OLG Frankfurt vom 19.05.2020 (4 UF 82/20 (4 UF 85/20))

Stichworte: Elterliche Sorge, Entzug, IS-Rückkehrerin; IS-Rückkehrerin, elterliche Sorge, Entzug
Normenkette: BGB 1666; FamFG 49
Orientierungssatz:
  • Die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (hier:Islamischer Staat in Syrien) rechtfertigt nach der Rückkehr der Eltern und der im Ausland geborenen Kinder nach Deutschland ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen mit der Trennung der Kindern von den Eltern verbundenen Entzug der elterlichen Sorge.
  • Werden die Eltern nach ihrer Rückkehr inhaftiert, und wünschen Sie für die Dauer ihrer Inhaftierung eine Unterbringung der Kinder bei einem ebenfalls in Deutschland lebenden, aufnahmebereiten Großelternteil, setzt ein Entzug der elterlichen Sorge zum Zwecke der Fremdunterbringung der Kinder voraus, dass das Wohl der Kinder im Haushalt des Großelternteils konkret gefährdet wäre.
  • Dass der Großelternteil selbst unter Betreuung steht, reicht für die Feststellung einer mit der Aufnahme in seinen Haushalt verbundenen Gefährdung des Kindeswohls ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht aus. Allerdings setzt die Aufnahme von vier nach der Inhaftierung der Eltern in Obhut genommenen Kindern im Alter zwischen einem und vier Jahren in den Haushalt des ihnen bislang nicht persönlich bekannten, selbst auf Unterstützung angewiesenen Großelternteils voraus, dass – gegebenenfalls mit Hilfe des örtlich zuständigen Jugendamts - vorab geklärt ist, wie die Kinder in der Wohnung untergebracht werden und welche Kinderausstattung dort noch benötigt wird, wie die Kontaktanbahnung zu dem Großelternteil erfolgen soll und welche konkrete Unterstützung durch Familienangehörige und durch öffentliche Hilfen bzw. Einrichtungen der Großelternteil bei der Betreuung und Versorgung der Kinder erhält.
  • 459 F 8308/19 und 459 F 8309/19
    Amtsgericht Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerden der Kindesmutter vom 8.4.2020 gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Familiengericht – Frankfurt am Main vom 17.2.2020 am 19.5.2020 beschlossen:

    Die Beschwerden werden auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

    Der Verfahrenswert wird für jedes der beiden verbundenen Verfahren festgesetzt auf 1.500,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Mit ihren Beschwerden wendet sich die Kindesmutter gegen den vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge für die vier betroffenen Kinder.

    Die am 0.0.0000 in X. als eines von vier Geschwistern geborene Kindesmutter ist syrische und deutsche Staatsangehörige. Sie lebte mit ihren Eltern und Geschwistern von 1999 bis 2006 in Deutschland, wo am 0.0.0000 ihre jüngste Schwester geboren wurde. Im Jahr 2006 heiratete sie – offenbar im Rahmen einer arrangierten Ehe – einen in Syrien lebenden Cousin, von dem sie sich im Jahr 2007 trennte. Anschließend kehrte sie nach Deutschland zurück und arbeitete in einem Restaurant.

    Ausweislich der Feststellungen im Haftbefehl des Oberlandesgerichts Celle vom 27.11.2019, Aktenzeichen, setzte im Jahr 2011 eine zunehmende religiöse Radikalisierung der Mutter ein. Sie kündigte ihre Arbeitsstelle, trug fortan eine Burka und schloss sich nach Angaben ihrer Mutter im April 2014 einer radikal-islamistischen Gruppierung in Y. an. Im Dezember 2014 reiste sie über die Türkei nach Syrien aus, um sich dem sog. „Islamischen Staat“ anzuschließen. In Syrien lebte sie zunächst in einem Frauenhaus in dem vom „Islamischen Staat“ kontrollierten Gebiet, schloss dort eine islamische Ehe mit dem ebenfalls aus Deutschland ausgereisten H und lebte mit diesem seit 2015 in einem Haus in Raqqa. Ihr Ehemann nahm jedenfalls im Jahr 2015 auf Seiten des „Islamischen Staates“ an Kampfhandlungen teil. Aus der Ehe gingen die beiden Kinder A und B hervor, die von ihrer Mutter in dem Haus in Raqqa betreut und versorgt wurden. Der Ehemann soll bei einem Bombenangriff im Juni 2017 ums Leben gekommen sein. Anschließend siedelte die Mutter nach Idlib über und schloss dort eine islamische Ehe mit einem Marokkaner, dessen Personalien und Aufenthalt bislang unbekannt sind. Aus dieser Ehe sind die beiden Zwillinge D und C hervorgegangen. Kurze Zeit nach der Geburt der beiden Zwillinge floh die Mutter ohne ihren Ehemann mit allen vier Kindern zur Familie ihrer Mutter in die Türkei. In der Türkei befand sie sich mit den vier Kindern ab September 2019 in Abschiebehaft und wurde mit ihren Kindern am 3.12.2019 nach Deutschland abgeschoben. Bei der Einreise wurde sie auf dem Flughafen Frankfurt am Main auf Grund des Haftbefehls des Oberlandesgerichts Celle vom 27.11.2019 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Z.

