OLG Frankfurt vom 23.02.2023 (4 UF 162/22)

Stichworte: minderjährige Mutter; Beschwerdebefugnis; Antrag auf Mitsorge; Verfahrensfähigkeit; Bevollmächtigung, Vollmacht
Normenkette: FamFG 60; FamFG 9; BGB 1626a; BGB 1673 Abs. 2 S. 2
Orientierungssatz:
  • Die minderjährige Mutter ist beschwerdebefugt, wenn durch eine Entscheidung des Familiengerichts in ihre (nach § 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB teilweise ruhende) elterliche Sorge eingegriffen wird (hier durch Übertragung der Alleinsorge auf den volljährigen Vater).
  • Die minderjährige Mutter besitzt die für einen Antrag auf Einräumung der Mitsorge des Vaters (§ 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB) erforderliche Verfahrensfähigkeit.
  • Im Falle einer dem Vater mit Einwilligung der Personenberechtigten der minderjährigen Mutter von dieser erteilten Sorgerechtsvollmacht hat die Übertragung der Alleinsorge auf den volljährigen Vater trotz einer im Übrigen fehlenden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern zu unterbleiben, wenn die Bevollmächtigung des Vaters durch die Mutter zur Folge hat, dass das Kindeswohl durch den elterlichen Konflikt nicht (mehr) beeinträchtigt wird.
  • 22 F 276/22
    AG Alsfeld

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Einzelrichter auf die Beschwerde der Mutter vom 16.8.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Alsfeld vom 9.8.2022 am 23.2.2023 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    Dem Vater wird die Mitsorge für das betroffene Kind X, geb. am …, übertragen. Dies hat zur Folge, dass der Vater die Vermögenssorge und die rechtsgeschäftliche Vertretung des Kindes bis zum Eintritt der Mutter in die Volljährigkeit am … alleine ausübt und dass beide Kindeseltern die elterliche Sorge im Übrigen gemeinsam ausüben.

    Der Antrag des Vaters auf Übertragung der Alleinsorge wird zurückgewiesen.

    Die Gerichtskosten des zweiten Rechtszugs werden beiden Eltern je hälftig auferlegt. Von der Anordnung einer Kostenerstattung der Beteiligten untereinander wird für den zweiten Rechtszug abgesehen. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Beschluss.

    Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 4.000,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Die beteiligten Eltern streiten über die elterliche Sorge für ihr gemeinsames Kind X.

    Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Diese sind dahingehend zu ergänzen, dass die elterliche Sorge für die noch minderjährige Mutter des betroffenen Kindes von ihren Eltern gemeinsam ausgeübt wird. Die elterliche Sorge für das hier betroffene Kind X wurde bis zum Erlass des angefochtenen Beschlusses mit den sich aus § 1673 Abs. 2 Satz 3 BGB ergebenden Ausübungsbeschränkungen vom beteiligten Jugendamt als Vormund ausgeübt.

    Nach vorangegangener Inobhutnahme des zunächst mit der Mutter im Haushalt seiner Urgroßeltern mütterlicherseits lebenden Kindes übertrug das Familiengericht dem Vater mit dem angefochtenen Beschluss auf dessen Antrag hin - gestützt auf § 1671 Abs. 2 BGB - die elterliche Sorge zur alleinigen Ausübung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die selbst noch minderjährige Mutter habe bislang nur eine unzureichende Bindung zu dem Kind aufbauen können und habe die Betreuung und Versorgung des Kindes weitgehend ihren Großeltern überlassen. Sie selbst sei psychisch instabil und sei nach der Inobhutnahme des Kindes nachts unter Drogen- und Alkoholeinfluss von der Polizei aufgegriffen worden. In der Familie der Mutter komme es immer wieder zu Konflikten, die teilweise gewalttätig ausgetragen würden. Der Mutter und ihren Großeltern sei es nicht gelungen, eine Scabies-Infektion des Kindes nachhaltig zu behandeln. Der Vater sei zwar ebenfalls noch sehr jung und habe bislang ebenfalls keine sichere Bindung zu seiner Tochter aufbauen können. Es sei jedoch davon auszugehen, dass ihm dies gelingen werde, sobald das Kind bei ihm lebe. Er habe trotz seines jugendlichen Alters bereits für sich selbst Verantwortung übernommen, eine Ausbildung absolviert und habe eine Festanstellung. Er wolle Elternzeit nehmen und werde von seinen Eltern unterstützt. Auch Hilfe des Jugendamts nehme er an und habe gut mit dem Amtsvormund zusammengearbeitet. Er sei besser als die Mutter geeignet, die dringend nötige Bindung des Kindes an eine Hauptbezugsperson sicherzustellen, das Kind zu versorgen und es in seiner Entwicklung zu fördern. Eine gemeinsame elterliche Sorge komme auch in Teilbereichen wegen der zwischen den Eltern bestehenden Spannungen nicht in Betracht. Auf Grund der Äußerungen der Mutter könne nicht erwartet werden, dass Vater und Mutter in wichtigen Belangen des Kindes künftig zusammenarbeiten könnten.

