OLG Frankfurt vom 15.06.2012 (4 UF 134/11)

Stichworte: Geschiedenenunterhalt, Prozessvergleich, Befristung, Begrenzung, nachträglich; Aufstockungsunterhalt, Prozessvergleich, Befristung, Begrenzung, nachträglich; Befristung, Aufstockungsunterhalt, Nachteil, ehebedingt; Begrenzung, Aufstockungsunterhalt, Nachteil, ehebedingt; nacheheliche Solidarität, Aufstockungsunterhalt, Begrenzung, Befristung;
Normenkette: BGB 1573, 1578 b, 313; FamFG 239; EGZPO 36 Nr. 1;
Orientierungssatz: Zu den Voraussetzungen einer nachträglichen Herabsetzung bzw. Befristung eines in einem vor dem 12.4.2006 geschlossenen Prozessvergleich titulierten Anspruchs auf nachehelichen Aufstockungsunterhalt.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch Richter am Oberlandesgericht Schmidt auf vom 15.4.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 10.3.2011 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24.5.2012 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren festgesetzt auf 4.800,- Euro.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über die Zahlung nachehelichen Ehegattenunterhalts.

Aus ihrer am 25.4.1986 geschlossenen und am 15.6.2005 geschiedenen Ehe ist der am 24.11.1986 geborene Sohn S. hervorgegangen, bei dem ab 1990 Verhaltensauffälligkeiten und ab 1991 eine psychomotorische Epilepsie mit bis zu 50 Anfällen pro Tag und einer später diagnostizierten Persönlichkeitsstörung auftrat. Das Kind bedurfte ständiger Aufsicht; in der Folgezeit kam es immer wieder zu stationären Klinikaufenthalten des Kindes, während derer das Kind von der Antragsgegnerin betreut wurde. Die Antragsgegnerin gab ihre bis dahin ausgeübte Teilzeitbeschäftigung in ihrem erlernten Beruf als Frisörin auf und widmete sich der Betreuung des behinderten Kindes; der Antragsgegner stellte den Lebensunterhalt der Familie durch seine Tätigkeit als Polizeibeamter und durch Nebenbeschäftigungen sicher. Im Frühjahr 1993 begab sich die Antragsgegnerin gemeinsam mit dem Kind wegen einer depressiven Neurose und rezidivierender Spannungskopfschmerzen in eine knadreimonatige stationäre Behandlung in der Paracelsus Wittekindsklinik in B. E.. Auf den Entlassungsbericht vom 4.8.1993, Bl. 288ff., wird Bezug genommen. Die psychischen Probleme der Antragsgegnerin gingen einher mit zunehmenden körperlichen Beschwerden, deretwegen sich die Antragsgegnerin mehrerer stationärer Behandlungen unterziehen musste. Vom 20.12.1993 bis zum 28.6.1994 wurde S. schließlich stationär im Epilepsiezentrum in K. behandelt. Anschließend wurde er tagsüber in einer Tagesgru des V.-Hauses in H. betreut. Ab 1995 ging die Antragsgegnerin gelegentlichen Aushilfstätigkeiten nach. Im Anschluss an einen fast halbjährigen vollstationären Klinikaufenthalt in F. wurde S. im Oktober 1996 in einer Wochengru in I. untergebracht. Er verbrachte fortan nur noch die Wochenenden und die Ferien sowie wiederholt vorkommende Krankheitstage im Haushalt seiner Eltern. Das Abholen und Bringen aus bzw. nach I. übernahm regelmäßig der Antragsteller, während die Betreuung des Kindes im elterlichen Haushalt weitestgehend der Antragsgegnerin oblag. Diese nahm 2000/2001 an einer Weiterbildungsmaßnahme im Berufsbildungszentrum F. teil, in welcher ihr Grundkenntnisse der elektronischen Datenverarbeitung und des Kaufmannswesens vermittelt wurden. Von Juni 2001 bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Dezember 2006 arbeitete sie im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung im Kundenservice der Firma E. in W..