    Ihre vier Kinder, die sie bei ihrer in Z lebenden Mutter unterbringen wollte, wurden in Obhut genommen und in Bereitschaftspflegefamilien untergebracht. Mit einstweiliger Anordnung vom 9.12.2019 entzog das Amtsgericht – Familiengericht – Frankfurt am Main der Mutter ohne vorherige mündliche Erörterung für alle vier Kinder das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge, das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen, das Recht zur Umgangsbestimmung und das Recht zur Mitwirkung an der Hilfeplanung in den ihr entzogenen Teilbereichen der elterlichen Sorge und übertrug die entzogenen Teilbereiche der elterlichen Sorge auf das Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main als Pfleger.

    Auf die nach – erfolgreicher – Beschleunigungsrüge hin anberaumte persönliche Anhörung der Mutter und mündliche Verhandlung am 17.2.2020 entzog das Amtsgericht der Mutter mit den angefochtenen Beschlüssen im Wege der einstweiligen Anordnung die vollständige elterliche Sorge und übertrug sie auf das Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main als Vormund. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, die Mutter habe nicht glaubhaft dargelegt, sich vom Gedankengut des „Islamischen Staates“ gelöst zu haben und bereit zu sein, sich in die hiesige Gesellschaftsordnung zu integrieren und ihre Kinder in einer dem Leitbild des Art. 4 Abs. 2 Satz 1 der hessischen Verfassung entsprechenden Art und Weise zu erziehen. Die elterliche Sorge sei ihr daher insgesamt zu entziehen und auf das beteiligte Jugendamt als Vormund zu übertragen. Die Großmutter mütterlicherseits scheide als Vormund aus, weil den vorliegenden Gesprächsprotokollen aus der Telefonüberwachung zu entnehmen sei, dass sie hinsichtlich der vier Kinder in diskriminierender Art und Weise agiere. Anders könne ihre abgehörte Äußerung vom 16.11.2019, sie wolle nur die beiden Mädchen haben, nicht aber „den Schwarzen“, nicht verstanden werden.

    Mit ihren am 9.4.2020 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerden gegen die ihr am 26.3.2020 zugestellten Beschlüsse wendet sich die Mutter gegen den Entzug der elterlichen Sorge für ihre Kinder. Da in der Justizvollzugsanstalt Z derzeit keine Plätze für eine Unterbringung von Kindern zur Verfügung stehen, möchte sie die Kinder bis zu ihrer Haftentlassung bei ihrer in Z lebenden, am 0.0.0000 geborenen Mutter unterbringen, die hierzu nach Angaben der Beschwerdeführerin bereit sei und mit den Kindern bis zur Einreise nach Deutschland täglich per Videotelefonie kommuniziert habe. Weshalb hiermit eine Gefährdung des Kindeswohls verbunden sei, die eine Trennung der Kinder von ihrer elterlichen Herkunftsfamilie rechtfertige, lasse sich den angefochtenen Beschlüssen nicht entnehmen.

    Die Verfahrensbeiständin, das Jugendamt und die Amtsvormündin sind der Beschwerde entgegengetreten.

    Die Verfahrensbeiständin und die Amtsvormündin äußern Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der unter gesetzlicher Betreuung stehenden Großmutter und regen die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage ihrer Erziehungsfähigkeit an. Sie verweisen auf eine mögliche Überforderung der Großmutter im Hinblick auf die hochkomplexen Bedarfe der Kinder als Folge der anzunehmenden traumatischen Erfahrungen der Kinder in Syrien.

