OLG Frankfurt vom 08.10.2012 (4 UF 209/12)

Stichworte: Pflegerauswahl, Beschwerdeberechtigung, Verwandte; Vormundauswahl, Beschwerdeberechtigung, Verwandte; Beschwerdeberechtigung, Pflegerauswahl, Vormundauswahl; Verwandte, Beschwerdeberechtigung, Pflegerauswahl, Vormundauswahl;
Normenkette: FamFG 59, GG Art. 6 Abs. 1, BGB 1915 Abs. 1 S. 1, 1779 Abs. 2 S. 2
Orientierungssatz:
  • 1. Art. 6 Abs. 1 GG oder § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnen einem die Übernahme einer Ergänzungspflegschaft begehrenden Verwandten des Pfleglings kein zur Beschwerde gegen die vom Familiengericht getroffene Pflegerauswahl berechtigendes eigenes Recht im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG.
  • 2. Ein vor dem Familiengericht gestellter "Antrag" auf Übernahme der Pflegschaft eröffnet für den Antragsteller ebenso wenig eine Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 2 FamFG wie seine förmliche Beteiligung am Verfahren des ersten Rechtszugs. Der "Antrag" ist unabhängig von seiner Bezeichnung nicht als verfahrenseinleitender Antrag im Sinne der §§ 23, 7 Abs. 1 FamFG, sondern als bloße Anregung eines Tätigwerdens des Familiengerichts im Rahmen der ihm ohnehin von Amts wegen obliegenden Pflegerauswahl im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG auszulegen.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 21.06.2012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Alsfeld vom 16.05.2012 am 8. Oktober 2012 beschlossen:

    Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

    Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

    Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren festgesetzt auf 3.000,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Tante mütterlicherseits des betroffenen Kindes, dessen Eltern durch Beschluss des Amtsgerichts vom 9.12.2010 die elterliche Sorge in den Bereichen Aufenthaltsbestimmung und Antragstellung nach dem SGB VIII entzogen und auf das Jugendamt des V.-Kreises als Ergänzungspfleger übertragen worden war. Das Kind hatte zuvor bei den Großeltern mütterlicherseits in H. in Niederbayern gelebt und lebt mittlerweile in einer Einrichtung der Jugendhilfe im hessischen F. Besuchskontakte der Eltern erfolgen sporadisch. Die Mutter des Kindes ist inzwischen unter der Anschrift der Beschwerdeführerin gemeldet, wohnt dort nach deren Angaben aber nicht. Zwischen der Beschwerdeführerin und dem Kind gibt es telefonische Kontakte.

    Mit Schreiben vom 9.1.2012 beantragte die Beschwerdeführerin die Übernahme der Pflegschaft. Nach Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des zuständigen Jugendamts wies die Rechtspflegerin des Amtgerichts den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.5.2012 zurück und verwies in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung.

    Gegen den am 23.5.2012 zur Post gegebenen Beschluss richtet sich die am 21.6.2012 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin ihr Begehren weiter verfolgt. Für die Durchführung der Beschwerde beantragt sie die Bewilligung von Vefahrenskostenhilfe. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat mit Beschluss vom 24.7.2012 entschieden, der Beschwerde nicht abzuhelfen, und hat sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    Die Beschwerdeführerin ist von der Vorsitzenden des Senats auf Bedenken gegen ihre Beschwerdeberechtigung hingewiesen worden. Sie hält an ihrer Beschwerde fest und trägt vor, ihr Antrag vom 9.12.2012 sei vom Amtsgericht als solcher aufgefasst und beschieden worden, weshalb sie als Antragstellerin auch beschwerdeberechtigt sei. Zutreffend habe auch die Rechtsbehelfsbelehrung auf das Rechtsmittel der Beschwerde verwiesen. Andernfalls könnte die Entscheidung nur vom betroffenen Kind angefochten werden, das aber durch das Jugendamt als Ergänzungspfleger vertreten werde, das an seiner Entlassung kein Interesse habe.

    II.

    Die Beschwerde, für die eine Abhilfeprüfung des Amtsgerichts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG), ist unzulässig und daher zu verwerfen (§ 68 Abs. 2 FamFG).

    Es fehlt der Beschwerdeführerin an der für die Zulässigkeit ihrer Beschwerde erforderlichen Beschwerdeberechtigung. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist (§ 59 Abs. 1 FamFG).

    Ein die Beschwerdeberechtigung begründendes subjektives Recht der Beschwerdeführerin, welches durch die Ablehnung der Übertragung der Pflegschaft auf sie beeinträchtigt wird, ist hier nicht ersichtlich, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob es sich nicht bereits bei dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Bestellung als Ergänzungspflegerin um eine Beschwerde gegen die vom Amtsgericht im Beschluss vom 9.12.2010 getroffene Pflegerauswahl handelt (vgl. insoweit Wagenitz in Münchener Komnmentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 1779, Rdnr. 24).

