OLG Frankfurt vom 16.12.2011 (4 UF 158/10)

Stichworte: elterliche Sorge, Entzug; Alleinsorge, nichtehelicher Vater; Beschwerde, Gegenstand, Pr?fungsma?stab; Kindeswohl, F?rderprinzip, Kontinuit?tsgrundsatz, Bindung, Kindeswille;
Normenkette: BGB 1626a, 1671, 1672, 1666; FamFG § 69 Abs. 1 Satz 1;
Orientierungssatz:
  • 1. Wendet sich ein Elternteil im Wege der Beschwerde gegen den Entzug seiner elterlichen Sorge, fällt dem Beschwerdegericht die Überprüfung der Regelung der elterlichen Sorge insgesamt ohne Bindung an etwaige Sachanträge des Beschwerde führenden Elternteils an.
  • 2. Im Rahmen der Prüfung der (Aufrechterhaltung der) Ergreifung gerichtlicher Maßnahmen wegen Gefährdung des Kindeswohls ist dabei vorrangig zu prüfen, ob einer Gefährdung des Kindeswohls durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander nach den §§ 1626a, 1671, 1672 BGB begegnet werden kann.
  • 3. Zu den Voraussetzungen einer Übertragung der Alleinsorge auf den bislang nicht sorgeberechtigten Vater nach § 1672 BGB in seiner durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010, Aktenzeichen 1 BvR 420/09 (NJW 2010, 3008) vorgegebenen Fassung.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf vom 27.08.2010 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 16.08.2010 am 16.12.2011 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

    Die elterliche Sorge für die beiden betroffenen Kinder wird auf den Vater zur alleinigen Ausübung übertragen.

    Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

    Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Ihre durch das Beschwerdeverfahren veranlassten außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst. Hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszugs bleibt es bei der Entscheidung im angefochtenen Beschluss.

    Der Verfahrenswert wird festgesetzt auf 6.000,- Euro.

    Gründe:

    I.

    Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Regelung der elterlichen Sorge für die beiden betroffenen Kinder Ce. und Ch., die bis zu ihrer Inobhutnahme am 08.07. bzw. 09.07.2009 bei ihrer Mutter lebten. Diese übte die elterliche Sorge mangels gemeinsamer Sorgeerklärung alleine aus.

    Bis 2003 lebten beide Eltern mit den Kindern noch in einem gemeinsamen Haushalt. Im Jahr 2003 vollzogen die Eltern eine räumliche Trennung, blieben aber zunächst partnerschaftlich verbunden, weshalb beide Kinder ihren Vater fast täglich sahen. Dies änderte sich erst mit dem Einzug des späteren Ehemanns der Mutter im Januar 2008. Die Kinder verbrachten anschließend jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater; dieser besuchte sie nicht mehr in der Wohnung der Mutter. Ihre Mutter ist nicht berufstätig; eine nach dem Realschulabschluss im Jahr 1995 begonnene Ausbildung brach sie wegen Panikattacken ab. Der Vater ist vollzeitbeschäftigt als Elektriker.

