OLG Frankfurt vom 03.05.2023 (4 UF 258/21)

Stichworte: Vergütung, Sachverständiger, Erforderlichkeit, Hinweispflicht
Normenkette: JVEG 8, 8a; FamFG 30; ZPO 407a Abs. 4 S. 2
Orientierungssatz:
  • § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO findet in den von Amts wegen einzuleitenden und der Disposition der Beteiligten entzogenen Kinderschutzverfahren keine Anwendung mit der Folge, dass eine auf den unterbliebenen Hinweis des Sachverständigen auf die Höhe der Kosten gestützte Herabsetzung der Sachverständigenvergütung nach § 8a Abs. 3 JVEG ausscheidet (im Anschluss an OLG Frankfurt am Main (8. Familiensenat), Beschluss vom 16.06.2021 – 8 WF 200/18, NZFam 2021 842; entgegen OLG Frankfurt am Main (18. Zivilsenat), Beschluss vom 15.06.2021, NZFam 2022, 30).
  • Für das Aktenstudium eines medizinischen oder psychologischen Sachverständigen ist in der Regel eine Stunde je 80 bis 100 Seiten Aktenstudium einschließlich der Fertigung von Notizen erforderlich, soweit es sich um allgemeinen Akteninhalt handelt, der ohne größere Schwierigkeiten durchgesehen werden kann. Lediglich komplizierte, für die gerichtliche Fragestellung relevante Inhalte wie beispielsweise in der Akte befindliche medizinische oder psychologische Gutachten oder Befundberichte können eine Erhöhung des für das Aktenstudium erforderlichen Zeitaufwands auf 50 Seiten je Stunde rechtfertigen.
  • 464 F 10238/20
    AG Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge für X und Y

    hier: Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Sachverständigenvergütung

    wird die dem Sachverständigen A für die Erstattung seines schriftlichen Gutachtens vom 23.1.2023 zu zahlende Vergütung festgesetzt auf 8.233,97 Euro.

    Die der Sachverständigen B für die Erstattung ihres schriftlichen Gutachtens vom 23.1.2023 zu zahlende Vergütung wird festgesetzt auf 10.539,96 Euro.

    Gründe:

    I.

    Gegenstand des vor dem Senat anhängig gewesenen Beschwerdeverfahrens war der von den Eltern angefochtene Entzug der elterlichen Sorge für ihre beiden minderjährigen Kinder.

    Der Senat ordnete mit Beweisbeschluss vom 22.4.2022 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu folgenden Beweisfragen an:

    1. Liegen bei beiden Eltern aus psychologischer Sicht Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit für die beiden betroffenen Kinder vor? Insbesondere: Lassen sich bei beiden Eltern psychische Störungen oder Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit feststellen und welche Einschränkungen ergeben sich daraus in Bezug auf die Erziehungsfähigkeit?

    2. Weisen beide Kinder aus psychologischer Sicht im Hinblick auf ihre bisherige Entwicklung irgendwelche besonderen Bedarfe auf?

    3. Welche Auswirkungen hätte eine Rückführung beider Kinder in den Haushalt der Eltern für die künftige Entwicklung beider Kinder?

    4. Lassen sich etwaige Gefahren für die künftige Entwicklung der Kinder durch geeignete öffentliche Hilfen oder durch Behandlungen der Eltern abwenden? Falls ja, durch welche? In diesem Zusammenhang wird gegebenenfalls auch zu erörtern sein, ob eine dauerhafte stationäre Unterbringung der Eltern und der Kinder im Sinne einer begleiteten Elternschaft geeignet wäre, eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, und welche Voraussetzungen eine entsprechende Einrichtung erfüllen müsste.

    Mit der Gutachtenerstellung wurden die beiden im Rubrum des vorliegenden Beschlusses genannten Sachverständigen beauftragt. Dem Sachverständigen A wurde die klinisch-psychologische Begutachtung beider Eltern gemäß Beweisfrage 1 aufgegeben, der Sachverständigen B die Beantwortung der Beweisfragen im Übrigen. Mit Beschluss vom 20.7.2022 genehmigte der Senat die vom Sachverständigen A angeregte Durchführung von Haaranalysen beider Eltern durch das Institut für Forensische Toxikologie der J. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wurde der Senat von den Sachverständigen wiederholt über den Fortgang der Begutachtung und die noch beabsichtigten Untersuchungen unterrichtet, was wiederholte Verlängerungen der für die Gutachtenerstattung gesetzten Frist nach sich zog.

