OLG Frankfurt vom 21.02.2020 (4 UF 295/19)

Stichworte: Auslandsscheidung; Versorgungsausgleich; Doppelstaatigkeit; Heimatstaatentscheidung; Anerkennung
Normenkette: VersAusglG 9 Abs. 1; EGBGB 17 Abs. 4 S 1; FamFG 107 Abs. 1 S 2
Orientierungssatz:
  • Der inländische Versorgungsausgleich kann bei einer Auslandsscheidung nachträglich durchgeführt werden, wenn nach dem Scheidungsfolgenstatut deutsches Recht Anwendung findet.
  • Der nach deutschem Kollisionsrecht durchzuführende Versorgungsausgleich setzt – mit Ausnahme der im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO getroffenen und der Heimatstaatentscheidungen des § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG – die vorherige Anerkennung der ausländischen Ehescheidung im Inland nach § 107 FamFG voraus.
  • Bei Doppelstaatlern (hier deutsch und tunesisch) liegt grundsätzlich keine Heimatstaatentscheidung iSv. § 107 Abs. 1 S. 2 vor; ein von einem der Eheleute vor Anerkennung der Auslandsentscheidung gestellter Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs ist daher unzulässig.
  • 401 F 1101/19 AG Frankfurt/Main, Außenstelle Höchst

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 28.10.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Frankfurt am Main, Außenstelle Höchst, vom 23.09.2019 am 21. Februar 2020 beschlossen:

    Die Beschwerde wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor der angefochtenen Entscheidung zur Hauptsache abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:

    Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

    Im Übrigen bleibt es bei der angefochtenen Entscheidung.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 1000 €.

    Gründe:

    I.

    Die Beteiligten, gebürtige Tunesier, streiten um die Durchführung des Versorgungsausgleichs bei der Scheidung. Sie heirateten … 1973 in Tunesien, wanderten nach Deutschland aus und erwarben 1995 die deutsche Staatsangehörigkeit.

    2018 leitete der Antragsgegner in Tunesien ein Ehescheidungsverfahren ein. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung legte die Antragstellerin in Tunesien Berufung ein. Ob das Verfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen wurde, ist ungewiss. Jedenfalls ist in Deutschland bislang keine Anerkennung der Entscheidung erfolgt.

    Die Antragstellerin begehrt „unabhängig davon, ob der Antragsgegner den Fragebogen zum Versorgungsausgleich einreicht oder nicht“, die gerichtliche Klärung des Versorgungsausgleichs bei den Versorgungsträgern des Antragsgegners. Sie ist der Ansicht, ein Versorgungsausgleich könne bei deutschen Staatsangehörigen auch dann durchgeführt werden, während die Auslandsscheidung noch betrieben werde. Erstinstanzlich beantragte sie,

    die von den Beteiligten in der Ehezeit erworbenen Anrechte zur Altersversorgung werden jeweils zur Hälfte zwischen Ihnen geteilt.

    Der Antragsgegner hat sich erstinstanzlich nicht zur Sache eingelassen.

    Mit der angefochtenen Entscheidung vom 13.09.2019 wies das Familiengericht den Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs zurück und begründete dies im Wesentlichen mit der Erwägung, die Ehe der Beteiligten sei noch nicht rechtskräftig geschieden und deshalb ein Wertausgleich anlässlich der Scheidung nach § 9 Abs. 1 VersAusglG nicht möglich. Auch könne kein Auskunftsverfahren nach § 220 FamFG betrieben werden, weil dieses den gleichen Voraussetzungen wie der Versorgungsausgleich selbst unterliege. Im Übrigen sei es nicht möglich, das deutsche Auskunftsverfahren mit einem im Ausland anhängigen Scheidungsverfahren zu kombinieren.

    Gegen den ihr am 30.09.2019 zugestellten Beschluss legte die Antragstellerin mit am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 28.10.2019 Beschwerde mit dem Antrag ein, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die von den Beteiligten in der Ehezeit erworbenen Anteile an Anrechten zur Altersversorgung hälftig zu teilen.

    Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags vertritt sie zur Begründung die Auffassung, der Begriff „Wertausgleich bei Scheidung“ in § 9 Abs. 1 VersAusglG sei unscharf formuliert. Es gebe keine Regelung zu der Frage, ob ein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs erst nach rechtskräftigem Abschluss eines ausländischen Scheidungsverfahrens in Deutschland anhängig oder rechtshängig gemacht werden könne. Es bestehe auch keine Veranlassung, einen deutschen Ehegatten, dessen Ehe auf Antrag seines Partners im Ausland geschieden werde, verfahrenstechnisch schlechter zu stellen als einen deutschen Ehegatten, dessen Ehe in Deutschland im Verbundverfahren unter Einbeziehung des Versorgungsausgleichs geschieden werde.

    Der Senat hat den Beteiligten durch den Berichterstatter am 20.01.2020 folgenden Hinweis erteilt:

    „Nach Beratung des Senats werden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass das zulässige Rechtsmittel der Antragstellerin in der Sache auch im Lichte des Beschwerdevorbringens ohne Erfolg bleiben dürfte. Die Durchführung des Versorgungsausgleichs ist erst möglich, wenn die Landesjustizverwaltung im Verfahren nach § 107 FamFG festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung vorliegen (vgl. MüKoBGB/Siede VersAusglG § 2 Rn. 38; Wick, Versorgungsausgleich, 4. A., B., Rn. 69). Da die tunesische Ehescheidung bislang noch nicht einmal rechtskräftig, geschweige denn im Inland anerkannt ist, kann der Versorgungsausgleich im Inland nicht durchgeführt werden.“

    Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18.02.2020 reagiert, mit dem sie um Verlängerung der ihr eingeräumten Stellungnahmefrist bittet. Sie gehe aufgrund des Vortrags des Antragsgegners in einem vor dem Familiengericht anhängigen Trennungsunterhaltsverfahren davon aus, dass das Scheidungsverfahren in Tunesien inzwischen rechtskräftig abgeschlossen sei; sie wolle die Frage einer möglichen Rechtskraft noch klären.

    Der Antragsgegner hat sich auch im Rechtsmittelverfahren nicht geäußert.

    II.

    Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere statthafte und form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin unterliegt der Zurückweisung.

    Das Familiengericht hat dem Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs zwischen den Beteiligten zu Recht den Erfolg versagt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Versorgungsausgleich im Inland (noch) nicht stattfindet, wenn die Ehe der beteiligten Eheleute im Ausland geschieden wird, das dortige Verfahren aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen und die Entscheidung im Inland noch nicht anerkannt worden ist.

    Der Versorgungsausgleich unterliegt nach Art. 17 Abs. 4 S. 1 EGBGB grundsätzlich dem nach der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-VO) auf die Scheidung anzuwendenden Recht. Zwar findet das Scheidungsverfahren in Tunesien statt, bei einer im Inland anzuerkennenden Auslandsscheidung kann aber noch nachträglich der Versorgungsausgleich durchgeführt werden, wenn nach dem Scheidungsfolgenstatut deutsches Recht anzuwenden ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 322; FamRZ 1993, 176; Ruland, Versorgungsausgleich 4. A., 2. Kap. Rn 114 mwN.). Davon ist – mangels Rechtswahl der Beteiligten – jedenfalls aufgrund ihres gemeinsamen inländischen Wohnsitzes nach Art. 8 a) Rom III-VO auszugehen.

    Grundsätzlich gilt für Auslandsscheidungen, dass die Durchführung eines nach deutschem Kollisionsrecht durchzuführenden Versorgungsausgleichs von der – vorliegend jedoch fehlenden – vorherigen Anerkennung der ausländischen Entscheidung (§ 107 FamFG) abhängt. Dieser bedürfen nur die im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO getroffenen Entscheidungen und Heimatstaatentscheidungen iSv. § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht. Beide Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt: In Tunesien als Nicht-EU-Mitgliedsstaat gelangt die Brüssel-IIa-VO nicht zur Anwendung, und es handelt sich bei dem tunesischen ScheidungsUrteil auch um keine Entscheidung iSd. § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG.