Ab der Trennung der Beteiligten am 15.1.2003 holte der Antragsteller S. jedes zweite Wochenende zu sich in den Haushalt. Obwohl sich seine Dienststelle weiterhin in Flörsheim befand, zog der Antragsteller nach der Trennung nach Tauberbischofsheim. Die Betreuung des Kindes an den übrigen Wochenenden, in den Ferien und während der Klinikaufenthalte leistete weiterhin hauptsächlich die Antragsgegnerin. S. zog im September 2004 in ein betreutes Wohnen in Bielefeld. Wochenend- oder Ferienbesuche bei seinen Eltern fanden seitdem nur noch gelegentlich statt. Von November 2006 bis Juni 2009 lebte S. in einer Einrichtung am Wohnort des Antragstellers in T.. Während dieser Zeit war der Antragsteller ihm zunächst zum gesetzlichen Betreuer bestellt worden, gab dieses Amt allerdings später wegen zunehmender gesundheitlicher Einschränkungen, deretwegen er nur noch im Innendienst eingesetzt wird, an einen vom Gericht ausgewählten Betreuer ab. Seit 2009 lebt S. in wechselnden Einrichtungen, zuletzt in einer Einrichtung in D..

Im Rahmen des Scheidungsverfahrens schlossen die Beteiligten am 15.6.2005 einen dahingehenden gerichtlichen Vergleich, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung monatlichen nachehelichen Ehegattenunterhalt von 800,- Euro schuldet. Es wurde vereinbart, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin zwecks Begleichung seiner Unterhaltsschuld 200,- Euro in bar zahlt und die verbleibenden 600,- Euro als Naturalunterhalt durch Überlassung der in seinem Eigentum stehenden vormaligen Ehewohnung leistet. Die Beteiligten gingen dabei nach übereinstimmenden Angaben davon aus, dass die zum damaligen Zeitpunkt halbschichtig beschäftigte Antragsgegnerin eine Obliegenheit zur Ausübung einer Vollzeittätigkeit trifft und rechneten ihr bei der Firma Eismann erzieltes Gehalt auf eine Vollzeitbeschäftigung um. Unter Ziffer 5 des Vergleichs vereinbarten die Beteiligten, dass beide Ehegatten ab dem 1.7.2007 eine Abänderung des Vergleichs ohne Bindung an die Grundlagen des Vergleichs verlangen können. Eine Befristung des Anspruchs der Antragsgegnerin wurde im Rahmen der Vergleichsverhandlungen nicht erörtert; die Beteiligten stritten hauptsächlich über die Höhe der vom Einkommen des Antragstellers vorzunehmenden Abzüge, insbesondere über die Höhe der in Ansatz zu bringenden Fahrtkosten. Der Scheidungsfolgenvergleich beinhaltete im Übrigen unter anderem einen wechselseitigen Verzicht auf Zugewinnausgleich.

Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma E. arbeitete die Antragsgegnerin von März bis August 2007 im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses vollschichtig in einer Bäckerei. Seit November 2007 geht sie einer Teilzeitbeschäftigung mit 22,5 Wochenstunden im Empfang eines Verlagshauses in W. nach. Sie teilt sich die Stelle mit einer anderen Teilzeitkraft, d.h. sie muss im Falle von Krankheit oder Urlaub ihrer Kollegin vollschichtig arbeiten und erhält hierfür eine gesonderte Überstundenvergütung. Im Jahr 2009 belief sich ihr monatliches Einkommen auf 1.423,40 Euro brutto zuzüglich Sonderzuwendungen und der Überstundenvergütung von damals 14,36 Euro brutto je Stunde.

