OLG Frankfurt vom 05.12.2018 (4 UF 167/18)

Stichworte: Elterliche Sorge, Aufenthaltsbestimmmungsrecht, geteilte Betreuung
Normenkette: BGB 1671, 1684
Orientierungssatz:
  • Erweist sich eine geteilte Betreuung beider Eltern als dem Kindeswohl am besten entsprechend, ist das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht beider Eltern beizubehalten, es sei denn, es könnte davon ausgegangen werden, dass ein Elternteil ein alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht im Sinne einer geteilten Betreuung ausüben würde und dass der andere Elternteil zur Übernahme einer geteilten Betreuung für den Fall bereit wäre, dass die von ihm eigentlich gewünschte überwiegende Betreuung des Kindes durch ihn nicht zustande kommt.
  • Die Anordnung einer geteilten Betreuung im Rahmen eines Sorgerechtsstreits kommt nicht in Betracht. Vielmehr hat die konkrete Aufteilung der Betreuungsanteile dann bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung zu erfolgen, sofern sich beide Eltern über die Betreuungsanteile nicht im Rahmen ihres gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts verständigen können.
  • Von einer geteilten Betreuung ist dabei nicht nur bei einer exakt gleichen zeitlichen Aufteilung der Betreuungsanteile zwischen beiden Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells auszugehen, sondern immer dann, wenn das Kind bei beiden Eltern ein Domizil hat und beide Eltern sich die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben etwa hälftig teilen. Diese Voraussetzungen sind jedenfalls bei einer Aufteilung der Betreuungsanteile im Verhältnis von 4:3 bei abwechselnder Betreuung an den Wochenenden, bei Vorhandensein eines Kinderzimmers in den Wohnungen beider Eltern und bei gleichzeitiger Bereitschaft beider Eltern zur Verantwortungsübernahme und zur Sicherstellung des Kindertagesstättenbesuchs erfüllt.
  • 21 F 331/18
    AG Alsfeld

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die elterliche Sorge für

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Mutter vom 1.10.2018 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Alsfeld vom 24.9.2018 am 5.12.2018 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Die wechselseitgien Anträge beider Eltern auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das betroffene Kind werden zurückgewiesen. Es bleibt insgesamt beim gemeinsamen Sorgerecht beider Eltern.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    Die Gerichtskosten beider Rechtszüge tragen die Eltern je hälftig. Ihre in beiden Rechtszügen entstandenen Aufwendungen tragen die Beteiligten selbst.

    Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 3.000,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Die auf Grund einer Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB gemeinsam sorgeberechtigten Eltern streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind L., geboren am 25.12.2016.

    Die Eltern lebten mit dem Kind und zwei aus einer vorangegangenen Beziehung hervorgegangenen, am 17.7.2006 und am 15.7.2009 geborenen Töchtern der Mutter bis zum 14.1.2018 im Haus des Vaters in A.-A.. Der Vater ist als Außendienstmitarbeiter im Maschinenvertrieb bei einer Firma in L. beschäftigt; er nahm nach der Geburt des Kindes zwei Monate Elternzeit. Während seiner beruflichen Abwesenheiten wurde L. von der Mutter betreut; im Übrigen teilten sich beide Eltern nach übereinstimmenden Angaben die Betreuung und Versorgung des Kindes. Seit dem 1.1.2018 besuchte L. die Kindertagesstätte P. in S.-B., und zwar an drei Tagen je Woche von 8:00 Uhr bis 14:30 Uhr und an zwei Tagen je Wochen von 8:00 Uhr bis 13:30 Uhr. Die Mutter geht einer Teilzeitbeschäftigung bei einer Firma in A. mit 15 Wochenstunden nach; sie hat die Möglichkeit, einen Großteil ihrer Arbeit zu Hause zu erledigen.

    Nach einer körperlichen Auseinandersetzung beider Eltern am 13.1.2018, deren Verlauf von beiden Eltern unterschiedlich dargestellt wird, zog die Mutter mit allen drei Kindern am 14.1.2018 aus dem Haus des Vaters aus und kam zunächst in der Wohnung des Vaters ihrer beiden Töchter in S. unter. Mit L.s Vater verständigte sie sich nach der Trennung zunächst darauf, dass L. jeweils von Dienstag auf Mittwoch und von Samstag auf Sonntag vom Vater betreut wird. Als die Mutter den Umgang des Vaters von Dienstag auf Mittwoch nicht mehr zuließ, einigten sich beide Eltern am 14.5.2018 unter Vermittlung des Jugendamts dahingehend, dass der Vater L. im wöchentlichen Wechsel entweder von Freitag auf Samstag oder von Samstag auf Sonntag zu sich nimmt.

