OLG Frankfurt vom 03.05.2010 (4 W 6/10)

Stichworte: Sonstige Familiensache; inhaltlicher Zusammenhang; Widerklage; Klageerweiterung; selbständiges Verfahren;
Normenkette: FGG-RG 111 Abs. 1; FGG-RG 111 Abs. 2; FamFG 266; ZPO 33; ZPO 264; FGG-RG 111 Abs. 1; FGG-RG 111 Abs. 2; FamFG 266; ZPO 33; ZPO 264;
Orientierungssatz:
  • Der Begriff des Zusammenhangs i.S.v. § 266 Abs.1 Nr. 3 FamFG ist allein inhaltlich und nicht im zeitlichen Sinne zu verstehen.
  • Eine Klageerweiterung i.S.d. § 264 Ziff.2 ZPO stellt gegenüber der ursprünglichen Klage kein selbständiges Verfahren i.S.d. Art. 111 Abs.1 S.1, Abs. 2 FGG-RG dar (Abweichung zu OLG Frankfurt/M., 19. ZS, FamRZ 2010, 481 = NJW 2010, 244).
  • Gleiches gilt für die Widerklage, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln im Zusammenhang steht (§ 33 ZPO). Ist das nicht der Fall kommen Abtrennung und (auf Antrag) Verweisung in Betracht (§§ 145 Abs. 2, 281 ZPO).
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Beschwerdesache

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 4. Zivilsenat - durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Falk, Richter am Oberlandesgericht Dr. Bub Richterin am Oberlandesgericht Kleinmaier am 3. Mai 2010 beschlossen:

    Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 15. Januar 2010 wird der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Landgerichts Limburg - 1. Zivilkammer - vom 7. Januar 2010 (Az. 1 O 213/09) abgeändert.

    Der Beklagten wird ratenfreie Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Widerklage für den ersten Rechtszug bewilligt.

    Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwalt ... beigeordnet.

    Gründe:

    I.

    Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Während bestehender Ehe erwarb 1987 die Beklagte das Alleineigentum an dem Hausanwesen ..., ihrem ehemaligen Elternhaus. Mit notariellem Übertragungsvertrag vom 11. August 1997 des Notars ..., auf dessen Inhalt Bezug genommen wird ..., übertrug die Beklagte das hälftige Miteigentum an dem Grundstück im Wege der Schenkung auf den Kläger. In § 6 des Vertrages behielt sich die Beklagte den Widerruf der Schenkung für den Fall der rechtskräftigen Scheidung der Ehe vor. Der Widerruf konnte bis zur Rechtskraft der Scheidung erklärt werden. Der Kläger verpflichtete sich für diesen Fall, das Miteigentum auf die Beklagte zurück zu übertragen und sämtliche notwendigen Erklärungen, einschließlich der Auflassung, abzugeben. Eine dingliche Sicherung des Rückübertragungsanspruchs der Klägerin unterblieb. Mögliche Ansprüche auf Zugewinnausgleich oder Aufwendungsersatz blieben von den Widerrufsregelungen unberührt. Die Parteien erstellten sodann einen Anbau auf dem Grundstück. Finanziert wurde dies durch gemeinschaftlich aufgenommene Kredite. Die Kredite wurden grundpfandrechtlich gesichert. Die Zins- und Tilgungsleistungen erbrachte der Kläger aus seinem Einkommen. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens erklärte die Beklagte am 14. Oktober 2003 den Widerruf der Schenkung (Bl. 28 d.A.). Durch Urteil des Amtsgerichts Wetzlar - Familiengericht - vom 14. Oktober 2003 wurde die Ehe geschieden. Das Urteil ist seit dem 11. Dezember 2003 rechtskräftig. Zum Abschluss des von der Beklagten geforderten notariellen Rückübertragungsvertrages kam es infolge der Weigerung des Klägers indes nicht. Die Beklagte wurde mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Limburg (Az. 1 O 376/05) vom 3. März 2008 verurteilt, eine Ausgleichzahlung von 5.428,76 EUR zzgl. Zinsen an den Kläger zu leisten. Zum Zwecke der Aufhebung der Eigentümergemeinschaft und der Zwangsvollstreckung betrieb der Kläger in der Folgezeit seit 2007 die Zwangsversteigerung des Grundstücks ... . Durch Zuschlagsbeschluss vom 18. August 2008 ersteigerte ein Dritter das Grundstück, der auch als neuer Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wurde. Dieser löste die das Grundstück belastenden dinglichen Rechte ab. Bei der Euro Hypo AG besteht seit Dezember 2008 ein Guthaben in Höhe von 23.186,83 EUR. Das Guthaben bei der ... Bank in Höhe von 11.207,35 EUR wurde seitens der Bank am 20. Februar 2009 auf ein Hinterlegungskonto zu Gunsten der Parteien eingezahlt ... .

