OLG Frankfurt vom 08.12.2000 (4 UF 33/00)

Stichworte: Mangelfall, Vorwegabzug, Haftungsquote Volljährige, privilegierte
Normenkette: BGB 1603 Abs.2 Satz 2
Orientierungssatz: Der nach den Leitlinien der Frankfurter Familiensenate auf die Ermittlung der Haftungsquote beschränkte Vorwegabzug des Unterhalts minderjähriger Kinder im Falle des nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB privilegierten Kindes greift im Mangelfall nicht ein, da er zu einer nicht gerechtfertigten Mehrbelastung des anderen Elternteils führen würde.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Däther als Einzelrichter gemäß § 524 Abs.4 ZPO aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2000 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht Wetzlar vom 2. März 2000 ( 6 F 600/99 ) abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab 1.3.2000 einen Unterhalt von DM 364,- monatlich im Voraus zu zahlen, fällig jeweils zum 3. eines jeden Monats.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 1.3.1999 bis 29.2.2000 einen Unterhaltsrückstand von DM 4.242,- zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Berufung: DM 4.176,-

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs.1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, mit der der Kläger einen monatlichen Unterhalt ab 1.3.2000 in Höhe von weiteren DM 250,- ( also insgesamt monatlich DM 364,- ) und einen weiteren Unterhaltsrückstand für die Zeit vom 1.3.1999 bis 29.2.2000 in Höhe von DM 3.026,- ( also insgesamt DM 4.368,- ) begehrt, ist bis auf einen geringen Teil des Rückstandes begründet.

Der Beklagte ist seinem in der allgemeinen Schulausbildung befindlichen Sohn, dem am geborenen Kläger, im ausgeurteilten Umfang unterhaltspflichtig ( §§ 1601 ff. BGB). Gegenüber dem volljährigen Kläger sind beide Elternteile barunterhaltspflichtig. Eigenes Einkommen des Klägers aus einer Aushilfstätigkeit als ist überobligationsmäßig und daher allenfalls im Rahmen der Billigkeit ( entsprechend § 1577 BGB ) zu berücksichtigen. Der Senat nimmt insoweit eine hälftige Anrechnung bis Mai 1999 in Höhe von DM 200,- monatlich vor. Auf Seiten der Mutter des Klägers ist ein monatliches Einkommen von DM 1.905,- unstreitig zugrunde zu legen.

Dem Beklagten ist aus zumutbarer Erwerbstätigkeit jedenfalls ein Einkommen von DM 2.400,- monatlich zuzurechnen. Zwar hat der Beklagte seine Erwerbstätigkeit als aufgegeben und betreut zwei minderjährige Kinder aus seiner Ehe. Dies vermag jedoch eine Leistungsunfähigkeit nicht herbeizuführen. Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht darauf hingewiesen, daß vorliegend nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum Hausmann ein fiktives Einkommen auf Seiten des Beklagten zu berücksichtigen ist. Bei einer Umstellung der beruflichen Tätigkeit, durch die zunächst der Unterhalt von minderjährigen Kindern ( oder volljährigen Kindern, die gemäß § 1603 Abs.2 Satz 2 BGB den minderjährigen gleichstehen ) gesichert war, wird eine besondere Rücksichtnahme auf die Belange der abhängigen Unterhaltsberechtigten gefordert. Auch das Vorhandensein betreuungsbedürftiger Kinder aus einer Ehe ändert nichts daran, daß gleichrangige Unterhaltsansprüche anderer Kinder bestehen und der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder einsetzen muß. Die Gestaltungsfreiheit der Ehegatten hinsichtlich der Regelung ihrer Aufgaben darf nicht in unzumutbarer Weise zu Lasten nicht aus dieser Ehe stammender Kinder gehen ( BVerfG FamRZ 1985, 143, 145 ). Eine Rollenwahl ist in eingeschränkter Weise dann von Unterhaltsberechtigten hinzunehmen, wenn sich der Familienunterhalt dadurch, daß der andere Ehegatte voll erwerbtätig ist, wesentlich günstiger gestaltet. Dann käme allerdings die Aufnahme einer Nebentätigkeit zur (Teil)Abdeckung des Unterhaltsbedarfs der anderen Berechtigten in Betracht. Schon das Amtsgericht hat darauf hingewiesen, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung des Rollenwechsels vom Beklagten nicht vorgebracht sind. Danach ist eine Verminderung der Leistungsfähigkeit durch die Übernahme der Rolle als Hausmann nicht anzuerkennen, so daß der Verpflichtete im Umfang einer Vollzeittätigkeit als leistungsfähig anzusehen ist ( BGH FamRZ 1996, 796, 797). Somit ist nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht entsprechend dem Klägervorbringen ein anrechnungsfähiges Nettoeinkommen des Beklagten von DM 2.400,- angesetzt hat.

Bei einem zusammengerechneten Einkommen der Eltern des Klägers von DM 4.305,- ist von einem Bedarf des Klägers für die Zeit bis 30.6.1999 aus Gruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle (DT) in Höhe von DM 824,- , für die Zeit ab 1.7.1999 in Höhe von DM 837,- auszugehen. Hiervon ist in der Zeit vom 1.3.- 31.5.1999 ein durch Nebentätigkeit gedeckter Bedarf von DM 200,- monatlich abzusetzen.