    Nachdem die Mutter eine Beziehung zu einem in Österreich lebenden Mann aufgenommen hatte, zog sie zu Beginn der Sommerferien 2018 mit den Kindern aus der Wohnung des Vaters ihrer beiden Töchter aus und zog in die Dachgeschosswohnung im Anwesen ihrer Eltern in L.-H. ein.

    Am 4.7.2018 beantragte sie beim Amtsgericht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für L. im Hinblick auf ihren nunmehr noch während der Sommerferien 2018 beabsichtigten Umzug in das Haus ihres neuen Partners in Österreich. Einen entsprechenden Antrag stellte sie für ihre beiden Töchter.

    L.s Vater trat dem Antrag entgegen und beantragte die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. L.s Vater kündigte für den Fall einer Aufnahme L.s in seinen Haushalt eine Reduzierung seiner Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden sowie eine Ausweitung der Betreuungszeiten in der Kindertagesstätte auf die Zeit von 7:30 Uhr bis längstens 16:30 Uhr an. Seine in A.-S. lebenden 65 und 70 Jahre alten Eltern stehen zur Unterstützung ihres Sohnes bei der Betreuung des Kindes zur Verfügung.

    Nachdem bis dahin - auch in Folge der Missachtung der Monatsfrist des § 155 Abs. 2 Satz 2 FamFG - keine Entscheidung des Amtsgerichts ergangen war, meldete die Mutter L. nach den Sommerferien 2018 eigenmächtig aus der Kindertagesstätte ab und hielt sich mit L. regelmäßig von montags bis donnerstags bei ihrem neuen Partner in Österreich auf. Die Wochenenden verbrachte sie in der Wohnung in H., um sowohl L.s Vater den vereinbarten Umgang zu ermöglichen als auch selbst Umgang mit ihren beiden Töchtern zu pflegen. Beide Töchter hatten sich gegen einen Umzug nach Österreich ausgesprochen, besuchten weiterhin ihre bisher besuchten Schulen und wohnten währenddessen bei ihrem Vater. Die sie betreffenden Sorgerechtsanträge nahm die Mutter daraufhin zurück.

    L.s Vater gelang es, die Kindertagesstätte dazu zu bewegen, L.s Betreuungsplatz bis zur Entscheidung im vorliegenden Sorgerechtsstreit gegen Zahlung des Betreuungsbeitrags freizuhalten.

    Das Amtsgericht hörte die Beteiligten, das zuständige Jugendamt und das betroffene Kind schließlich am 20.9.2018 an. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

    Mit dem angefochtenen, am 25.9.2018 zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts gelangten Beschluss übertrug das Amtsgericht dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. zur alleinigen Ausübung und wies den gegenläufigen Antrag der Mutter zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, beide Eltern seien gleichermaßen zur Erziehung und Förderung des Kindes in der Lage. Auch beim Vater sei die Betreuung des Kindes durch die angekündigte Reduzierung der Arbeitszeit, die Kindertagesstätte und die Unterstützung der Großeltern gewährleistet. Bei der Mutter handele es sich zwar um die Hauptbezugsperson des Kindes. Dieses habe aber auch eine sehr gute Bindung zum Vater aufgebaut. Die Mutter verfüge über deutlich weniger Bindungstoleranz als der Vater. So habe sie beispielsweise eine Teilnahme L.s an der Feier des 70. Geburtstags seines Großvaters väterlicherseits verhindert und L. während des Kindergeburtstags seiner Schwester lieber von ihren Eltern als vom Vater betreuen lassen, obwohl dieser ausdrücklich um Umgang gebeten habe. Durch einen Umzug L.s nach Österreich würde der Umgang weiter eingeschränkt. Die Mutter habe durch die eigenmächtige Abmeldung L.s aus der Kindertagesstätte gezeigt, dass sie mit allen Mitteln eine Entscheidung in ihrem Sinne herbeiführen wolle. Bedenken gegen einen Umzug des Kindes nach Österreich ergäben sich auch unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität. L. sei im letzten Jahr bereits mehrmals umgezogen und solle nun aus seiner gewohnten Umgebung im V. und aus der Kindertagesstätte herausgerissen werden, obwohl er sich dort gut eingelebt habe. Hierdurch werde nicht nur der Umgang mit dem Vater, sondern auch mit den beiden im V. verbleibenden Halbgeschwistern gefährdet. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte sei ein Wechsel des Kindes in den Haushalt des Vaters einem Umzug des Kindes mit der Mutter nach Österreich vorzuziehen.