    Im Herbst 2008 heiratete die Mutter ihren neuen Partner; aus dieser Ehe ging der am 08.03.2009 geborene Sohn B. hervor. Bereits im Oktober 2008 war das zuständige Jugendamt von der Polizei über mehrmalige Einsätze wegen häuslicher Gewalt des alkoholkranken Ehemanns gegen die Mutter und gegen den Ehemann ausgesprochene Wegweisungsverfügungen unterrichtet worden. Im anschließenden Beratungsgespräch beim Jugendamt berichtete die Mutter über Probleme bei der Erziehung von Ce. Obwohl die Mutter in der Folgezeit mehrfach gerichtlich eine Zuweisung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung erwirkte oder die Polizei den Ehemann aus der Wohnung verwies, nahm die Mutter ihren Ehemann immer wieder in die Wohnung auf, so beispielsweise nach einer erneuten massiven Gewalteskalation am 13.12.2008, nach welcher die Mutter gegenüber dem Jugendamt zunächst erklärt hatte, sich nun von ihrem Ehemann zu trennen. Bereits am 26.12.2008 kam es zum nächsten Polizeieinsatz, nachdem der Ehemann sie am 25.12.2008 gewürgt und ihr einen Bilderrahmen an den Kopf geworfen hatte, als Ch. auf ihrem Schoß saß, und nachdem er ihr am 26.12.2008 zum wiederholten Male gedroht hatte sie umzubringen. Die Mutter begab sich mit ihren beiden Töchtern anschließend für vier Tage in ein Frauenhaus, kehrte dann aber wieder in ihre Wohnung zurück. Sie wechselte die Schlösser der Wohnungstür aus, was ihren Ehemann dazu veranlasste, im Keller des Hauses zu nächtigen. Nach weiteren Polizeieinsätzen am 20.01. und 21.01.2009 wurde der Ehemann für vier Wochen in Untersuchungshaft genommen; die wegen der begangenen Körperverletzungen verhängte Freiheitsstrafe wurde schließlich zur Bewährung ausgesetzt. Auf die in der beigezogenen Akte betreffend das Kind B., Aktenzeichen 4 UF 154/10 des Senats, befindlichen Polizeiberichte wird Bezug genommen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft bewohnte der Ehemann wieder die eheliche Wohnung. Seitens des Jugendamts wurde eine bis zum 23.04.2009 befristete intensive Krisenintervention installiert, auf welche beide Eheleute sich zunächst einließen. Von den Helfern wurde über Schwierigkeiten Ce.s in der Schule und im Umgang mit Gleichaltrigen sowie über fehlenden Respekt beider Kinder gegenüber Erwachsenen berichtet, außerdem über gewalttätige Übergriffe der früh pubertierenden Ce. gegen ihre Schwester Ch. und gegen Mitschüler. Am 22.03. und 23.03.2009 kam es erneut zu häuslicher Gewalt gegen die Mutter, woraufhin sich die Mutter und ihr Ehemann zur Abwendung einer Fremdunterbringung der mittlerweile drei im Haushalt lebenden Kinder damit einverstanden erklärten, dass der Ehemann die Wohnung verlässt und dass Kontakte zwischen den Kindern und ihm nur noch in Begleitung der Helfer stattfinden. Es wurde vereinbart, dass die Kinder im Falle einer weiteren Gewalteskalation in Obhut genommen werden. Bereits am 05.04. und 08.04.2009 kam es zu erneuten Polizeieinsätzen, nachdem der Ehemann der Mutter mutmaßlich versucht hatte, sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung zu verschaffen. Die Mutter war aus Angst vor ihm mit beiden Töchtern vorübergehend in die Wohnung ihrer Mutter geflüchtet. Zum 17.6.2009 wurde in der Familie eine sozialpädagogische Familienhilfe installiert. Bereits am 29.05.2009 war dem Jugendamt gemeldet worden, dass sich der Ehemann absprachewidrig erneut in dem Haushalt aufhält. Bei Besuchen einer Mitarbeiterin des Jugendamts am 26.06.2009 und der Familienhelferin am 02.07.2009 wurde er jeweils dort angetroffen. Der Familienhelferin berichtete die Mutter, erneut von ihm geschlagen worden zu sein. Das Jugendamt nahm die Kinder daraufhin am 08.07. bzw. 09.07.2009 in Obhut: Ce. wurde gleich im Kinderheim R. untergebracht. Ch. wurde dort schließlich ebenfalls untergebracht, nachdem sie zunächst gemeinsam mit B. in einer Bereitschaftspflegestelle untergebracht worden war. Später wurden beide Mädchen zwecks Durchführung einer stationären Diagnostik in das V.- Haus in H. verlegt, wo auch die im ersten Rechtszug angeordnete Begutachtung stattfand. B. blieb bei der Bereitschaftspflegemutter.

    Das Amtsgericht entzog der Mutter für beide Töchter mit einstweiliger Anordnung vom 10.07.2009 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung wegen Hilfen zur Erziehung und setzte insoweit das zuständige Jugendamt als Pfleger ein. Die einstweilige Anordnung wurde nach mündlicher Verhandlung und Anhörung der Beteiligten und der betroffenen Kinder mit Beschluss vom 23.07.2009 aufrecht erhalten. Hiergegen legten beide Eltern sofortige Beschwerde ein, die Mutter mit dem Ziel einer Aufhebung des vorläufigen Teilentzugs der elterlichen Sorge, der Vater mit dem Ziel einer Übertragung der entzogenen Teilbereiche auf ihn. Beide Eltern nahmen ihre Beschwerden nach mündlicher Erörterung vor dem Beschwerdegericht zurück.

