OLG Frankfurt vom 10.10.2016 (4 UF 208/16)

Stichworte: Jugendamt, Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, unzutreffende Rechtsmittelbelehrung, Kausalität
Normenkette: FamFG 17, 18, 57 S. 2, 63 Abs. 2 Nr. 1, 162
Orientierungssatz:
  • Der inhaltlich unzutreffende Hinweis des Familiengerichts, die erlassene Entscheidung sei unanfechtbar, ist regelmäßig nicht dafür ursächlich, dass das Jugendamt in einem die elterliche Sorge betreffenden einstweiligen Anordnungsverfahren das tatsächlich gegebene Rechtsmittel verspätet einlegt.
  • 532 F 180/16
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge für

    R.

    - Verfahrensbeiständin:Rechtsanwältin … -

    Beteiligte:

    1. …

    Jugendamt und Beschwerdeführerin,

    2. …

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 4. August 2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wiesbaden vom 15. Juli 2016 am 10. Oktober 2016 beschlossen:

    Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Beschwerdefrist wird der Beschwerdeführerin nicht gewährt.

    Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

    Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

    Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500,00 € festgesetzt.

    Gründe:

    I.

    Am 22.06.2016 wurde das am 25.12.2009 geborene Kind R. durch die Beschwerdeführerin, das zuständige Jugendamt, wegen des Verdachts einer Misshandlung in Obhut genommen. Anfänglich erklärte sich die Kindemutter mit der Inobhutnahme einverstanden, bestand aber auf ihr Recht, R. zu sehen, was die Beschwerdeführerin ablehnte. Hierauf wandte sich die Beschwerdeführerin an das Familiengericht und regte mit Schreiben vom 27.06.2016, beim Amtsgericht eingegangen am 28.06.2016 insbesondere einen Ausschluss des Umgangsrechts der Mutter an. Auf diese Anregung des Jugendamts hin leitete das Amtsgericht zunächst ein unter dem Aktenzeichen 532 F 165/16 SO geführtes Hauptsacheverfahren ein, in dem es Termin zur mündlichen Erörterung auf den 15.07.2016 bestimmte. In diesem Temin hörte das Amtsgericht das Kind und die Mutter persönlich an. Im Verlauf der Sitzung teilte das Amtsgericht den Anwesenden mit, dass nunmehr ein gesondertes Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung eingeleitet würde und bestellte auch in diesem Verfahren eine Verfahrensbeiständin. Nach weiterer Erörterung gab das Amtsgericht noch während des Termins mündlich einen Beschluss bekannt, der im Wege der einstweiligen Anordnung die Inobhutnahme vom 22.06.2016 aufhob und die Beschwerdeführerin zur Herausgabe des Kindes an die Kindesmutter verpflichtete. Noch am selben Tag gab die Beschwerdeführerin das Kind an die Mutter heraus. Der Beschluss vom 15.07.2016 ging der Beschwerdeführerin am 15.07.2016 per Telefax zu und war mit dem Hinweis versehen, die Entscheidung sei unanfechtbar.

    Gegen den Beschluss vom 15.07.2016 hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 04.08.2016, das am gleichen Tag beim Amtsgericht einging, Beschwerde eingelegt. Darin hält sie daran fest, dass eine Fremdunterbringung zum Schutz des Kindes weiterhin erforderlich sei.

    Mit Verfügung vom 11.08.2016 wies die Senatsvorsitzende die Beschwerdeführerin darauf hin, dass die Beschwerde verfristet sein dürfte. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, es erscheine nicht angemessen, sie im Hinblick auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Rechtsanwalt gleichzustellen und von ihr eine Kenntnis der geltenden Rechtsmittelfristen ungeachtet einer unrichtigen oder fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung zu verlangen. Denn von einer Behörde könne nicht erwartet werden, dass jeder Sachbearbeiter über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt; vielmehr habe sich ihr Sachbearbeiter auf die Auskunft des Familiengerichts verlassen dürfen.

    Die Kindesmutter ist mit Schriftsatz vom 21.09.2016 der Beschwerde entgegengetreten und begehrt die Verwerfung des Rechtsmittels.

    II.

    Die Beschwerde war gemäß § 68 Abs. 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist eingelegt wurde und der Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.

    Vorliegend galt die zweiwöchige Beschwerdefrist gemäß §§ 57 S. 2 Nr. 1, 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Denn der Beschluss vom 15.07.2016, bei dem es sich sowohl seinem Wortlaut, als auch seinem Inhalt nach um eine Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung handelt, stellt seinem wesentlichen Inhalt nach das Absehen von einem Eingriff in die elterliche Sorge im Eilverfahren dar. Die Beschwerdefrist, deren Lauf mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses am 15.07.2016 begann, lief am 29.07.2016 ab. Die Beschwerde ging am 04.08.2016 und damit erst nach Fristablauf beim Amtsgericht ein.

    Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die das Beschwerdegericht gemäß § 18 Abs. 3 FamFG auch von Amts wegen gewähren kann, wenn – wie im vorliegenden Fall geschehen – die versäumte Handlung nachgeholt worden ist, liegen nicht vor.

    Allein aus dem Umstand, dass der angefochtene Beschluss nicht mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung, sondern mit dem unrichtigen Hinweis versehen war, die Entscheidung sei unanfechtbar, lässt sich kein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne von § 17 Abs. 1 FamFG herleiten. Zwar wird im Falle einer fehlenden oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 17 Abs. 2 FamFG vermutet, dass die Fristversäumung unverschuldet war. Darauf kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an, weil nicht ersichtlich ist, dass der fehlende Hinweis auf das Beschwerderecht auf Seiten der Beschwerdeführerin zu einem unverschuldeten Rechtsirrtum geführt hat, der für die verspätete Einlegung des Rechtsmittels ursächlich war (vgl. hierzu BGH FamRZ 2014, 643; FamRZ 2013, 779). Denn hätte die Beschwerdeführerin auf die Richtigkeit des Hinweises in dem angefochtenen Beschluss vertraut, hätte sie von der Einlegung eines Rechtsmittels Abstand gekommen. Der Umstand, dass sie gleichwohl Beschwerde eingelegt hat, verdeutlicht vielmehr, dass sie sich gerade nicht auf den Hinweis des Amtsgerichts verlassen hat, und es ist auch nicht ersichtlich, dass es wegen dieser Unklarheit zu einer von der Beschwerdeführerin nicht zu vertretenden Verzögerung bei der Einlegung der Beschwerde gekommen ist.

    Insofern kann auf Seiten der Beschwerdeführerin allenfalls ein Irrtum über die Dauer der Beschwerdefrist im konkreten Fall vorgelegen haben. Indes kann sich die Beschwerdeführerin, bei der es sich um die für die Mitwirkung in Kindschaftssachen zuständige Fachbehörde handelt, generell nicht auf eine Unkenntnis der einzuhaltenden Rechtsmittelfristen berufen. Die herausgehobene Stellung, die der Gesetz dem Jugendamt gemäß § 162 FamFG einräumt, insbesondere die umfassende Befugnis zur förmlichen Beteiligung am Verfahren und zur Einlegung von Rechtsmitteln gebietet es, hier mindestens den gleichen Maßstab anzusetzen, der auch für am Verfahren mitwirkende Rechtsanwälte gilt. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass Behörden nach Maßgabe von § 114 Abs. 3 FamFG und insbesondere das Jugendamt gemäß § 114 Abs. 4 Nr. 2 FamFG auch in Familienstreitsachen, in denen ansonsten Anwaltszwang besteht, postulationsfähig sind. Die herausgehobene Stellung des Jugendamts rechtfertigt es auch in Kindschaftssachen zu verlangen, dass die von der zuständigen Behörde in diesem Bereich eingesetzten Mitarbeiter über die erforderlichen Kenntnisse in dem anzuwendenden Verfahrensrecht verfügen. Somit hat das Jugendamt ebenso wie ein Rechtsanwalt (vgl. hierzu BGH FamRZ 2014, 1624) die relevanten Fristen, insbesondere Rechtsmittelfristen eigenverantwortlich zu berechnen. Deshalb muss das Jugendamt auch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass eingehende Entscheidungen einem Mitarbeiter mit den erforderlichen Rechtskenntnissen so rechtzeitig vorgelegt werden, dass eine fristgerechte Bearbeitung möglich ist. Da die Beschwerdeführerin bei Einhaltung dieses Sorgfaltsmaßstabs hätte erkennen müssen, dass die Beschwerdefrist am 29.07.2016 abläuft, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Von der Erhebung der Gerichtskosten war abgesehen, da die Beschwerdeführerin gemäß § 2 Abs. 2 FamGKG i.V.m. § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X Kostenfreiheit genießt und kein Grund ersichtlich ist, der es rechtfertigen würde, einem anderen Verfahrensbeteiligten Gerichtskosten aufzuerlegen. Die Erstattung außergerichtlicher Kosten war nicht anzuordnen, weil die Erfolglosigkeit des Rechtsmittels für die übrigen Beteiligten durch den Hinweis der Senatsvorsitzenden vom 11.08.2016 zu erkennen und eine Mitwirkung am Beschwerdeverfahren hiernach nicht erforderlich war.

    Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 40, 41, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Diehl Dr. Schweppe Treviranus