    Der Sachverständige A stellte der Staatskasse für sein unter dem Datum 23.1.2023 erstattetes Gutachten mit Schreiben vom 22.2.2023 einen Betrag von 8.233,97 Euro in Rechnung, die Sachverständige B für ihr ebenfalls unter dem Datum 23.1.2023 erstattetes Gutachten einen Betrag von 11.468,17 Euro. Wegen der einzelnen Rechnungspositionen wird auf die beiden Rechnungen vom 22.2.2023 Bezug genommen. Auf den Inhalt der von beiden Sachverständigen erstatteten Gutachten vom 23.1.2023 wird ebenfalls Bezug genommen.

    Im Rahmen eines Vermerks vom 28.2.2023 hat der Bezirksrevisor beim Oberlandesgericht im Namen der Staatskasse auf Bedenken gegen die Höhe der geltend gemachten Vergütung hingewiesen. Er hat ausgeführt, die geltend gemachte Vergütung stehe erheblich außer Verhältnis zu dem mit 4.000,- Euro zu bemessenden Wert des Streitgegenstands, worauf die Sachverständigen nach §§ 30 Abs. 1 FamFG, 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO hätten hinweisen müssen. Das Unterbleiben des Hinweises habe nach § 8a Abs. 3 JVEG zur Folge, dass vom Gericht nach billigem Ermessen eine in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehende Vergütung zu bestimmen sei.

    Im Rahmen eines weiteren Vermerks vom 6.3.2023 hat der Bezirksrevisor unter Vertiefung seiner Ausführungen im Vermerk vom 28.2.2023 eine gerichtliche Festsetzung der Sachverständigenvergütung beantragt. Er hat beantragt, die Rechnung der Sachverständigen B jedenfalls hinsichtlich der darin in Ansatz gebrachten 13 Stunden für das Aktenstudium um 6,5 Stunden zu kürzen. Der Sachverständige A habe für das Studium derselben Akten nur zwei Stunden in Ansatz gebracht. Ausgehend von ca. 100 Blatt pro Stunde könnten für das Studium der insgesamt 680 Blatt umfassenden Akten nur insgesamt 6,5 Stunden als erforderlich in Ansatz gebracht werden.

    Für die beiden Sachverständigen hat die G mit Schreiben vom 24.3.2023 zu dem Festsetzungsantrag Stellung genommen und ebenfalls die gerichtliche Festsetzung der Vergütung beantragt. Sie hält § 8a Abs. 3 JVEG in Kindschaftssachen nicht für anwendbar. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folge, werde von einer Anzeigepflicht des Sachverständigen regelmäßig erst dann ausgegangen, wenn die Kosten des Gutachtens das Dreifache des Regelwerts erreichten. Die sich hieraus für die Annahme einer Anzeigepflicht ergebende Kostengrenze von 12.000,- Euro sei durch keines der beiden Gutachten überschritten. Der Ansatz von 50 Seiten pro Stunde für das Aktenstudium entspreche der von der Sachverständigen B tatsächlich hierfür aufgewandten Zeit. Die Auswertung der Akte nach psychologischen Gesichtspunkten sei gemäß den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht ein wesentlicher und grundlegender Bestandteil, auf dem die gesamte methodische Arbeit, konkret die Herleitung der zu prüfenden Hypothesen erfolge. In der vorliegenden Familiensache sei zu dem mütterlichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs am Kind durch den Vater eine sorgfältige Auswertung der Verdachtsentstehung notwendig gewesen, um eine fachlich angemessene Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung zu ermöglichen.

    Der Verfahrenswert für den zweiten Rechtszug ist vom Senat in der Endentscheidung vom 6.4.2023 auf den Regelwert von 4.000,- Euro festgesetzt worden.

    Die Entscheidung über die Festsetzung der Vergütung der beiden Sachverständigen ist vom Einzelrichter des Senats mit Beschluss vom heutigen Tage auf den Senat übertragen worden.

    II.

    Auf die Anträge der im Rubrum aufgeführten Beteiligten hin ist die Vergütung beider Sachverständiger gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG gerichtlich festzusetzen.