    Mit ihrer am 1.10.2018 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde gegen den ihr am 28.9.2018 zugestellten Beschluss verfolgt die Mutter ihren Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich weiter. Zur Begründung der Beschwerde trägt sie im Wesentlichen vor, sie habe sich im Hinblick auf den drohenden Wechsel L.s in den Haushalt des Vaters und den Verbleib ihrer Töchter im V. entschieden, ihren Lebensmittelpunkt nicht nach Österreich zu verlegen, sondern mit den Kindern im Haus ihrer Eltern in H. wohnen zu bleiben. Es gebe daher keine Veranlassung mehr, L. aus seinem gewohnten Umfeld bei seiner Hauptbezugsperson, der Mutter, herauszureißen und zum berufstätigen Vater zu geben, der L. noch nie länger als 24 Stunden am Stück betreut habe und auf die Unterstützung seiner Mutter angewiesen sei. Ein Wechsel in den Haushalt des Vaters entspreche auch nicht dem von beiden Eltern nach der Trennung einverständlich gelebten Betreuungsmodell.

    Der Vater ist der Beschwerde entgegen getreten. Er trägt vor, die Beziehung der Mutter zu ihrem Partner in Österreich bestehe fort. Bei dem angekündigten Absehen von einem Umzug nach Österreich handele es sich aus seiner Sicht um ein taktisches Manöver. Selbst im Falle eines Verbleibs im V. stehe außerdem ein erneuter Umzug an, weil die Dachgeschosswohnung im Haus der Eltern für einen dauerhaften Verbleib nicht geeignet sei.

    Die Verfahrensbeiständin hat ausgeführt, neben dem Besuch der Kindertagesstätte sei der regelmäßige Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen für das Kind wichtig, und zwar nicht nur begrenzt auf einige Stunden pro Woche. Sollte die Mutter endgültig in der Nähe wohnen bleiben, könne über ein Wechselmodell nachgedacht werden.

    Die Eltern und die zuständige Sachbearbeiterin des Sozialdienstes des Jugendamts sind am 9.11.2018 vom hiermit beauftragten Berichterstatter des Senats persönlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

    L. lebt seit Anfang Oktober 2018 beim Vater und besucht wieder die Kindertagesstätte in S.-B.. Der Vater hat seine Arbeitszeit entsprechend seiner Ankündigung auf 30 Wochenstunden reduziert. Ein Antrag der Mutter auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses ist mit Beschluss des Senats vom 23.10.2018 zurückgewiesen worden. L. verbrachte nach dem Wechsel zum Vater zunächst je eine Nacht unter der Woche und eine Nacht am Wochenende bei seiner Mutter in H.. Mit dem Vater von L.s Halbgeschwistern praktiziert die Mutter ein flexibles Wechselmodell, in welchem beide Töchter meist unter der Woche drei Tage bei ihrem Vater und anschließend vier Tage über das Wochenende bei der Mutter verbringen.

    Beide Eltern sind sich darüber einig, dass L. weiterhin die bisher besuchte Kindertagesstätte besuchen soll. Beide sind ausweislich ihrer Angaben im Anhörungstermin am 9.11.2018 bereit, dem anderen Elternteil ein großzügiges Umgangsrecht von bis zu drei Tagen je Woche einzuräumen. Sie haben im Anhörungstermin am 9.11.2018 eine vorläufige Umgangsregelung dahingehend getroffen, dass L. in geraden Kalenderwochen von mittwochs bis donnerstags und von freitags bis montags und in ungeraden Kalenderwochen von mittwochs bis freitags bei der Mutter ist.

    Die Mutter hat mit Schriftsatz vom 28.11.2018 mitgeteilt, zum 15.12.2018 in eine geräumige Doppelhaushälfte in S. zu ziehen. Sie hat die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage beantragt, welcher künftige Aufenthalt dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

    II.