    Mit der am 12. Juni 2009 anhängigen und am 11. Juli 2009 rechtshängigen Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zustimmung zur Auszahlung der hälftigen Guthabenbeträge an sich und Rückzahlungen von angeblich an die ...-Bank geleisteter Beträge in Höhe von 1.293,-- EUR in Anspruch. Er ist der Ansicht, die Guthaben stünden den Parteien zu gleichen Teilen zu, da diese Guthaben gemeinsam erwirtschaftet worden seien.

    Mit einem bei Gericht am 12. Oktober 2009 eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Widerklage beantragt, mit der sie ihrerseits den Kläger auf Zustimmung zur Auszahlung der gesamten Guthabenbeträge an sich in Anspruch nehmen will. Sie ist der Ansicht, ihr stünde ein entsprechender Schadensersatzanspruch gegen den Kläger zu, da die Rückübertragung des hälftigen Miteigentumsanteils durch die vom Kläger betriebene Teilungsversteigerung und den Zuschlag an den Dritten nachträglich subjektiv unmöglich geworden sei (§§ 280, 283, 284, 285 BGB). Zum Schadensersatz gehöre die Herausgabe des stellvertretenden commodums. Die Zuständigkeit des Landgerichts Limburg folge aus § 33 ZPO. Eine Familiensache liege nicht vor. Wenn eine Familiensache i.S.d. § 266 Abs.1 Ziff. 3 FamFG vorliege, gelte dies für Klage und Widerklage übereinstimmend. Ansonsten könne es bei Abtrennung und Verweisung der Widerklage zu unterschiedlichen Entscheidungen des gleich gelagerten Sachverhalts kommen.

    Das Landgericht hat die Beklagte durch Hinweisbeschluss vom 7. Dezember 2009 auf Bedenken gegen die Zuständigkeit des Landgerichts Limburg für die Widerklage hingewiesen. Es hat ausgeführt, es handele sich zwar bei den geltend gemachten wechselseitigen Ansprüchen um sonstige Familiensachen i.S.d. § 266 Abs.1 Nr. 3 FamFG. Es verbleibe aber für die Klage bei der Zuständigkeit der Zivilkammer, weil dieses Verfahren vor dem Inkrafttreten des Neuregelungen (§ 23 a GVG, FamFG) am 1. September 2009 beantragt worden sei (Art 111 FGG-RG). Bei der Widerklage, für deren Erhebung die Prozesskostenhilfe erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelungen beantragt worden sei, handele es sich um ein selbständiges Verfahren i.S.d. Art. 111 Abs.1 S.1, Abs. 2 FGG-RG, da dieser Teil des Verfahrensgegenstandes mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden könne. Auf § 33 ZPO könne sich die Beklagte nicht berufen, da dieser auf ausschließliche Gerichtsstände keine Anwendung finde. Mit Beschluss vom 7. Januar 2010 (Bl. 78 bis 80 d.A.) hat das Landgericht unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss den Antrag der Beklagten, auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Widerklage zurückgewiesen, da das Landgericht Limburg hierfür nicht zuständig sei.