    Auf den Inhalt des Beschlusses vom 9.8.2022, die Sitzungsniederschrift vom 5.8.2022 und die Berichte des Jugendamts vom 15.6.2022 und des Verfahrensbeistands vom 3.8.2022 wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

    Das Kind lebt seit dem 11.8.2022 im Haushalt seines im Haus seiner Eltern lebenden Vaters. Dieser befindet sich bis mindestens Februar 2023 in Elternzeit und bezieht – nachdem die Mutter zwischenzeitlich die erforderliche Mitwirkung erbracht hat – Elterngeld und Unterhaltsvorschuss. X ist inzwischen auch wieder gesetzlich krankenversichert, wegen der fehlenden Kommunikation zwischen den Kindeseltern allerdings möglicherweise doppelt. Der Umgang zwischen X und ihrer Mutter findet einmal wöchentlich begleitet statt. Beide Eltern sollen nach dem Wunsch des Jugendamts im Rahmen der ihnen empfohlenen Trennungs- und Scheidungsberatung eigenständig eine Regelung des Umgangs erarbeiten.

    Mit ihrer am 17.8.2022 als elektronisches Dokument beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde vom 16.8.2022, für welche keine Einwilligung oder Genehmigung der gesetzlichen Vertreter der Mutter vorliegt, hat die Mutter zunächst eine Zurückweisung des Sorgerechtsantrags des Vaters beantragt und Zweifel an der Anwendbarkeit des § 1671 Abs. 2 BGB geäußert. Mittlerweile hat die Mutter erklärt, derzeit mit dem Aufenthalt des Kindes beim Vater einverstanden zu sein. Sie hat dem Vater im Anhörungstermin am 6.12.2022 eine auf den 5.12.2022 datierte Vollmacht zur Ausübung der elterlichen Sorge erteilt, wegen deren Inhalt auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen wird. Die Vollmacht ist unter dem Datum 3.1.2023 von den gesetzlichen Vertretern der Mutter genehmigt worden. Dem Vater sind die Vollmachtsurkunde vom 5.12.2022, die Genehmigungserklärung vom 3.1.2023 sowie eine von der Mutter und ihren Eltern unterschriebene, auf den 3.1.2023 datierte Vollmachtserteilung mit gleichem Wortlaut im Original ausgehändigt worden.

    Die Mutter beantragt nunmehr,

    die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, dass dem Vater die elterliche Sorge lediglich zur gemeinsamen Ausübung mit ihr übertragen wird.

    Der Vater beantragt,

    die Beschwerde zurückzuweisen.

    Er ist der Auffassung, die nicht von den gesetzlichen Vertretern der Mutter eingelegte oder genehmigte Beschwerde sei mangels Verfahrensfähigkeit der minderjährigen Mutter unzulässig. Die erteilte Vollmacht versetze ihn wegen der Sprunghaftigkeit der Mutter außerdem nicht zuverlässig in die Lage, die Belange des Kindes eigenverantwortlich zu regeln. Eine direkte Kommunikation zwischen beiden Eltern finde weiterhin nicht statt, wie beispielsweise die Probleme bei der Beantragung des Kindergelds, des Elterngelds und des Unterhaltsvorschusses sowie bei der Anmeldung des Kindes zur gesetzlichen Krankenversicherung zeigten. Es gebe außerdem unterschiedliche Auffassungen in den gemeinsam zu regelnden Belangen, beispielsweise in der Frage, welchen Kindergarten X besuchen solle. Auch den Aufenthalt des Kindes beim Vater akzeptiere die Mutter nur vorläufig.

    Das Jugendamt und der Verfahrensbeistand haben keine Anträge gestellt, halten es jedoch für erforderlich, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes beim Vater und dessen Handlungsfähigkeit sichergestellt sind. Auf die Stellungnahmen vom 19.9.2022, 21.9.2022 und 13.10.2022 wird Bezug genommen.