    Die zulässige Beschwerde ist in der Sache teilweise begründet und führt zur Aufhebung der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das betroffene Kind auf den Vater und damit zur vollständigen Wiederherstellung der gemeinsamen Sorge beider Eltern. Soweit die Mutter mit ihrer Beschwerde eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich begehrt, ist die Beschwerde hingegen unbegründet und daher zurückzuweisen.

    Maßstab für die vom Senat zu treffende Entscheidung über die künftige Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ist § 1671 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 2 BGB. Danach ist einem der beiden getrennt lebenden, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern die elterliche Sorge auf Antrag ganz oder zum Teil zur alleinigen Ausübung zu übertragen, wenn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antrag stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

    Die vollständige oder teilweise Aufhebung der gemeinsamen Sorge ist zum Wohle des Kindes dann geboten, wenn und soweit zwischen den Eltern in den im Rahmen der gemeinsamen Sorgerechtsausübung zu regelnden Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung kein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten hergestellt werden kann (vgl. BGH, FamRZ 2008, 592; OLG Frankfurt, FamRZ 2014, 317; FamFR 2012, 310; OLG Köln, ZKJ 2011, 472; AG Erfurt, FamRZ 2013, 1590). Eine Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts ist dabei regelmäßig geboten, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes Gegenstand einer anhaltenden elterlichen Auseinandersetzung ist und davon auszugehen ist, dass die Eltern in dieser Frage auch in absehbarer Zukunft nicht zu einer Verständigung in der Lage sein werden (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2014, 317; Beck-OGK/Fuchs, § 1671, Rdnr. 157). Dann ist unter Berücksichtigung der anerkannten Kriterien des Kindeswohls, also der Erziehungseignung der Eltern und ihrer Fähigkeit zur Förderung des Kindes, der Bindungen und des Willens des Kindes sowie der Kontinuität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse des Kindes, darüber zu entscheiden, welchem beider Elternteile das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung zu übertragen ist (vgl. BGH, FamRZ 1990, 392; FamRZ 2010, 1060; FamRZ 2017, 532).

    Erweist sich unter Zugrundelegung vorstehender Kriterien eine geteilte Betreuung des Kindes durch beide Eltern als dem Kindeswohl am besten entsprechend, was wiederum eine ausreichende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit beider Eltern voraussetzt, ist eine geteilte Betreuung durch geeignete gerichtliche Maßnahmen sicherzustellen, was jedenfalls im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung erfolgen kann (vgl. BGH, FamRZ 2017, 532). Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob die Anordnung einer geteilten Betreuung im Sinne eines Wechselmodells auch im Rahmen eines Sorgerechtsstreits erfolgen kann, hat der Bundesgerichtshof in seiner vorstehend zitierten, in einer Umgangssache ergangenen Entscheidung ausdrücklich offen gelassen (vgl. zum diesbezüglichen Meinungsstand dessen Darstellung in Rdnr. 13 f. der Entscheidung und in BVerfG, FamRZ 2015, 1585, Rdnr. 21).

    Der Senat vertritt insoweit die Auffassung, dass eine sorgerechtliche Entscheidung zur Durchsetzung eines Wechselmodells bzw. einer geteilten Betreuung nur insoweit ergehen kann, als dem Elternteil, der ein vom anderen Elternteil abgelehntes Wechselmodell befürwortet, das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zwecks Durchsetzung des Wechselmodells übertragen wird (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 7.2.2018 – 4 UF 226/17, bislang nicht veröffentlicht). Auch dies setzt jedoch voraus, dass davon ausgegangen werden kann, dass der das Wechselmodell befürwortende Elternteil sein Aufenthaltsbestimmungsrecht dann auch entsprechend ausüben wird und dass der andere Elternteil zur Übernahme einer geteilten Betreuung für den Fall bereit ist, dass die von ihm eigentlich gewünschte überwiegende Betreuung des Kindes durch ihn nicht zustande kommt.

    Wollen beide Eltern den Lebensmittelpunkt des Kindes bei sich begründen, kommt die Anordnung eines Wechselmodells bzw. einer geteilten Betreuung in einem Sorgerechtsstreit nach Auffassung des Senats hingegen nicht in Betracht. Vielmehr hat die konkrete Aufteilung der Betreuungsanteile dann bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung zu erfolgen, sofern sich beide Eltern über die Betreuungsanteile nicht im Rahmen ihres gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts verständigen können.