    Gegen den am 14. Januar 2010 zugestellten Beschluss hat die Beklagte mit einem bei Gericht am 18. Januar 2010 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 20. Januar 2010 hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

    1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den den Prozesskostenhilfeantrag zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Limburg ist zulässig und insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 127 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 3, 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO). Nach § 127 Abs.2 S.2 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 ZPO beträgt die Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Einlegung der sofortigen Prozesskostenhilfe-Beschwerde einen Monat, wobei die Frist mit der Zustellung des ablehnenden Beschlusses an den Beschwerdeführer beginnt. Die Monatsfrist hat die Beklagte eingehalten, da ausweislich des Empfangsbekenntnisses (Bl. 81 d.A) der landgerichtliche Beschluss dem Beklagtenvertreter am 14. Januar 2010 zugestellt wurde und die sofortige Beschwerde am 18. Januar 2010 bei Gericht eingegangen ist.

    2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beklagten war Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Widerklage zu gewähren, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Widerklage steht nicht entgegen, dass die Beklagte diese im Rahmen eines beim Landgericht rechtshängigen Verfahrens und nicht als neue Klage beim Amtsgericht - Familiengericht - erheben will. Das Landgericht ist nämlich das für die Entscheidung über die beabsichtigte Widerklage sachlich zuständige Gericht.

    2.1. Im vorliegenden Fall streiten die Parteien im Rahmen der Klage und der beabsichtigten Widerklage im wesentlichen um die Verteilung des bei der Zwangsversteigerung des im gemeinsamen Miteigentum der Parteien befindlichen Hausanwesen ... erzielten Versteigerungserlöses. Diese wechselseitig geltend gemachten Ansprüche gehören seit dem 1. September 2009 zu den sonstigen Familiensachen i.S.d. §§ 111 Nr. 10, 266 FamFG.

    a) Durch die Einführung des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-RG) wurde die Zuständigkeit der Amtsgerichte - Familiengerichte - erweitert. § 111 Nr. 10 FamFG i.V.m. 266 FamFG erweitern bezüglich "sonstiger Familiensachen" gegenüber dem Rechtszustand vor dem 01.09.2009 die sachliche Zuständigkeit der Familiengerichte hinsichtlich bestimmter bislang vor den Zivilabteilungen der Amts- oder Landgerichte geführter Streitigkeiten. Nach § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG gehören zu den sonstigen Familiensachen auch Verfahren, die Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung betreffen. Damit erstreckt sich die Zuständigkeit der Familiengerichte nunmehr auch auf vermögensrechtliche Auseinandersetzungen zwischen den Ehegatten außerhalb des Güterrechts. Hierzu gehören z.B. die Ansprüche zwischen verheirateten oder ehemals verheirateten Personen auf Gesamtschuldnerausgleich bei gemeinsam aufgenommenen Verbindlichkeiten (§ 426 BGB), Streitigkeiten bei Miteigentum, so auch der Streit um dessen Auseinandersetzung (Anspruch auf Aufhebung einer Gemeinschaft nach §§ 749 Abs.1, 753 BGB i.V.m. §§ 180 ZVG inklusive des Streits um die Erteilung des Erlöses), Herausgabe eines Geschenks nach Widerruf der Schenkung und auch Schadensersatzansprüche.

    b) Ausweislich des Normtextes ("im Zusammenhang mit Trennung oder Scheidung") setzt die Annahme einer sonstigen Familiensache i.S.d. § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG einen Bezug zur Trennung/Scheidung der Eheleute voraus.

    (aa) Vorliegend ist ein Bezug zur Scheidung der Parteien offenkundig gegeben. Ein solcher inhaltlicher Zusammenhang ist immer anzunehmen, wenn das Verfahren die wirtschaftliche Verflechtung der (vormaligen) Eheleute, Dispositionen im Hinblick auf die Verbindung oder Vorgänge anlässlich der Beendigung der Ehe betrifft. Da die Beklagte das Miteigentum an dem Hausanwesens dem Kläger aus Anlass der Ehe schenkweise übertragen hat, die Parteien im Hinblick auf den Ausbau des Objektes gemeinsam Kredite aufgenommen haben, die Beklagte im Rahmen des Scheidungsverfahrens den Widerruf der Schenkung erklärt und die Rückübertragung des Miteigentumsanteils gefordert hat und eine Eigentumsübertragung nunmehr durch den Zuschlag an einen Dritten im Rahmen des vom Kläger betriebenen Teilungsversteigerung nicht mehr möglich ist, die Parteien vielmehr um die Verteilung des erzielten Übererlöses streiten, stehen sowohl die Klage als auch die beabsichtigte Widerklage in diesem geforderten inhaltlichen Zusammenhang mit der Liquidation der Ehe.