    Nach der Inobhutnahme der Kinder erwirkte die Mutter gegen ihren Ehemann vor dem Amtsgericht erneut eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz. Sie stellte außerdem einen Scheidungsantrag, welchen sie nach Versagung der begehrten Prozesskostenhilfe jedoch zunächst nicht weiter verfolgte. Am 27.10.2009 kam es zu einem erneuten Polizeieinsatz in der Wohnung des Ehemanns der Mutter, nachdem es dort zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen beiden Eheleuten gekommen war. Der Ehemann ist der leibliche (und rechtliche) Vater des am 12.10.2010 von der Mutter geborenen weiteren Sohns D.. Die erneute Schwangerschaft war den weiteren Verfahrensbeteiligten von der Mutter zunächst verheimlicht worden.

    Die angeordnete Pflegschaft war vom Amtsgericht mit Beschluss vom 02.09.2009 auf die derzeitige Pflegerin als Berufspflegerin übertragen worden. Diese veranlasste nach Abschluss der Begutachtung im März 2010 einen Wechsel Ch.s in den Haushalt des Vaters. Ch. besucht nach der Schule bis 17 Uhr einen Hort. Der Vater erhält Hilfe zur Erziehung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe mit einem Umfang von acht Wochenstunden. Ce. wechselte im März 2010 in eine heilpädagogische Wochengru im Haus T. in F.. Die Wochenenden verbrachte sie im Haushalt des Vaters, in dessen Haushalt sie später eigentlich auch wechseln sollte. Die Mutter hatte im Januar 2010 die vormalige Wohnung ihrer Mutter bezogen, welche sich im selben Haus befand wie die Wohnung des Vaters. Besuchskontakte beider Mädchen bei ihrer Mutter erfolgten freitags nachmittags. Darüber hinaus gab es jedoch wiederholt zufällige Begegnungen mit beiden Kindern, welche für diese sehr belastend waren. Insoweit wird auf die Stellungnahme des Jugendamts vom 21.05.2010, Bl. 325 der Akte, verwiesen.

    Auf das vom Amtsgericht eingeholte psychologische Sachverständigengutachten der Dipl.-Psych. L. M. und H.-J. N. vom 12.04.2010, Bl. 212ff. der Akte, wird Bezug genommen. Das Amtsgericht entzog der Mutter mit dem angefochtenen Beschluss, auf den ebenfalls Bezug genommen wird, nach Anhörung der betroffenen Kinder und der Beteiligten die elterliche Sorge und übertrug sie mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Antragstellung auf Hilfen zur Erziehung, welche der Pflegerin übertragen wurden, dem Vater zur alleinigen Ausübung.

    Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 26.08.2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30.08.2010 beim Beschwerdegericht eingegangene Beschwerde der Mutter, mit welcher sie eine Aufhebung des Entzugs ihrer elterlichen Sorge begehrt. Mit einer gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts mit dem Vater wäre sie einverstanden.

    Die Mutter, welche sich seit dem Sommer 2009 bereits in ambulanter psychiatrischer Behandlung der Institutsambulanz der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie H. befand, begab sich im Anschluss an die Beschwerdeeinlegung wegen Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft zur stationären Behandlung in die gynäkologische Abteilung des Klinikums H.; parallel erfolgte eine Behandlung durch die psychiatrische Abteilung des Klinikums. Nach der Entbindung ihres Sohns D. begab sich die Mutter am 03.11.2010 gemeinsam mit dem Kind in eine stationäre Behandlung der vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in H. Nachdem sie von dort in Bezug auf das Kind D. als erziehungsfähig angesehen wurde, wechselte sie mit D. im März 2010 in eine Mutter-Kind-Einrichtung des orthos e.V. in H. Die Maßnahme ist auch auf eine berufliche Qualifizierung der Mutter und Integration in den Arbeitsmarkt angelegt. Eine ursprünglich beabsichtigte Ausbildung hat die Mutter im Hinblick auf einen möglichen Wechsel B.s in die Einrichtung allerdings noch nicht begonnen. Mit einem vorübergehenden Verbleib Ch.s beim Vater und Ce.s in einer heilpädagogischen Wochengru hat die Mutter sich einverstanden erklärt. Langfristig strebt sie jedoch einen Wechsel beider Kinder zurück in ihren Haushalt an, sobald sie durch einen erfolgreichen Abschluss der derzeitigen Hilfemaßnahme die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen hat. Den hierfür erforderlichen zeitlichen Rahmen gibt sie mit ein bis zwei Jahren an. Derzeit besuchen beide Töchter sie einmal monatlich in H.. Darüber hinaus gibt es telefonische Kontakte. Von ihrem Ehemann ist die Mutter mittlerweile geschieden. Er ist in den Harz gezogen; Meldungen über Kontakte zwischen den geschiedenen Eheleuten gibt es nicht mehr.