Zur Bestimmung des Haftungsanteils des Beklagten im Hinblick auf die beiderseitige Barunterhaltspflicht hat das Amtsgericht zutreffend nur den notwendigen Selbstbehalt beim Einkommen jedes Elternteils abgesetzt. Diese Handhabung ist jedenfalls dann geboten, wenn – wie hier – ein Mangelfall vorliegt. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann jedoch eine weitergehende Bereinigung um den Unterhalt der minderjährigen Kinder aus der Ehe des Beklagten im Mangelfall nicht erfolgen. Der nach den Leitlinien der Frankfurter Familiensenate auf die Ermittlung der Haftungsquote beschränkte Vorwegabzug des Unterhalts minderjähriger Kinder im Falle des nach § 1603 Abs.2 Satz 2 BGB privilegierten Kindes greift im Mangelfall nicht ein, da er zu einer nicht gerechtfertigten Mehrbelastung des anderen Elternteils führen würde. Soweit das Amtsgericht im übrigen den Minderjährigenunterhalt vom Einkommen des Beklagten vorweg abgesetzt hat und nur den Restbetrag auch in die Verteilung genommen hat, hat es den gesetzlich gebotenen Gleichrang des privilegierten Volljährigen mit den Minderjährigen verletzt und einen Nachrang des Volljährigen entgegen der Vorschrift des § 1603 Abs.2 Satz 2 BGB angenommen.. Auf die Leitlinien kann eine solche Handhabung nicht gestützt werden, da dort nur die Bildung der Haftungsquoten zwischen den Elternteilen angesprochen ist. Demgemäß ist der Unterhalt des Volljährigen nach der Haftungsquote des Beklagten im Rahmen einer Mangelbedarfsberechnung unter Heranziehung der minderjährigen Kinder zu bestimmen.

Danach stellt sich die Unterhaltsberechnung wie folgt dar:

Zeitraum 1.3.- 31.5.1999

Bedarf des Klägers DM 824,- ./. DM 200,- = DM 624,-

Nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts stellen sich die Haftungsquoten der Eltern wie folgt dar:

Mutter : DM 1.905,- ./. DM 1.500,- = DM 405,- , also 31 %

Vater: DM 2.400,- ./. DM 1.500,- = DM 900,- , also 69 %

Demgemäß hat der Beklagte 69 % von DM 624,- zu erbringen, somit grundsätzlich DM 430,-. Hiermit würde jedoch unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen der notwendige Selbstbehalt nicht gewahrt, so daß eine Mangelbedarfsberechnung stattzufinden hat. Der Tabellenbetrag für die minderjährigen Kinder beläuft sich für den hier maßgeblichen Zeitraum auf DM 349,- und DM 424,-, so daß sich der Beklagte Ansprüchen ausgesetzt sähe von insgesamt DM 1.203,- ( DM 430,- + DM 349,- + DM 424,-) bei einem zur Verfügung stehenden Einkommen über dem notwendigen Selbstbehalt von DM 900,-. Die Ansprüche können daher nur zu 75% befriedigt werden, so daß der Beklagte dem Kläger für den angeführten Zeitraum einen monatlichen Unterhalt von DM 322,- schuldet.

Zeitraum 1.6.- 30.6.1999

In diesem Zeitraum ist der Bedarf des Klägers mangels Einnahmen aus der Nebentätigkeit mit DM 824,- zu bemessen.

Die Quote des Beklagten beläuft sich auf 69 % , also DM 568,-

Ansprüche bestehen in Höhe von DM 1.341,- ( DM 568,- + DM 349,- + DM 424,-), denen verteilungsfähige DM 900,- gegenüberstehen, so daß nur 67 % befriedigt werden können, somit Unterhaltsverpflichtung DM 380,-, so daß der eingeklagte Betrag von DM 364,- zuzusprechen ist.

Zeitraum ab 1.7.1999

In diesem Zeitraum ist lediglich die Änderung der Düsseldorfer Tabelle zu berücksichtigen. Der Bedarf des Klägers beläuft sich auf DM 837,- monatlich, von dem der Kläger 69 % somit DM 578,- zu decken hat.

Der Unterhaltsbedarf der minderjährigen Kinder erhöht sich auf DM 355,- und DM 431,-.

Den Gesamtansprüchen der Kinder von DM 1.364,- ( DM 578,- + DM 355,- + DM 431,- ) steht ein verteilungsfähiger Betrag von DM 900,- gegenüber, so daß 66% befriedigt werden können. Die Unterhaltsverpflichtung beträgt DM 381,-, so daß der eingeklagte Betrag von DM 364 monatlich zuzusprechen ist.

Eine Kindergeldanrechnung ist nach den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts nicht vorzunehmen. Der ausgeurteilte Rückstand ( nicht im Sinne von § 17 Abs.4 GKG) errechnet sich aus 3 x DM 322,- und 9 x DM 346,-.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 708 Ziff.10 ZPO.

Dr. Däther