    Das Jugendamt sieht das Wohl der Kinder durch eine Unterbringung bei der Großmutter mütterlicherseits aus sozialpädagogischer Sicht als gefährdet und vertritt die Auffassung, die Gefährdung lasse sich auch nicht durch familienunterstützende Leistungen im Haushalt der Großmutter abwenden. Beide Mädchen hätten nach ihrer Ankunft in Deutschland schlecht geschlafen, seien nachts aufgestanden und hätten geschrien. Beim Überflug eines Düsenjets über das Haus der Bereitschaftspflegefamilien hätten sie extrem verschreckt reagiert und würden auch sonst versuchen, sich vor vorbeifliegenden Flugzeugen zu verstecken. Bs Zahnstatus sei in einem sehr schlechten Zustand gewesen und mittlerweile erfolgreich behandelt worden. Beide Mädchen seien im Sozialpädiatrischen Zentrum im Klinikum XY vorgestellt worden. A benötige auf Grund ihrer motorischen Defizite eine Ergotherapie. D weise an seiner linken Oberkörperseite eine verheilte Verbrennung auf, von der die gesamte Flanke und ein Stück des Oberarms betroffen seien. Er könne nachts häufig nur durch Herumtragen zum Schlafen gebracht werden. Es sei deutlich, dass die vier Kinder durch das Aufwachsen im Kriegsgebiet physische und psychische Narben davongetragen hätten, die Auswirkungen auf ihr Verhalten hätten und einen hohen Bedarf an Erziehungskompetenzen und an Aufmerksamkeit durch eine stabile Bezugsperson im Alltag begründeten. Dies setze bei insgesamt vier Kindern eine hohe psychische und physische Belastbarkeit der Bezugsperson voraus. Diese Voraussetzungen seien bei der Großmutter mütterlicherseits nicht gewährleistet. Diese sei nicht einmal in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen. Sie bewohne ein Zimmer in der Wohnung ihres Sohnes, erhalte intensive Hilfe durch zwei verschiedene Hilfeträger und ihr sei eine gesetzliche Betreuung in wichtigen Lebensaufgaben gestellt worden, weil sie selbst nicht in der Lage sei, diese zu bewältigen. Sie befinde sich auf Grund einer relevanten psychischen und psychiatrischen Störung in ambulanter psychiatrischer Behandlung und beschreibe die momentane Situation ihrer Tochter als große Belastung. Gegenüber den beiden Zwillingen habe sie sich herablassend geäußert. Ihre Tochter, die Mutter der hier betroffenen Kinder, habe sie im Jugendalter zwangsverheiratet. Später sei sie vor der Ausreise der Tochter nach Syrien von dieser geschlagen worden. Es sei fraglich, wie die Großmutter die Vorstellung zur Ergotherapie und zu den zu erwartenden psychologischen Therapien der Kinder sicherstellen solle, wenn sie selbst einen Betreuer im Bereich der Gesundheit gestellt bekommen habe.

    Auf den Inhalt des im Wege der Amtshilfe eingeholten Berichts des Jugendamts des Landkreises Z vom 13.2.2020 samt Anlagen wird Bezug genommen, ebenso auf die mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Berichte vom 24.1.2020 und vom 28.4.2020 über den Verlauf der Bereitschaftspflege.

    Der Senat hat mit Beschluss vom 30.4.2020 die für die beiden Töchter und die beiden Söhne getrennt geführten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Großmutter mütterlicherseits ist vom Senat am 13.5.2020 angehört worden und als Beteiligte zum Verfahren hinzugezogen worden.

    Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Auf die Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts vom 17.2.2020 wird ebenfalls Bezug genommen, außerdem auf die in der Akte befindlichen Auszüge aus der Ermittlungsakte der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Celle mit dem Aktenzeichen. Von der Möglichkeit einer Einsichtnahme in die elektronische Ermittlungsakte hat der Senat keinen Gebrauch gemacht.

    II.

    Die zulässigen Beschwerden sind in der Sache unbegründet und daher zurückzuweisen.