    Die übrigen Beteiligten sind der Beschwerde entgegen getreten. Der Vater beantragt für den Fall einer Aufhebung der vom Amtsgericht angeordneten Pflegschaft nunmehr eine vollständige Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn.

    Das Verfahren ist dem Berichterstatter als Einzelrichter durch Senatsbeschluss vom 03.11.2010 zur Vorbereitung der Entscheidung übertragen worden. Die Beteiligten sind vom Berichterstatter am 02.03.2011, die betroffenen Kinder am 07.04. bzw. 14.04.2011 persönlich angehört worden. Auf die Sitzungsniederschrift vom 02.03.2011, Bl. 512ff. der Akte, und die Vermerke über die Anhörung der Kinder, Bl. 540ff. bzw. 593 der Akte, wird Bezug genommen.

    Der geplante Wechsel Ce.s in den Haushalt des Vaters ist mittlerweile gescheitert. Auf Grund massiver, von Ce. geschürter Konflikte zwischen Ce. und Ch. an den Besuchswochenenden und einer zunehmenden Verweigerungshaltung Ce.s gegenüber dem Vater und in der Schule wird für Ce. nun Hilfe zur Erziehung im Rahmen einer vollstationären Unterbringung in der Wohngru Alte Mühle in K. gewährt. Es handelt sich um eine kleine Gru mit innewohnender Betreuungsperson. Zwischen den Eltern konnte hinsichtlich der Frage der Unterbringung Ce.s kein Einvernehmen erzielt werden. Während der Vater die Entscheidung der Pflegerin unterstützte, strebte die Mutter eine Unterbringung in einer Einrichtung in der Nähe von H. mit Wochenendbesuchen bei der Mutter an. Ziel der Mutter ist weiterhin eine spätere Rückkehr Ce.s in ihren Haushalt, was sie Ce. telefonisch auch so vermittelt. Die von der Mutter vorgeschlagene Einrichtung, eine Einrichtung für 13- bis 17-jährige Mädchen mit wechselnder Betreuung im Schichtbetrieb, wurde von der Pflegerin, der Verfahrenspflegerin und dem Jugendamt als ungeeignet abgelehnt. Insoweit wird auf die Stellungnahmen vom 05.05., 12.05.2011 und 20.07.2011 Bezug genommen. Der Vater hat mit Ch. mittlerweile eine neue Wohnung bezogen.

    II.

    Die zulässige Beschwerde, auf welche wegen der Einleitung des Verfahrens vor dem 1.9.2009 noch das bis zum 31.8.2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung findet, führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des angefochtenen Beschlusses.

