OLG Frankfurt vom 30.07.2015 (4 UF 151/15)

Stichworte: doppelte Rechtshängigkeit, Feststellungsinteresse, negativer Feststellungswiderantrag, einstweilige Anordnung Unterhalt, Hortbesuch;
Normenkette: ZPO §§ 261 III Nr. 1, 256; FamFG §§ 52 II, 56; SGB VIII §§ 22, 24 IV;
Orientierungssatz:
  • Während der Rechtshängigkeit eines Stufenantrages auf Unterhalt, steht dem später erhobenen negativen Feststellungswiderantrag des Unterhaltsschuldners, der damit die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung negiert, nicht der Einwand der doppelten Rechtshängigkeit entgegen.
  • Für einen solchen negativen Feststellungswiderantrag besteht ein Feststellungsinteresse jedenfalls dann, wenn die Bezifferung des Stufenantrages auf der Leistungsstufe dem Unterhaltsschuldner noch nicht zugestellt wurde und diesem durch parallele einstweilige Anordnung vorläufig geboten wurde, Unterhalt an die Unterhaltsgläubiger zu entrichten.
  • Der Besuch einer nachschulischen Betreuungseinrichtung im Sinne der §§ 22, 24 IV SGB VIII durch ein Kind steht im Sinne der Mehrbedarfsrechtsprechung des BGH einem Kindergartenbesuch gleich.
  • 60 F 2046/14
    AG Hanau

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    ...

    gegen

    1. .

    2. .

    beide gesetzlich vertreten durch die Antragstellerin zu 3.,

    3. .

    I. weist der Senat darauf hin, dass er beabsichtigt,

    1. nach den §§ 117 III, 68 III FamFG auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten und

    2. auf die Beschwerde - unter Zurückweisung derselben im Übrigen - den am 13.05.2015 verkündeten Teilbeschluss nebst des zugrundeliegenden Verfahrens insoweit aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht zurückzuverweisen, als dass Unterhalt zwischen den Beteiligten ab Dezember 2014 im Raum steht, §§ 117 II FamFG, 538 II Nr. 7 ZPO.

    Der auch in der Beschwerdeinstanz verfolgte Hauptwiderantrag hat aktuell (noch) überwiegend vorläufige Aussicht auf Erfolg im Sinne der benannten Zurückverweisung, ist er doch entgegen der Ansicht des Familiengerichts weitgehend zulässig.

    Dem steht nicht der Einwand doppelter Rechtshängigkeit, §§ 113 I 2 FamFG, 261 II Nr. 1 ZPO, entgegen: Denn trotz des Umstandes, dass die zwischen 18.03.2015 und 07.04.2015 (ein genaues Zustelldatum ist mangels Zustellung des Schriftsatzes vom 18.03.2015 an die Antragsteller nicht dokumentiert) eingetretene Rechtshängigkeit des negativen Feststellungswiderantrages der des zunächst unbeziffert gebliebenen Leistungsantrages der Antragsteller, die am 26.01.2015 eintrat, nachfolgte, verfängt dieses von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernis nicht, da die Rechtsverfolgung insoweit nicht in getrennten, sondern in einem einheitlichen Verfahren erfolgte (so im Ergebnis auch OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 816f., OLG Koblenz BeckRS 2004, 03182). Denn die Gründe, die zur Schaffung von § 261 III 1 ZPO führten (Gefahren widersprechender Entscheidungen, der Beeinträchtigung des ungestörten Verfahrensablaufs sowie des Wettstreites um die frühere Entscheidung), sind dann ausgeschlossen, weil nur ein Gericht befasst ist und dieses im Hinblick auf § 301 ZPO und die daraus resultierende Verpflichtung, möglicherweise widersprechende Entscheidungen durch die Verkündung von Teilentscheidungen zu vermeiden, solche zu unterlassen hat. Der Antragsgegners besitzt aktuell noch das nötige Feststellungsinteresse, §§ 113 I 2 FamFG, 256 ZPO, da der Bezifferungsschriftsatz der Antragsteller dem Antragsgegner noch nicht förmlich zugestellt wurde. Damit besteht für den Antragsgegner trotz des Umstandes, dass die Zustellung des gesamten Stufenantrages die Rechtshängigkeit des zunächst unbeziffert gebliebenen Unterhaltsanspruchs bewirkt, die Unsicherheit, dass die Antragsteller zu einem späteren Zeitpunkt die Leistungsstufe nicht in dem Umfang beziffern, wie er Gegenstand der gegen den Antragsgegner erlassenen Einstweiligen (Leistungs-)Anordnung war, sondern die Bezifferung hinter diesem zurückbleibt. Zugleich kann in einer hinter der Einstweiligen Anordnung zurückbleibenden Bezifferung der Hauptsache auch keine zum Teilaußerkrafttreten der Einstweiligen Anordnung führende Teilrücknahme der Hauptsache gesehen werden (vergl. § 56 II Nr. 1 FamFG), da die Bezifferung nur eine Konkretisierung, nicht aber Beschränkung eines zuvor weitergehenden Hauptsacheantrages enthält. Dem Antragsgegner bliebe dann nur, die Antragsteller über § 52 II FamFG zu einer weitergehenden Antragstellung in der Hauptsache zu zwingen und im Ausbleibensfalle auf (teilweise) Aufhebung der Einstweiligen Anordnung anzutragen, § 52 II 3 FamFG, dieser Weg erscheint dem Senat aber nicht deutlich einfacher als der Weg des negativen Feststellungantrages.

