OLG Frankfurt vom 20.05.2015 (4 UF 122/15)

Stichworte: Unterbringung Minderjähriger, Antrag;
Normenkette: FamFG § 51, 331; BGB 1631b;
Orientierungssatz:
  • Ein Unterbringungsverfahren, auch als einstweiliges Anordnungsverfahren, im Sinne von § 1631b BGB setzt einen Antrag des Sorgeberechtigten voraus.
  • Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen der Genehmigung einer Unterbringung Minderjähriger.
  • 533 F 98/15
    AG Wiesbaden

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die Unterbringung von

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main am 20.05.2015 beschlossen:

    Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 27.04.2015 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wiesbaden vom 20.04.2015, Az. 533 F 98/15 EAUB, wird zurückgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

    Gründe:

    1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die am 20.04.2015 seitens des Familiengerichts im Wege einstweiliger Anordnung an die Antragstellerin erteilte Genehmigung, die Beschwerdeführerin bis längstens 01.06.2015 in einer geschlossenen Einrichtung unterbringen zu können.

    Die Antragstellerin ist die alleinsorgeberechtigte Mutter der Beschwerdeführerin, die seit Anfang April des Jahres 2015 in einer Jugendhilfeeinrichtung lebt. Am 17.04.2015 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Genehmigung seitens des Familiengerichts zur geschlossenen Unterbringung der Beschwerdeführerin im Wege einstweiliger Anordnung, nachdem die Beschwerdeführerin im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main seitens der Polizei aufgegriffen worden war, wobei sie 0,14g netto Heroin und zwei Tabletten Diazepam mit sich führte. Zugleich steht sie in Verdacht, am 13. und 15.04.2015 jeweils einen Ladendiebstahl begangen zu haben. Auch am 16.04.2015 wurde die Beschwerdeführerin im Frankfurter Bahnhofsviertel seitens der Polizei aufgegriffen, wobei sie abermals im Besitz von „harten Drogen“, Bl. 17 d.A., war.

    Das Familiengericht nahm den Antrag zum Anlass, der Beschwerdeführerin am 17.04.2015 einen Verfahrensbeistand zu bestellen und am 20.04.2015 die Beteiligten in der mittlerweile von der Beschwerdeführerin besuchten Klinik persönlich anzuhören. Im Rahmen dessen erstatte Herr Dr. XY, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, mündlich ein ärztliches Zeugnis über die Beschwerdeführerin, worin er ihr eine Störung des Sozialverhaltens mit depressiver Symptomatik bei Tendenz zur Drogenabhängigkeit bescheinigte. Er sah eine Behandlungsindikation für gegeben und befürwortete eine Unterbringung von sechs Wochen.

    Wegen ähnlicher Vorfälle war die Beschwerdeführerin bereits zwischen dem 12.12.2014 und dem 23.01.2015 mit Genehmigung des Familiengerichts geschlossen untergebracht; hierzu liegt der am 20.03.2015 erstellte klinische Abschlussbericht, Bl. 26 ff. d.A., vor, wonach die Beschwerdeführerin damals anfänglich über körperliche Entzugserscheinungen verfügte, sich zunächst wenig selbstkritisch in Bezug auf den Drogenkonsum zeigte sowie insgesamt durch „… mangelnden Halt und mangelnde Struktur und Grenzsetzung durch erwachsene Autoritäten und die stark erfahrbare erlebte Hilflosigkeit …“, Bl. 31 d.A., auffiel. Eine angeratene Verlängerung der Unterbringung lehnten die Beschwerdeführerin und ihre Mutter ab.

    Mit dem angefochtenen Beschluss, den Beteiligten unmittelbar bekanntgegeben, Bl. 34 d.A., erteilte das Familiengericht die beantragte Genehmigung mit Wirkung bis zum 01.06.2015 und ordnete die sofortige Wirksamkeit desselben an. Diese Entscheidung wurde der Beschwerdeführerin am 23.04.2015 zugestellt. Hiergegen richtet sich ihre am 04.05.2015 beim Familiengericht eingegangene Beschwerde vom 27.04.2015.

    Der Senat hat die Beschwerdeführerin am 08.05.2015 auf die mutmaßliche Erfolglosigkeit der Beschwerde hingewiesen; eine Reaktion erfolgte nicht.

    Nach telefonischer Rücksprache mit Herrn Dr. XY teilte dieser am 20.05.2015 gegenüber dem Senatsberichterstatter mit, er halte eine Unterbringung über den 01.06.2015 hinaus für notwendig; die Kindesmutter habe wohl am 19.05.2015 einen Verlängerungsantrag beim Familiengericht gestellt. Gutachtensaufträge etc. seien seines Wissens noch nicht erteilt.