    Von einem Wechselmodell mit geteilter Betreuung im vorbeschriebenen Sinne ist dabei nach Auffassung des Senats nicht nur bei einer exakt gleichen zeitlichen Aufteilung der Betreuungsanteile zwischen beiden Eltern auszugehen, sondern immer dann, wenn das Kind bei beiden Eltern ein Domizil hat und beide Eltern sich die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben etwa hälftig teilen (vgl. BGH, FamRZ 2006, 1015). Die von beiden Eltern im Anhörungstermin am 9.11.2018 als Kompromiss vorgeschlagene Aufteilung der Betreuungsanteile im Verhältnis von 4:3 zu eigenen Gunsten bei abwechselnder Betreuung an den Wochenenden, bei Vorhandensein eines Kinderzimmers in beiden Wohnungen und bei gleichzeitiger Bereitschaft beider Eltern zur Verantwortungsübernahme und zur Sicherstellung des Kindertagesstättenbesuchs erfüllt diese Voraussetzungen unzweifelhaft. In der Psychologie wird bereits bei einem Anteil beider Eltern von über 30 Prozent der Betreuungszeit von einem Wechselmodell ausgegangen (vgl. Salzgeber, NZFam 2014, 921).

    Eine Ermächtigung des Beschwerdegerichts, über die von ihm im Sorgerechtsstreit zu treffende Entscheidung über eine Aufhebung oder Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinaus eine Anordnung über die konkrete Aufteilung der Betreuungsanteile beider Eltern zu treffen und damit verbundene zeitliche Vorgaben für die jeweilige Übergabe des Kindes von einem Elternteil an den anderen zu machen, lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Gesetzeszweck des § 1671 BGB entnehmen. Für die Annahme einer entsprechenden, mit dem Wortlaut des § 1671 BGB nicht zu vereinbarenden Anordnungsbefugnis des Gerichts des ersten oder zweiten Rechtszugs im Sorgerechtsstreit besteht auch keine Notwendigkeit, weil § 1684 BGB das Gericht des ersten Rechtszugs zum Erlass entsprechender Anordnungen im Rahmen einer gerichtlichen Regelung des Umgangs ermächtigt, die anders als eine bloße Regelung des Sorgerechts auch nach § 89 FamFG vollstreckbar ist (vgl. BGH, FamRZ 2017, 532). Dem Erlass einer gerichtlichen Umgangsregelung durch das mit einer Beschwerde gegen eine sorgerechtliche Entscheidung befasste Beschwerdegericht steht die funktionale Zuständigkeit des Amtsgerichts als Familiengericht entgegen. Das Beschwerdegericht als Gericht des zweiten Rechtszugs ist – anders als das Amtsgericht als Gericht des ersten Rechtszugs - nicht befugt, von Amts wegen ein Umgangsverfahren einzuleiten. Seine Entscheidungsbefugnis ist auf den Gegenstand der Beschwerde beschränkt.

    Unter Zugrundelegung vorstehender Kriterien kommt eine Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts im vorliegenden Fall nach der Rückkehr der Mutter in den V. nicht mehr in Betracht, weil eine geteilte Betreuung des Kindes durch beide Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht als die Begründung eines Lebensmittelpunkts bei nur einem Elternteil.

    Beide Eltern beanspruchen für sich eine überwiegende Betreuung des Kindes und damit die Begründung eines Lebensmittelpunktes des Kindes im eigenen Haushalt. Gleichzeitig sind sich die Eltern inzwischen darüber einig, dass L. entgegen der von der Mutter zunächst geäußerten Umzugspläne, die Auslöser für die wechselseitigen Anträge beider Eltern waren, weiter im V. aufwachsen, weiter die bisher besuchte Kindertagesstätte besuchen und weiter regelmäßigen und häufigen Kontakt zu beiden Elternteilen haben soll. Die Eltern sind sich damit über wesentliche Fragen der Betreuung des Kindes einig und streiten nur noch über den auf beide Elternteile entfallenden Betreuungsanteil.

    In dieser Situation entspricht die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen der beiden Elternteile dem Wohl des Kindes nicht besser als eine Beibehaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts.

    Eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter begegnet deshalb Bedenken, weil in diesem Fall zu befürchten wäre, dass die Mutter die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht nach den Bedürfnissen des Kindes, sondern nach eigenen Bedürfnissen ausrichtet und insbesondere nicht die für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes wünschenswerte Kontinuität seines sozialen und familiären Umfelds gewährleistet. Die Mutter hat L. nach den Sommerferien eigenmächtig aus der Kindertagesstätte abgemeldet und seinen und ihren Lebensmittelpunkt bis zur Entscheidung des Amtsgerichts zu ihrem neuen Partner in Österreich verlagert. Zuvor hatte sie dem Kind im laufenden Kalenderjahr bereits zwei Umzüge zugemutet, ein weiterer steht demnächst an, nachdem die Mutter von der beabsichtigten dauerhaften Übersiedlung nach Österreich im Hinblick auf die L. betreffende Entscheidung des Amtsgerichts und die Entscheidung ihrer beiden Töchter für einen Verbleib im V. Abstand genommen hat. Dem Vater gegenüber hatte sie allerdings noch im September 2018 per WhatsApp mitgeteilt, sie habe viel zu lange an andere gedacht und müsse irgendwann ihr Leben leben. Vor diesem Hintergrund und dem Hintergrund der fortbestehenden Beziehung zu einem in Österreich lebenden Partner kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Orientierungsphase der Mutter mit dem nun angekündigten Umzug nach S. abgeschlossen sein wird. Im Falle einer Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter wären daher erneute Kontinuitätsbrüche im Leben des Kindes zu befürchten, die dem Wohl des Kindes keinesfalls so gut entsprechen wie der derzeit von beiden Eltern gewünschte Verbleib des Kindes in seinem vertrauten familiären und sozialen Umfeld im V.. Dort ist L. nicht nur in seine Kindertagesstättengruppe integriert, sondern auch in die ebenfalls dort lebenden Familien beider Eltern, zu denen auch seine beiden Halbgeschwister gehören.

    Eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater begegnet hingegen deshalb Bedenken, weil nach der Rückkehr der Mutter in den V. keine Kindeswohlgesichtspunkte mehr ersichtlich sind, welche es rechtfertigen würden, den Kontakt des Kindes zur Mutter und zu seinen beiden Halbgeschwistern auf zwei Nächte pro Woche zu beschränken, wie der Vater das zunächst getan hat. Bei der Mutter handelte es sich bis zur Entscheidung des Amtsgerichts um die Hauptbezugsperson des noch nicht einmal zweijährigen Kindes, das nach übereinstimmenden Angaben aller Beteiligter auch zu seinen beiden Halbgeschwistern, mit denen es bis zu den Sommerferien 2018 in einem Haushalt lebte, enge Bindungen aufgebaut hat. Auch nach der Trennung der Eltern im Januar 2018 verständigten sich beide Eltern zunächst auf ein Residenzmodell, welches einen Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter beinhaltete. Diese Vereinbarung begründete eine dahingehende Vermutung, dass dieses Modell jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt dem Kindeswohl entsprach (vgl. BGH, FamRZ 2011, 796, Rdnr. 78). Umstände, welche es rechtfertigen würden, das von den Eltern gewählte Modell nunmehr umzukehren in ein Residenzmodell mit einem Lebensmittelpunkt beim Vater, sind nicht ersichtlich, solange sichergestellt ist, dass L. weiterhin in seinem vertrauten sozialen und familiären Umfeld im V. aufwachsen kann und dort von beiden Eltern betreut wird.

    Einem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrecht mit einer geteilten Betreuung des Kindes und der damit einher gehenden, von beiden Eltern gewünschten Übernahme von Verantwortung für das gemeinsame Kind ist vor diesem Hintergrund der Vorzug zu geben vor einer Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts. Beide Eltern verfügen über eine intakte Bindung zum Kind, sind ihrerseits in ein familiäres Umfeld eingebettet und sind offensichtlich erziehungsgeeignet. Die räumlichen und finanziellen Gegebenheiten lassen ein Aufwachsen des Kindes bei beiden Eltern zu. Trotz aller Streitigkeiten waren beide Eltern bislang auch in der Lage, die mit dem Umgang ihres Kleinkindes mit dem anderen Elternteil notwendigerweise verbundenen Absprachen ohne die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu treffen. Sie sind derzeit lediglich nicht in der Lage, sich über die beiderseitigen Betreuungsanteile zu einigen, haben insoweit allerdings beide die Bereitschaft geäußert, dem anderen Elternteil drei Umgangstage pro Woche einzuräumen.