    (bb) Neben diesem inhaltlichen Bezug zu Trennung bzw. Scheidung wird für das Eingreifen des § 266 Abs.1 Nr. 3 FamFG von Teilen der Literatur auch ein zeitlicher Zusammenhang gefordert. Daran fehle es, wenn zwischen der Trennung/Scheidung und dem Abschluss der Auseinandersetzung ein längerer Zeitraum verstrichen sei (vgl. hierzu Burger FamRZ 2009, 1017). Notwendig sei, dass ein zeitlicher Bezug zur Eheliquidation noch hergestellt werden könne, was etwa bei der Auseinandersetzung einer Ehegattengesellschaft (GbR) nach dem rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens nicht mehr der Fall sei (so Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 266 Rdnr. 5). An dieser zeitlichen Komponente könnte es auch im vorliegenden Fall fehlen, denn die Ehe der Parteien wurde bereits am 11. Dezember 2003 rechtskräftig geschieden, während die Teilungsversteigerung erst im Jahr 2007 eingeleitet wurde und die Parteien erst seit 2009 um die Verteilung des Übererlöses streiten. Indes bedarf es für die Anwendung des § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG nach Auffassung des Senats keiner zeitlichen Komponente. Für die Bestimmung der Zuständigkeit des Gerichts kann es keine Rolle spielen, wann ein Anspruch auf Vermögensauseinandersetzung zwischen Eheleuten geltend gemacht wird (so auch Zöller-Lorenz, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 266 FamFG Rdnr.17 m.w.N.). Die (späte) Geltendmachung kann auf ganz verschiedenen, von den Parteien möglicherweise nicht einmal beeinflussbaren Umständen beruhen. Das Erfordernis eines "zeitlichen Zusammenhangs" wirft erhebliche Definitionsprobleme bei der Bestimmung des maßgeblichen Zeitraums auf und würde daher zu erheblichen Unsicherheiten führen. Das wäre mit dem Anspruch der Parteien auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs.1 S.2 GG kaum vereinbar. Der mit der Gesetzesreform verfolgte Zweck einer Verfahrenskonzentration beim Familiengericht auf alle Streitigkeiten, die durch die Ehe fachlich bedingt sind, würde zumindest teilweise unterlaufen, wenn die Zuständigkeit der Familiengerichte durch Konstituierung eines aus dem Normtext nicht überzeugend ableitbaren Tatbestandsmerkmals eines "zeitlichen Zusammenhangs" wieder eingeschränkt würde. Der Begriff des Zusammenhangs i.S.v. § 266 Abs.1 Nr. 3 FamFG ist daher allein inhaltlich und nicht im zeitlichen Sinne zu verstehen (vgl. Zöller-Lorenz, a.a.O., Rdnr. 17, Keidel-Giers FamFG 2009 § 266 Rdnr.16).

    2.2. Die materiellen Vorschriften des FamFG und die Reformvorschriften des Verfahrensrechtes - so die Zuständigkeit des Amtsgerichts für den gegenüber §§ 23 a, 23 b GVG a.F. erweiterten Katalog der Familiensachen i.S.d. § 111 FamFG - finden allerdings gemäß Art. 111 Abs.1 S.1, 112 FGG-RG erst zum Stichtag des 1. September 2009 Anwendung. Auf Verfahren, die bis zum Ablauf des 31. August 2009 eingeleitet worden sind, findet das alte Recht Anwendung. Hierdurch soll ein Wechsel des Verfahrensrechts in laufenden Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen werden (vgl. hierzu MK-FamFG-Pabst 2010 Art. 111 Anh. Rdnr. 3). So liegt der Fall hier, denn das Verfahren wurde vorliegend bereits vor dem Stichtag vom 1. September 2009 durch die seit dem 12. Juni 2009 anhängige und seit dem 12. Juli 2009 rechtshängige Klage eingeleitet. Die mit dem am 12. Oktober 2009 eingegangenen Prozesskostenhilfeantrag angekündigte Widerklage eröffnet entgegen der Annahme des Landgerichts kein neues selbständiges Verfahren.

