OLG Frankfurt vom 05.05.2021 (4 UF 90/21)

Stichworte: Kindschaftssache; Kindeswohlgefährdung; Infektionsschutz; Rechtsweg, Verwaltungsgerichte; Amtsverfahren, Einleitung; Verweisung
Normenkette: BGB 1666 Abs. 1; BGB 1666 Abs. 4; FamFG 24; FamFG 58; FamFG 151 FamGKG 45; GVG 17a; VwGO 40
Orientierungssatz:
  • Der Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot, Verpflichtung zu Schnelltests) fällt nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Maßnahmen; dafür ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
  • Für von Amts wegen einzuleitende Verfahren greift nicht § 17a Abs. 2 GVG, so dass auch keine Verweisung an das Verwaltungsgericht erfolgt.
  • Lehnt das Gericht die Einleitung eines Verfahrens nach § 24 FamFG ab, so ist ausnahmsweise die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eröffnet, wenn die Nichteinleitung des Verfahrens den Anregenden in eigenen subjektiven Rechten betrifft.
  • 71 F 257/21
    AG Groß-Gerau

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge für E.

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Kindesvaters vom 17.4.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Groß-Gerau vom 18.3.2021 am 5. Mai 2021 beschlossen:

    Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Groß-Gerau vom 18.3.2021 wird zurückgewiesen.

    Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,- Euro festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Mit an das Amtsgericht – Familiengericht - gerichtetem Schreiben vom 16.3.2021 regten die Eltern des xxx2011 geborenen Kindes an, von Amts wegen ein Verfahren gemäß § 1666 Abs. 1 und 4 BGB zu eröffnen, mit dem Ziel, die Lehrkräfte und die Schulleitung der W.-Schule in xxx zur Aufhebung der an der Schule geltenden Maskenpflicht und der geltenden Abstandsregelungen anzuweisen.

    Mit dem angefochtenen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zur Einlegung einer Beschwerde versehenen Beschluss lehnte das Amtsgericht die Eröffnung eines Sorgerechtsverfahrens nach § 1666 BGB ab.

    Hiergegen wendet sich der Kindesvater mit seiner am 17.4.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.

    Mit am 30.4.2021 beim Amtsgericht und beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz meldete sich Rechtsanwalt … für das betroffene Kind und wiederholt im Namen des Kindes die durch den Kindesvater eingelegte Beschwerde, wobei er zusätzlich die Verpflichtung zur Durchführung von Antikörper-Schnelltests als Voraussetzung für die Teilnahme am Unterricht beanstandet.

    II.

    Die Beschwerde des Kindesvaters ist zulässig. Lehnt das Gericht die Einleitung eines Verfahrens nach § 24 FamFG ab, so ist ausnahmsweise die Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eröffnet, wenn die Nichteinleitung des Verfahrens den Anregenden in eigenen subjektiven Rechten betrifft (vgl. OLG Frankfurt a. M., FamRZ 2015, 1991 zur Abänderung einer Umgangsentscheidung; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 24 FamFG Rn. 9).

    Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Es fehlt bereits an der Zuständigkeit des Familiengerichts für den Erlass der begehrten Maßnahmen. In die Zuständigkeit der Familiengerichte fallen als Kindschaftssachen i. S. d. § 151 FamFG Verfahren nach § 1666 BGB, die zum Erlass gerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls im konkreten Einzelfall nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes verpflichten. Dabei erlaubt § 1666 Abs. 4 BGB den Familiengerichten, in Angelegenheiten der Personensorge auch Anordnungen gegenüber Dritten zu treffen, um „dem Familiengericht die Möglichkeit zu eröffnen, gegen kindeswohl-gefährdende Dritte vorgehen zu können, ohne dass ein Umweg über das Zivilrecht gegangen werden muss (BT-Drs. 8/2788, 59)“ (OLG Frankfurt a. M. FamRZ 2019, 1865 Rn. 15 beck-online). Anhaltspunkte für eine solche individuelle Kindeswohlgefährdung, der durch familiengerichtliche Maßnahmen zu begegnen wäre, liegen nicht vor.

    Der vorliegend angestrebte Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot, Verpflichtung zu Schnelltests) fällt nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Maßnahmen.

    Insoweit fehlt es bereits an einer Weisungsbefugnis des Familiengerichts gegenüber Hoheitsträgern wie dem Jugendamt (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1686; LPK-SGB VIII/ Berneiser/ Diehl, 7. Aufl. 2018, SGB VIII § 50 Rn. 9). Familiengerichte sind nicht befugt, Schulbehörden bzw. einzelne Schulen zu einem Handeln zu verpflichten (AG Waldshut-Tiengen, Beschl. v. 13.4.2021, 306 AR 6/21, BeckRS 2021, 6998, beck-online; VG Weimar, Beschluss vom 20.4.2021, 8 E 416/21 We; abweichend AG Weimar, Beschl. v. 8.4.2021, 9 F 148/21).

    Für die Überprüfung dieser Anordnungen und der länderrechtlichen Infektions-schutzregelungen als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art nach § 40 VwGO ist vielmehr die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eröffnet (VG Würzburg, Beschl. v. 23.4.2021, W8 E 21.546 u. W8 E 21.548, juris; AG Wittenberg, Beschl. v. 8.4.2021, 5 F 140/21 EASO), da sie nicht durch Bundes-gesetz (hier: FamFG) einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (AG Waldshut-Tiengen, Beschl. v. 13.4.2021, 306 AR 6/21, BeckRS 2021, 6998 Rn. 8, beck-online).

    Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht war nicht veranlasst, da das Amtsgericht von der Einleitung eines Verfahrens abgesehen hat und § 17a GVG für von Amts wegen einzuleitende Verfahren nicht greift (BT-Drucks. 16/6308, 318; Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl. 2019, § 122 Rn. 10; Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 17a GVG Rn. 62; MüKo-ZPO/Zimmermann, 5. Aufl. 2017, § 17a GVG).

    … Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus den §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1, FamGKG.

    Da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 70 FamFG Rn. 21) aufwirft – auf die politische Relevanz der streitgegenständlichen Fragen kommt es nicht an - noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern, § 70 Abs. 2 FamFG, war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.

    Reitzmann Dr. Wierse Dr. Schweppe