    Im Rahmen der von ihm zu treffenden Beschwerdeentscheidung ist der Senat nicht an den Beschwerdeantrag gebunden. Vielmehr fällt ihm durch die Beschwerde nicht nur die Frage der Aufhebung des Entzugs der elterlichen Sorge der Mutter, sondern die Regelung der elterlichen Sorge für die beiden betroffenen Kinder insgesamt als einheitlicher unteilbarer Verfahrensgegenstand an (vgl. BGH, FamRZ 2008, 45; FamRZ 1983, 44; Olzen in Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl., 2008, § 1666, Rdnr. 244; zum neuen Recht: Feskorn in Zöller, ZPO, Kommentar, 28. Aufl., 2010, § 65 FamFG, Rdnr. 6, § 69 FamFG, Rdnr. 3). Dies folgt schon aus dem Umstand, dass ein Entzug der elterlichen Sorge als letztes im Rahmen der Ausübung des staatlichen Wächteramts auf dem Gebiet des Kindesschutzes zur Verfügung stehendes Mittel nur dann in Betracht kommt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls nicht auf andere Art und Weise abgewendet werden kann (§§ 1666 Abs. 1, 1666a Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Die Voraussetzungen für einen Entzug der elterlichen Sorge liegen damit im Hinblick auf den in Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG normierten Vorrang der Erziehung und Pflege von Kindern durch ihre Eltern nicht vor, wenn einer Gefährdung des Kindeswohls durch eine gerichtliche Regelung der elterlichen Sorge im Verhältnis der Eltern untereinander nach den §§ 1626a, 1671, 1672 BGB begegnet werden kann (vgl. Olzen in Münchener Kommentar, BGB, § 1666, Rdnr. 7ff.; Coester in v. Staudinger, BGB, Kommentar, § 1666, Rdnr. 28).

    Dies ist hier der Fall. Dem Vater ist auf seinen Antrag hin die elterliche Sorge für beide Kinder zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Dass der Vater seinen diesbezüglichen Antrag hinsichtlich der auf die Pflegerin übertragenen Teilbereiche der elterlichen Sorge nur hilfsweise für den Fall einer Aufhebung der Pflegschaft gestellt hat, ist unschädlich, weil auch im Falle einer Aufrechterhaltung des Entzugs der elterlichen Sorge der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls gemäß § 1680 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 BGB zu prüfen wäre, ob eine Übertragung auf den Vater dem Wohl der Kinder dient. Hier gelten nach dem Verständnis des Senats die gleichen Maßstäbe wie bei einer Übertragung der Alleinsorge auf den Vater nach § 1672 BGB in seiner vom Bundesverfassungsgericht angeordneten Fassung, weshalb es des Umwegs über einen Entzug der elterlichen Sorge der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls ebenso wenig bedarf wie einer diesbezüglichen ergänzenden Begutachtung der Mutter.

    Gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010, Aktenzeichen 1 BvR 420/09 (NJW 2010, 3008), ist § 1672 BGB bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge überträgt, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am Besten entspricht. Wegen des mit einer Übertragung der Alleinsorge auf den Vater verbundenen Eingriffs in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht der Mutter ist diese nur dann gerechtfertigt, wenn hierfür gewichtige Kindeswohlgründe vorliegen und weniger einschneidende Eingriffe nicht möglich sind (BVerfG, a.a.O.)

    Eie gemeinsame Sorgerechtsausübung als für die Mutter milderer Eingriff in ihr Sorgerecht kommt hier nicht in Betracht.

    Eine gemeinsame elterliche Sorge setzt bei beiden Eltern ein hinreichendes Maß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit voraus. Sind die Eltern mangels tragfähiger sozialer Beziehung nicht in der Lage, die Belange ihres Kindes oder ihrer Kinder gemeinsam zu regeln und ist mit einer Belastung des Kindes als Folge des Konflikts der Eltern zu rechnen, ist der Alleinsorge eines Elternteils der Vorzug zu geben gegenüber einer gemeinsamen Sorge beider Eltern, und zwar unabhängig davon, welcher Elternteil für die fehlende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit verantwortlich ist (vgl. BVerfG, a.a.O.; BGH, FamRZ 2008, 994; FamRZ 2008, 592).

    Eine gemeinsame elterliche Sorge kommt hier nicht in Betracht, weil das Verhältnis beider Eltern spätestens seit der Inobhutnahme der Kinder nicht nur von einem tiefgreifenden Zerwürfnis und wechselseitigem Misstrauen geprägt ist, sondern weil beide Eltern auch offensichtlich nicht in der Lage sind, in den für ihre Kinder erheblichen Erziehungsfragen Einvernehmen zu erzielen.