    Voraussetzung für die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge ist nach § 1666 Abs. 1 BGB, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet sind und dass die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nach § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Die gesamte Personensorge darf nach § 1666a Abs. 2 BGB nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

    Nach § 49 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Ein dringendes Regelungsbedürfnis besteht dann, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen zu wahren (vgl. Keidel/Giers, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 49, Rdnr. 13 unter Verweis auf OLG Brandenburg, FamRZ 2010, 1743; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 30.9.2010 – 6 UF 86/10, BeckRS 2010, 26127). Bei einem Entzug der elterlichen Sorge im Eilverfahren sind allerdings hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Sie sind umso höher, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt und in je größerer zeitlicher Ferne der zu erwartende Schadenseintritt liegt (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 907; Münchener Kommentar zum FamFG/Soyka, 3. Aufl. 2018, § 49, Rdnr. 6a). Ein Entzug der elterlichen Sorge im Eilverfahren setzt eine hinreichend wahrscheinliche, konkrete und gegenwärtige Gefährdungslage voraus, in welcher der Schadenseintritt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, wobei der heranzuziehende Prognosemaßstab großzügiger zu bemessen ist, je gravierender der zu befürchtende Schaden ist (vgl. BGH, FamRZ 2017, 212; FamRZ 2019, 598).

    Auch im Falle einer anzunehmenden Gefährdung des Kindeswohls unterliegen sämtliche Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. sie müssen nicht nur geeignet und erforderlich zur Erreichung des verfolgten Zwecks sein, sondern der mit ihnen verbundene Grundrechtseingriff muss auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem andernfalls zu erwartenden Schadenseintritt stehen (vgl. BVerfG, FamRZ 2012, 1127; FamRZ 2014, 907; FamRZ 2014, 1270; FamRZ 2014, 1772; FamRZ 2015, 208; FamRZ 2016, 1752). Die Erforderlichkeit beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Es ist daher zunächst nach Möglichkeiten zu suchen, die Kindeswohlgefährdung durch helfende, unterstützende und auf die Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen abzuwenden (vgl. BVerfG, FamRZ 2017, 524; FamRZ 2010, 713; BVerfGE 24, 119; 60, 79; BGH, FamRZ 2016, 1752). Ein gegenüber dem Entzug der elterlichen Sorge milderes Mittel kann dabei auch eine von den sorgeberechtigten Eltern für den Fall einer Trennung des Kindes von den Eltern gewünschte Unterbringung bei Verwandten sein, wenn diese zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet ist (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 907).

    Im vorliegenden Fall ist es für die vom Familiengericht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu treffende Entscheidung unerheblich, ob die Mutter auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland noch islamistischem Gedankengut anhängt und nicht bereit ist, ihre Kinder in einer den Vorgaben der deutschen Rechtsordnung genügenden Art und Weise zu erziehen. Ebenso ist unerheblich, welche konkreten Gefahren den Kindern für ihre weitere körperliche, geistige oder seelische aus einer solchen Gesinnung der Mutter drohen würden. Die Mutter steht derzeit in Folge ihrer Inhaftierung nämlich ohnehin nicht für die Erziehung, Betreuung und Versorgung der Kinder zur Verfügung. Die Trennung der Kinder von ihrer Mutter ist zwangsläufige Folge der Inhaftierung, ohne dass es hierfür irgendwelcher familiengerichtlicher Maßnahmen bedürfte.

    Für die Frage der Notwendigkeit der Ergreifung vorläufiger gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge der Mutter kommt es daher entscheidungserheblich darauf an, ob mit der von der Mutter für die Dauer ihrer Inhaftierung gewünschten Unterbringung der Kinder bei deren Großmutter mütterlicherseits eine Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre, die auch durch öffentliche Hilfen nicht abgewendet werden kann und die so erheblich ist, dass sie eine sofortige Fremdunterbringung der Kinder erfordert.