Der Antragsgegner bezog aus seiner Tätigkeit als Polizeibeamter im Jahr 2009 eine monatliche Besoldung von 3.614,52 Euro brutto (ab Juli 2009). Wegen der hiervon vorzunehmenden Abzüge wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Nachdem diesbezügliche außergerichtliche Verhandlungen gescheitert waren, machte der Antragsteller mit seinem am 30.8.2010 beim Amtsgericht eingegangenen Abänderungsantrag eine Befristung des vereinbarten nachehelichen Ehegattenunterhalts zum 31.5.2009 geltend. Die Antragsgegnerin vertrat im ersten Rechtszug die Auffassung, der Antragsteller sei mit seinem nachträglichen Befristungsbegehren ausgeschlossen, Eine Befristung des vereinbarten Aufstockungsunterhalts sei bereits im Jahr 2005 möglich gewesen. Eine wesentliche Änderung der dem Vergleich zu Grunde liegenden Einkommensverhältnisse sei nicht gegeben.

Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Amtsgericht den geschuldeten nachehelichen Ehegattenunterhalt unter Zurückweisung des weiter gehenden Abänderungsbegehrens auf 400,- Euro monatlich ab 1.7.2011 herab und befristete diesen bis zum 30.6.2014. Zur Begründung, wegen deren Einzelheiten auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen wird, führte es im Wesentlichen aus, der an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichtete Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin betrage auch nach den derzeitigen Einkommensverhältnissen der Beteiligten 800,- Euro monatlich bzw. 200,- Euro in bar zuzüglich der Wohnungsüberlassung. Da die Antragsgegnerin durch die Ehe jedoch keine beruflichen Nachteile erlitten habe und im Zeitpunkt der Scheidung erst 46 Jahre alt gewesen sei, erscheine eine lebenslange Teilhabe an den vom Einkommen des Antragstellers geprägten ehelichen Lebensverhältnissen trotz der Ehedauer von 19 Jahren und der Erziehung eines behinderten Kindes unangemessen, weshalb der Unterhalt in einem ersten Schritt nach Ablauf einer Schonfrist von fünf Jahren nach Rechtskraft der Scheidung zum 1.7.2011 auf 400,- Euro zu begrenzen und in einem zweiten Schritt auf weitere drei Jahre bis einschließlich Juni 2014 zu befristen sei.

Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 16.3.2011 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, mit welcher sie eine vollständige Zurückweisung des Abänderungsantrags des Antragstellers begehrt.

Der Antragsteller hat die vormalige Ehewohnung mittlerweile verkauft. Die Antragsgegnerin zahlt die mit dem Antragsteller vereinbarte monatliche Miete von 600,- Euro an den neuen Eigentümer der Wohnung. Im zeitlichen Zusammenhang mit einem schweren Unfall des Sohnes ist es bei der Antragsgegnerin im November 2011 zu einer erneuten depressiven Episode mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit gekommen; vorangegangen waren ambulant behandelte depressive Episoden im Zeitraum 1999/2000 und 2006 bis 2008. Wegen der bei der Antragsgegnerin seit den 90er Jahren aufgetretenen körperlichen Beschwerden und der diesbezüglichen Behandlungen wird auf die Schriftsätze vom 6.12.2011 und vom 23.5.2012 Bezug genommen.

Die Antragstellerin behauptet, sie sei in Folge der bei ihr diagnostizierten körperlichen und seelischen Erkrankungen, insbesondere wegen Kniebeschwerden und Schmerzen in beiden Füßen bei fortschreitender Arthrose in beiden Zehengrundgelenken bei beidseitigem Fersensporn sowie wegen Erschöpfungszuständen, Depressionen und Schlafstörungen, auch bei konsequenter Behandlung nicht zu einer Ausweitung ihrer derzeit mit 22,5 Wochenstunden zuzüglich Überstunden ausgeübten Tätigkeit auf eine Vollzeitbeschäftigung mit 40 Wochenstunden in der Lage. Die vorgenannten Erkrankungen seien Folge der von ihr während der Ehe mit dem Antragsteller gewährleisteten Betreuung des gemeinsamen behinderten Kindes. Sie ist der Auffassung, eine Begrenzung oder Befristung ihres Anspruchs auf nachehelichen Ehegattenunterhalt scheide im Hinblick auf die mit der Betreuung und Erziehung des behinderten Kindes verbundene Belastung und die daraus resultierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus. Einer solchen Begrenzung oder Befristung stehe auch das durch § 36 Nr. 1 EGZPO geschützte Vertrauen in einen an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichteten lebenslangen Unterhaltsanspruch entgegen, zumal die Antragsgegnerin im Rahmen des Scheidungsfolgenvergleichs auf eine Klärung etwaiger Ansprüche auf Zugewinnausgleich verzichtet habe.