    Der Vater ist in Anbetracht der von ihm mittlerweile erkannten Defizite der Mutter willens, dauerhaft Verantwortung für beide Kinder zu übernehmen. Die Mutter sieht ihn seit der Inobhutnahme der Kinder hingegen offenbar als Konkurrenten um die elterliche Sorge, den sie als Betreuungs- und Bezugsperson der Kinder allenfalls als Übergangslösung bis zur angestrebten Rückkehr beider Kinder in ihren Haushalt duldet. Dies hat dazu geführt, dass Ce. sich vor dem Hintergrund der ihr von der Mutter ohne realistische Perspektive in Aussicht gestellten Rückkehr zur Mutter massiv gegen den Vater aufgelehnt hat und in dessen Haushalt nicht mehr führbar war, obwohl sie Vater und Schwester nur an den Wochenenden aufsuchte. Über die deshalb erforderlich gewordene vollstationäre Unterbringung Ce.s konnte zwischen beiden Eltern ebenfalls keine Einigung erzielt werden, wobei die diesbezügliche Kommunikation der Eltern ausschließlich über ihre Verfahrensbevollmächtigten und das Gericht geführt wurde.

    Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Beide Eltern reden nach Angaben der Kinder in den Anhörungen nicht einmal mehr miteinander. Die Eltern sind als Folge ihres Konflikts nicht in der Lage, den Kindern durch gemeinsame Entscheidungen in den für die Kinder zentralen Fragen eine klare Zukunftsperspektive zu bieten, obwohl dies gemäß der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen in dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten erforderlich wäre, um dem Förderbedarf Ce.s und der Bindungsverunsicherung beider Kinder gerecht zu werden. Insbesondere Ce., deren Verhalten in der Schule und zu Hause mittlerweile völlig "aus dem Ruder gelaufen" ist, benötigt klare Strukturen und Grenzziehungen sowie einen stabilen Beziehungs- und Erziehungsrahmen, was wiederum (auch bei einer Fremdunterbringung) klare Absprachen zwischen den Eltern voraussetzt, zu welchen diese derzeit nicht in der Lage sind. Ch. zeigt anders als Ce. zwar noch keine Verhaltensauffälligkeiten und Störungen, bedarf im Hinblick auf ihre aus der schwierigen und belasteten familiären Situation resultierende Verunsicherung ausweislich des Gutachtens aber ebenfalls eines zugewandten Beziehungsangebots in einem strukturierten, von einem durchgängigen, konsequenten Erziehungshandeln bestimmten Alltagssetting. Die Mutter ist zwar vordergründig mit dem Aufenthalt Ch.s im Haushalt des Vaters einverstanden, sieht diesen aber als nur vorübergehend an und vermittelt dies dem Kind auch so. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine gemeinsame Ausübung des Sorgerechts beiden Kindern den für ihre weitere Entwicklung erforderlichen stabilen Beziehungs- und Erziehungsrahmen gewährleisten könnte. Dies betrifft nicht nur die Frage der Aufenthaltsbestimmung, sondern wegen des unterschiedlichen Erziehungsstils und der hieraus zwangsläufig resultierenden Verunsicherung beider Kinder sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge.

    Da eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt, ist die elterliche Sorge dem Vater zur alleinigen Ausübung zu übertragen, weil dies dem Wohl der beiden Kinder am Besten entspricht.

    Das Kindeswohl gebietet eine Förderung der Entwicklung des Kindes und eine Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. § 1 SGB VIII). Maßgebliche Kriterien für eine sich hieran orientierende Entscheidung des Gerichts sind das Förderprinzip, der Kontinuitätsgrundsatz, die Bindungen des Kindes und der Kindeswille (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2011, 1153; Palandt, BGB, Kommentar, 70. Aufl., 2011, § 1671, Rdnr. 26 ff m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur). Die genannten Kriterien sind im Rahmen einer Gesamtabwägung jeweils mit Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls zu gewichten (vgl. BGH, NJW-RR 1990, 258).

    Das Förderprinzip knüpft an die Bereitschaft und Fähigkeit des jeweiligen Elternteils an, Verantwortung für die Erziehung und Versorgung des Kindes zu tragen, es beim Aufbau seiner Persönlichkeit zu unterstützen und ihm eine stabile und verlässliche Bezugsperson zu sein (vgl. OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1994, 920). In diesem Rahmen ist auch die sogenannte Bindungstoleranz zu berücksichtigen, also die Bereitschaft und Fähigkeit, bestehende Bindungen des Kindes, insbesondere zum anderen Elternteil, zu unterstützen (vgl. OLG Dresden, NJW 2003, 147).