    Dabei kann auf Grund des Ergebnisses der Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren nicht von einer grundsätzlich fehlenden Erziehungseignung der Großmutter ausgegangen werden. Sie steht zwar unter gesetzlicher Betreuung, ist nach den Feststellungen des Jugendamts Z mit Unterstützung ihrer Betreuerin und der Migrationsberatung des Caritas Sozialwerks jedoch zur Besorgung ihrer Angelegenheiten in der Lage. Ursache für die Einrichtung der Betreuung war eine nach dem Unfalltod ihres Ehemanns im Jahr 0000 aufgetretene depressive Erkrankung. Der psychische Befund ist ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme der behandelnden Psychiaterin vom 31.1.2020 in den letzten Jahren trotz der Belastung durch die Probleme mit der Beschwerdeführerin stabil. Die Großmutter ist aus psychiatrischer Sicht in der Lage, ihre Enkelkinder aufzunehmen und zu betreuen, solange die Beschwerdeführerin hierzu nicht fähig ist. Die Großmutter hat selbst vier Kinder großgezogen, von denen zumindest ein Sohn und eine Tochter – wie übrigens auch weitere Verwandte – in unmittelbarer Nähe wohnen und zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Zu Eingriffen in die elterliche Sorge ist es auch nach dem Unfalltod ihres Ehemanns und der sich daran anschließenden psychischen Erkrankung nicht gekommen, obwohl sich die jüngste Tochter damals noch im Grundschulalter befand. Dass die mittlerweile volljährige Tochter beim Auszug aus der mütterlichen Wohnung Unterstützung des Jugendamts erhalten hat, lässt nach Auffassung des Senats keine Rückschlüsse auf eine fehlende Fähigkeit der Großmutter zur Erziehung, Betreuung und Versorgung der hier betroffenen Kinder im Kleinkindalter zu. Grundsätzliche Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Großmutter ergeben sich auch nicht aus ihrem Alter; sie ist erst 00 Jahre alt und hat in ihrer persönlichen Anhörung nicht den Eindruck erweckt, in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Großmutter, die trotz der großen Entfernung in der Lage war, sowohl zur Anhörung vor dem Amtsgericht als auch zur Anhörung vor dem Senat zu erscheinen, nicht in der Lage sein sollte, die Wahrnehmung anstehender Behandlungstermine der Kinder zu gewährleisten. Soweit das Jugendamt ohne Darlegung der Herkunft entsprechender Erkenntnisse vorträgt, die Großmutter sei von der damals über 20 Jahre alten Beschwerdeführerin vor deren Ausreise nach Syrien geschlagen worden, erschließt sich dem Senat nicht, welche grundsätzliche Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Großmutter daraus folgen soll.

    Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine islamistische Gesinnung der Großmutter vor, weshalb es auch keiner weiteren Erörterung bedarf, ob und inwieweit hieraus eine Gefährdung des Wohls der betroffenen Kinder resultieren könnte. Sowohl aus den Aussagen der Großmutter im Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführerin, die maßgeblich zur Verhaftung der Beschwerdeführerin beigetragen haben, als auch aus den vorliegenden Protokollen der im Ermittlungsverfahren durchgeführten Telefonüberwachung ergibt sich, dass die Großmutter die islamistische Gesinnung ihrer Tochter nicht teilt und auch in der Vergangenheit nicht geteilt hat und dass weder die Beschwerdeführerin noch die anderen Kinder islamistisch erzogen worden sind. Irgendwelche belastbaren Anhaltspunkte für eine Mitwirkung der Großmutter bei der Organisation der arrangierten ersten Ehe der Beschwerdeführerin und für eine sich daraus ergebende Gefährdung der hier betroffenen Kleinkinder sind ebenfalls nicht ersichtlich.

    Soweit die Großmutter in einem abgehörten Telefonat mit der Beschwerdeführerin am 16.11.2019 geäußert hat, sie wolle nur die beiden Mädchen haben, nicht aber „den Schwarzen“, rechtfertigt diese Äußerung nicht die Annahme einer mit der Aufnahme aller Kinder in ihren Haushalt verbundenen Gefährdung des Kindeswohls. Unabhängig davon, ob die im privaten Telefongespräch gefallene Aussage überhaupt geeignet ist, der Großmutter eine rassistisch motivierte Abneigung gegenüber ihren beiden jüngsten Enkeln zu unterstellen, bestehen nach der persönlichen Anhörung der Großmutter keine vernünftigen Zweifel daran, dass sie willens ist, alle vier Kinder der Beschwerdeführerin bei sich aufzunehmen und ihnen für die Dauer der Abwesenheit der Mutter wie eine Mutter zur Verfügung zu stehen. Es bedarf daher auch keiner weiteren Erörterung, welche konkreten Gefahren den beiden jüngsten Kindern aus etwaigen Vorbehalten der Großmutter gegenüber ihrer Herkunft überhaupt drohen.