Die Antragstellerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss abzuändern und den Antrag auf Abänderung des gerichtlichen Vergleichs vom 15.6.2005, Aktenzeichen 402 F 2416/04 des Amtsgerichts Frankfurt am Main, zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er akzeptiert sowohl den vom Amtsgericht ermittelten Unterhaltsbedarf als auch dessen Begrenzung und Befristung, lehnt jedoch eine darüber hinausgehende Unterhaltsverpflichtung ab.

Die Entscheidung über die Beschwerde ist durch Beschluss des Senats vom 7.10.2011 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen worden. Es ist anschließend Beweis erhoben worden durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. S. zur Frage der Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin und zur Ursache ihrer Erkrankungen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 6.3.2012, Bl. 371ff. der Akte, sowie dessen mündliche Erörterung am 24.5.2012, Bl. 425ff. der Akte, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis unbegründet und daher zurückzuweisen.

Auf das nach dem 31.8.2009 eingeleitete Verfahren findet das seit dem 1.9.2009 geltende Verfahrensrecht Anwendung (Art. 111 Abs. 1 FGG-RG), weshalb sich die vom Antragsteller begehrte Abänderung des gerichtlichen Vergleichs vom 15.6.2005 - ohne dass sich dies auf das Ergebnis auswirken würde - nicht nach § 323 ZPO, sondern nach § 239 FamFG richtet. Für die Zulässigkeit des Abänderungsbegehrens reicht es dabei aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, welche die begehrte Abänderung rechtfertigen, wobei sich die Abänderung von Prozessvergleichen unabhängig von einer zwischenzeitlichen Änderung der Sachlage allein nach den Regeln des materiellen Rechts beurteilt (§ 239 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 FamFG).

Da mittlerweile beide Beteiligte von einem nach § 1578 Abs. 1 BGB an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichteten monatlichen Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin von 800,- Euro ausgehen, beschränkt sich die Beschwerdeentscheidung auf die von der Antragstellerin angegriffene Herabsetzung und Befristung ihres Unterhaltsanspruchs nach § 1578 b Abs. 1 und 2 BGB. Das insoweit auf die zwischenzeitliche Änderung der Rechtslage gestützte Abänderungsbegehren des Antragstellers ist jedenfalls im Umfang der vom Amtsgericht ausgesprochenen Begrenzung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin zulässig und begründet.

Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob sich der Abänderungsanspruch - wofür hier insbesondere Ziffer 5 des Scheidungsfolgenvergleichs vom 15.6.2005 und die fehlende Erörterung einer späteren Befristung des Unterhaltsanspruchs im Zuge der Vergleichsverhandlungen sprechen - aus dem Vergleich selbst ergibt, weil dieser insoweit keine die Vertragsparteien bindende Regelung enthält, oder ob es hierfür eines Rückgriffs auf die gesetzlichen Regelungen der Störung der Geschäftsgrundlage bedarf. Es ist nämlich anerkannt, dass die mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.4.2006 (Aktenzeichen XII ZR 240/03, FamRZ 2006, 1006) einher gehende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Stellenwert der Ehedauer bei der Befristung bzw. Begrenzung nachehelichen Aufstockungsunterhalts nach §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB (in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung, im Folgenden BGB a.F.) regelmäßig eine nach § 313 Abs. 1 und 2 BGB zur Vertragsanpassung berechtigende Störung der Geschäftsgrundlage begründet, wenn die Vertragsparteien - wie hier - eine Begrenzung oder Befristung erkennbar nicht zum Gegenstand ihrer Vergleichsverhandlungen gemacht haben und hierzu auch keine Veranlassung hatten, weil die im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses geltende Rechtslage eine Herabsetzung oder Befristung nicht vorsah (vgl. BGH, Urteil vom 21.9.2011, Aktenzeichen XII ZR 173/09, FamRZ 2012, 699). Es sind im vorliegenden Fall auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beteiligten eine spätere Abänderung für den Fall einer Änderung der Rechtslage ausschließen wollten. Vielmehr behielten sie sich in Ziffer 5 des Vergleichs sogar eine über die gesetzlichen Abänderungstatbestände hinausgehende Abänderungsmöglichkeit vor.