    a) Unter dem Begriff des selbständigen Verfahrens ist nach der Definition in Artikel 111 Abs. 2 FGG-RG jedes Verfahren zu verstehen, das mit einer Endentscheidung abgeschlossen wird. Der Begriff des Verfahrens ist dabei nach der Auffassung des Senats prozessrechtlich zu verstehen und wird bei den vom Dispositionsgrundsatz geprägten Verfahren durch die verfahrensbestimmenden Anträge bestimmt. Handelt es sich um einen vor dem 1. September 2009 anhängig gewordenen Streitgegen-stand im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, für den das angerufene Landgericht sachlich zuständig war, so bleibt diese Zuständigkeit auf der Grundlage der Vorschriften der ZPO über die Klageänderung auch dann erhalten, wenn in diesem Verfahren nach dem 1. September 2009 im Sinne des § 264 ZPO ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder im Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird oder statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird. Dass der Gesetzgeber diese grundlegenden allgemeinen prozessrechtlichen Regeln der ZPO durch die Überleitungsvorschrift des Art. 111 FGG-RG teilweise außer Kraft setzen wollte, ist nicht ersichtlich. Bereits die Prozessökonomie gebietet es, bei solchen Fallgestaltungen von einem einheitlichen Verfahren auszugehen und über den gesamten Sach- und Streitstand im Rahmen einer (einheitlichen) Endentscheidung zu entscheiden. Die vom 19. Zivilsenat des erkennenden Gerichts in seiner Entscheidung vom 18. November 2009 ... [FamRZ 2010, 481; NJW 2010, 244; FamRB 2010, 79] vertretene Rechtsauffassung, eine Klageerweiterung i.S.d. § 264 Ziff.2 ZPO stelle gegenüber der ursprünglichen Klage ein selbständiges Verfahren i.S.d. Art. 111 Abs.1 S.1, Abs. 2 FGG-RG dar, weil über die Klageerweiterung eine Endentscheidung ergehen könne, überzeugt hingegen nicht. Im Wortlaut der Art. 111 Abs. 2 FGG-RG findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bei der Normierung der Überleitungsregelung eine Aufspaltung in verschiedene Verfahren vor den Zivil- und Familiengerichten beabsichtigte, wenn die Parteien -ohne Veränderung des Klagegrundes- im Laufe des Verfahrens erweiternde oder neue verfahrensbestimmende Anträge stellen. Der Regelung des § 38 FamFG kann dies ebenfalls nicht entnommen werden. Diese definiert zwar den Begriff der Endentscheidung, allerdings nur dergestalt selbstverständlich, dass es sich um eine (Beschluss-)Entscheidung handelt, die den Verfahrensgegenstand ganz oder eben teilweise erledigt. Die Regelung des Art. 111 Abs.2 FGG-RG zielt vielmehr in ihrer Gestaltung auf Dauerverfahren (Betreuung, Vormundschaft, Pflegschaften) ab und sollte klarstellen, dass im Rahmen von Dauerverfahren auf eine selbständige Endentscheidung gerichtete Verfahrensteile selbstständig betrachtet werden (vgl. hierzu MK-FamFG-Pabst Anh. Art. 111 Rdnr.10 f.).