    Der Kontinuitätsgrundsatz gebietet für eine dem Kindeswohl entsprechende Entwicklung des Kindes die Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit seiner Erziehung, aber auch seines sozialen Umfelds und seiner Lebensverhältnisse (vgl. Palandt, § 1671, Rdnr. 28 m.w.N.).

    Die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes verlangen besondere Berücksichtigung und äußern sich häufig auch in dem vom Kind geäußerten Willen. Dieser ist auch Ausdruck der Selbstbestimmung des Kindes, die mit zunehmendem Alter immer stärker in den Vordergrund tritt (vgl. BVerfG, FamRZ 2009, 1389; Palandt, § 1671, Rdnr. 29 und 30 m.w.N.).

    Unter Zugrundlegung der genannten Kriterien entspricht eine Alleinsorge des Vaters dem Wohl der beiden Kinder am Besten.

    Da der Aufenthalt Ch.s beim Vater und Ce.s in einer Einrichtung für die Dauer des Aufenthalts der Mutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung vorgegeben ist, kommt dem Kontinuitätsgrundsatz für die zu treffende Entscheidung keine maßgebliche Bedeutung zu. Eine Rückkehr beider in das gewohnte Umfeld bei der Mutter kommt auf absehbare Zeit ohnehin nicht in Betracht, zumal die Mutter derzeit plant, nach Beendigung der Maßnahme der Hilfe zur Erziehung im Raum H. wohnen zu bleiben.

    Gewichtigstes Kriterium für die vom Senat zu treffende Entscheidung ist daher die Frage, welcher Elternteil besser in der Lage ist, die Erziehung der beiden durch die familiäre Situation belasteten Kinder zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu gewährleisten. Danach ist im Hinblick auf die eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter eine Alleinsorge des Vaters geboten. Es kann dabei für die vorliegende Entscheidung dahingestellt bleiben, ob mit einem Fortbestehen der Alleinsorge der Mutter sogar - wie vom Amtsgericht auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens angenommen - eine Gefährdung des Kindeswohls verbunden wäre. Jedenfalls war die Erziehung beider Kinder durch die Mutter geprägt von den psychischen Problemen der Mutter (abhängige Persönlichkeitsstörung, Angstsymptomatik), fehlender Konsequenz im Erziehungsverhalten sowie einer von häuslicher Gewalt gegen die Mutter geprägten Beziehungsgestaltung. Diese im Gutachten eingehend geschilderten Defizite mündeten in eine Überforderung der Mutter mit den insbesondere von Ce. an den Tag gelegten, auf eine Totalverweigerung hinauslaufenden Verhaltensweisen. Trotz der von der Mutter mittlerweile vollzogenen Trennung und Scheidung von ihre Ehemann und der eingeleiteten Schritte in Richtung einer Änderung ihres Erziehungsverhaltens kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter derzeit schon besser erziehungsgeeignet ist als der Vater. Wie ihr Wunsch nach einer Unterbringung Ce.s in einer für Ce. offensichtlich ungeeigneten Einrichtung in ihrer Nähe zeigt, ist sie augenscheinlich noch nicht in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse den Bedürfnissen der Kinder hintenan zu stellen. Insoweit entspricht ihr Verhalten weiterhin dem Verhalten während und nach der Begutachtung im ersten Rechtszug, als sie trotz der damit für die Kinder verbundenen Belastungen in eine im selben Haus wie die Wohnung des Vaters gelegene Wohnung zog und den Kindern dort am 15.05.2010, also zu einem Zeitpunkt, als sie bereits mit D. schwanger war, in alkoholisiertem Zustand mit Selbstmord drohte.