Auf die demnach zu klärende Frage der Herabsetzung oder Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin findet das seit dem 1.1.2008 geltende Unterhaltsrecht und damit § 1578 b BGB Anwendung (Art. 4 UnterhaltsrechtsänderungsG, vgl. auch § 36 Nr. 7 EGZPO und BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406).

Der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1 und 2 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs oder ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wären. Aus § 1578 b BGB ergibt sich, dass nach der gesetzlichen Konzeption die Begrenzung oder Befristung des Unterhaltsanspruchs nicht die Regel, sondern die Ausnahme darstellt. Das Familiengericht hat demnach zu prüfen, ob die fortdauernde Unterhaltspflicht unbillig ist, nicht aber ob der Befristung Billigkeitsgründe entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 26.5.2010, Aktenzeichen XII ZR 143/08, FamRZ 2010, 1238).

Die Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts hängt insbesondere davon ab, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie aus der Dauer der Ehe ergeben (§ 1578 b Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 2 Satz 2 BGB). Die vorzunehmende Billigkeitsabwägung beschränkt sich dabei allerdings nicht auf die Frage der Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern hat auch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, soweit diese eine fortdauernde nacheheliche Solidarität der geschiedenen Ehegatten begründen können. In Betracht kommen hier zum Beispiel die Dauer der Ehe, die Aufgabenverteilung während der Ehe, das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten in den Fortbestand des Unterhaltsanspruchs sowie das Alter der Ehegatten bei der Scheidung und die Möglichkeit, ein Absinken des Lebensstandards durch eine Verbesserung der eigenen Einkommenssituation auszugleichen (vgl. BT-Drs. 16/1830 S. 19; BGH, Urteil vom 26.5.2010, Aktenzeichen XII ZR 143/08, FamRZ 2010, 1238).

Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs, der sowohl für die Beurteilung des Vorliegens ehebedingter Nachteile im vorbeschriebenen Sinne heranzuziehen ist als auch die Grenze einer Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs nach § 1578 b Abs. 1 BGB bildet, bemisst sich nach dem Einkommen, das der Unterhaltsberechtigte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Erzielt der Unterhaltsberechtigte eigene Einkünfte, die diesen angemessenen Lebensbedarf erreichen, oder könnte er solche Einkünfte erzielen, kann dies im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach einer Übergangszeit, in der er sich nach gescheiterter Ehe von den ehelichen Lebensverhältnissen auf den Lebensbedarf nach den eigenen Einkünften umstellen kann, zum vollständigen Wegfall des nachehelichen Unterhalts in Form einer Befristung führen. Erzielt der Unterhaltsberechtigte nach einer ehebedingten Einschränkung seiner Erwerbstätigkeit hingegen lediglich Einkünfte, die den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf nicht erreichen oder könnte er nur solche Einkünfte erzielen, scheidet zwar eine Befristung des Unterhaltsanspruchs regelmäßig aus. Auch dann kann der Unterhalt nach einer Übergangszeit jedoch bis auf den ehebedingten Nachteil herabgesetzt werden, der sich aus der Differenz des angemessenen Unterhaltsbedarfs mit dem erzielten oder erzielbaren Einkommen ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 21.9.2011, Aktenzeichen XII ZR 173/09, FamRZ 2012, 699; Urteil vom 20.10.2010, Aktenzeichen XII ZR 53/09, FamRZ 2010, 2059; Urteil vom 14.10.2009, Aktenzeichen XII ZR 146/08, FamRZ 2009, 1990).

Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien ist der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin schrittweise auf den angemessenen Unterhaltsbedarf herabzusetzen, was im Ergebnis zu einer Zurückweisung der Beschwerde führt, weil die Antragsgegnerin derzeit in der Lage ist, ihren angemessenen Lebensbedarf durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen.

Die Antragsgegnerin hat keine ehebedingten beruflichen Nachteile erlitten. Unstreitig ist das aus ihrer derzeitigen Beschäftigung erzielte bzw. erzielbare Einkommen höher als das Einkommen, welches sie aus ihrer bei Eingehung der Ehe ausgeübten Tätigkeit als Frisörin erzielen könnte. Die Antragsgegnerin ist entgegen ihres Vortrags im Beschwerdeverfahren auch nicht auf Grund ehebedingter oder sonstiger Umstände daran gehindert, ihre derzeit ausgeübte Tätigkeit auf eine Vollzeittätigkeit auszuweiten. Auf Grund der nachvollziehbaren und in sich schlüssigen schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die körperlichen und seelischen Erkrankungen der Antragsgegnerin zwar zu einer Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit in qualitativer Hinsicht, nicht jedoch in quantitativer Hinsicht führen. Die Antragsgegnerin wäre in der Lage, die derzeit in Teilzeit ausgeübten leichten bis gelegentlich mittelschweren Tätigkeiten im Empfang eines Verlagshauses in Vollzeit auszuüben. Hieran wird sie weder durch ihre körperlichen Beschwerden noch durch ihre labile psychische Konstitution gehindert. An der diesbezüglichen Sachkunde des Sachverständigen, der Facharzt für Arbeitsmedizin ist und dem Senat aus seiner langjährigen Tätigkeit als Gutachter in arbeitsmedizinischen und betreuungsrechtlichen Fragen bekannt ist, bestehen keine Zweifel. Das Ergebnis der Begutachtung wird im Übrigen untermauert durch den Umstand, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des so genannten Job-Sharing ohnehin vollschichtig arbeitet, wenn ihre Kollegin krank oder im Urlaub ist. Dass sie sich nach eigenen Angaben dennoch nicht zur Ausübung einer Vollzeittätigkeit in der Lage sieht, führt mangels diese persönliche Befindlichkeit stützenden medizinischen Befunden nicht zur Annahme einer zeitlich eingeschränkten Erwerbsfähigkeit. Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, eine zeitliche Ausweitung ihrer derzeit ausgeübten Tätigkeit sei ihr wegen des zu ihren Aufgaben zählenden Hebens 20kg schwerer Heftbündel nicht zumutbar, hat der Sachverständige zurecht darauf hingewiesen, dass das - vom Antragsteller ohnehin bestrittene - Heben 20 kg schwerer Heftbündel unabhängig vom zeitlichen Umfang der Beschäftigung keine dem Gesundheitszustand der Antragsgegnerin angemessene Tätigkeit ist. Ihre grundsätzliche Fähigkeit zur vollschichtigen Ausübung der ihr im Rahmen ihrer Tätigkeit im Übrigen zugewiesenen leichten bis gelegentlich mittelschweren Tätigkeiten wird dadurch nicht berührt.

