OLG Frankfurt vom 08.09.2017 (4 UF 72/17)

Stichworte: Negativentscheidung, Abänderungsverfahren
Normenkette: FamFG 225, 226; VersAusglG 10; SGB VI 101 III
Orientierungssatz:
  • Hatte das Familiengericht nach dem bis zum 31.08.2009 geltenden Recht ein öffentlich-rechtliches Versorgungsausgleichsverfahren deshalb mit einer Negativentscheidung, dass derzeit kein Versorgungsausgleich stattfinde, beendet, weil der mutmaßlich ausgleichberechtigte Ehegatte an der Feststellung seiner Anrechte nicht mitwirkte, handelt es sich bei einem neuen Verfahren auf Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht um ein Erst-, sondern ein Abänderungsverfahren.
  • 22 F 540/16
    AG Alsfeld

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    Weitere Beteiligte:

    1. Deutsche Rentenversicherung Bund, …,

    Beschwerdeführerin

    2. Deutsche Rentenversicherung Hessen, …,

    hat das Oberlandesgericht, 4. Senat für Familiensachen, Frankfurt am Main am 8. September 2017 beschlossen:

    Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 27.02.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Alsfeld vom 15.02.2017 wird zurückgewiesen.

    Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; außergerichtliche Auslagen sind nicht zu erstatten.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Gründe:

    I.

    Die Antragstellerin und der Antragsgegner, beide deutsche Staatsangehörige, schlossen am 28.04.1973 in Apolda die Ehe miteinander. Auf Antrag der Antragstellerin vom 17.05.1991, dem Antragsgegner zugestellt am 16.09.1991, wurde die Ehe durch am 22.03.1994 verkündetes Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Alsfeld, Az. F 161/91, rechtskräftig seit 03.05.1994, unter Abtrennung der von Amts wegen eingeleiteten Folgesache Versorgungsausgleich geschieden.

    Da die Antragstellerin ehedem an der Klärung ihres Versicherungskontos bei der Beschwerdeführerin nicht mitwirkte, erließ das Familiengericht in der Folgesache Versorgungsausgleich einen auf den 18.12.1996 datierten Beschluss folgenden Inhalts:

    „… Von der Durchführung des Versorgungsausgleichs wird zur Zeit abgesehen. Die spätere Durchführung des Versorgungsausgleichs bleibt einem gesonderten Verfahren vorbehalten, was nur auf Antrag eines Beteiligten durchgeführt wird…“.

    Diese Entscheidung wurde allen damaligen Beteiligten Anfang 1997 zugestellt und blieb ohne Rechtsmittel.

    Der am 30.03.1952 geborene Antragsgegner bezieht seitens der DRV Hessen seit 01.12.2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die am 08.08.1949 geborene Antragstellerin bezieht seit dem 01.09.2009 eine Vollrente wegen Alters.

    Am 21.09.2016 beantragte die Antragstellerin die Durchführung des Versorgungsausgleichs beim Familiengericht. Dieses ermittelte ehezeitliche Anrechte der Ehegatten innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung in folgendem Umfang:

    - für die Antragstellerin bei der Beschwerdeführerin 9,0545 Entgeltpunkte Ehezeitanteil, 4,5273 Entgeltpunkte vorgeschlagener Ausgleichswert mit einem korrespondierenden Kapitalwert von € 17.993,44;

    - für den Antragsgegner bei der Deutschen Rentenversicherung Hessen 19,5317 Entgeltpunkte Ehezeitanteil, 9,7659 Entgeltpunkte vorgeschlagener Ausgleichswert mit einem korrespondierenden Kapitalwert von € 38.813,88.

    Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.02.2017 (Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle) hat das Familiengericht, das das Verfahren als Abänderungsverfahren zum Ausgangsverfahren F 161/91 auffasste, seinen Beschluss vom 18.12.1996 mit Wirkung ab 01.10.2016 dahingehend abgeändert, dass es – entsprechend der genannten Ermittlungen – die beiderseitigen Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung intern teilte.

    Nach Zustellung dieses Beschluss an sie am 17.02.2017 richtet sich hiergegen die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 27.02.2017, die am 07.03.2017 beim Familiengericht einging, insoweit, als diese den Wegfall des auf den 01.10.2016 wirkenden Abänderungsausspruches begehrt.

    Am 17.05.2017 – nach Beiziehung der Akte des Ausgangsverfahren F 161/91 – wies der Senatsberichterstatter auf die mutmaßliche Erfolglosigkeit der Beschwerde hin; die Beschwerdeführerin nahm hierzu am 08.08.2017 umfangreich Stellung, in dem sie ausführte, es läge mit dem Beschluss vom 18.12.1996 keine der Abänderung zugängliche Ausgangsentscheidung vor, so dass es sich um ein Erstverfahren handele. Die Antragstellerin unterstützt dieses Begehr.

    II.

    Die zulässige, §§ 58 ff. FamFG, Beschwerde der Beschwerdeführerin ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen.