    Dass die Unterbringung der Kinder bei der Großmutter den Verbleib der Kinder in der elterlichen Herkunftsfamilie und damit langfristig die spätere Erziehung, Betreuung und Versorgung der Kinder durch ihre Mutter sicherstellen soll, rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme einer damit verbundenen Gefährdung des Kindeswohls. Unabhängig von der Frage, welche konkreten Gefahren für das Wohl der betroffenen Kinder aus der islamistischen Gesinnung ihrer Mutter herrühren, ist nämlich derzeit überhaupt nicht absehbar, ob die Mutter im Zeitpunkt ihrer Haftentlassung noch einer solchen Gesinnung anhängen wird. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass das Erleben von Krieg, Flucht und Inhaftierung auch bei der Beschwerdeführerin einen Läuterungsprozess auslöst. Dass sie ihre Kinder bei deren Großmutter, die eine islamistische Erziehung erkennbar ablehnt, unterbringen will und dass sie ausweislich der Abhörprotokolle der Telefonüberwachung bereits vor ihrer Abschiebung nach Deutschland versucht hat, die Kinder bei der Großmutter unterzubringen, spricht dafür, dass ein solcher Läuterungsprozess längst eingesetzt hat. Die Unterbringung der Kinder bei ihrer Großmutter erscheint grundsätzlich sogar besser geeignet, eine spätere Wiederherstellung der elterlichen Familie, die stets vorrangiges Ziel der zum Schutz der Kinder zu ergreifenden Maßnahmen sein muss (vgl. EGMR, FamRZ 2002, 1393; BVerfG, FamRZ 2014, 1266; OLG Hamm, FamRZ 2009, 1753), vorzubereiten als die derzeitige Unterbringung bei Pflegefamilien ohne Kontakt zu Mutter und Großmutter und ohne Pflege der Muttersprache der Kinder.

    Dennoch geht der Senat davon aus, dass eine Unterbringung der Kinder bei der Großmutter zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit einer erheblichen Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre, die eine vorübergehende Aufrechterhaltung des angefochtenen vorläufigen Entzugs der elterlichen Sorge rechtfertigt.

    Es ist davon auszugehen, dass alle Kinder nicht nur auf Grund ihres geringen Alters, sondern auch auf Grund des Erlebens von Krieg und Flucht einen erhöhten Bedarf an Zuwendung und Aufmerksamkeit haben, wobei bis auf die bei der ältesten Tochter festgestellten motorischen Defizite bislang - abgesehen von dem Verstecken vor vorbeifliegenden Flugzeugen und einer Verbrennung unklarer Herkunft bei D - keine konkreten Feststellungen zu etwaigen Auffälligkeiten der Kinder und zu einem sich daraus ergebenden besonderen Bedarf getroffen worden sind. Auch vor dem Hintergrund etwaiger traumatischer Erlebnisse der Kinder in Syrien bewertet das Jugendamt des Landkreises Z eine Betreuung der Kinder durch ihre Großmutter nachvollziehbar als „äußerst große Herausforderung mit gegebenenfalls schwerwiegenden Folgen“. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass alle vier Kinder, von denen sich insbesondere die beiden jüngsten in einem für die weitere Bindungsentwicklung äußerst sensiblen Alter befinden, ihre Großmutter bislang nur aus Videotelefonaten kennen und sich nun schon seit über fünf Monaten ohne Kontakt zu Mutter und Großmutter in Bereitschaftspflegefamilien aufhalten.

    Ein Wechsel der Kinder in den Haushalt der Großmutter bedarf daher zwecks Vermeidung einer damit einhergehenden Überforderung der Kinder und der Großmutter und daraus drohender schweren Schäden für die seelische Entwicklung der Kinder sowohl einer Vorbereitung der Kinder im Sinne einer umsichtigen Anbahnung des Umzugs zur Großmutter als auch einer Vorbereitung der zur Unterstützung der Großmutter erforderlichen Hilfen.