Dem Fehlen ehebedingter beruflicher Nachteile stehen im vorliegenden Fall gewichtige Umstände gegenüber, welche für eine wechselseitige nacheheliche Solidarität der Beteiligten sprechen. Dies sind neben der 19-jährigen Ehedauer und der Aufgabenverteilung während der Ehe insbesondere die aus der Betreuung und Erziehung des gemeinsamen seelisch behinderten Kindes resultierenden Belastungen. Von beiden Eltern, vor allem aber von der überwiegend mit der Betreuung des Kindes betrauten Antragsgegnerin, wurden während der Ehe und danach deutlich über das gewöhnlich mit der Kindererziehung verbundene Maß hinausgehende Leistungen erbracht, die mit gesundheitlichen Einschränkungen beider Eltern einher gingen. Die derzeitigen Erkrankungen der Antragsgegnerin lassen sich gemäß der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Erörterung seines Gutachtens am 24.5.2012 zwar nicht alleinursächlich auf die Belastung mit der Betreuung und Erziehung des behinderten Kindes in den 90er Jahren zurückführen. Vielmehr sprechen die nach der Entlastung bei der Kindesbetreuung aufgetretenen depressiven Episoden für eine unabhängig von der Belastung durch die Kindesbetreuung bestehende Anfälligkeit der Antragsgegnerin für eine krankhafte Verarbeitung belastender Umstände. Hieraus resultierende depressive Schübe standen in der ersten Hälfte der 90er Jahre jedoch in eindeutigem zeitlichen Zusammenhang mit den Belastungen der damals noch ohne die Unterstützung von Einrichtungen geleisteten Betreuung und Erziehung des behinderten Kindes. Dass auch der Antragsteller gesundheitliche Einschränkungen in Zusammenhang mit der Übersiedlung des Sohnes an seinen Wohnort und der Übernahme der gesetzlichen Betreuung im Jahr 2006 beklagt, verdeutlicht das Maß der für beide Eltern mit der Betreuung und Erziehung des behinderten Kindes verbundenen Belastungen.

Die vorgenannten Umstände lassen eine zeitlich unbefristete wechselseitige nacheheliche Solidarität trotz des Fehlens ehebedingter beruflicher Nachteile nicht als unbillig erscheinen, weshalb eine zeitliche Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin nach § 1578 b Abs. 2 BGB nach Auffassung des Senats ausscheidet.

Dies verhilft der Beschwerde allerdings im Ergebnis nicht zum Erfolg, weil eine schrittweise Herabsetzung des Unterhaltsbedarfs der Antragsgegnerin auf den angemessenen Bedarf nach § 1578 b Abs. 1 BGB im Hinblick auf das Fehlen ehebedingter beruflicher Nachteile und den in § 1569 BGB normierten Grundsatz der Eigenverantwortung beider Ehegatten nach der Scheidung aus den zutreffenden Erwägungen des Amtsgerichts auch nach dem Dafürhalten des Senats geboten ist. Eine lebenslange Teilhabe der Antragsgegnerin an den vom Einkommen des Antragstellers geprägten ehelichen Lebensverhältnissen erscheint vor diesem Hintergrund trotz der gebotenen nachehelichen Solidarität unbillig. Da die Antragsgegnerin - wie dargestellt - derzeit in der Lage ist, ihren angemessenen Bedarf aus eigener Erwerbstätigkeit sicherzustellen, führt dies nach gegenwärtigem Sachstand zum Wegfall ihres Unterhaltsanspruchs nach Ablauf der ihr zuzubilligenden Übergangsphase.

Deren Bemessung durch das Amtsgericht begegnet keinen Bedenken. Stellt man auf den 12.4.2006 als den Zeitpunkt ab, ab welchem die Antragsgegnerin in Folge der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. frühestens mit einer späteren Begrenzung bzw. Befristung ihres Unterhaltsanspruchs rechnen musste, blieben ihr bis zur ersten schrittweisen Herabsetzung ihres Unterhaltsbedarfs mehr als fünf Jahre und bis zur endgültigen Herabsetzung auf den angemessenen Bedarf mehr als acht Jahre Zeit. Selbst wenn man auf das erstmalige Befristungsbegehren des Antragstellers im Jahr 2009 abstellen wollte, erschiene die der Antragsgegnerin vom Amtsgericht zugebilligte Übergangsphase angemessen.

