OLG Frankfurt vom 13.05.2015 (4 UF 385/14)

Stichworte: Umgangsbestimmungspflegschaft, Kindeswohlgefährdung;
Normenkette: BGB 1666, 1684, 1909
Orientierungssatz: Zu den Voraussetzungen eines (ausnahmsweisen) Entzugs des Umgangsbestimmungsrechts beider Eltern und der Einrichtung einer Umgangsbestimmungspflegschaft in einem Fall, in dem die Eltern über den Umgang des betroffenen Kindes mit dem nicht betreuenden Elternteil streiten.

63 F 466/13
AG Gelnhausen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Mutter vom 15.12.2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen vom 2.12.2014 am 13. Mai 2015 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert. Der Entzug des Rechts zur Antragstellung nach dem SGB VIII wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen, d.h. es bleibt beim Entzug des Umgangsbestimmungsrechts und der diesbezüglich angeordneten Pflegschaft.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Ihre durch die Beschwerde verursachten Aufwendungen tragen die Beteiligten selbst. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Dem Vater wird für den zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin W. bewilligt.

Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 3.000,- Euro.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls.

Die beteiligten Kindeseltern - der Vater ist deutscher Staatsangehöriger, die Mutter sambische Staatsangehörige - sind miteinander verheiratet und üben die elterliche Sorge für beide Kinder gemeinsam aus. Eltern und Kinder lebten bis zum 7.3.2013 in einem gemeinsamen Haushalt im Haus der Großeltern väterlicherseits in G. Am 7.3.2013 begab sich die Mutter mit beiden Kindern ohne Vorwarnung in ein Frauenhaus, nachdem sie bei B. ein paar Tage zuvor eine Verletzung im Analbereich bemerkt hatte und einen sexuellen Missbrauch des Kindes durch den Vater vermutete. Sie unterrichtete den Vater zunächst nicht über ihren Aufenthaltsort bzw. den der Kinder. Am 14.3.2013 stellte sie B. im Klinikum F.vor, das Fotografien der Verletzung fertigte und B. zur weiteren Abklärung an die Kinderschutzambulanz des Klinikums K. überwies. Dort wurde bei der Untersuchung am 20.3.2013 eine 1,5 cm oberhalb der Analöffnung gelegene 1,5 - 2 cm lange narbenartige Struktur vorgefunden, deren traumatisch sexuelle Zufügung zwar als ungewöhnlich bezeichnet wurde, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden konnte. Wegen der Einzelheiten des Untersuchungsbefunds wird auf den Arztbericht vom 25.3.2013, Bl. 112 der Akte, Bezug genommen.

Nachdem die Mutter in den vom Vater beim Amtsgericht angestrengten einstweiligen Anordnungsverfahren zur Regelung des Umgangs und der elterlichen Sorge ebenfalls den Verdacht eines sexuellen Missbrauchs B.s durch den Vater geäußert hatte, leitete das Amtsgericht im Anschluss an eine Anhörung der Beteiligten und des Kindes L. am 25.4.2013, wegen deren Ergebnis auf die Sitzungsniederschrift, Bl. 1 ff. der Akte, Bezug genommen wird, vorliegendes Hauptsacheverfahren zur Prüfung der Erforderlichkeit der Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge ein. In den einstweiligen Anordnungsverfahren vereinbarten die Eltern begleitete Umgänge des Vaters mit beiden Kindern im vierzehntägigen Rhythmus und beantragten die für eine Begleitung der Umgänge erforderliche Hilfe zur Erziehung. In einem weiteren einstweiligen Anordnungsverfahren vereinbarten die Eltern, dass beide Kinder ihren Lebensmittelpunkt bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren bei der mittlerweile nach F. verzogenen Mutter haben und dass diese den Vater zeitnah über alle wesentlichen die Kinder betreffenden Angelegenheiten unterrichtet.

