OLG Frankfurt vom 01.04.2015 (4 UF 373/14)

Stichworte: Wirksamkeit Prozessvergleich, Wechsel Prozessordnung;
Normenkette: BGB 1572, 1573, 1578b; FGG-RG 111, ZPO 511;
Orientierungssatz:
  • Wird die Nichtigkeit eines Prozessvergleiches geltend gemacht, ist dies in dem Ausgangsverfahren, in dem der Vergleich geschlossen wurde, zu prüfen und zu entscheiden.
  • Wurde das Ausgangsverfahren vor dem 01.09.2009 eingeleitet, findet auch hinsichtlich der Prüfung der Wirksamkeit des Vergleiches das bis zum 31.08.2009 gültige Verfahrensrecht Anwendung.
  • Entscheidet das Familiengericht gleichwohl im Rahmen der ab 01.09.2009 gültigen Verfahrensordnung, ist ein hiergegen gerichtetes Rechtsmittel zulässig, wenn es den im FamFG normierten Voraussetzungen entspricht (Grundsatz der Meistbegünstigung). Die einschlägige Prozessordnung hat das Rechtsmittelgericht für das weitere Verfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.
  • Zu Fragen der Wirksamkeit einer Vereinbarung der Ehegatten, den nachehelichen Unterhalt zu befristen.
  • 62 F 23/09
    AG Gelnhausen

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Rechtsstreit

    ...

    I. wird das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten vom 03.02.2015 für das von ihr betriebene Berufungsverfahren gegen den am 15.10.2014 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gelnhausen zurückgewiesen.

    II. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen vorgenannten Beschluss durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, § 522 II ZPO.

    III. Gelegenheit zur Stellungnahme besteht bis 30.04.2015, wobei der Senat darauf hinweist, dass die Rücknahme des als Berufung auszulegenden Rechtsmittels der Beklagten die Reduktion der für das Berufungsverfahren anfallenden Gerichtskosten um 50% zur Folge hat, Nr. 1220, 1222 KV GKG.

    Gründe:

    Die Prozesskostenhilfeentscheidung beruht auf § 114 ZPO und berücksichtigt, dass das als Berufung auszulegende, als Beschwerde benannte Rechtsmittel der Beklagten gegen den am 15.10.2014 verkündeten Beschluss des Familiengerichts, das zutreffender durch Urteil zu entscheiden hatte, in der Sache ohne die nötige Erfolgsaussicht ist. Im Einzelnen:

    Auf das Rechtsmittelverfahren ist das bis zum 01.09.2009 gültige Prozessrecht anzuwenden, da die verfahrenseinleitende Klage des Klägers beim Familiengericht am 08.01.2009 einging, Art. 111 I FGG-RG. Gründe dafür, dass der Prozess dem ab 01.09.2009 gültigen Verfahrensrecht nach dem FamFG unterfiele, sind nicht erkennbar, Art. 111 III - V FGG-RG, da der Prozess bisher weder ausgesetzt noch zum Ruhen gebracht worden war. Vielmehr gingen die Parteien und das Gericht davon aus, dass der Vergleich vom 03.11.2009 - seine Wirksamkeit unterstellt - den Prozess beendete. Da ggf. Unwirksamkeitsgründe im Rahmen dieses Erstprozesses geltend zu machen sind (vergl. Palandt-Sprau, § 779 BGB, Rz. 31 m.w.N.), ist dieser nach dem für ihn geltenden Verfahrensgrundätzen fortzuführen (vergl. ohne nähere Begründung bei ähnlichem zeitlichen Ablauf: BGH NJW 2013, 1530-1534).

    Der Senat hat daher auch noch im aktuellen Prozessstadium die tatsächlich einschlägige Verfahrens- bzw. Prozessordnung heranzuziehen, vergl. BGH NJW 2015, 251ff..