Der im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarte wechselseitige Verzicht auf Zugewinnausgleich steht der Begrenzung des Unterhaltsanspruchs nicht entgegen. Es ist weder ersichtlich, dass der wechselseitige Verzicht auf Zugewinnausgleich an die Zusicherung eines lebenslangen unbegrenzten Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin geknüpft war noch dass der Antragsgegnerin überhaupt ein Anspruch auf Zugewinnausgleich zugestanden hätte.

Auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten lassen die Unbilligkeit einer unbegrenzten Unterhaltspflicht des Antragstellers nicht entfallen. Der Antragsteller verfügt weder über außerordentlich hohe Einkünfte noch über nicht eheprägendes Einkommen, welches ihm zusätzlich zu seinem eheprägenden Bedarf zur Verfügung stünde. Auch für das Vorhandensein erheblichen Vermögens fehlen jegliche Anhaltspunkte, weil unabhängig von der Verwendung des Erlöses aus dem Verkauf der von der Antragsgegnerin bewohnten Eigentumswohnung feststeht, dass der Antragsteller im Zeitpunkt des Verkaufs nicht unerhebliche Darlehensverbindlichkeiten hatte. Insoweit wird auf die mit dem Schriftsatz vom 17.1.2011 vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

§ 36 Nr. 1 EGZPO steht der vorgenommenen Begrenzung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin ebenfalls nicht entgegen. Die Bestimmung ist nur auf die Abänderung solcher Unterhaltstitel anwendbar, deren Grundlagen sich durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 21.12.2007 geändert haben. Vor dem Inkrafttreten des Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes zum 1.1.2008 geschlossene Vergleiche über die Zahlung von Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB fallen nicht hierunter, weil eine Begrenzung bzw. Befristung des Aufstockungsunterhalts nach §§ 1573 Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. bereits vor dem 1.1.2008 möglich war und vom Gesetzgeber bei der Neufassung des Begrenzungs- und Befristungseinwands in § 1578 b BGB insoweit lediglich die bestehende Rechtslage übernommen wurde. Auf die diesbezügliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch das oben erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.4.2006 findet § 36 Nr. 1 EGZPO hingegen keine Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 21.9.2011, Aktenzeichen XII ZR 173/09, FamRZ 2012, 699; Urteil vom 26.5.2010, Aktenzeichen XII ZR 143/08, FamRZ 2010, 1238).

Im Übrigen würde auch eine Anwendung des § 36 Nr. 1 EGZPO im vorliegenden Fall kein anderes Ergebnis rechtfertigen, weil die nach § 36 Nr. 1 EGZPO zu berücksichtigenden Umstände im Rahmen der nach § 1578 b BGB zu treffenden Billigkeitsabwägung weitestgehend berücksichtigt worden sind und weil die Antragsgegnerin keine erkennbaren Vermögensdispositionen getroffen hat, welche einen darüber hinausgehenden Schutz ihres Vertrauens in einen Fortbestand der Vergleichsregelung rechtfertigen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG. Trotz der Zurückweisung der Beschwerde entspricht eine Kostenaufhebung auch vor dem Hintergrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten billigem Ermessen, weil die Beschwerde insoweit Erfolg hatte, als die zeitliche Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin aufgehoben und der Unterhaltsanspruch lediglich auf den angemessenen Bedarf herabgesetzt worden ist. Ein Fortbestehen der Unterhaltspflicht des Antragstellers über den 30.6.2014 hinaus ist daher nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen, soweit die Antragsgegnerin ihren eigenen angemessenen Lebensbedarf dann nicht mehr aus eigener Erwerbstätigkeit sicherstellen kann und die übrigen Voraussetzungen für das Bestehen eines nachehelichen Unterhaltsanspruchs vorliegen.

Da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern, ist die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG).

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 51 Abs. 1 Satz 1 FamGKG. Maßgeblich für die Wertfestsetzung ist der Jahresbetrag der angefochtenen Herabsetzung des Unterhalts im ersten Jahr nach Einsetzen der Herabsetzung.

Schmidt