    Die Erforderlichkeit der von beiden Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung wird von sämtlichen Beteiligten des Festsetzungsverfahrens dabei ebenso wenig in Zweifel gezogen wie der Ansatz des sich aus Teil 2 M3 Nr. 15 der Anlage zu § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG ergebenden Stundensatzes von 120,- Euro (vgl. insoweit auch Schneider, JVEG, 4. Aufl. 2021, § 8, Rdnr. 53ff.).

    In Zweifel gezogen wird lediglich die Erforderlichkeit der von der Sachverständigen B in Ansatz gebrachten 13 Stunden für das Aktenstudium.

    Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass nur solche Zeiten vergütet werden, die für die Erbringung der Leistung objektiv erforderlich waren, wobei für die BeUrteilung der Erforderlichkeit der Umfang des Sachstoffs, die Schwierigkeit der Beweisfrage und die Bedeutung der Sache zu berücksichtigen sind. Es ist auf den Zeitaufwand abzustellen, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten bei sachgemäßer Auftragserledigung benötigt, um die Beweisfrage vollständig und sachgemäß zu beantworten (vgl. BGH, MDR 2004, 776; BVerfG, JurBüro 2008, 44).

    Für das Aktenstudium eines medizinischen oder psychologischen Sachverständigen wird in der Rechtsprechung dabei in der Regel eine Stunde je 80 bis 100 Seiten Aktenstudium einschließlich der Fertigung von Notizen für erforderlich erachtet, soweit es sich um allgemeinen Akteninhalt handelt, der ohne größere Schwierigkeiten durchgesehen werden kann. Lediglich komplizierte, für die gerichtliche Fragestellung relevante Inhalte wie beispielsweise in der Akte befindliche medizinische oder psychologische Gutachten oder Befundberichte können eine Erhöhung des für das Aktenstudium erforderlichen Zeitaufwands auf 50 Seiten je Stunde rechtfertigen (vgl. Schneider, JVEG, 4. Aufl. 2021, § 8, Rdnr. 24 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

    Im vorliegenden Fall enthalten die Akte des gerichtlichen Verfahrens und die beigezogenen Akten mit den Aktenzeichen 457 F 6382/16 EASO und 457 F 6255/16 SO keinen Inhalt, der für das Aktenstudium einen höheren Zeitaufwand als 100 Seiten je Stunde rechtfertigen würde. Die von der Sachverständigen zu lesenden 680 Blatt sind fast ausschließlich einseitig beschrieben. Sie enthalten zu einem erheblichen Teil verfahrensleitende Verfügungen des Familiengerichts bzw. Versende- und Eingangsbestätigungen, die für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung erkennbar ohne Bedeutung sind. Die umfangreichen Verlaufsberichte des Jugendamts vom 27.7.2021 mit 17 Seiten und vom 31.8.2021 mit 13 Seiten sind doppelt in der Akte abgeheftet, nämlich jeweils sowohl das vorab eingegangene Telefax als auch das später eingegangene Originalschreiben. Die zahlreichen in der Akte befindlichen toxikologischen Untersuchungsberichte sind zum einen schnell zu lesen und zum anderen nur für die Beantwortung der vom Sachverständigen A zu beantwortenden Beweisfrage, nicht hingegen für die Beantwortung der von der Sachverständigen B zu beantwortenden Beweisfragen von Belang. Lediglich die den Halbbruder der hier betroffenen Kinder betreffenden Beiakten enthalten ein 25-seitiges psychologisches Gutachten, für dessen Studium ein erhöhter Zeitaufwand in Ansatz zu bringen ist. Dies rechtfertigt insgesamt aber nicht den Ansatz eines höheren Zeitaufwands als 100 Seiten je Stunde. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Sachverständige A für das Studium derselben Akten nur insgesamt zwei Stunden benötigt hat, was mehr als 300 Seiten je Stunde entspricht. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Sachverständige A die Akte außergewöhnlich schnell gelesen hat, hat die Sachverständige B keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergibt, dass ein durchschnittlicher Sachverständiger den für die Begutachtung wesentlichen Akteninhalt nicht mit einer Lesegeschwindigkeit von 100 Seiten je Stunde erfassen kann. Die diesbezüglichen Ausführungen im Schreiben der G vom 24.3.2023 sind offensichtlich aus einem anderen Schreiben in das Schreiben hineinkopiert worden und weisen keinen Bezug zum vorliegenden Verfahren auf, in welchem zu keiner Zeit ein Missbrauchsverdacht geäußert worden war.