    Die Entscheidung über die Beschwerde ist dem Berichterstatter des Senats durch Beschluss des Senats vom 1.11.2022 als Einzelrichter übertragen worden.

    Der Einzelrichter hat die Beteiligten mit Ausnahme des Kindes, das altersbedingt offensichtlich noch nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen im Hinblick auf die künftige Regelung der elterlichen Sorge kundzutun, am 6.12.2022 angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

    Beide Eltern haben sich im Rahmen eines Beratungsgesprächs bei der Trennungs- und Scheidungsberatung des beteiligten Jugendamts am 12.12.2022 über den künftigen unbegleiteten Umgang zwischen X und ihrer Mutter sowie auf die Inanspruchnahme gemeinsamer Beratungsgespräche bei der Beratungsstelle des D verständigt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht des Jugendamts vom 3.2.2023 Bezug genommen.

    Aktuell streiten beide Eltern unter Einschaltung ihrer Verfahrensbevollmächtigten über die Veröffentlichung von Fotos des betroffenen Kindes auf dem Instagram-Account der Mutter. Auf den von den Beteiligten vorgelegten diesbezüglichen Schriftwechsel wird Bezug genommen.

    II.

    Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Die minderjährige Mutter, die sich mit der Beschwerde (auch) gegen den Verlust der ihr bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung nach § 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehenden tatsächlichen Personensorge wendet, ist selbst beschwerdeführungsbefugt. Einer Vertretung, Einwilligung oder Genehmigung durch ihre gesetzlichen Vertreter bedarf es insoweit nicht.

    Die Befugnis zur selbständigen Beschwerdeeinlegung folgt aus § 60 Satz 1 und 3 FamFG, wonach ein beschränkt geschäftsfähiges Kind, für das die elterliche Sorge besteht und welches bei Erlass der Entscheidung das 14. Lebensjahr vollendet hat, in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters das Beschwerderecht ausüben darf.

    Die amtliche Überschrift der Bestimmung lautet „Beschwerderecht Minderjähriger“ und erfasst sämtliche die Person des Minderjährigen betreffenden Angelegenheiten. Sie eröffnet dem Minderjährigen, der durch den angefochtenen Beschluss in einem seine Person betreffenden Recht beeinträchtigt ist im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG, ab der Vollendung des 14. Lebensjahrs ein selbständiges Beschwerderecht, welches nicht zwingend eine Verfahrensfähigkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG voraussetzt (vgl. Münchener Kommentar zum FamFG/Fischer, 3. Aufl. 2018, § 60, Rdnr. 3; Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Auf. 2023, § 60, Rdnr. 2 ff.).

    Bei der Regelung der Personensorge für ein minderjähriges Kind handelt es sich sowohl für das betroffene Kind als auch für beide Elternteile um eine ihre Person betreffende Angelegenheit. Der Begriff der „seine Person betreffenden Angelegenheit“ dient lediglich der Abgrenzung von den rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten (vgl. Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Aufl. 2022, § 60, Rdnr. 4; Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 60, Rdnr. 6 ff.).

    Dies hat zur Folge, dass auch der beschränkt geschäftsfähige minderjährige Elternteil ab Vollendung des 14. Lebensjahrs jedenfalls in einer seine Personensorge betreffenden Kindschaftssache beschwerdeführungsbefugt ist, soweit er – wie hier - durch die angefochtene Entscheidung an der Ausübung der ihm durch § 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB eröffneten tatsächlichen Personensorge gehindert wird (vgl. BeckOK-FamFG/Obermann, 45. Edition, Stand: 1.1.2023, § 60, Rdnr. 8; Staudinger/Coester, BGB, Neubearbeitung 2020, § 1673, Rdnr. 24; Grüneberg/Götz, BGB, 82. Aufl. 2023, § 1673, Rdnr. 3). Andernfalls käme man zu dem absurden und vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis, dass ein mindestens 14-jähriger minderjähriger Beteiligter in einer die Personensorge betreffenden Kindschaftssache nur dann beschwerdeführungsbefugt ist, wenn er als Kind am Verfahren beteiligt ist, nicht jedoch, wenn er als Elternteil am Verfahren beteiligt ist.