    Diese Voraussetzungen für einen Wechsel der Kinder in den Haushalt der Großmutter sind derzeit noch nicht gewährleistet. Die Großmutter hat in ihrer persönlichen Anhörung die Vorstellung geäußert, die Kinder erst einmal zu sich zu nehmen, um dann die benötigten Hilfen, die – worauf sie zutreffend hingewiesen hat – größtenteils an den Aufenthalt der Kinder bei ihr anknüpfen, organisieren zu können. Es blieb unklar, wie die Kinder auf den Wechsel in den Haushalt der Großmutter vorbereitet werden, ob in der Wohnung der Großmutter eine Kinderausstattung vorhanden ist, wann der dort noch lebende Bruder der Beschwerdeführerin auszieht, welche Betreuungseinrichtungen die Kinder besuchen können, welche konkrete Unterstützung bei der Betreuung und Versorgung der Kinder – insbesondere während der derzeitigen Schließung der Betreuungseinrichtungen in Folge der Corona-Pandemie – durch welche Familienangehörigen geleistet werden kann, wo die Ergotherapie für A stattfinden soll und welche Unterstützung die Kinder bei der Verarbeitung des erneuten Wechsels ihrer Hauptbezugsperson und bei der Verarbeitung etwaiger Traumata erhalten.

    Vor einer Aufhebung des vorläufigen Entzugs der elterlichen Sorge wird die Großmutter daher mit Unterstützung ihrer Familie, des für ihren Wohnort zuständigen Jugendamts des Landkreises Z, der derzeit für die Hilfegewährung zuständigen Jugendämter des Landkreises YZ und des XZ-Kreises und der derzeitigen Amtsvormündin ein tragfähiges Konzept erarbeiten müssen, aus welchem sich ergibt, wie die Kinder auf den Wechsel in den Haushalt der Großmutter vorbereitet werden, wie dort die Unterbringung und Betreuung der Kinder sichergestellt ist, welche Unterstützung die Großmutter bei der Bewältigung der Erziehung und Versorgung der Kinder erhält und welche Unterstützung die Kinder bei der Verarbeitung des neuerlichen Wechsels ihrer Hauptbezugsperson und etwaiger kriegs- und fluchtbedingter Traumata erhalten.

    Liegt bis zu dem im Hauptsacheverfahren anberaumten Anhörungstermin am 18.6.2020 ein tragfähiges Konzept vor, welches die vorgenannten Punkte erfüllt, bestehen seitens des Senats keine Bedenken gegen die Anbahnung eines Wechsels der Kinder in den Haushalt ihrer Großmutter. Sollte das Amtsgericht dennoch weitere Ermittlungen für erforderlich halten, wird vom Amtsgericht nach § 54 Abs. 1 Satz 1 FamFG – gegebenenfalls auf Anregung der Beschwerdeführerin – durch einen beschwerdefähigen Beschluss über eine Abänderung oder Aufhebung der ergangenen einstweiligen Anordnung zu entscheiden sein.

    Der Bestellung eines Vormunds bedarf es im Falle einer Unterbringung der Kinder bei der Großmutter nach Auffassung des Senats nicht, weil die Großmutter dann nach § 1688 Abs. 1 BGB die Alltagssorge für die Kinder ausübt und weil die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten es ohne Weiteres ermöglichen, dass die Mutter die hiervon nicht erfassten Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung aus der Haft heraus regelt.

    Von einer erneuten Anhörung der bereits vom Amtsgericht angehörten Beschwerdeführerin sieht der Senat nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ab, weil von ihr wegen der fortdauernden Inhaftierung der Mutter ebenso wenig neue Erkenntnisse zu erwarten sind wie von einer Anhörung der ein bis vier Jahre alten Kinder.

    Ob der Vater der beiden älteren Töchter tatsächlich gestorben ist und ob der Vater der beiden Zwillinge möglicherweise mitsorgeberechtigt ist, bedarf im vorliegenden Eilverfahren keiner weiteren Prüfung, weil beide Väter für das Gericht nicht greifbar sind und davon ausgegangen werden muss, dass eine etwaige Mitsorge jedenfalls ruht bzw. beide Väter für eine Ausübung der entzogenen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung stehen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG. Sie entspricht im Hinblick auf das Unterliegen der Beschwerdeführerin mit ihrem Rechtsmittel billigem Ermessen.

    Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 41 FamGKG auf 1.500,- Euro.

    Reitzmann Dr. Kischkel Schmidt