Seit Juli 2013 finden begleitete Umgangskontakte zwischen B. und seinem Vater statt, zunächst in zweiwöchigem Abstand. L. verweigert jeglichen Kontakt zum Vater standhaft, weshalb dieser nach mehreren gescheiterten Versuchen davon abgesehen hat, L. weiter mit in den begleiteten Umgang einzubeziehen. Die Kontakte zwischen B. und seinem Vater finden seit geraumer Zeit in wöchentlichem Abstand für jeweils drei Stunden statt, wobei inzwischen nur noch die Übergabe des Kindes an den Vater und zurück an die Mutter vom Träger F. begleitet wird. Da die Finanzierung der Umgangsbegleitung im Rahmen der Hilfe zur Erziehung ausläuft, weil seitens des hierfür zuständigen Jugendamts keine Notwendigkeit für eine Begleitung mehr gesehen wird, sollen die Umgangskontakte zwischen B. und seinem Vater auf Anordnung des Ergänzungspflegers ab Mai 2015 ohne jegliche Begleitung erfolgen und behutsam ausgeweitet werden.

Im vorliegenden Verfahren holte das Amtsgericht ein rechtsmedizinisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. B. sowie ein familienpsychologisches Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Psych. C. ein. Der Sachverständige Prof. Dr. B. gelangte zu dem Ergebnis, ein sexueller Missbrauch sei aus rechtsmedizinischer Sicht nicht belegbar; die vorgefundenen Verletzungen seien am Ehesten durch eine Hauterkrankung zu erklären. Die Sachverständige C. stellte fest, auch die psychologische Begutachtung habe keine bestätigenden Hinweise für einen Missbrauch B.s durch seinen Vater ergeben. Die Sachverständige empfiehlt die Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft zur Bestimmung des Umgangs zwischen beiden Kindern und ihrem Vater sowie die Teilnahme L.s an einer Trennungskindergruppe und die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung durch beide Eltern. Wegen der Einzelheiten des Ergebnisses der Begutachtung wird auf die Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. vom 25.9.2013, Bl. 67 ff. der Akte, und 28.5.2014, Bl. 208 ff. der Akte, sowie der Sachverständigen C. vom 20.3.2014, Bl. 127 ff. der Akte, verwiesen.

Nach Anhörung der Beteiligten und der betroffenen Kinder, wegen deren Ergebnis auf die Sitzungsniederschrift vom 15.9.2014, Bl. 262 ff. der Akte, Bezug genommen wird, entzog das Amtsgericht beiden Eltern mit dem angefochtenen Beschluss vom 2.12.2014 das Umgangsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII und bestellte Rechtsanwalt D. aus L. zum Ergänzungspfleger. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, es könne auf Grund der Feststellungen der Sachverständigen zwar nicht davon ausgegangen werden, dass ein sexueller Missbrauch des Kindes B. durch den Vater stattgefunden habe, der die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung erfordere. Eine Gefährdung des Wohls der betroffenen Kinder ergebe sich hingegen aus der Einschränkung des Umgangs beider Kinder mit ihrem Vater durch die Mutter. Umgangskontakte eines Kindes zum nicht betreuenden Elternteil seien für die gesunde seelische Entwicklung des Kindes erforderlich, und zwar in jeder Entwicklungssituation. Es werde vertreten, dass in Fällen, in denen ein Elternteil eine Entfremdung des Kindes vom anderen Elternteil verursache, die Selbst- und Fremdwahrnehmung des Kindes systematisch verwirrt sei und eine tiefe Selbstentwurzelung und innerpsychische Spaltung vorliege. Das Kind verlerne, den eigenen Gefühlen und der eigenen Wahrnehmung zu trauen, weil es einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt sei. Vor diesem Hintergrund gehe die Sachverständige C. im vorliegenden Fall von einer Gefährdung der weiteren Entwicklung beider Kinder im Hinblick auf die ablehnende Haltung der Mutter gegenüber dem Vater und den von ihr weiterhin als nicht ausgeräumt angesehenen Missbrauchsverdacht aus. Es bestehe die Gefahr, dass beide Kinder auf Dauer durch direkte oder indirekte Signale der Mutter sowie durch deren sichtliche Belastung im Zusammenhang mit den begleiteten Umgangskontakten in ihrer Beziehung zum Vater erheblich beeinflusst würden. L. habe sich bereits mit ihrer Mutter solidarisiert, weise dem Vater die Schuld an der Trennung der Eltern und am Umzug zu und verweigere jeglichen Kontakt zu ihm. Es bestehe die Gefahr, dass L.s ablehnende Haltung sich in Zukunft auch auf B. übertrage. Das Amtsgericht gehe daher in Übereinstimmung mit der Sachverständigen davon aus, dass es notwendig sei, beiden Kindern eine neutrale Person an die Seite zu stellen, die ihre Interessen und Bedürfnisse im Hinblick auf die künftige Umgangsgestaltung vertreten und auch umsetzen könne und die auch die von der Sachverständigen empfohlene Teilnahme L.s an einem Kurs für Trennungs- und Scheidungskinder durchsetzen könne. Eine mildere geeignete Maßnahme zur Abwehr der Gefährdung des Kindeswohls sei im Hinblick auf die erforderliche behutsame Neuanbahnung der Umgangskontakte nicht ersichtlich. Insbesondere kämen eine gerichtliche Regelung des Umgangs oder die Einrichtung einer Umgangspflegschaft nicht in Betracht, weil die zeitliche Abfolge und das Ausmaß der Umgangskontakte durch den zu bestellenden Ergänzungspfleger an Hand der konkreten Entwicklung nach den Umgängen individuell bestimmt werden müsse.