    Ein subjektives Recht der Beschwerdeführerin auf Berücksichtigung bei der Pflegerauswahl folgt nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG, wonach Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Familie im Sinne der genannten Vorschrift ist nämlich nur die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern (vgl. BVerfGE 59, 52, 63 = NVwZ 1982, 187; BVerfGE 80, 81, 90 = NJW 1989, 2195); ein weiter gehender Familienbegriff wird hingegen in weiten Teilen der Literatur vertreten, vgl. Uhle in BeckOK, GG, Stand 1.7.2012, Art. 6, Rdnr. 14 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

    Die Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG auf die Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern hindert den Gesetzgeber allerdings nicht, den Familienbegriff in anderen Zusammenhängen zu erweitern und daraus Folgerungen herzuleiten (vgl. BVerfGE 59, 62, 63 = NVwZ 1982, 187). Ein subjektives auf eine ermessensfehlerfreie Pflegerauswahl gerichtetes Recht der bei der Auswahl zu Gunsten eines familienfremden Dritten übergangenen Verwandten könnte sich daher - unabhängig von dem Art. 6 Abs. 1 GG zu Grunde liegenden Familienbegriff - aus §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB ergeben, wonach bei der Auswahl des Pflegers unter anderem der mutmaßliche Wille der Eltern und die Verwandtschaft des betroffenen Kindes zu berücksichtigen sind (so Wagenitz in Münchener Kommentar zum BGB, § 1779, Rdnr. 11 und 22; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 2010, § 70, Rdnr. 42).

    Insoweit schließt sich der Senat allerdings der in Literatur und Rechtsprechung herrschenden Meinung an, wonach § 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB dem die Vormund- bzw. Pflegschaft begehrenden Verwandten keine zur Beschwerde berechtigende subjektive Rechtsposition verschafft (so zu dem seit dem 1.9.2009 geltenden Recht OLG Hamm, NJW 2011, 585; Bettin in BeckOK-BGB, Stand 1.8.2012, § 1779, Rdnr. 7; Holzhauer in Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 1779, Rdnr. 14; zu dem vor dem 1.9.2009 geltenden Recht BGH, Beschluss vom 2.2.2011, XII ZB 241/09, FamRZ 2011, 552; RGZ 64, 288; BayObLG, FamRZ 1959, 125; BayObLG, Rpfleger 1975, 91; OLG Celle, NdsRpfl 1965, 170; KG, FamRZ 1970, 601; KG, FamRZ 1981, 1010; Engler in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 1779, Rdnr. 51). Dies ergibt sich aus einer systematischen Auslegung der Vorschrift. Ebenso wie §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1779 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Vormund- bzw. Pflegerauswahl für Minderjährige gebietet nämlich § 1897 Abs. 5 BGB bei der Betreuerauswahl für Volljährige eine Berücksichtigung der verwandtschaftlichen Bindungen. Einem bestimmten Kreis von Verwandten eröffnet § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG "im Interesse des Betroffenen" ein Beschwerderecht gegen die Betreuerauswahl. Eine entsprechende Erweiterung des Kreises der Beschwerdeberechtigten findet sich auch im Recht der Unterbringungssachen (§ 335 Abs. 1 FamFG) und der Freiheitsentziehungssachen (§ 429 Abs. 2 FamFG). Der ausdrücklichen Erweiterung des Kreises der Beschwerdeberechtigten bedürfte es nicht, wenn sich die Beschwerdeberechtigung der Verwandten bereits aus einem aus § 1897 Abs. 5 BGB abgeleiteten subjektiven Recht ergäbe. Indem der Gesetzgeber den Verwandten das Beschwerderecht nicht aus eigenem Recht, sondern nur "im Interesse des Betroffenen" eingeräumt hat, hat er klargestellt, dass sich aus § 1897 Abs. 5 BGB kein subjektives Recht der Verwandten ergibt. Entsprechendes muss dann im Rahmen der Vormund- bzw. Pflegerauswahl gelten, für die das Verfahrensrecht keine § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG entsprechende Beschwerdeberechtigung Verwandter des betroffenen Kindes vorsieht. Vielmehr ist die sich bis zum 31.8.2009 aus § 57 Abs. 1 Nr. 8 FGG ergebende Beschwerdeberechtigung Verwandter in den bis dahin den Vormundschaftsgerichten zugewiesenen Pflegschafts- und Vormundschaftssachen vom Gesetzgeber bewusst ebenso wenig in das zum 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG übernommen worden wie die in § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG vorgesehene Beschwerdeberechtigung bei berechtigtem Interesse (vgl. BGH, FamRZ 2011, 552).