    Selbst wenn man § 60 Satz 1 FamFG nicht für einschlägig hielte, würde sich die Beschwerdeführungsbefugnis der Mutter im Übrigen aus § 60 Satz 2 FamFG ergeben, wonach ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger, der bei Erlass der angefochtenen Entscheidung das 14. Lebensjahr vollendet hat, das Beschwerderecht ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters in sonstigen Angelegenheiten ausüben kann, in denen er vor einer Entscheidung des Gerichts gehört werden soll. Die Pflicht zur Anhörung der minderjährigen Mutter in dem die Personensorge für ihr minderjähriges Kind betreffenden gerichtlichen Verfahren folgt aus § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG.

    Die demnach zulässige Beschwerde ist mit dem zuletzt gestellten Antrag in der Sache begründet und führt zu der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

    Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein Antrag des bislang nicht sorgeberechtigten Vaters auf Übertragung der Alleinsorge nach § 1671 Abs. 2 BGB stets einen hilfsweisen Antrag auf Übertragung der Mitsorge nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB beinhaltet (zustimmend: Grüneburg/Götz, BGB, 82. Aufl. 2023, § 1671, Rdnr. 49; ablehnend: BeckOK-BGB/Veit, Stand: 1.5.2022, § 1671, Rdnr. 101; Johannsen/Henrich/Althammer/Lack, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 1671 BGB Rdnr. 92). Jedenfalls hat nämlich die nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB insoweit ausdrücklich ebenfalls antragsberechtigte Mutter (vgl. zu deren Antragsberechtigung die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/11048, 16) mit ihrem im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag einen entsprechenden Antrag gestellt, auf den wegen der Zurückweisung des Antrags des Vaters auf Übertragung der Alleinsorge die Mitsorge beider Eltern herzustellen ist.

    Für die Stellung des Antrags nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB bedurfte die Mutter ebenfalls nicht der Mitwirkung ihrer gesetzlichen Vertreter, weil sie insoweit nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig ist. Nach dieser Bestimmung sind auch beschränkt geschäftsfähige Minderjährige verfahrensfähig, soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben und in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen. Zu den von § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG erfassten Rechten rechnen auch das sich aus §§ 1626a Abs. 3, 1673 Abs. 2 Satz 2 BGB ergebende Recht der minderjährigen Mutter auf die Ausübung der tatsächlichen Personensorge sowie das aus § 1626c Satz 3 BGB erwachsende Recht des minderjährigen Elternteils auf Beantragung der familiengerichtlichen Ersetzung der Zustimmung seines/r Sorgeberechtigten zu einer vom ihm abgegebenen Sorgeerklärung. Wenn die allein sorgeberechtigte minderjährige Mutter nach dem Willen des Gesetzgebers befugt sein soll, selbständig einen Antrag auf familiengerichtliche Ersetzung der Zustimmung ihres/r Sorgeberechtigten zu einer von ihr abgegebenen Sorgeerklärung zu stellen, sind keine Gründe:ersichtlich, weshalb sie nicht befugt sein sollte, in einem gerichtlichen Sorgerechtsstreit selbständig die Einräumung einer Mitsorge des anderen Elternteils zu beantragen.

    Die Voraussetzungen der vom Vater beantragten Übertragung der Alleinsorge nach § 1671 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB liegen nicht mehr vor, nachdem die Mutter sich im Zuge des Beschwerdeverfahrens mit dem Aufenthalt des gemeinsamen Kindes beim Vater einverstanden erklärt und diesem eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt hat.

    Nach der genannten Bestimmung ist eine Übertragung der Alleinsorge auf den bislang nach § 1626a Abs. 3 BGB nicht sorgeberechtigten Vater ausgeschlossen, wenn eine gemeinsame Sorge in Betracht kommt. Die Frage, ob eine gemeinsame elterliche Sorge in Betracht kommt, richtet sich nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach dem bislang nicht sorgeberechtigten Elternteil die Mitsorge einzuräumen ist, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (vgl. OLG Celle, NJW 2014, 1309). Im Rahmen des § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB finden die zu § 1671 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 BGB entwickelten Grundsätze Anwendung mit der Folge, dass eine Übertragung der gemeinsamen Sorge nach § 1626a Abs. 2 Satz 1 BGB unter den gleichen Voraussetzungen abzulehnen ist, unter denen im Fall des § 1671 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 BGB die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben wäre (vgl. BGH, FamRZ 2016, 1439). Bei der Entscheidung sind alle für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände im Rahmen einer einzelfallbezogenen und umfassenden Betrachtung gegeneinander abzuwägen. Gewichtige Gesichtspunkte des für die Entscheidung maßgeblichen Kindeswohls sind die Erziehungsfähigkeit der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und Kontinuität sowie der Kindeswille, wobei diese Kriterien im Einzelfall unterschiedlich zu gewichten sein können. Zu berücksichtigen sind auch die durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechte (vgl. BGH, FamRZ 2016, 1439; FamRZ 2010, 1060).

    Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt grundsätzlich ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung mit einem Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit zwischen den Eltern voraus (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 04.08.2015 – 1 BvR 1388/15; BVerfG, FamRZ 2010, 1403; FamRZ 2004, 354, 355; FamRZ 2004, 1015; BGH, FamRZ 2020, 1171; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 – XII ZB 158/05, juris). Gelingt es den Eltern nicht, zu Einvernehmen im Interesse des Kindes zu gelangen, weil ihnen die notwendige Konsens- und Kommunikationsfähigkeit fehlt, „funktioniert“ also die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht, weil kein Mindestmaß an Verständigungsmöglichkeiten hergestellt werden kann, und führt dies prognostisch zu fortdauernden Belastungen des Kindes als Folge des elterlichen Konflikts, so ist die Aufhebung oder Ablehnung der gemeinsamen Sorge zum Wohl des Kindes geboten (vgl. BGH, FamRZ 2016, 1439; BGH, FamRZ 2008, 592, m.w.N.; BGH, FamRZ 2005, 1167; BGH, FamRZ 1999, 1646; BVerfG, FamRZ 2007, 1876; BVerfG, FamRZ 2004, 1015; BVerfG, FamRZ 2004, 354; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 05.12.2011 – 9 UF 135/11; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 2020, 1187, und NJW-RR 2020, 1394).

    Im Hinblick auf den damit verbundenen Eingriff in das durch Artikel 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des anderen Elternteils unterliegt die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allerdings dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, FamRZ 2019, 802; BVerfG, FamRZ 2004, 1015; FamRZ 2004, 354; BGH, FamRZ 2020, 1171). Sie kommt insbesondere nur dann in Betracht, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als der Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann, beispielsweise durch eine Bevollmächtigung des mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen Elternteil (vgl. BGH, FamRZ 2020, 1171).

    Die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen macht eine Übertragung des Sorgerechts dann ganz oder teilweise entbehrlich, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt, was eine Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern nur insoweit voraussetzt, als eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (vgl. BGH FamRZ 2020, 1171; OLG Frankfurt am Main FamRZ 2021, 756). Nach der Rechtsprechung des Senats hat die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil daher auch im Falle einer im Übrigen fehlenden Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern zu unterbleiben, wenn die Bevollmächtigung eines Elternteils durch den anderen zur Folge hat, dass das Kindeswohl durch den elterlichen Konflikt nicht (mehr) beeinträchtigt wird (Beschluss vom 16.12.2011, 4 UF 257/11 und FamRB 2012, 358). Der Umstand, dass die Vollmacht mangels Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam unwiderruflich erteilt werden kann, steht dem grundsätzlich nicht entgegen, so dass es auch keiner – ohnedies unsicheren – Prognose bedarf, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Vollmacht vom vollmachtgebenden Elternteil zukünftig widerrufen werden könnte (vgl. BGH, FamRZ 2020, 1171).

    Ausgehend hiervon ist eine Alleinsorge des Vaters im vorliegenden Fall nicht geboten.

    Die minderjährige Mutter hat dem Vater mit schriftlicher Einwilligung ihrer sorgeberechtigten Eltern eine schriftliche Bevollmächtigung erteilt, die gemäß §§ 106, 107, 111, 182 Abs. 3 BGB wirksam ist, ohne hierfür einer Annahme durch den Vater zu bedürfen (vgl. BGH, FamRZ 2020, 1171). Die Vollmacht umfasst fast die gesamte Personensorge und Teile der Vermögenssorge. Bis zum Eintritt der Mutter in die Volljährigkeit am 23.2.2024 übt der Vater auch bei gemeinsamer Sorge beider Eltern die gesamte Vermögenssorge und die rechtsgeschäftliche Vertretung des Kindes auch in Angelegenheiten der Personensorge nach §§ 1673 Abs. 1 und 2, 1678 Abs. 1 BGB ohnehin kraft Gesetzes alleine aus.

    Die Mutter hat inzwischen mehrfach, auch im Rahmen der Vollmachtserteilung, ihr Einverständnis mit dem gewöhnlichen Aufenthalt der gemeinsamen Tochter beim Vater erklärt. Die Anmeldung zu der vom Vater ausgewählten Kindertagesstätte ist ausweislich der Angaben der Eltern in ihrer Anhörung vor dem Familiengericht am 5.8.2022 mit Zustimmung der Mutter durch den damaligen Amtsvormund erfolgt.

    Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Vollmacht im Rechtsverkehr nicht akzeptiert würde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit zu befürchten ist, dass die Vollmacht von einer Bank für die in der Vollmachtsurkunde erwähnte Eröffnung eines Sparkontos nicht akzeptiert würde, ist dies wegen der insoweit bis zum 23.2.2024 ohnehin kraft Gesetzes bestehenden Alleinsorge des Vaters zum gegenwärtigen Zeitpunkt unerheblich. Im Übrigen ist die Mutter – wenn auch mit Verzögerung – auch in der Lage gewesen, die für die Krankenversicherung des Kindes und die für die Zahlung von Eltern- und Kindergeld sowie Unterhaltsvorschuss an den Vater erforderlichen Mitwirkungshandlungen mit Unterstützung ihrer Großeltern zu erbringen. Es bestehen daher keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter sich künftig gegebenenfalls erforderlich werdenden Mitwirkungshandlungen verweigern würde.

    Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Bevollmächtigung dem Vater eine hinreichende Handlungsfähigkeit verschafft, um ihm eine dem Kindeswohl entsprechende Ausübung der elterlichen Sorge zu ermöglichen. Es ist insbesondere nicht zu befürchten, dass die Mutter die vom Vater im Rahmen der Vollmachtsausübung getroffenen Entscheidungen hintertreibt oder in Frage stellt und das gemeinsame Kind so der Belastung durch den elterlichen Konflikt aussetzt. Die von den übrigen Verfahrensbeteiligten geäußerten Vorbehalte gegen die Erziehungseignung der Mutter beziehen sich ausschließlich auf ihre fehlende psychische Stabilität und Reife und die sich daraus ergebenden Zweifel, ob sie dem Kind als verlässliche Bezugs- und Erziehungsperson zur Verfügung stehen könnte. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sie die vom Vater im Rahmen der erteilten Vollmacht getroffenen Entscheidungen hintertreiben würde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

    An dieser Einschätzung ändert auch der Streit der Eltern über die Veröffentlichung von Fotos des gemeinsamen Kindes in den sozialen Medien nichts. Zum einen ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit das einjährige Kind durch den von beiden Seiten mit einem gewissen Hang zur Rechthaberei über ihre Bevollmächtigten ausgetragenen Streit überhaupt belastet wird. Zum anderen haben beide Eltern inzwischen die Beratung des Jugendamts in Anspruch genommen und sich dort über den künftigen Umgang zwischen Mutter und Kind sowie über die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung verständigt, weshalb mit einer weiteren Reduzierung des Niveaus des elterlichen Konflikts zu rechnen ist.

    Da eine Alleinsorge des Vaters nach § 1671 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB ausscheidet, weil eine gemeinsame Sorge beider Eltern aus den vorstehend aufgeführten Gründe:n in Betracht kommt, ist nach § 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 BGB die Mitsorge beider Eltern anzuordnen. Irgendwelche dem entgegenstehenden Belange des betroffenen Kindes oder der ebenfalls minderjährigen Mutter (vgl. insoweit § 1626c Abs. 2 Satz 3 BGB) sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist keine mit der Einräumung der Mitsorge des Vaters einhergehende Gefährdung des Kindeswohls ersichtlich, welche die Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen in Bezug auf die elterliche Sorge erforderlich machen würde. Der Vater macht seine Sache nach übereinstimmender Einschätzung des Jugendamts und des Verfahrensbeistands gut.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Im Hinblick auf den Gegenstand des Verfahrens und den Erfolg der Beschwerde entspricht es billigen Ermessen, die Gerichtskosten des zweiten Rechtszugs beiden Eltern je hälftig aufzuerlegen und von der Anordnung einer Kostenerstattung der Beteiligten untereinander abzusehen.

    Da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern, ist die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG). Die von der Mutter vertretene Auffassung, die minderjährige Mutter sei im Falle der Übertragung der Alleinsorge auf den anderen Elternteil nicht selbständig, also ohne Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter, beschwerdeführungsbefugt, findet - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur keine Stütze und erscheint im Hinblick auf den klaren Wortlaut des § 60 FamFG auch so abwegig, dass sie nicht die Herbeiführung einer höchstrichterlichen Klärung erfordert.

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 FamGKG.

    Schmidt