Mit ihrer am 16.12.2014 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gegen die ihr am 8.12.2014 zugestellte Entscheidung begehrt die Mutter eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie das Absehen von der Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge. Sie trägt vor, sie sei selbst in der Lage, die Umgänge beider Kinder mit dem Vater zu organisieren. Hinsichtlich des Kindes B. kämen dabei nur betreute Umgänge in Betracht, weil sie der festen Überzeugung sei, dass B. von seinem Vater sexuell missbraucht worden sei. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. sei nicht dazu geeignet, diesen Vorwurf zu entkräften. Die vom Klinikum F. übersandten Unterlagen lägen dem Gutachten nicht bei. Eine Nachfrage des Gutachters beim behandelnden Kinderarzt sei nicht erfolgt. Soweit sich das Gutachten auf fünf anonym übersandte Bilder, von denen dem Gutachten ohnehin nur vier beigefügt seien, stütze, sei schon nicht ersichtlich, wie die Bilder dem betroffenen Kind zugeordnet werden könnten. Es sei außerdem nicht auszuschließen, dass die fehlenden Bilder oder der ebenfalls nicht vorliegende Untersuchungsbericht des Klinikums F. den Nachweis eines sexuellen Missbrauchs liefern würden.

Die Mutter hat ihrer Beschwerde eine schriftliche Erklärung ihrer Mutter samt Übersetzung, Bl. 296 ff. der Akte, beigefügt, wonach der Vater ständig mit B. gebadet habe und dies sogar dann getan habe, als die Mutter ihn auf die Verletzung im Analbereich hingewiesen und ihn gebeten habe, das Kind nicht zu baden.

Die Verfahrensbeiständin und der Vater verteidigen die angefochtene Entscheidung. Der Vater erhofft sich hiervon eine Normalisierung des Umgangs mit beiden Kindern. Sowohl die Verfahrensbeiständin als auch der Vater befürchten einen vollständigen Kontaktabbruch für den Fall einer Aufhebung der Ergänzungspflegschaft und einer gerichtlichen Regelung des Umgangs.

Auf die Stellungnahme des Jugendamts und den dieser beigefügten Bericht über den Verlauf der Umgangsbegleitung durch den Träger F., Bl. 318 ff. der Akte, wird Bezug genommen.

Die Beteiligten mit Ausnahme des Jugendamts, das auf seine schriftliche Stellungnahme verwiesen hat, sind am 17.4.2015 vom hiermit beauftragten Berichterstatter des Senats angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift, Bl. 407 ff. der Akte, Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässige Beschwerde ist in der Sache nur teilweise begründet und führt lediglich zur Aufhebung des Entzugs des Rechts beider Eltern zur Antragstellung nach dem SGB VIII. Im Übrigen, also hinsichtlich des Entzugs des Umgangsbestimmungsrechts und der diesbezüglichen Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft, ist die Beschwerde unbegründet und daher zurückzuweisen.

Voraussetzung für die vom Amtsgericht mit der angefochtenen Entscheidung ergriffenen gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge ist nach § 1666 Abs. 1 BGB, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet sind und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.

