OLG Frankfurt vom 15.02.2022 (4 UF 8/22)

Stichworte: Beschwerdeeinlegung, freiwillige Gerichtsbarkeit; elektronisches Dokument; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenkette: FamFG 14b Abs.1, 14 Abs. 2; FamFG 18; FamFG 64 Abs. 2 Satz 1; FamFG 63; FamFG 70 Abs. 4; ZPO 130a
Orientierungssatz:
  • Beschwerden des in § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG genannten Personenkreises müssen in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit seit dem 1.1.2022 entweder zur Niederschrift der Geschäftsstelle oder schriftlich durch Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument eingelegt werden. Eine Beschwerdeeinlegung durch Übersendung der Beschwerdeschrift per Telefax, Computerfax oder per Post genügt dem Formerfordernis nicht.
  • 616 F 1086/21
    AG Wetzlar

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge für

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des beteiligten Jugendamts vom 30.12.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wetzlar vom 20.12.2021 am 15. Februar 2022 beschlossen:

    Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerde führenden Jugendamts als unzulässig verworfen.

    Den Kindeseltern wird für den zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von … bewilligt.

    Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 2.000,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Nachdem das beteiligte Jugendamt das Familiengericht in einem dort anhängigen Kinderschutzverfahren über die am 27.10.2021 gegen den Willen ihrer Eltern erfolgte Inobhutnahme der drei betroffenen Kinder unterrichtet hatte, leitete das Familiengericht am 5.11.2021 das vorliegende einstweilige Anordnungsverfahren ein. Nach persönlicher Anhörung der betroffenen Kinder und der Eltern und Erörterung erteilte das Familiengericht den Kindeseltern mit dem angefochtenen Beschluss im Wege der einstweiligen Anordnung mehrere Auflagen, lehnte die Ergreifung darüber hinausgehender Maßnahmen, insbesondere einen vorläufigen Entzug der elterlichen Sorge, jedoch ab. In der Rechtsbehelfsbelehrung wies es auf die zweiwöchige Beschwerdefrist und die Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle hin.

    Dem beteiligten Jugendamt wurde der Beschluss am 23.12.2021 zugestellt, woraufhin die Inobhutnahme beendet und die drei Kinder in den Haushalt ihrer Eltern zurückgeführt wurden.

    Mit seiner auf den 30.12.2021 datierten Beschwerde begehrt das Jugendamt die Ergreifung von Maßnahmen, die zum Schutz der Kinder mit einer vorläufigen Trennung der Kinder von ihren Eltern verbunden sind.

    Nachdem ein Versuch, die Beschwerdeschrift am 30.12.2021 per Telefax an das Familiengericht zu übermitteln, gescheitert war, gab das Jugendamt die Beschwerdeschrift zur Post. Sie ging am 5.1.2022 in Papierform beim Amtsgericht ein. Das Jugendamt hat außerdem einen Faxsendebericht vorgelegt, wonach die Beschwerdeschrift am 3.1.2022 per Computerfax an das Amtsgericht gesendet worden ist.

    Die Kindeseltern sind der Beschwerde in der Sache entgegengetreten.

    Der Verfahrensbeistand ist der Beschwerde ebenfalls in der Sache entgegengetreten, hält diese im Hinblick auf den zum 1.1.2022 in Kraft getretenen § 14b FamFG jedoch auch für unzulässig.

    Die Beteiligten sind auf die beabsichtigte Verwerfung der Beschwerde als unzulässig hingewiesen worden.

    II.

    Die Beschwerde ist gemäß § 68 Abs. 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen, weil sie innerhalb der nach §§ 63 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 1, 16 Abs. 2 FamFG, 222 Abs. 1 und 2 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 6.1.2022 endenden zweiwöchigen Beschwerdefrist nicht in der durch § 64 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, 14b Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 2 FamFG, 130a ZPO vorgeschriebenen Form eingelegt worden ist.

    Nach § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG sind schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen von Behörden seit dem 1.1.2022 als elektronisches Dokument im Sinne der §§ 14 Abs. 2 FamFG, 130a ZPO einzureichen.

    Die Einreichung eines entsprechenden elektronischen Dokuments ist hier unzweifelhaft nicht erfolgt; insbesondere ist ein vom Faxgerät des Gerichts ausgedrucktes Computerfax weder ein elektronisches Dokument noch genügt es den hieran nach §§ 14 Abs. 2, 130a Abs. 2 bis 4 ZPO zu stellenden Anforderungen (vgl. BeckOK-ZPO/von Selle, Stand: 1.1.2022, § 130a, Rdnr. 8).