    Die Berufung der Beklagten vom 01.12.2014 gegen den am 15.10.2014 verkündeten und ihr am 03.11.2014 zugestellten Beschluss des Familiengerichts ist dabei zulässig, obgleich die Rechtsmittelschrift den Senat erst am 09.12.2014 - und damit nach Ablauf der Berufungsfrist des § 517 ZPO - erreichte. Denn nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vergl. Zöller-Heßler, vor § 511 ZPO, Rz. 30f. m.w.N.) genügt es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels, dass der Rechtsmittelführer die Formalien desjenigen Rechtsmittels beachtet, welches gegen die vom Ausgangsgericht gewählte Entscheidungsform gegeben ist. Vorliegend wählte das Familiengericht die Beschlussform nach § 38 FamFG - obgleich ohne Rechtsmittelbelehrung nach § 39 FamFG -, so dass die Beschwerde nach den §§ 58ff. FamFG eröffnet schien. Die somit nach den §§ 63, 64 FamFG gebotene Einlegung der Beschwerde beim Ausgangsgericht binnen Monatsfrist nach Zustellung wurde indes infolge Zugangs des Schriftsatzes vom 01.12.2014 beim Familiengericht am gleichen Tage gewahrt. Die Antragstellung und Begründung des Rechtsmittels mit Schriftsatz vom 03.02.2015 wahrt zudem - infolge der Fristverlängerung der Senatsvorsitzenden vom 05.01.2015 - § 520 ZPO, insbesondere macht die Beklagte hinreichend deutlich die Verletzung materiellen Rechts, § 520 III Nr. 2 ZPO, geltend. Auch wäre die Berufung das statthafte Rechtsmittel, § 511 ZPO, wenn das Familiengericht den zutreffenden Weg der Entscheidungsfindung durch Urteil, § 300 ff. ZPO, gewählt hätte.

    Indes ist die Berufung - auch soweit neben der Fortsetzung des Prozesses mit einer erhobenen Wider-(stufen-)klage die Erhöhung des durch Vergleich vom 14.10.1982 in Gestalt des am 22.10.2002 verkündeten Anerkenntnisurteils titulierten Unterhalts verlangt wird - unbegründet, da Gründe für die Unwirksamkeit des abändernden Prozessvergleichs vom 03.11.2009, wonach auch die Unterhaltspflicht des Klägers mit Ablauf der Regelaltersgrenze der Beklagten (und ihrem Eintritt in den regulären Altersrentenbezug) enden sollte, nach der Aktenlage nicht bestehen.

    Insbesondere ist der Vergleich vom 03.11.2009 nicht infolge Sittenwidrigkeit, vor allem infolge Benachteiligung eines Sozialleistungsträgers, nichtig, § 138 I BGB. Denn "...die Frage der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB beurteilt sich danach, ob der Ausschluss von Zahlungsansprüchen mit der Folge, dass der Sozialhilfeträger eintreten muss, nach Inhalt, Beweggrund und Zweck in einer Weise zu missbilligen ist, dass es dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (vgl. Schwarz, JZ 1997, 545; Krauß, MittBayNot 1992, 77, 81)..." (BGH NJW 2009, 1346, Rz. 10). Dies ist vorliegend nicht anzunehmen:

    Denn der Vergleich vom 03.11.2009 berücksichtigt erkennbar die zum 01.01.2008 neu geschaffene Möglichkeit der Herabsetzung und Befristung von Unterhaltsleistungen jedenfalls noch in einem Maße, die mit dem Billigkeitsgefühl aller anständig und gerecht Denkenden (noch) vereinbar ist.