Eine ein staatliches Eingreifen rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls ist gegeben, wenn bei weiterer unbeeinflusster Entwicklung der vorliegenden Umstände der Eintritt eines Schadens oder die Verfestigung eines bereits eingetretenen Schadens im Sinne einer Störung der Entwicklung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (vgl. die ständige Rspr. des BVerfG, zuletzt Kammerbeschluss vom 19.11.2014 - 1 BvR 1178/14 -, zitiert nach juris; außerdem BGH, FamRZ 1956, 350; OLG Hamm, FamRZ 2006, 359).

Die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge unterliegt dabei im Hinblick auf das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, d.h. die anzuordnende Maßnahme muss zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 1270, Rdnr. 28; FamRZ 2014, 907; FamRZ 2012, 1127).

Nach Auffassung des Senats lässt § 1666 Abs. 1 BGB bei Vorliegen der vorstehend aufgeführten Voraussetzungen auch den Entzug des sogenannten Umgangsbestimmungsrechts zu, also das den oder dem Sorgeberechtigten als Teil der Personensorge zustehende Recht, darüber zu bestimmen, wann, mit wem und auf welche Weise das Kind Umgang mit seinen Eltern oder mit Dritten hat (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 16.1.2015 - 4 UF 255/14, veröffentlicht unter www.hefam.de, vom 26.3.2015 - 4 UF 145/14, bislang nicht veröffentlicht, und vom 16.4.2015 - 4 UF 54/14, zur Veröffentlichung vorgesehen; ebenso OLG Frankfurt am Main, FamFR 2013, 525; FamRZ 2014, 396; Heilmann, Die Ergänzungspflegschaft mit dem Aufgabenkreis "Regelung des Umgangs" (Umgangsbestimmungspflegschaft), FamRZ 2014, 1753 mit zahlreichen Nachweisen aus der Literatur (Fußnote 8), a.A. OLG Karlsruhe, FamRZ 2014, 1378; OLG Stuttgart, FamRZ 2014, 1794). Wird das Umgangsbestimmungsrecht entzogen und auf einen Ergänzungspfleger übertragen, bestimmt dieser den Eltern gegenüber den Ort, den zeitlichen Umfang und die Art und Weise des Umgangs. Zwangsweise durchsetzen kann der Umgangsbestimmungspfleger - wie übrigens auch ein allein sorgeberechtigter Elternteil - die von ihm getroffene Umgangsbestimmung allerdings nicht; hierfür bedarf es einer gerichtlichen Regelung des Umgangs nach § 1684 Abs. 3 BGB. Können Ergänzungspfleger und Eltern kein Einvernehmen über den Umgang erzielen, kann das Familiengericht (ggfs. auf Anregung der Eltern oder des Umgangsbestimmungspflegers) ein entsprechendes Verfahren einleiten und den Umgang regeln. Die gerichtliche Umgangsregelung geht der Umgangsbestimmung des insoweit Sorgeberechtigten vor, solange der Sorgeberechtigte und die umgangsberechtigten Eltern keine abweichende Vereinbarung treffen (vgl. OLG Frankfurt am Main in den oben zitierten Beschlüssen vom 16.1. und 26.3.2015)..

Ein Entzug des Umgangsbestimmungsrechts setzt - wie dargestellt - zunächst voraus, dass eine konkrete Gefahr besteht, dass die Eltern eine mit einer Gefährdung des Kindeswohls verbundene Umgangsbestimmung treffen (vgl. der erkennende Senat im oben zitierten Beschluss vom 16.1.2015, so auch OLG München, FamRZ 2011, 823, zitiert nach juris, dort Rdnr. 7). Dies wird in erster Linie in Fällen einer Fremdunterbringung des Kindes in Betracht kommen, kann ausnahmsweise aber auch dann anzunehmen sein, wenn beide Eltern aus besonderen Gründen des Einzelfalls auch unter Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nach § 1684 Abs. 3 BGB oder öffentlicher Hilfen nach dem SGB VIII nicht in der Lage sind, einen funktionierenden Umgang zwischen dem Kind und dem nicht betreuenden Elternteil zu gewährleisten, wenn daraus eine anders nicht abzuwendende Gefährdung des Kindeswohls von solchem Gewicht resultiert, dass ein Teilentzug der elterlichen Sorge gerechtfertigt ist (vgl. der erkennende Senat in den oben zitierten Beschlüssen vom 26.3. und 16.4.2015; ebenso Palandt/Götz, BGB, 74. Aufl. 2015, § 1666, Rdnr. 19).