    Das Jugendamt war auch nicht deswegen von der Einreichung eines elektronischen Dokuments befreit, weil § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG auch eine Beschwerdeeinlegung zur Niederschrift zur Geschäftsstelle zulässt. Bedient sich das Jugendamt nicht dieser Form der Beschwerdeeinlegung, sondern der in § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG alternativ vorgesehenen Beschwerdeeinlegung „durch Einreichung einer Beschwerdeschrift“, muss es nach Auffassung des Senats seit dem 1.1.2022 ein den Anforderungen des § 130a ZPO genügendes elektronisches Dokument übermitteln.

    Zwar ist der zum 1.1.2022 in Kraft getretene § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG durch Gesetz vom 5.10.2021 (BGBl. I S. 4607) gegenüber seiner ursprünglichen, durch Gesetz vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786) vorgesehenen Fassung dahingehend abgeändert worden, dass er die Einreichung eines elektronischen Dokuments nicht mehr für sämtliche Anträge und Erklärungen, sondern nur noch für schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen von Rechtsanwälten, Notaren, Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts vorsieht. Damit sollte ausweislich der Begründung des unverändert übernommenen Gesetzentwurfs der Bundesregierung dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das FamFG im Unterschied zur ZPO kein allgemeines Schriftformerfordernis für Anträge und Erklärungen kennt, weshalb die Pflicht zur elektronischen Übermittlung ausdrücklich auf schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen beschränkt wurde (vgl. BT-Drs. 19/28399, S. 39f.).

    Als Beispiel für eine ein Schriftformerfordernis begründende Vorschrift nennt jedoch auch die Begründung des Regierungsentwurfs den für die Beschwerdeeinlegung maßgeblichen § 64 Abs. 2 FamFG: Soweit dieser in § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG für Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Wahl zwischen einer Beschwerdeeinlegung zur Niederschrift der Geschäftsstelle und einer Beschwerdeeinlegung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift lässt, folgt daraus vor diesem Hintergrund keine allgemeine Befreiung des in § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG genannten Personenkreises von der Pflicht zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments. Vielmehr ist die Bestimmung nach Auffassung des Senats dahingehend auszulegen, dass sie dem genannten Personenkreis zur Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument verpflichtet, wenn die Beschwerde nicht zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt wird (so wohl auch Fritzsche, Die Pflicht zum elektronischen Rechtsverkehr – Chancen und Risiken, NZFam 2022, 1).

    Eine Befreiung des Beschwerde führenden Jugendamts von der Pflicht zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beschwerdeeinlegung bis zum Ablauf des 31.12.2021 noch durch die Einreichung einer der Schriftform des § 126 BGB genügenden Beschwerdeschrift, also durch Übersendung eines vom Aussteller eigenhändig unterzeichneten Schriftstücks per Post oder per Telefax, hätte eingelegt werden können. Eine entsprechende Beschwerdeeinlegung ist hier nämlich vor Ablauf des 31.12.2021 nicht erfolgt, sondern erst nach Inkrafttreten des § 14b FamFG zum 1.1.2022.

    Dass das Jugendamt am 30.12.2021 erfolglos versuchte, dem Amtsgericht die Beschwerdeschrift per Telefax zu übermitteln, gibt auch keinen Anlass zu einer Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist nach § 18 Abs. 3 Satz 3 FamFG. Zum einen ist die Beschwerdeeinlegung entgegen § 18 Abs. 2 Satz 2 FamFG bis heute nicht in der durch §§ 64 Abs. 2 Satz 1, 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG vorgeschriebenen Form nachgeholt worden. Zum anderen war das Jugendamt offenkundig nicht schuldlos an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert, hatte es doch nach dem gescheiterten Versuch einer Übermittlung der Beschwerdeschrift per Telefax am 30.12.2021 noch bis zum Ablauf des 6.1.2022 Zeit, die Beschwerde in der vorgeschriebenen Form einzulegen.

    Die Entscheidung ist gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unanfechtbar.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG, wonach dem unterlegenen Rechtsmittelführer die durch sein Rechtsmittel verursachten Kosten auferlegt werden sollen. Umstände, welche ein ausnahmsweises Abweichen von der vorgesehenen Regelkostenfolge rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.

    Die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfeanträge der Kindeseltern beruht auf §§ 76 Abs. 1 FamFG, 115, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

    Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1, 41 FamGKG.

    Reitzmann Dr. Kischkel Schmidt