    Der in Ansatz zu bringende Zeitaufwand für das Aktenstudium der Sachverständigen B ist daher auf 6,5 Stunden zu begrenzen. Daraus folgt ein insgesamt in Ansatz zu erbringender erforderlicher Zeitaufwand von 68,7 statt der von der Sachverständigen in Rechnung gestellten 75,2 Stunden. Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 JVEG sind daher 69 Stunden zu vergüten, woraus sich eine Vergütung des Zeitaufwands mit 69 x 120 = 8.280,- Euro ergibt. Unter Einbeziehung der nicht zu beanstandenden sonstigen Aufwendungen in Höhe von 577,11 Euro beläuft sich die Vergütung auf 8,857,11 Euro netto bzw. 10.539,96 Euro brutto einschließlich der nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 JVEG festzusetzenden Umsatzsteuer.

    Eine darüber hinausgehende Kürzung der von beiden Sachverständigen in Rechnung gestellten Vergütung nach § 8a Abs. 3 JVEG ist nicht angezeigt.

    Nach § 8a Abs. 3 JVEG bestimmt das Gericht nach billigem Ermessen eine Vergütung, die in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands steht, wenn die geltend gemachte Vergütung erheblich außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands steht und der oder die Sachverständige nicht rechtzeitig nach § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO auf diesen Umstand hingewiesen hat. Nach § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO hat ein Sachverständiger rechtzeitig darauf hinzuweisen, dass voraussichtlich Kosten erwachsen, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen.

    Ob § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO auf die von Amts wegen einzuleitenden Kinderschutzverfahren Anwendung findet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

    Nach der auch vom Bezirksrevisor, in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Auffassung findet § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO über § 30 Abs. 1 FamFG auch in den von Amts wegen einzuleitenden Kindschaftssachen uneingeschränkte Anwendung mit der Folge, dass ein vom Gericht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragter Sachverständiger dem Gericht rechtzeitig einen Hinweis zu erteilen hat, wenn die voraussichtlich entstehenden Kosten der Gutachtenerstattung erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehen (so BayObLG FamRZ 1998, 1456; OLG Nürnberg FamRZ 2019, 130; OLG Brandenburg FamRZ 2020, 368; OLG Oldenburg NZFam 2022, 116; OLG Frankfurt am Main (18. Zivilsenat) NZFam 2022, 30; OLG Frankfurt am Main (1. Familiensenat) MDR 2023, 108 in Bezug auf eine Umgangssache; OLG München FamRZ 2023, 372; LG Frankfurt am Main NZFam 2022, 947; Schneider JVEG, 4. Aufl. 2021, § 8a, Rdnr. 29; BeckOK-Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn/Bleutge, 41. Edition, Stand: 1.4.2023, § 8a, Rdnr. 25; Prütting/Helms/Hammer/Dürbeck, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 163, Rdnr. 32). Von erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstands stehenden Kosten der Gutachtenerstattung wird dabei ausgegangen, wenn die Kosten den sich aus § 45 Abs. 1 FamGKG ergebenden Regelwert um mehr als ein Viertel (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 1456), mehr als die Hälfte (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2020, 368), mehr als das Doppelte (so OLG Frankfurt am Main MDR 2023, 108, allerdings auf die Nettokosten ohne die darauf entfallende Umsatzsteuer abstellend) oder mehr als das Dreifache (so OLG Nürnberg FamRZ 2019, 130; LG Frankfurt am Main NZFam 2022, 847) übersteigen.

    Nach der von den Sachverständigen vertretenen Gegenauffassung findet § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO jedenfalls in den von Amts wegen einzuleitenden und der Disposition der Beteiligten entzogenen Kinderschutzverfahren keine Anwendung mit der Folge, dass eine auf den unterbliebenen Hinweis des Sachverständigen auf die Höhe der Kosten gestützte Herabsetzung der Sachverständigenvergütung nach § 8a Abs. 3 JVEG ausscheidet (so OLG Frankfurt am Main (8. Familiensenat), NZFam 2021 842; OLG Celle FamRZ 2022, 888; OLG Hamm ZKJ 2013, 169; LG Braunschweig Beschluss vom 28.5.2016 – 12 T 606/14, juris; AG Ebersberg Beschluss vom 24.2.2019 – 3 F 733/15, juris; Dutta/Jacoby/Schwab/Lack, FamFG, 4. Aufl. 2021, § 163, Rdnr. 49; Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 8a JVEG, Rdnr. 20).

    Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.

    Zwar finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über § 30 Abs. 1 FamFG auch auf die förmliche Beweisaufnahme in den dem Grundsatz der Amtsermittlung unterliegenden Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Anwendung. Daraus folgt nach Auffassung des Senats jedoch keine Anwendbarkeit des § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO auf Kinderschutzverfahren, weil die Bestimmung des § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck auf diese vom Gericht von Amts wegen einzuleitenden und zu betreibenden Verfahren Anwendung finden kann.

    Die Bestimmung stellt auf den Wert des Streitgegenstands ab und damit ersichtlich auf sogenannte kontradiktorische Verfahren, in denen der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens im Streit steht. Die Gegenüberstellung der Kosten der Begutachtung und des Werts des Streitgegenstands zeigt, dass mit dem Wert des Streitgegenstands der wirtschaftliche Wert des Verfahrensgegenstands für die Beteiligten gemeint ist, der im Zivilprozess regelmäßig dem für die Gebühren maßgeblichen Streitwert nach dem GKG entspricht.

    In den von Amts wegen einzuleitenden und zu betreibenden Kinderschutzverfahren besteht zwischen den Beteiligten des gerichtlichen Verfahrens kein Streitverhältnis, weshalb es auch keinen Streitgegenstand im eigentlichen Sinne geben kann. Der Verfahrensgegenstand, die Prüfung der Ergreifung von Maßnahmen zur Abwehr einer Gefährdung des Kindeswohls, hat auch keinen irgendwie messbaren wirtschaftlichen Wert. Den für die Gebührenhöhe maßgeblichen Verfahrenswerten nach § 45 Abs. 1 und 3 FamGKG liegt daher auch keine Bemessung der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Verfahren für die Beteiligten zu Grunde, weshalb es sich verbietet, diese aus sozialpolitischen Erwägungen bewusst niedrig gehaltenen Werte in ein Verhältnis zu den Kosten der Begutachtung zu setzen, zumal der Gegenstand des Verfahrens für Kind und Eltern von existentieller Bedeutung und mit schweren Grundrechtseingriffen verbunden sein kann.

    Eine an das Verhältnis der Kosten der Begutachtung zu den Verfahrenswerten des FamGKG anknüpfende Hinweispflicht des oder der Sachverständigen in Kinderschutzverfahren würde auch dem Sinn und Zweck des § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO widersprechen.

    Die Hinweispflicht des § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO soll sicherstellen, dass die Verfahrensbeteiligten in die Lage versetzt werden, darüber nachzudenken, ob sie das Verfahren fortsetzen oder es aus wirtschaftlichen Gründe:n beschränken oder beenden wollen. Diese Überlegung greift in den von Amts wegen einzuleitenden und zu betreibenden Kinderschutzverfahren jedoch nicht, weil diese Verfahren jeglicher Disposition der Beteiligten entzogen sind (vgl. OLG Frankfurt am Main (8. Familiensenat) NZFam 2021, 842).

    Soweit in den oben zitierten, eine Hinweispflicht befürwortenden Entscheidungen darauf abgestellt wird, dass die Hinweispflicht auch das Gericht in die Lage versetzen soll, über eine Einschränkung des Gutachtenauftrags oder eine Entpflichtung des bestellten Sachverständigen und die Beauftragung eines anderen Sachverständigen nachzudenken, greift dieses Argument in Kinderschutzverfahren nach Auffassung des Senats nicht. Hält das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich, um sich die für seine Entscheidung notwendige Erkenntnisgrundlage zu verschaffen, vermögen die voraussichtlichen Kosten der Begutachtung an diesem Umstand nichts zu ändern. Eine Einschränkung des Gutachtenauftrags als Folge eines Hinweises des oder der Sachverständigen auf die voraussichtlichen Kosten der Begutachtung kommt wegen der sich aus § 26 FamFG ergebenden Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nicht in Betracht. Allenfalls käme die Entpflichtung des oder der Sachverständigen und die Beauftragung eines anderen Sachverständigen in Betracht. Eine Kostenersparnis wäre damit aber in der Regel nicht verbunden, weil dann zusätzlich zum neuen Sachverständigen der zunächst beauftragte Sachverständige für seine bereits geleistete Tätigkeit vergütet werden müsste und weil dessen Vergütung - wie oben ausgeführt - ohnehin auf den für die Gutachtenerstellung objektiv erforderlichen Zeitaufwand begrenzt ist. Dem Gericht stehen über die Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen nach §§ 30 Abs. 1 FamFG; 404a ZPO und über die sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergebende Begrenzung seiner Vergütung auf den erforderlichen Zeitaufwand ausreichende Möglichkeiten der Begrenzung der Kosten auf das erforderliche Maß zu Verfügung.

