicht entnehmen. Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie leide unter Angstzuständen, lässt sich ihrem Vortrag schon nicht entnehmen, ob diese Folge des Vorfalls vom 12.2.2012 oder des bereits vorher entbrannten Streits über die Bestattung ihres Ehemanns sind. Im Übrigen fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt für einen diesbezüglichen Vorsatz der Antragsgegnerin.

Freiheitsverletzung ist jede nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Fortbewegungsfreiheit (vgl. OLG Brandenburg, FamRZ 2006, 947 = MDR 2006, 157; Heinke, § 1 GewSchG, Rdnr. 9; Brudermüller in Palandt; BGB, 71. Aufl. 2012, § 1 GewSchG, Rdnr. 5). Nicht durch § 1 Abs. 1 GewSchG geschützt ist hingegen die allgemeine Handlungsfreiheit, weshalb beispielsweise bei Nötigungen, die nicht mit der Verletzung eines der in § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG genannten Rechtsgüter verbunden sind, keine Ansprüche nach dem Gewaltschutzgesetz, sondern lediglich - vor dem Zivilgericht geltend zu machende - allgemeine Unterlassungsansprüche nach §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 240 StGB gegeben sind (vgl. OLG Rostock, FamRZ 2007, 921; OLG Hamm, FamRZ 2012, 645 = BeckRS 2011, 25808; Heinke, § 1, Rdnr. 9; Krüger in Münchener Kommentar, § 1 GewSchG, Rdnr. 11; Brudermüller in Palandt; § 1 GewSchG, Rdnr. 4 unter Verweis auf BT-Drs. 14/5429, S. 18).

Im vorliegenden Fall war das von der Antragstellerin vorgetragene kurzzeitige Festhalten am Arm allenfalls mit einer geringfügigen Beeinträchtigung ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit verbunden, die für den Tatbestand der Freiheitsverletzung nicht ausreicht. Soweit das Verhalten der Antragsgegnerin den Tatbestand der Nötigung erfüllt, ist die Antragstellerin - wie dargestellt - auf ihren allgemeinen Unterlassungsanspruch zu verweisen. Diesen mag sie in dem ohnehin abgetrennten und an das Zivilgericht verwiesenen Verfahren betreffend die Unterlassung ehrverletzender Aussagen verfolgen. Den Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz rechtfertigt er aus den oben genannten Gründen nicht.

Eine ausdrückliche Drohung mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit der Antragstellerin ist ebenfalls nicht vorgetragen. Bei versteckten Botschaften oder Andeutungen ist von der bedrohten Person vorzutragen, warum die Botschaft auf Grund des Kommunikationsinhalts und der Kommunikationsstruktur zwischen Täter und Opfer eine Drohung mit einer Rechtsgutverletzung enthält (vgl. Heinke, § 1, Rdnr. 13).

An entsprechendem Vortrag fehlt es hier. Es ist nicht ersichtlich, auf Grund welcher Umstände die Ankündigungen, die Antragstellerin könne sich auf etwas gefasst machen und werde was erleben, als Drohung mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit der Antragstellerin zu verstehen sein sollen. Vielmehr wurden die Ankündigungen von ihrem Adressaten, dem Schwiegersohn der Antragstellerin, ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung vom 23.2.2012, Bl. 12 der Akte, offenbar dahingehend verstanden, dass sich die Antragsgegnerin zum Ziel gesetzt hat, den Ruf der Antragstellerin zu beschädigen und sie vor anderen Leuten bloßzustellen. Eine Verletzung der oben genannten Rechtsgüter ist damit nicht verbunden.

Auch ein wiederholtes Nachstellen oder Verfolgen durch Verwendung von Fernkommunikationsmitteln lässt sich dem Vortrag der Antragstellerin nicht entnehmen. Zum Einen setzt die Annahme einer damit verbundenen unzumutbaren Belästigung voraus, dass sich das Opfer ausdrücklich gegen die Belästigung verwahrt hat (vgl. Krüger in Münchener Kommentar, § 1 GewSchG, Rdnr. 17). Davon kann hier frühestens mit dem entsprechenden Hinweis der Antragstellerin am 12.2.2012 ausgegangen werden. Anschließende Nachstellungen oder sonstige Kontaktaufnahmeversuche der Antragsgegnerin sind nicht vorgetragen. Zum Anderen ist der Vortrag hinsichtlich des Aufsuchens der Antragstellerin in der Kirchengemeinde oder der Anrufe auf ihrem Mobiltelefon trotz mehrfacher richterlicher Hinweise viel zu vage, als dass hierauf die Annahme einer unzumutbaren Belästigung gestützt werden könnte.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin aufgrund gesetzlicher Anordnung zu tragen (§§ 1, 3 Abs. 2 FamGKG in Verbindung mit Nr. 1912 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 FamGKG), außergerichtliche Kosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

Schmidt