    2. Die statthafte, §§ 57 S. 2 1. Alt., 151 Nr. 6, 58 ff. FamFG, und auch sonst zulässige, §§ 59 I, 60 S. 1, 63 II, 64 FamFG, Beschwerde der Beschwerdeführerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen, § 69 I 1 FamFG, da das Familiengericht auf den Antrag der Mutter zu Recht dieser im Wege einstweiliger Anordnung, §§ 49 ff., 151 Nr. 6, 167 I, 312 Nr. 1, 331 FamFG, die Genehmigung erteilte, die Beschwerdeführerin geschlossen unterzubringen, § 1631b BGB.

    Denn nach den verfahrensrechtlich zutreffend (hierzu lit a.) durchgeführten Ermittlungen des Familiengerichts bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass die Unterbringung zum Wohl der Beschwerdeführerin, insbesondere zur Abwendung einer aktuell bestehenden, erheblichen Selbstgefährdung erforderlich ist, wobei der Gefahr nicht auf anderem Weg begegnet werden kann (hierzu lit b.).

    Im Einzelnen:

    a. Die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter hat den erforderlichen Antrag gestellt, § 51 I 1 FamFG, da auch ein Hauptsacheverfahren nur auf ihren Antrag eingeleitet werden kann. Obgleich in § 1631b BGB kein Antragserfordernis postuliert ist, sodass der Grundsatz der nichtstreitigen Familiensachen – wie auch sonst in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit - gilt, dass Verfahren von Amts wegen eingeleitet werden (vergl. Keidel-Giers/Sternal, 18. Auflage, § 24 FamFG, Rz. 3), ist der Senat der Ansicht, dass für Genehmigungserteilungsverfahren wie dem Vorliegenden ein Antrag desjenigen erforderlich ist, dessen (Willens-)Erklärung der Genehmigung zur eigenen Wirksamkeit bedarf (so auch im Ergebnis: OLG Bremen, FamRZ 2013, 1227f., zu § 1618 BGB auch Senatsbeschluss vom 10.08.2011, 4 UF 17/11). Denn Amtsverfahren werden deswegen auf hoheitlichen Einleitungsentschluss hin geführt, weil der Gesetzgeber ein eigenständiges Einschreiten der Gerichte in diesen Fällen deswegen für geboten erachtet, damit hoheitliche Interessen der Rechtsfürsorge, insbesondere solche der Gefahrenabwehr, ohne Abhängigkeit von einer Antragstellung eines Beteiligten durchgesetzt werden können (Keidel-Sternal, a.a.O., § 23 FamFG, Rz. 5). Dieses Ziel kann aber bei der bloßen Erteilung einer Genehmigung zu einer (Willens-)Erklärung eines Beteiligten nicht erreicht werden, da hier offen bleibt, ob der Erklärungsberechtigte tatsächlich eine der Genehmigung bedürfende Erklärung abgibt und so die zu erteilende Genehmigung „mit Leben erfüllt“. In diesem Fall hängt die Umsetzung der Maßnahme nicht allein von dem handelnden Gericht, sondern maßgeblich von dem des Erklärungsberechtigten ab. Dann erachtet es aber der Senat auch für angezeigt, ein Genehmigungserteilungsverfahren auch erst dann durchzuführen, wenn der Erklärungsberechtigte dies will und beantragt hat (a.A. Keidel-Sternal, a.a.O., Rz. 5 m.w.N., wonach ein solches Verfahren nur nicht gegen den Willen des Erklärungsberechtigten geführt werden soll).

    Das Familiengericht hat der Beschwerdeführerin einen Verfahrensbeistand bestellt und diesen am 20.04.2015 persönlich angehört, §§ 331 S. 1 Nr. 3, 317, 158 FamFG. Das Familiengericht hat auch die Beschwerdeführerin als Betroffene, § 331 S. 1 Nr. 4 FamFG, und die Antragstellerin als Personensorgeberechtigte, § 167 IV FamFG, am 20.04.2015 persönlich angehört. Es hat ferner an diesem Tag ein (mündlich eingeholtes) ärztliches Zeugnis über den Zustand der Betroffenen und über die Notwendigkeit der Maßnahme seitens eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie eingeholt, welches erkennbar zur Untermauerung seiner Angaben auf den erst am 20.03.2015 verfassten, den bis zum 23.01.2015 dauernden Klinikaufenthalt der Beschwerdeführerin verarbeitenden Abschlussbericht Bezug nimmt, §§ 331 S. 1 Nr. 2, 167 VI FamFG.

    b. Die so durchgeführten Ermittlungen haben, ohne dass seitens des Senats Anlass für Nachermittlungen besteht, ergeben, dass dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Unterbringung zum Wohl der Beschwerdeführerin, insbesondere zur Abwendung einer aktuell bestehenden, erheblichen Selbstgefährdung erforderlich ist, wobei der Gefahr nicht auf anderem Weg begegnet werden kann, §§ 26 FamFG, 1631b BGB.