    Allerdings ist der Beschwerdeführerin als Versorgungsträgerin nicht die nötige Beschwerdebefugnis, § 59 I FamFG, abzusprechen. Für diese genügt, dass eine unrichtige Anwendung des materiellen Rechts gerügt wird und – im Hinblick auf die künftigen Unklarheiten des jeweiligen Versichertenschicksals – eine wirtschaftliche Mehr- oder Minderbelastung nicht ausgeschlossen werden kann (vergl. BGH FamRZ 2013, 612-614, Rz.11). Vorliegend ergeben sich aus § 101 III S. 1 und 3 SGB VI unterschiedliche Zeitpunkte, zu dem die Beschwerdeführerin gehalten ist, eine Versorgungsausgleichsentscheidung umzusetzen. Während für Erstverfahren nach § 101 III 1 SGB VI die Umsetzung zu dem Zeitpunkt zu erfolgen hat, „…zu dessen Beginn der Versorgungsausgleich durchgeführt ist…“ (hierunter wird der Eintritt der Rechtskraft der Versorgungsausgleichsentscheidung verstanden, vergl. SG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 14. Oktober 2014 – S 1 R 360/11 –, juris: „…Gem. § 52 Abs. 1 S. 3 SGB VI ist ein Versorgungsausgleich durchgeführt, wenn die Entscheidung des Familiengerichts wirksam ist. Entscheidungen über den Versorgungsausgleich werden erst mit dem Eintritt ihrer Rechtskraft wirksam (§ 224 Abs. 1 FamFG). Die Rechtskraft tritt ein, wenn das Verfahren nach Ablauf der Rechtsmittelfrist abgeschlossen wurde (formelle Rechtskraft nach § 45 FamFG). Außerdem ist zu beachten, dass eine Entscheidung über den Versorgungsausgleich nicht vor der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs wirksam wird (§ 148 FamFG). Daraus ergibt sich, dass der Versorgungsausgleich erst dann durchgeführt ist, wenn die entsprechende Entscheidung rechtskräftig ist. Dieses Datum ist wiederum der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers bei der Anwendung des § 101 Abs. 3 S. 1 SGB VI zugrunde zu legen…“), gebietet § 101 III 3 SGB VI eine Umsetzung auf den Zeitpunkt des § 226 IV FamFG, also ab dem der Antragstellung folgenden Monat. Sofern also tatsächlich ein Erstverfahren im Sinne der Beschwerde vorläge, wirkte sich dies für die Beschwerdeführerin sogar feststehend vorteilhaft aus, weil sie erst bezogen auf einen zukünftigen Zeitpunkt gehalten wäre, entsprechend der in der Sache unstreitigen Höhe der Antragstellerin Zuschläge zur Rente zu gewähren; anderenfalls müsste sie dies rückwirkend ab dem 01.10.2016 tun, jedenfalls dann, wenn sich der Versorgungsträger des Antragsgegners nicht auf § 30 VersAusglG beruft, vergl. § 101 III 4 SGB VI (warum die Antragstellerin, die von der angefochtenen Entscheidung vorbehaltlich der Anwendung des § 30 I VersAusglG im Verhältnis zur Beschwerdeführerin wirtschaftlich begünstigt wäre bzw. gemäß der §§ 30 III VersAusglG, 816 II BGB im Verhältnis zum Antragsgegner wirtschaftlich begünstigt ist, die Beschwerde unterstützt, erschließt sich dem Senat daher nicht).