Von einer entsprechenden Gefährdung des Wohls beider Kinder muss im vorliegenden Fall nach dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen ausgegangen werden.

§ 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB stellt eine dahingehende gesetzliche Vermutung auf, dass der Umgang mit beiden Elternteilen in der Regel zum Wohl des Kindes gehört. Verliert ein Kind in Folge eines Kontaktabbruchs seine bis dahin bestehende intakte Bindung zu einem Elternteil, kann dies aus den zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts eine Gefährdung seiner weiteren Entwicklung und damit eine Gefährdung des Kindeswohls nach sich ziehen. Dies gilt ausweislich der überzeugenden Feststellungen im Gutachten der Sachverständigen C. im vorliegenden Fall umso mehr, als beide Kinder einer deutsch-sambischen Beziehung entstammen und durch den von der Mutter herbeigeführten Kontaktabbruch nicht nur den Kontakt zu ihrem deutschsprachigen Vater und die damit einher gehende Förderung ihrer Sprachkompetenz, sondern auch den Kontakt zu ihrem gesamten sozialen Umfeld in G. einschließlich der Großeltern väterlicherseits verloren haben.

L. hat sich in dieser Situation mit ihrer Mutter solidarisiert, obwohl dies offensichtlich nicht ihren Bedürfnissen und ihrem nach der Trennung zunächst geäußerten Wunsch nach Kontakt zum Vater entspricht. Auch wenn die Sachverständige abgesehen von der Umgangsverweigerung über keine Verhaltensauffälligkeiten des Kindes berichtet, muss gemäß den nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten von einer mit dem Konflikt der Eltern und dem Kontaktabbruch zum Vater und zum gesamten Umfeld verbundenen erheblichen psychischen Belastung des Kindes ausgegangen werden, die Schädigungen der psychischen Entwicklung befürchten lässt.

Auch B. verfügt nach den Feststellungen der Sachverständigen über eine bereits vor der Trennung der Eltern etablierte sichere Bindung zum Vater, was sich so auch aus den Verlaufsberichten der Umgangsbegleiterin ergibt. Ein Abbruch der Beziehung zum Vater wäre damit auch für ihn mit der Gefahr einer Schädigung seiner weiteren psychischen Entwicklung verbunden.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Umgang mit dem Vater das Wohl beider Kinder deshalb gefährdet, weil der Vater B. vor der Trennung der Eltern sexuell missbrauchte. Weder die rechtsmedizinische noch die familienpsychologische Begutachtung haben hinreichende Anhaltspunkte für einen sexuellen Missbrauch erbracht, die eine Einschränkung des Umgangsrechts des Vaters rechtfertigen könnten. Im Gegenteil: Die bei den Untersuchungen B.s am 14.3 und am 20.3.2013 festgestellten Rötungen und narbigen Veränderungen am After lassen sich am Ehesten mit einer ekzematösen Hauterkrankung erklären.

Entgegen der Auffassung der Mutter lassen sich die dem Gutachten des Prof. Dr. B. vom 28.5.2014 als Anhang beigefügten Aufnahmen eindeutig den Feststellungen im Gutachten zuordnen. Die Abbildung 1a) zeigt das Foto mit der Dateinummer R0014212, die Abbildung 1d) eine Vergrößerung des für die Begutachtung maßgeblichen Ausschnitts dieses Fotos. Die Abbildung 1b) zeigt das Foto mit der Dateinummer R0014214, die Abbildung 1c) eine Vergrößerung des für die Begutachtung maßgeblichen Ausschnitts dieses Fotos. Aus den Abbildungen und den Feststellungen des Gutachters ergibt sich zweifelsfrei, dass die abgebildeten Fotos sämtliche für die Beantwortung der Beweisfrage maßgeblichen Umstände abbilden. Aus den Feststellungen auf Seite 3 und 4 des Gutachtens ergibt sich außerdem, dass die drei weiteren auf der vom Klinikum F. übersandten CD vorhandenen Fotodateien mit den Dateinummern R0014213, R0014215 und R0014218 keine zusätzlichen Erkenntnisse liefern, weshalb der Gutachter offensichtlich davon abgesehen hat, diese Fotodateien auszudrucken und dem Gutachten als Anhang beizufügen. Weshalb die dem Amtsgericht vom Direktor des Klinikums F. mit Anschreiben vom 27.3.2014, Bl. 191 der Akte, auf einer CD mit der Aufschrift "14.3.2013" als "Bilder von der Erstvorstellung" B.s übersandten Fotodateien nicht das hier betroffene Kind abbilden sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Da die für die Beantwortung der Beweisfrage maßgeblichen Verletzungen des Kindes auf den abgebildeten Fotos eindeutig zu erkennen sind, ist auch nicht ersichtlich, welche weiteren Erkenntnisse sich aus einer Beiziehung der nicht ausgedruckten Fotodateien oder der vom Klinikum K. am 20.3.2013 gefertigten Aufnahmen, die nach Mitteilung des Klinikums K. vom 10.1.2014, Bl. 111 der Akte, völlig unscharf sind, ergeben sollen. Das Klinikum K. hat mitgeteilt, der erhobene Befund entspreche voll und ganz dem von der Kinderklinik F. fotografisch dokumentierten Befund. Auch die von der Mutter angeregte Beiziehung von Unterlagen des behandelnden Kinderarztes verspricht keine weiteren Erkenntnisse, weil B. dem Kinderarzt überhaupt nicht vorgestellt wurde, nachdem die Mutter die Rötungen am After bemerkt hatte.