    Diese Unsicherheit wird auch nicht dadurch beseitigt, dass die erlassene Einstweilige Anordnung dann außer Kraft tritt, wenn der Hauptsacheantrag rechtskräftig abgewiesen wird (§ 56 II Nr. 2 FamFG), wobei dahinstehen kann, ob hierfür ein Prozessbeschluss genügt (Keidel-Giers, § 56 FamFG, Rz. 8) oder aber eine der materiellen Rechtskraft zugängliche Entscheidung nötig ist (MüKo-Soyka, § 56 FamFG, Rz. 2 mit Verweis auf OLG München FamRZ 1987, 610 zu § 620f ZPO a.F.). Denn bei der aktuell fehlenden Bezifferung des Leistungsantrages ist einerseits bestenfalls zu Lasten der Antragsteller ein Prozessbeschluss mangels Bestimmtheit ihres Antrages möglich, §§ 113 I 2 FamFG, 253 II ZPO, andererseits dann aus einer solchen Entscheidung aber nur erkennbar, dass das Hauptsacheverfahren Unterhaltsansprüche ab Dezember 2014 erfasste, aber nicht in welcher Höhe. Dem Senat ist allerdings insoweit eine Entscheidung in der Sache verwehrt, da sowohl für den Teil des Unterhaltsanspruches, den der Antragsgegner negiert, als auch für die übrigen Teile der Unterhaltsansprüche identische Vorfragen zu beantworten sind, so dass die Gefahr widersprechender Teilentscheidungen besteht, die nach § 301 ZPO den Erlass derselben ausschließt. Denn Fragen der Verwandtschaft der Antragsteller zu 1 und 2 zum Antragsgegner sowie deren Bedürftigkeit spielen sowohl bei der Bewertung ihres Elementarunterhaltes wie auch eines etwaigen Mehrbedarfes wegen Hortkosten eine Rolle. Derartige Vorfragen gibt es aber auch bei dem vom Antragsgegner negierten Anspruch der Antragstellerin zu 3 nach § 1615l BGB, da deren Bedürftigkeit auch davon bestimmt wird, ob und in welchem Umfang sie ggf. Unterhaltsmehrbedarfsansprüchen der Antragsteller zu 1 und 2 ausgesetzt ist.