    Heimatstaatentscheidungen setzen grundsätzlich nur voraus, dass beide Ehegatten zur Zeit des Erlasses der ausländischen Entscheidung gemeinsam die Staatsangehörigkeit des entscheidenden Staates besessen haben (OLG Frankfurt a.M. NJW 1971, 1528; MüKoFamFG/Rauscher § 107 Rn. 35). Vorliegend ist für beide Beteiligte zwar durch Vorlage eines beglaubigten Auszugs aus dem Familienbuch belegt, dass sie im Jahre 1995 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, unklar bleibt aber, ob sie dadurch zugleich die tunesische Staatsangehörigkeit verloren haben. Nach Ziffer 12 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. November 2014 (BGBl. I S. 1714) zählt Tunesien zu den Staaten, die faktisch keine Entlassung aus ihrer Staatsbürgerschaft vornehmen. Bei diesen Staaten ist Mehrstaatigkeit gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StAG hinzunehmen (vgl. Berthold Münch in: Marx, Ausländer- und Asylrecht, 3. A., Rn. 164). Andererseits trägt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 18. Juni 2019 in der Vergangenheitsform vor, die Beteiligten „waren“ tunesische, seit 1995 aber deutsche Staatsangehörige. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen, weil selbst bei gemeinsamer Fortgeltung der tunesischen Staatsangehörigkeit der Beteiligten aufgrund ihrer dann anzunehmenden Doppelstaatigkeit das Anerkennungsverfahren vor dem gem. § 107 Abs. 2 und 3 FamFG i.V.m. § 34 HessJustizzuständigkeitsVO zuständigen Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main erforderlich ist (vgl. BGH NJW 1990, 3081; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1561; OLG München FamRZ 2015, 1611; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.06.2010 - 5 UF 103/10 = BeckRS 2012, 16080). Auf eine - vorliegend ohnehin zu verneinende - effektive tunesische Staatsangehörigkeit der Beteiligten kann im Rahmen des § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht abgestellt werden (vgl. zur früheren Rechtslage BGH FamRZ 1982, 1203). Auch wenn Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB mit der Statuierung des Vorrangs deutschen materiellen Rechts bei Verfahrensbeteiligung eines auch deutschen Staatsangehörigen nicht unmittelbar für verfahrensrechtliche Fragen der Doppelstaatigkeit gilt, hat der Zweck der Norm, eine hinkende Beurteilung der Ehe zu vermeiden, aus deutscher Sicht gerade für deutsche Staatsangehörige Bedeutung; der kollisionsrechtliche Vorrang der deutschen Staatsangehörigkeit ist daher jedenfalls im Rahmen des Scheidungsstatuts beachtlich (vgl. OLG Stuttgart aaO.; OLG Frankfurt FamRZ 2019, 625; MüKoFamFG/Rauscher FamFG § 107 Rn. 36). Dies rechtfertigt letztlich auch die von der Antragstellerin gerügte vermeintliche Ungleichbehandlung der Beteiligten bei Durchführung des Versorgungsausgleichs bei in- und ausländischer Ehescheidung.

    Da bislang noch nicht einmal Gewissheit über die Rechtskraft der tunesischen Entscheidung zur Ehescheidung besteht, mithin der Zeitpunkt des Abschlusses des erst danach auf Antrag eines der Beteiligten durchzuführenden Anerkennungsverfahrens nicht entfernt absehbar ist, kommen auch die von der Antragstellerin begehrte Fristverlängerung oder eine Aussetzung des Rechtsmittelverfahrens nicht in Betracht (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2019, 625).

    Im Ergebnis fehlt es damit bereits an einer Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchführung des Versorgungsausgleichs, so dass der Antrag erster Instanz – insoweit in geringfügiger Abweichung von der angefochtenen Entscheidung – nicht als unbegründet zurückzuweisen, sondern als unzulässig zu verwerfen war.

    Die Kostenentscheidung beruht im Hinblick auf das vollständige Unterliegen der Antragstellerin auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf den §§ 55 Abs. 2, 50 Abs. 1 S 2 FamGKG (Mindestwert).

    Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

    Reitzmann Schmidt Dr. Kischkel