    Eine Beschwerdeberechtigung der Beschwerdeführerin ergibt sich auch nicht aus ihrer - nach § 7 Abs. 1 bis 3 FamFG eigentlich unzulässigen - förmlichen Beteiligung im ersten Rechtszug. Die förmliche Beteiligung an dem Verfahren betreffend die Entscheidung über einen Pflegerwechsel begründet keine subjektive Rechtsposition der Beschwerdeführerin (vgl. BGH, FamRZ 2011, 552; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.6.2012, 3 UF 37/12, zitiert nach juris; Feskorn in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 59 FamFG, Rdnr. 7 m.w.N.). Insoweit folgt eine Beschwerdeberechtigung auch nicht aus § 59 Abs. 2 FamFG, wonach die Beschwerde nur dem Antragsteller zusteht, wenn der Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist. Bei der Pfleger- oder Vormundauswahl, zu welcher auch die Entscheidung über einen Pflegerwechsel rechnet, handelt es sich nämlich nicht um eine vom Familiengericht nur auf Antrag, sondern um eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung (§§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1779 BGB). Der "Antrag" der Beschwerdeführerin ist daher unabhängig von seiner Bezeichnung nicht als verfahrenseinleitender Antrag im Sinne der §§ 23, 7 Abs. 1 FamFG, sondern als bloße Anregung eines Tätigwerdens des Familiengerichts im Rahmen der ihm ohnehin von Amts wegen obliegenden Pflegerauswahl im Sinne des § 24 Abs. 1 FamFG zu verstehen. Eine Beschwerdeberechtigung folgt aus der Antragstellung mangels Betroffenheit eines subjektiven Rechts der Beschwerdeführerin nicht (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.6.2011, 1 UF 371/10, veröffentlicht unter www.hefam.de).

    Sie folgt auch nicht aus der Rechtsbehelfsbelehrung des Familiengerichts. Selbstverständlich ist eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung nicht geeignet, einen vom Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsbehelf zu begründen. Entsprechendes gilt für die vom Familiengericht im ersten Rechtszug begangenen Verfahrensfehler wie die unterbliebene Anhörung der Eltern und des betroffenen Kindes (§§ 159, 160 FamFG). Die Verletzung von Verfahrensvorschriften, die nicht dem Schutz der Beschwerdeführerin dienen, ist nicht geeignet, eine materielle Beschwer der Beschwerdeführerin zu begründen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.6.2012, 3 UF 37/12, zitiert nach juris; Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 17. Aufl., § 59, Rdnr. 7 m.w.N.; Wagenitz in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 1779, Rdnr. 23).

    Ob die Entscheidung der Rechtspflegerin des Familiengerichts tatsächlich nur vom Jugendamt und dem von ihm insoweit vertretenen betroffenen Kind oder auch von den am vorliegenden Verfahren bislang nicht beteiligten Eltern des Kindes angefochten werden kann, bedarf hier keiner Klärung, weil jedenfalls die Beschwerdeführerin aus den oben genannten Gründen nicht beschwerdeberechtigt ist. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob § 1776 Abs. 1 BGB der von den Eltern als Vormund bzw. Pfleger benannten Person ein subjektives Recht eröffnet, weil eine entsprechende - im Hinblick auf § 1777 Abs. 1 BGB vor Entzug der elterlichen Sorge zu erklärende - Benennung durch die Eltern des betroffenen Kindes hier nicht vorliegt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG. Umstände, welche ein Abweichen von der Regelkostenfolge des § 84 FamFG rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

    Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Beschwerdeführerin ist mangels hinreichender Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde zurückzuweisen (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO). Zwar wird man der Beschwerde eine hinreichende Erfolgsaussicht in der Frage der Beschwerdeberechtigung im Hinblick auf die hierzu in der Literatur vertretenen Mindermeinungen nicht von vornherein absprechen können. Die Beschwerde ist jedoch in der Sache offensichtlich unbegründet, weil das Begehren der Beschwerdeführerin auf eine Umgehung des vom Amtsgericht angeordneten teilweisen Sorgerechtsentzugs gerichtet ist. Unabhängig davon, ob die Beschwerdeführerin mit der unter derselben Anschrift gemeldeten Mutter des Kindes in einem Haushalt wohnt, strebt sie jedenfalls an, dass das Kind im Kreise seiner Mutter und seiner Großeltern mütterlicherseits aufwachsen kann. Die Streitigkeiten zwischen der Mutter und ihren Eltern haben aber zum teilweisen Entzug der Personensorge und zur Bestellung des Jugendamts als Amtspfleger geführt. Sollten diese Streitigkeiten mittlerweile so beigelegt sein, dass damit keine Gefährdung des Kindeswohls mehr verbunden ist, mag die Mutter eine Überprüfung der angeordneten Maßnahmen und eine Aufhebung des teilweisen Entzugs ihrer elterlichen Sorge anregen. Umstände, welche eine Auswahl der Beschwerdeführerin als Pflegerin rechtfertigen könnten, ergeben sich daraus jedoch nicht.

    Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 bs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen. Im Hinblick auf die grundsätzlichen Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der oben zitierten Entscheidung vom 2.2.2011 geht der Senat davon aus, dass die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 70 Abs. 2 FamFG).

    Diehl Fischer Schmidt