Ein Entzug des Umgangsbestimmungsrechts beider Eltern ist geeignet und erforderlich, um die mit einem vollständigen Abbruch des Kontakts beider Kinder zum Vater verbundene Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Die Mutter hat in der Anhörung durch den Berichterstatter eindeutig erklärt, sie werde im Falle einer Aufhebung der Ergänzungspflegschaft keinen Umgang zulassen. Sie ist trotz des gegenteiligen Ergebnisses der Begutachtung weiterhin fest von einem sexuellen Missbrauch B.s durch den Vater überzeugt und auf Grund dieser Überzeugung nicht in der Lage, die Bedürfnisse beider Kinder in Bezug auf den Vater zu erkennen, geschweige denn, diese zu befriedigen. Entgegen ihres Vortrags in der Beschwerdebegründung kann daher keinesfalls davon ausgegangen werden, dass sie selbst oder gemeinsam mit dem Vater in der Lage ist, den Umgang zwischen beiden Kindern und dem Vater zu organisieren.

Da sie den Anordnungen des Ergänzungspflegers Folge leistet und dieser den Kontakt zwischen B. und dem Vater behutsam ausweitet und den Kontakt zwischen L. und dem Vater behutsam anbahnen möchte, ist die vom Amtsgericht angeordnete Einrichtung einer Umgangsbestimmungspflegschaft ein geeignetes Mittel zur Abwehr der beiden Kindern durch einen dauerhaften Abbruch des Kontakts zum Vater drohenden Schädigungen.

Ein milderes geeignetes Mittel, welches nicht mit einem Eingriff in die elterliche Sorge verbunden ist, ist derzeit nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die Kommunikationsunfähigkeit beider Eltern käme als milderes Mittel nur eine Aufrechterhaltung des Kontakts beider Kinder zu ihrem Vater durch eine gerichtliche Umgangsregelung nach § 1684 Abs. 3 BGB in Betracht. Die damit für beide Kinder verbundene zusätzliche Belastung und die hieraus resultierenden Gefahren für die weitere Entwicklung der Kinder erachtet der Senat im Hinblick auf die funktionierende Umgangsbestimmungspflegschaft allerdings gegenwärtig als nicht hinnehmbar.