    Aus der Ehe der Parteien, die von 1965 bis 1982 dauerte, sind zwei in den Jahren 1968 und 1971 geborene Kinder hervorgegangen, die offenbar nach der Scheidung bei der Beklagten lebten, so dass sich der am 14.10.1982 titulierte Unterhalt als Betreuungsunterhalt dargestellt haben dürfte. Im Rahmen ihres Abänderungsprozesses, der zum am 22.10.2002 verkündeten Anerkenntnisurteil führte, machte die damalige Klägerin, die ehedem nur über Einkommen aus den Unterhaltsleistungen des hiesigen Klägers nebst ergänzendem Sozialhilfebezug verfügte, geltend, infolge einer Erkrankung keiner Erwerbstätigkeit, § 1574 BGB, nachgehen zu können, was der Kläger mit seinem Anerkenntnis konkludent bestätigte, so dass sich jedenfalls ab November 2002 der weitere Unterhaltsanspruch als Krankenunterhalt, § 1572 BGB, darstellte. Ausschließlich diesen Anspruchsgrund verteidigte die Beklagte auch anfänglich in hiesigem Prozess, vergl. Schriftsatz vom 26.02.2009, dort Seite 4f.

    Hinsichtlich dieses Anspruchsgrundes war der Kläger in dem Anfang 2009 beginnenden Prozess nicht gehindert, sich auf eine Herabsetzung und Befristung des Unterhalts nach § 1578b BGB zu berufen, da erst zum 01.01.2008 eine Befristung des Krankenunterhaltes eingeführt wurde. Die vorhergehende Befristungsmöglichkeit des § 1573 V BGB a.F. betraf nur den (Erwerbslosigkeits- bzw. Aufstockungs-)Unterhalt im Sinne des § 1573 I-IV BGB, aber nicht den Krankenunterhalt, der bis 31.12.2007 nicht befristbar war (auch § 1578 I 2 BGB a.F. führte nur zu einer Bedarfskorrektur). Daher ist es auch irrelevant, wenn der BGH (FamRZ 2006, 1006) im April 2006 seine Rechtsprechung zum § 1573 V BGB änderte, zumal der Kläger infolge der Ehedauer von ca. 17 Jahren sich vor dieser Änderung ohnehin nicht erfolgversprechend (im Prozess des Jahres 2002) auf diese Norm berufen konnte.

    Der Vergleich der Parteien, der die Regelungskompetenz derselben nach § 1585c BGB aufgreift, macht damit die neu geschaffene Möglichkeit der Parteien nach § 1578b BGB für diese vertretbar nutzbar, im dem sich die Beklagte verpflichtete, Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente zu stellen, die sie offenbar im Folgenden auch bezog (vergl. Altersrentenbescheid vom 07.12.2012, der auf eine andere zuvor bezogene Rente Bezug nimmt, Bl. 151ff. d.A.), sich parallel die Unterhaltspflicht des Klägers im Sinne einer Herabsetzung für einige Jahre auf mtl. € 175,00 ermäßigte und der Unterhaltsanspruch auf den Eintritt der Regelaltersgrenze der Beklagten befristet wurde. Da diese seither Altersrente bezieht, die durch den für die geschiedene Ehe durchgeführten Versorgungsausgleich geprägt ist (nach dem Rentenbescheid entfallen ca. 11 von insgesamt ca. 14 Entgeltpunkten auf den Versorgungsausgleich!), sind zugleich seither ehebedingte Nachteile der Beklagten (regelmäßig) ausgeglichen (BGH FamRZ 2014, 823; 2014, 1276). Auch ist nicht erkennbar, dass die Beklagte infolge der Ehe unter einer Erkrankung litt, so dass diese als schicksalshaft zu bezeichnen ist, was zwar eine gewisse nacheheliche Solidarität - die der Kläger zwischen 1982 und 2012 für ca. 30 Jahre bediente - bedingt, aber ebenfalls einer Befristung nach § 1578b BGB nicht zwingend entgegensteht.

    Der Senat beabsichtigt daher zugleich, § 522 II ZPO, die Berufung der Beklagten gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 15.10.2014 durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen; er räumt der Beklagte zugleich die Gelegenheit ein, bis 30.04.2014 Stellung zu nehmen und eine kostenreduzierende Berufungsrücknahme zu prüfen.

    Frankfurt am Main, den 1. April 2015

    Oberlandesgericht, 4. Senat für Familiensachen

    Diehl Fischer Dr.Fritzsche

    (Anmerkung: Die Beklagte hat anschließend die Berufung zurückgenommen.)