    Ausweislich der Feststellungen im Sachverständigengutachten weist der Vater zwar ebenfalls Defizite in seiner Erziehungsfähigkeit auf, welche daraus resultieren, dass er sich erzieherischer Verantwortung bis zur Inobhutnahme der Kinder weitgehend entzogen und die Erziehung der Kinder und die elterliche Sorge der Mutter überlassen hat. Diese Defizite werden allerdings dadurch aufgewogen, dass der Vater die ihm zur Verfügung gestellten Hilfen bereitwillig annimmt und sich bei den diesbezüglichen Entscheidungen augenscheinlich von den Bedürfnissen der Kinder leiten lässt. Auch wenn er, wie er selbst sagt, noch in seinen "Lehrjahren als Vater" ist, lebt er nicht nur in geordneten Verhältnissen, sondern ist auch in der Lage, den Kindern einen stabilen Erziehungsrahmen zu bieten und bei auftauchenden Problemen, den Rat und die Hilfe Dritter zu suchen und anzunehmen. Soweit auch er mit den von Ce. gezeigten Verhaltensauffälligkeiten überfordert ist, hat er sich den von der Pflegerin auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens vorgeschlagenen Maßnahmen nicht verweigert und das Bedürfnis eigener Nähe zu Ce. anders als die Mutter hintenan gestellt.

    Die Bindungen beider Kinder zu ihren Eltern und der von den Kindern geäußerte Wille stehen einer Alleinsorge des Vaters vor diesem Hintergrund nicht entgegen. Die Kinder haben weder im Rahmen der Begutachtung noch in den richterlichen Anhörungen eine klare Bindungspräferenz zu Gunsten der Mutter erkennen lassen. Vielmehr haben beide Kinder gefühlsmäßige Bindungen zu beiden Elternteilen, wobei nicht übersehen werden darf, dass die bestehende Bindungsverunsicherung ausweislich der Feststellungen im Gutachten Folge der Erlebnisse im Haushalt der Mutter ist. Die Kinder mussten dort miterleben, dass ihre Mutter sich über einen langen Zeitraum immer wieder auf den alkoholkranken Stiefvater einließ, obwohl sie von diesem ständig misshandelt wurde. Es ist daher maßgeblich darauf abzustellen, welcher beider Elternteile in Zukunft eher in der Lage ist, den Kindern den für eine Entwicklung stabiler Bindungen erforderlichen Erziehungsrahmen zu bieten. Das ist - wie dargestellt - eindeutig der Vater.

    Vor diesem Hintergrund bedarf es auch keiner persönlichen Anhörung der beiden Kinder durch den gesamten Senat. Die für die beiden Kinder weniger belastende Anhörung durch den vorbereitenden Einzelrichter reicht aus, um dem Senat den für seine Entscheidung maßgeblichen Eindruck zu vermitteln. Eines persönlichen Eindrucks der übrigen Senatsmitglieder bedarf es nicht; hiervon sind keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten.

    Der Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater steht auch keine damit verbundene Gefährdung des Kindeswohls entgegen. Der Vater nimmt alle ihm angebotenen öffentlichen Hilfen in Anspruch und ist mit dieser Unterstützung - wie oben ausgeführt - in der Lage, den Bedürfnissen seiner Kinder gerecht werdende Entscheidungen zu treffen und diesen den von ihnen benötigten stabilen Erziehungsrahmen zu bieten. Eine Aufrechterhaltung der vom Amtsgericht angeordneten Pflegschaft kommt daher nicht in Betracht. Eines Entzugs der elterlichen Sorge der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls, der Voraussetzung für die Anordnung einer Pflegschaft wäre, bedarf es im Hinblick auf die nach § 1672 BGB zu treffende Sorgerechtsregelung im Verhältnis der Eltern untereinander nicht.

    Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 131 Abs. 3 KostO (in der bis 31.08.2009 geltenden Fassung) und berücksichtigt, dass die Beschwerde zumindest auch im Interesse der Kinder eingelegt worden ist. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der übrigen Beteiligten durch die Beschwerdeführerin nach § 13a Abs. 1 S. 2 FGG (in der Fassung bis 31.08.2009) ist im Hinblick auf die erfolgte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht angezeigt.

    Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 und 3 KostO (in der bis 31.08.2009 geltenden Fassung). Im Hinblick auf den Umfang und die besondere sachliche und rechtliche Schwierigkeit der Angelegenheit hält der Senat die auch vom Amtsgericht vorgenommene Verdolung des Auffangwerts für angemessen.

    Diehl Büchsel Schmidt