    Selbst wenn man eine Anwendbarkeit des § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO entgegen der vorstehend vertretenen Auffassung befürwortete, wäre im vorliegenden Fall nicht von einem die Hinweispflicht auslösenden erkennbaren Missverhältnis zwischen den Kosten der Begutachtung und dem Wert des Verfahrensgegenstands auszugehen.

    Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war der von den Eltern angefochtene Entzug der elterlichen Sorge für ihre beiden minderjährigen Kinder im Kleinkindalter, dessen vom Senat zu prüfende Aufrechterhaltung mit einer voraussichtlich langfristigen Trennung der Kinder von ihren Eltern verbunden war. Es war daher die Erforderlichkeit schwerwiegender Eingriffe in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht und das verfassungsrechtlich geschützte Familienleben zwecks Abwehr einer den Kindern andernfalls drohenden Gefährdung ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls zu prüfen. Das Ergebnis der Prüfung war nicht nur für die Kinder, sondern im Hinblick auf eine mögliche Trennung der Kinder von den Eltern und die damit verbundene Verhinderung eines gemeinsamen Familienlebens und damit der Entstehung einer sozialen Familie auch für ihre Eltern von existentieller Bedeutung, die sich nicht mit einem Geldwert und schon gar nicht mit dem im FamGKG vorgesehenen Regelverfahrenswert erfassen lässt.

    Die nunmehr festgesetzte Vergütung von 8.233,97 Euro bzw. 10.539,96 Euro für die beiden Gutachten steht vor dem Hintergrund der auch für die Sachverständigen erkennbaren Bedeutung des Verfahrensgegenstands für die Beteiligten ersichtlich nicht in einem erkennbaren Missverhältnis zu dessen Wert. Ein Abstellen auf pauschale, an die Verfahrenswerte des FamGKG anknüpfende Wertgrenzen verbietet sich insoweit. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch zu berücksichtigen, dass die Kosten für beide Gutachten im Rahmen der Prüfung einer Verletzung der Hinweispflicht aus § 407a Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht einfach addiert werden dürfen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass beiden Sachverständigen die Höhe der mit der Beauftragung des jeweils anderen Sachverständigen verbundenen Kosten bekannt war.

    Auf die in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob eine Kürzung des Vergütungsanspruchs nach § 8a Abs. 3 JVEG nur in Betracht kommt, wenn davon ausgegangen werden muss, dass das Gericht den Gutachtenauftrag bei rechtzeitigem Hinweis auf die damit verbundenen Kosten entzogen oder eingeschränkt hätte (so u.a. OLG Nürnberg FamRZ 2019, 130; OLG Jena BauR 2015, 301; BeckOK-Kostenrecht, Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn/Bleutge, 41. Edition, Stand: 1.4.2023, § 8a, Rdnr. 26; a. A. OLG Frankfurt am Main (18. Zivilsenat) NZFam 2022, 30; OLG Frankfurt am Main (1. Familiensenat) MDR 2023, 108; OLG Brandenburg FamRZ 2020, 368; OLG Stuttgart JurBüro 2021, 87), kommt es im vorliegenden Fall mangels Verletzung der Hinweispflicht nicht an.

    Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren ist kraft gesetzlicher Anordnung gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

    Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).

    Frankfurt am Main, den 3. Mai 2023

    Oberlandesgericht, 4. Senat für Familiensachen

    Reitzmann Dr. Kischkel Schmidt