OLG Frankfurt vom 11.06.2012 (4 UF 94/12)

Stichworte: Wertausgleich, Geringfügigkeit, Saldierung, Ermessen; Geringfügigkeit, Wertausgleich, Saldierung, Ermessen; Versorgungsausgleich, Geringfügigkeit, Saldierung;
Normenkette: VersAusglG 18
Orientierungssatz: Überschreitet der Kapitalwert aller geringfügigen Anrechte nach erfolgter Saldierung den Grenzwert des § 18 Abs. 3, führt dies nicht zwingend dazu, dass ein Wertausgleich durchzuführen ist. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, ob die einzeln unter der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Anrechte in der Summe darüber liegen, um einen Gesichtspunkt, der im Rahmen des durch die Sollvorschrift des § 18 Abs. 1 und 2 VersAusglG eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen ist .

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 2.4.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 6.3.2012 am 11.6.2012 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird im Ausspruch zum Wertausgleich des Anrechts des Antragsgegners bei der Beschwerdeführerin (Ziffer 2, dritter Absatz, des Beschlusstenors) abgeändert. Ein Ausgleich dieses Anrechts findet nicht statt.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Ihre Aufwendungen tragen die Beteiligten selbst.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren festgesetzt auf 1.365,- Euro.

Gründe:

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners geschieden und den Wertausgleich der während der Ehezeit vom 1.6.2002 bis zum 30.9.2011 erworbenen Anrechte durchgeführt. Neben der internen Teilung des Anrechts der Antragstellerin auf Beamtenversorgung bei der Stadt H. und des Anrechts des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung hat es auch eine interne Teilung des Anrechts des Antragsgegners auf öffentlich-rechtliche Zusatzversorgung bei der Beschwerdeführerin mit einem Ausgleichswert von 10,01 Versorgungspunkten angeordnet. Hinsichtlich der von beiden Ehegatten erworbenen Anrechte der privaten Altersvorsorge bei dem D. Lebensversicherungsverein a.G. hat es hingegen festgestellt, dass ein Wertausgleich nach § 18 Abs. 1 VersAusglG wegen der Geringfügigkeit der Differenz der Kapitalwerte der beiden gleichartigen Anrechte unterbleibt. Der Ausgleichswert als Kapitalwert des Anrechts des Antragsgegners beim D. Lebensversicherungsverein a.G. übersteigt denjenigen des Anrechts der Antragstellerin um 476,19 Euro. Obwohl auch der mit 2.900,28 Euro angegebene korrespondierende Kapitalwert des Anrechts bei der Beschwerdeführerin den Grenzbetrag von 3.066,- Euro nach § 18 Abs. 2, 3 VersAusglG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 SGB IV unterschreitet, lässt sich den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht entnehmen, weshalb das Anrecht dennoch ausgeglichen worden ist.

Mit ihrer Beschwerde gegen den ihr am 28.3.2012 zugestellten Beschluss begehrt die Beschwerdeführerin den Ausschluss des Ausgleichs des bei ihr bestehenden Anrechts wegen Geringfügigkeit. Die übrigen Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Das Anrecht des Antragsgegners bei der Beschwerdeführerin unterschreitet mit einem Kapitalwert von 2.900,28 Euro den Grenzwert von 3.066,- Euro nach § 18 Abs. 2, 3 VersAusglG in Verbindung mit § 18 Abs. 1 SGB IV. Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG soll das Anrecht daher nicht ausgeglichen werden.

Dem Absehen von einem Ausgleich des Anrechts steht dabei nicht entgegen, dass die Summe der Kapitalwerte aller nicht ausgeglichenen Anrechte - nach erfolgter Saldierung - den Grenzwert von 3.066,- Euro übersteigt. Der Senat folgt insoweit der am Wortlaut des § 18 VersAusglG orientierten Auslegung des Oberlandesgerichts Stuttgart, wonach nicht auf den Saldo aller unter die Geringfügigkeitsgrenze fallenden Anrechte, sondern auf jedes einzelne Anrecht abzustellen ist. Bei der Frage, ob die einzeln unter der Grenze des § 18 Abs. 3 VersAuglG liegenden Anrechte in der Summe darüber liegen, handelt es sich demnach lediglich um einen Gesichtspunkt, der vom Gericht bei der Ausübung des ihm durch die Ausgestaltung der Absätze 1 und 2 des § 18 VersAusglG als Soll-Vorschrift eingeräumten Ermessens zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 2011, 1593; OLG Nürnberg, FamRZ 2011, 899; Breuers in jurisPK-BGB, 5. Aufl., Rdnr. 46-48, anders aber in Rdnr. 25; a. A. Ruland, Versorgungsausgleich, 2. Aufl., Rdnr. 493; Hauß, FÜR 2009, 214; Holzwarth in Johannsen/Henrich, Familienrecht, 5. Aufl., § 18 VersAusglG, Rdnr. 6; Palandt/Brudermüller, BGB, 71. Aufl., § 18 VersAusglG, Rdnr. 4 und 6).

Im vorliegenden Fall lässt sich den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen, weshalb das Amtsgericht ausnahmsweise von der Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG abgewichen ist und einen Ausgleich des bei der Beschwerdeführerin bestehenden Anrechts angeordnet hat. Da das Amtsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen damit keinen erkennbaren Gebrauch gemacht hat, ist der Senat befugt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Amtsgerichts zu setzen ((vgl. BGH, FamRZ 2007, 893; NJW 2001, 1652; KG, FamRZ 2011, 393; BayLSG, Beschluss vom 22.11.2010, L 7 AS 486/10 B PKH. zitiert nach juris).

Der Saldo der unter die Geringfügigkeitsgrenze fallenden Anrechte beläuft sich zu Lasten der an sich in dieser Höhe ausgleichsberechtigten Antragstellerin auf 3.376,47 Euro. Er überschreitet den Grenzwert von 3.066,- Euro nach § 18 Abs. 3 VersAusglG nur um etwa zehn Prozent. Weitere besondere Umstände, welche einen ausnahmsweisen Wertausgleich des bei der Beschwerdeführerin bestehenden Anrechts rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf den mit der Regelung des § 18 VersAusglG verfolgten Zweck - nämlich die Vermeidung der Begründung mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbundener Kleinstrenten - ist eine Ausnahme von der Soll-Vorschrift nach Auffassung des Senats bei einer derart geringfügigen Überschreitung der Grenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG in der Summe aller geringfügigen Anrechte nicht geboten. Die damit zwangsläufig verbundene Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes ist noch nicht unverhältnismäßig und daher von der Ausgleichsberechtigten hinzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1, 150 Abs. 1 und 3 FamFG. Im Hinblick auf die unterbliebene Ermessensausübung des Amtsgerichts entspricht es billigem Ermessen, von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren abzusehen.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Frage, ob ein Wertausgleich grundsätzlich durchzuführen ist, wenn die Summe der Werte der unter § 18 Abs. 1 und 2 VersAusglG fallenden Anrechte die Grenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG überschreitet, nach Kenntnis des Senats bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 50 Abs. 1 FamGKG. Da Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur ein Anrecht ist, ist der Wert mit einem Zehntel des von den geschiedenen Ehegatten in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens in Ansatz zu bringen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft. Gemäß § 71 FamFG ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht -Bundesgerichtshof, Herrenstrasse 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

* die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und * die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

* die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Rechtsbeschwerdeanträge), * die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar * die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; * soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

Diehl Fischer Schmidt