    Hinsichtlich der Monate August bis November 2014 ist dagegen nicht erkennbar, dass sich die Antragsteller (noch) unerfüllter Unterhaltsansprüche berühmen, zumal für diesen Zeitraum die Einstweilige Anordnung keine Regelung enthält; ein sonstiges Berühmen hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.

    Im Hinblick auf die damit gegebene vorläufige Erfolgsaussicht für den Hauptbeschwerdeantrag dürfte für eine Entscheidung über den Hilfsantrag, soweit er tatsächlich ein anderes rechtliches Begehren enthält, kein Raum sein bzw. für den Zeitraum August bis November 2014 aus obigen Gründen in der Sache keine Erfolgsaussicht bestehen.

    II. Der Beteiligten erhalten daher bis 28.08.2015 Gelegenheit, auch aus Kostengesichtspunkten, vergl. Nr. 1224 KV FamGKG, folgende Erwägungen vorzunehmen: a) Der Antragsgegner beschränkt seine Beschwerde auf den Zeitraum ab Dezember 2014. b) Die Antragsteller erkennen die Beschwerde für den Zeitraum ab Dezember 2014 im Umfang der Aufhebung und Zurückverweisung an.

    III. Das schriftliche Verfahren wird von Amts wegen angeordnet.

    IV. Der Termin, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wird bestimmt auf ...

    V. Termin zur Verkündung einer Entscheidung wird bestimmt auf ...

    VI. Der Antrag des Antragstellers, einstweilen die Zwangsvollstreckung aus der Einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 14.01.2015, Az. 60 F 2006/14 EAUEUK, im Umfang der dortigen Anordnungen nach den Absätzen 2, 4 und 5 des Tenors einzustellen, wird zurückgewiesen.

    Unabhängig von der Frage, ob sich eine solche Anordnung auf § 64 III FamFG oder infolge einer entsprechenden Anwendung auf § 769 ZPO zu stützen vermag, sieht der Senat in der Sache aktuell nicht die überwiegende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung des Antragsgegners in der Hauptsache.

    Soweit es um den Mehrbedarf der Antragsteller zu 1 und 2 infolge des Hortbesuchs geht, verfängt das Argument des Antragsgegners, hier stehe nicht der erzieherische Aspekt des Besuchs, sondern die Förderung der Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zu 3 im Vordergrund, nicht. Weil es sich unstreitig um einen Hort handelt, den die Antragsteller zu 1 und 2 besuchen, handelt es sich hierbei um eine Kindertagesstätte im Sinne der §§ 22, 24 IV SGB VIII, wobei nach den § 24 IV 2, I 3 SGB VIII das Kind in der Einrichtung individuell zu fördern ist. Damit gelten die vom BGH zum Kindergarten nach § 24 II, III SGB VIII entwickelten (Mehrbedarfs-)Grundsätze entsprechend.

    Soweit es um den Unterhaltsanspruch der Antragstellerin zu 3 geht, bedarf es näherer Aufklärung in der Hauptsache, wobei dem Antragsgegner einerseits in Anbetracht seiner unbeschränkten Leistungsfähigkeitserklärung mit dem vorläufig titulierten Betrag von mtl. € 444,00 keine besondere Belastung anfällt und er einen endgültigen Schadenseintritt zu seinen Lasten - jedenfalls für die Zukunft, für die auch die begehrte Einstellung nur wirkte - auch dadurch vermeiden kann, dass er seinen negative Feststellungsantrag mit einem Leistungsantrag auf Rückzahlung verbindet, der zur verschärften Haftung der Antragstellerin zu 3 führt, § 818 IV BGB.

    Frankfurt am Main, den 30. Juli 2015

    Oberlandesgericht - 4. Senat für Familiensachen

    Diehl Schmidt Dr.Fritzsche

    (Anmerkung: Die Beteiligten haben entsprechend der Anregung des Senats Verfahrenserklärungen abgegeben, so dass - soweit die Beschwerde nicht zurückgenommen wurde - durch am 09.10.2015 verkündeten Anerkenntnisbeschluss die angefochtene Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an das Familiengericht zurückverwiesen wurde.)