    Im Ergebnis hat das Familiengericht aber zu Recht ein Abänderungsverfahren nach den §§ 225, 226 FamFG angenommen. Denn im Ausgangspunkt traf das Familiengericht am 18.12.1996, Az. 161/91 des AG Alsfeld, bestandskräftig, vergl. § 53g FGG a.F., auch BGH FamRZ 1989, 264, eine Negativentscheidung dergestalt, dass der Versorgungsausgleich als Folgesache derzeit nicht stattfindet. Dies war nach altem Versorgungsausgleichsrecht eine anerkannte Methode, Verfahren abzuschließen, wenn Anrechte des bei der vorzunehmenden Saldierung der Anrechte mutmaßlich ausgleichsberechtigten Ehegatten nicht aufklärbar waren (vergl. Staudinger-Rehme, Stand 2004, § 1587b BGB a.F., Rz. 48: „…Bestehen die ungeklärten Anrechte auf Seiten des Berechtigten, kommt eine bezifferte Sachentscheidung regelmäßig nicht in Betracht (auch nicht in Form einer Teilentscheidung, es sei denn, es könnte ausnahmsweise ein höchstmöglicher, nur nach unten veränderlicher Betrag ermittelt werden, der dann zu bilanzieren wäre und ggf Raum für einen ergänzenden späteren Ausgleich ließe). In diesen Fällen kann eine Aussetzung (ggf verbunden mit einer Abtrennung) oder ein Ruhen des Verfahrens sinnvoll sein, sofern in absehbarer Zeit eine (ergänzende) Aufklärung und Sachentscheidung zu erwarten ist; diese Lösung eröffnet den Parteien die Möglichkeit einer Fortsetzung des Verfahrens unabhängig von den Voraussetzungen des § 10a VAHRG (in diesem Sinne etwa Friederici aaO; Kemnade FamRZ 2002, 1495, 1496; ferner ders FamRZ 1994, 904; 1986, 690, 691; ebenso wohl OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1122, 1123). In anderen Fällen, insbesondere bei im Zeitpunkt der Entscheidung fehlenden Aufklärungsmöglichkeiten, erscheint eine Aussetzung des Verfahrens jedoch nicht sinnvoll (ausf dazu OLG Oldenburg aaO); dann sollte eine feststellende Negativentscheidung (Formulierungsvorschlag: „Ein Versorgungsausgleich findet zur Zeit nicht statt.“) erfolgen (OLG Hamm FamRZ 2000, 673, 674; OLG Oldenburg aaO; ferner OLG Schleswig FamRZ 1990, 527; im Ergebnis ebenso, aber auf der Grundlage einer willkürlichen Fiktion OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1494, 1495 m abl Anm Kemnade). Sie beendet das Verfahren förmlich (wenn auch ohne abschließende Sachentscheidung) und kann deshalb nur gem § 10a VAHRG geändert werden; schützenswerte Interessen der Ehegatten werden dadurch nicht beeinträchtigt, zumal das Erfordernis einer 10%igen Wertveränderung (§ 10a Abs 2 HS 1 VAHRG) nicht zum Tragen kommt (näher dazu OLG Oldenburg aaO)…“).

    Dabei war es anerkannt, dass diese Negativentscheidung sodann einer späteren Abänderung nach § 10a VAHRG zugänglich war (vergl. BGH FamRZ 1996, 282, Rz. 7: „…Ferner unterliegen einer Abänderung auch sogenannte Negativentscheidungen, in denen fälschlich festgestellt wurde, daß in der Ehezeit keine ausgleichspflichtigen Versorgungen erworben worden seien und deshalb ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde, oder in denen ein Versorgungsausgleich nach Gegenüberstellung der beiderseits zu saldierenden Anrechte gemäß der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Regelung des § 3c VAHRG wegen Geringfügigkeit ausgeschlossen wurde (MünchKomm/Dörr BGB 3. Aufl. § 10a VAHRG Rdn. 6; Soergel/Minz BGB 12. Aufl. § 10a Rdn. 5; Hahne aaO S. 221; zu § 3c VAHRG vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 1988 - IVb ZB 186/87 - FamRZ 1989, 37, 39 a.E.; und vom 12. April 1989 - IVb ZB 178/88 - FamRZ 1989, 1058). Dagegen bleiben Fälle wie der vorliegende, in dem der Versorgungsausgleich ohne eine Ermittlung etwaiger auszugleichender Anrechte bereits dem Grunde nach ausgeschlossen wurde, außer Betracht…“, auch OLG Oldenburg FamRZ 2003, 1752ff. und OLG Schleswig, SchlHA 2011, 72-73).

    Insofern ist für den Senat folgerichtig, wie vom OLG Schleswig a.a.O. angedeutet, nach dem Rechtswechsel zum 01.09.2009 nunmehr eine Abänderung der Negativentscheidung nach den §§ 225, 226 FamFG zuzulassen; der Abänderungszeitpunkt wäre der Monatserste nach Antragseingang am 22.09.2016, § 226 IV FamFG, also hier der 01.10.2016. Eines Rückgriffs auf den – nur in den Gründe:n des familiengerichtlichen Beschlusses genannten - § 51 VersAusglG bedarf es daher nicht, seine Nennung ist aber auch unschädlich.

    Die Wesentlichkeitsgrenze des § 225 II, III FamFG ist dadurch gewahrt, dass in Bezug auf beide Anrechte der Ehegatten ehedem eine endgültige Ermittlung und Feststellung derselben unterblieb, so dass die nunmehr mitgeteilten und der Entscheidung zugrunde zu legenden Ausgleichswerte von 4,5273 Entgeltpunkten mit einem korrespondierenden Kapitalwert von € 17.993,44 bzw. 9,7659 Entgeltpunkten mit einem korrespondierenden Kapitalwert von € 38.813,88 hinreichend sind.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG und berücksichtigt, dass die unterlegene Beschwerdeführerin, vergl. § 84 FamFG, ohnehin nach § 2 FamGKG persönliche Gerichtskostenfreiheit genießt. Für die Anordnung einer Auslagenerstattung sieht der Senat keinen Raum.

    Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 II 1 Nr. 1 FamFG, weil die Frage, ob nach Erlass einer Negativentscheidung später der Versorgungsausgleich als Erst- oder Abänderungsverfahren zu behandeln ist, grundsätzliche Bedeutung besitzt.

    Rechtsbehelfsbelehrung:

    Diehl Dr. Kischkel Dr. Fritzsche