    Ob ein Betreuungsmodell mit einem Betreuungsverhältnis von 4:3 zu Gunsten eines Elternteils oder das den Beteiligten vom Berichterstatter des Senats vorgeschlagene Modell, welches im Ergebnis auf ein paritätisches Wechselmodell hinausläuft, dem Wohl des Kindes am besten entspricht, wird sich unter kinderpsychologischen Gesichtspunkten kaum beantworten lassen. Der Senat favorisiert aus praktischen Erwägungen das vom Berichterstatter vorgeschlagene Modell, weil es beiden Eltern und dem Kind einen verlässlichen Rahmen mit festen Betreuungstagen beider Eltern unter der Woche gibt und gewährleistet, dass L.s Halbgeschwister sich auch bei der Mutter aufhalten, wenn L. sich dort aufhält. Beides gemeinsam ließe sich in einem Modell mit einem Betreuungsverhältnis von 4:3 allenfalls eingeschränkt gewährleisten, wenn L. die Wochenenden - wie von beiden Eltern gewünscht - abwechselnd bei beiden Elternteilen verbringen soll. Einer abschließenden Klärung bedarf die künftige Aufteilung der Betreuungsanteile im vorliegenden Verfahren nicht. Diese ist – wie oben ausgeführt – einer Umgangsregelung des Amtsgerichts vorbehalten, sofern sich beide Eltern im Rahmen des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht über die Aufteilung der Betreuungsanteile verständigen können.

    Der von der Mutter beantragten Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens bedarf es nicht. Die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens ist in Sorgerechtsstreitigkeiten und Umgangssachen nur dann geboten, wenn das Gericht nicht auf Grund anderweitig gewonnener Erkenntnisse über eine hinreichend zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügt, welche ihm eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung ermöglicht (vgl. BVerfG, BVerfGE 55, 171; FamRZ 2006, 605; FamRZ 2007, 105; FamRZ 2009, 1897). Ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten wäre keinesfalls geeignet, die durch das Verhalten der Mutter in der Vergangenheit begründeten Zweifel an der Verlässlichkeit ihrer Lebensplanung und an ihrer Fähigkeit, im Rahmen ihrer Lebensplanung auf L.s Belange Rücksicht zu nehmen, auszuräumen. Gleichzeitig bestehen auf Grund der Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamts sowie der Anhörung der Beteiligten durch das Amtsgericht und den Berichterstatter des Senats keine vernünftigen Zweifel an der grundsätzlichen Erziehungseignung des Vaters und an dessen Fähigkeit und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das Kind, das sich bereits seit zwei Monaten in seiner Obhut befindet. Da der Senat bei seiner Entscheidung auch den Umstand berücksichtigt hat, dass es sich bei der Mutter um die Hauptbezugsperson des Kindes handelt, ist nicht ersichtlich, welchen entscheidungserheblichen Erkenntnisgewinn die Einholung eines kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens bringen könnte.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Im Hinblick auf den Gegenstand des Verfahrens und den teilweisen Erfolg der Beschwerde entspricht es billigem Ermessen, beiden Eltern die Gerichtskosten beider Rechtszüge je hälftig aufzuerlegen und von der Anordnung einer Kostenerstattung der Beteiligten untereinander abzusehen.

    Da die Sache im Hinblick auf die in Frage, ob und wie die Anordnung eines Wechselmodells oder ein geteilten Betreuung im Rahmen eines Sorgerechtsstreits erfolgen kann, grundsätzliche Bedeutung hat bzw. insoweit eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts bzw. der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint, ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG).

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

    Rechtsbehelfsbelehrung:

    Gegen diese Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statthaft. Gemäß § 71 FamFG ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht -Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe - einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

    die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und

    die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.

    Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

    Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 S. 5 und 6 der ZPO gilt entsprechend. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

    1. die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Rechtsbeschwerdeanträge),

    2. die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar

    a. die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;

    b. soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

    Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (§ 114 Abs. 2 FamFG) oder unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 3 FamFG durch eine zur Vertretung berechtigte Person, die die Befähigung zum Richteramt hat, vertreten lassen.

    Diehl Dr. Kischkel Schmidt