    b) Nichts anderes gilt für eine Widerklage. Zwar ist die Widerklage ihrem Wesen nach eine vollwertige Klage, sie ist indes kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne von § 296 ZPO, so dass die Widerklage wie klageerweiternde oder beschränkende Anträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben werden kann. Im Rahmen der Überleitungsvorschrift des Art. 111 FGG-RG ist sie daher auch nicht grundsätzlich anders zu behandeln. Der durch § 33 Abs. 1 ZPO begründete Gerichtsstand der Widerklage ist davon abhängig, dass "der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln im Zusammenhang steht". Dabei ist der Begriff des rechtlichen Zusammenhangs nicht eng auszulegen, sondern schon dann anzunehmen, wenn es sachdienlich und vernünftig erscheint, über Klage und Widerklage in einem Prozess zu verhandeln. Dementsprechend wird es, solange keine ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts besteht, als zulässig angesehen, dass der Beklagte in einem landgerichtlichen Verfahren widerklagend Ansprüche geltend macht, die in die Zuständigkeit des Amtsgerichts fallen. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, die nicht ausdrücklich im Gesetz angeordnet ist, ergibt sich nach allgemeiner Auffassung zwingend aus dem Zweck der Widerklage, der darin besteht, eine Zersplitterung von Rechtsstreitigkeiten über zusammenhängende Fragen zu vermeiden und dem mit einer Klage angegriffenen Beklagten im Interesse der Waffengleichheit die Möglichkeit zum Gegenangriff zu eröffnen (Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Auflage 2007, § 33 Rn. 1; Stein/Jonas/Roth, 22. Auflage 2002, § 33 Rn. 1). Auch wenn nach dem neuen Recht für Streitgegenstände nach §§ 111 Nr. 10, 266 FamFG eine ausschließliche Zuständigkeit beim Amtsgericht - Familiengericht - begründet wird, spricht jedenfalls im Rahmen des Überleitungsrechts schon die Prozessökonomie dafür, auch hier eine Zersplitterung von Rechtsstreitigkeiten über zusammenhängende Fragen zu vermeiden. Gegen die Annahme, es handele sich bei der angekündigten Widerklage um ein selbständiges Verfahren i.S.d. Art. 111 FGG-RG spricht vorliegend darüber hinaus, dass sich Klage und Widerklage nicht nur auf lediglich zusammenhängende Rechtsfragen beziehen; vielmehr ist ihr Streitgegenstand insoweit identisch (§ 45 Abs.1 S.3 GKG), als Klage und beabsichtigte Widerklage jeweils die Auszahlung der Hälfte der auf dem Hinterlegungskonto und dem Guthabenkonto befindlichen Guthabenbeträge bezwecken. Ließe man in einer solchen Konstellation die Klageerhebung in unterschiedlichen Gerichtsständen zu, begründete dies die Gefahr, dass es infolge der unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten bezüglich eines jedenfalls teilidentischen Streitgegenstandes zu unterschiedlichen, möglicherweise sich widersprechenden Entscheidungen kommen könnte. Aus diesem Argument folgt zugleich, dass die beabsichtigte Widerklage schon nach dem Normtext der Überleitungsvorschrift nicht als selbständiges Verfahren i.S.d. Art. 111 FGG-RG verstanden werden kann; denn eine solche Widerklage könnte entgegen dem gesetzlichen Erfordernis nicht i.S.d. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden; denn eine Entscheidung über die Widerklage allein stellte sich als Teilurteil i.S.v. § 301 ZPO dar. Ein solches Teilurteil wäre indes in einer solchen prozessrechtlichen Lage wegen der Gefahr widersprechender Entscheidungen unzulässig (BGH NJW 2007, 157 m.w.N., st. Rspr; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 301 Rnr. 7). Hinsichtlich der beabsichigten Widerklage fehlt es daher an einem Verfahren, das i.S.d. Art. 111 Abs. 2 FGG-RG mit einer Endentscheidung abgeschlossen werden könnte.

    In Fällen, in denen nach dem Stichtag vom 1. September 2009 eine Widerklage erhoben wird, welche nicht in rechtlichem Zusammenhang mit dem die Klage konstituierenden Streitgegenstand im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG steht, kann das Gericht nach § 145 Abs. 2 ZPO verfahren und gegebenenfalls auf Antrag des Widerklägers den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO insoweit an das zuständige Gericht der ersten Instanz verweisen.

    Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

    Falk Dr. Bub Kleinmaier