Es wäre nämlich zu befürchten, dass der regelmäßige Kontakt zwischen B. und seinem Vater im Falle einer Aufhebung der Pflegschaft sofort abreißen würde. Zwar könnten erneute Umgangskontakte in einer vom Amtsgericht anschließend einzuleitenden Umgangssache vergleichsweise schnell angeordnet werden, und zwar sowohl für B. als auch für L. Dies wäre allerdings mit erneuten richterlichen Anhörungen der Kinder und der Eltern und den daraus resultierenden Belastungen verbunden. Dabei wäre zu befürchten, dass eine notgedrungen starre gerichtliche Regelung der Umgangskontakte dem von der Sachverständigen C. beschriebenen Bedürfnis beider Kinder nach einer behutsamen Anbahnung bzw. Ausweitung des Umgangs mit dem Vater nicht gerecht wird. Da die Mutter schon bisher jegliche Unterstützung bei der Bewältigung der Trennung verweigert, müsste damit gerechnet werden, dass dergestalt erzwungene Umgangskontakte die ablehnende Haltung der Mutter dem Vater gegenüber noch verstärken und dass sich diese ablehnende Haltung - mit den oben beschrieben nachteiligen Folgen - irgendwann auf die in einem Loyalitätskonflikt befindlichen Kinder übertragt. Eine entsprechende Entwicklung kann zwar auch durch die Einrichtung einer Umgangsbestimmungspflegschaft nicht ausgeschlossen werden, solange die Mutter psychologische Hilfe verweigert. Im Hinblick auf die derzeitige Akzeptanz der Entscheidungen des Umgangsbestimmungspflegers durch beide Eltern erachtet der Senat die Umgangsbestimmungspflegschaft in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht jedoch als deutlich besser geeignet, eine entsprechende Entwicklung zu verhindern, als eine gerichtliche Umgangsregelung nach § 1684 Abs. 3 BGB.

Das Amtsgericht wird die Erforderlichkeit der Umgangsbestimmungspflegschaft im Rahmen der ihm nach § 166 Abs. 2 FamFG obliegenden Überprüfungspflicht in regelmäßigen Abständen zu überprüfen haben.

Soweit beiden Eltern auch das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII entzogen worden ist, ist die angefochtene Entscheidung mangels Fortbestehens einer Kindewohlgefährdung aufzuheben. Die im Rahmen der Hilfe zur Erziehung gewährte Begleitung des Umgangs zwischen B. und seinem Vater läuft ohnehin aus, weil ein Bedürfnis für eine Begleitung des Umgangs oder der Übergaben nicht mehr besteht. Für L. haben beide Eltern im Anhörungstermin am 17.4.2015 einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt und sich zur erforderlichen Mitwirkung verpflichtet. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass L. auch ohne einen diesbezüglichen Teilentzug der elterlichen Sorge die nötige Unterstützung bei der Bewältigung der Trennung ihrer Eltern und des Verlustes ihres bisherigen sozialen Umfelds sowie bei der Wiederanbahnung des Umgangs mit ihrem Vater erhält. Soweit für beide Kinder auch die Inanspruchnahme psychologischer Hilfe durch die Mutter oder von Erziehungsberatung durch beide Eltern wünschenswert wäre, kann diese vom Ergänzungspfleger ohnehin nicht erzwungen werden. Die diesbezügliche Weigerung der Eltern vermag eine Aufrechterhaltung des Entzugs des Rechts zur Antragstellung nach dem SGB VIII daher nicht zu rechtfertigen.

Dass nur die Mutter Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts eingelegt hat, steht der Aufhebung des teilweisen Entzugs der elterlichen Sorge auch des Vaters nicht entgegen. Dem Senat fällt mit der Beschwerde der Mutter nämlich nicht nur die Frage der Aufhebung des teilweisen Entzugs der elterlichen Sorge der Mutter, sondern die von Amts wegen zu treffende Regelung der elterlichen Sorge für die beiden betroffenen Kinder insgesamt als einheitlicher unteilbarer Verfahrensgegenstand an (vgl. BGH, FamRZ 2008, 45; FamRZ 1983, 44; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 20.11.2011 - 4 UF 169/10 - und vom 16.12.2011 - 4 UF 158/10, beide veröffentlicht unter www.hefam.de).

Von einer erneuten Anhörung der beiden betroffenen Kinder sieht der Senat ab, weil hiervon keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG. Im Hinblick auf den Gegenstand des Verfahrens und den teilweisen Erfolg der Beschwerde entspricht das Absehen von der Erhebung von Gerichtskosten und von der Anordnung einer Kostenerstattung für beide Rechtszüge billigem Ermessen.

Da die Sache jedenfalls im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit des Entzugs des Umgangsbestimmungsrechts grundsätzliche Bedeutung hat bzw. insoweit eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint, ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Vater und die Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten beruhen auf §§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 FamFG, 114 ff. ZPO.

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft. Gemäß § 71 FamFG ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht -Bundesgerichtshof, Herrenstrasse 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und 2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1. die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Rechtsbeschwerdeanträge), 2. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar a. die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; b. soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

Diehl Dr.Schweppe Schmidt