    Nach dem Akteninhalt, insbesondere dem klinischen Abschlussbericht vom 20.03.2015, besteht bei der Beschwerdeführerin schon seit einiger Zeit ein gesundheitsschädlicher Drogenabusus, der auch mit dem Klinikaufenthalt im Dezember 2014 und Januar 2015 nicht hinreichend therapiert werden konnte. Zwar konnte damals eine gewisse Stabilisierung und Besserung bei der Beschwerdeführerin erreicht werden, gleichwohl war aber bereits Ende Januar 2015 erkennbar, dass eine weiter Behandlungsbedürftigkeit, am besten im stationären Rahmen, besteht. Diese Befürchtung hat sich nach der damaligen Entlassung der Beschwerdeführerin trotz ihres Aufenthaltswechsels in eine Jugendhilfeeinrichtung Anfang April 2015 bestätigt, in dem sie Mitte April mehrfach im Frankfurter Bahnhofsviertel wegen Drogenbesitzes und des Verdachts auf Ladendiebstahl (Beschaffungskriminalität?) polizeilich in Erscheinung trat und sich auch nicht von den polizeilichen Rückführungen in die Jugendhilfeeinrichtung davon abhalten ließ, erneut nach Frankfurt zurückzukehren. Bestätigt wird die Drogenabhängigkeit durch die im Dezember 2014 gezeigten Entzugserscheinungen während des Klinikaufenthaltes, die ebenfalls auf einen Abusus rückschließen lassen. Die damit einhergehende Gefährdung des (gesundheitlichen) Wohls der Beschwerdeführerin bedarf der stationären Behandlung; andere wirksame Mittel sind nicht erkennbar. Denn weder die Antragstellerin als Mutter noch die zuletzt besuchte Jugendhilfeeinrichtung sind (offenbar) in der Lage, hinreichend auf die Beschwerdeführerin einzuwirken, ihr Verhalten so zu ändern, dass drogenbedingte Gesundheitsgefahren eliminiert werden. Zugleich besteht nach der Aussage des Dr. XY vom 20.04.2015 hinreichende Behandlungsindikation, sprich die Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Dies ergibt sich auch aus dem Abschlussbericht vom 20.03.2015, der ebenfalls eine weitere stationäre Behandlung empfahl. Dr. XY sprach sich zudem hinsichtlich der Dauer der Maßnahme zunächst für einen Zeitraum von sechs Wochen aus, dem das Familiengericht folgte, was auch geboten erschien, um zutreffend ein Hauptsacheverfahren in Bezug auf eine ggf. weitere Unterbringung führen zu können (siehe nachstehend).

    Dies wird auch durch die heutige telefonische Mitteilung des Dr. XY bestätigt, wonach man der Antragstellerin angeraten habe, eine Verlängerung der erteilten Genehmigung zu beantragen; insofern weist der Senat für den vorliegenden Fall darauf hin, dass im Hinblick auf die Historie der Beschwerdeführerin mit Erlass des angefochtenen Beschlusses Anlass zu der Annahme bestand, dass der vorgegebene Zeitraum bis zum 02.06.2015 nicht ausreichen dürfte, einen nachhaltigen Therapieerfolg herbeizuführen und insoweit zu einer längerfristigen Unterbringung der Beschwerdeführerin im Rahmen eines zu beantragenden Hauptsacheverfahrens Ermittlungen aufzunehmen. Daher werden seitens des Senats Zweifel dahingehend gesehen, ob eine Verlängerung der Genehmigung ohne Hauptsacheverfahren, basierend auf § 333 S. 2 FamFG, möglich sein wird (in diesem Sinne auch OLG Karlsruhe BeckRS 2002, 30231563).

    c. Der Senat verzichtet auf die Wiederholung der persönlichen Anhörung der Beteiligten, da hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, § 68 III FamFG.

    Die Kostenentscheidung erfolgt abweichend von § 84 FamFG, da der im Ergebnis unterlegenen Beschwerdeführerin nach § 81 III FamFG ohnehin keine Kosten auferlegt werden können. Insofern erschien es angezeigt, von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen, § 81 I 3 FamFG; Anlass für eine Kostenerstattung unter den Beteiligten bestand ebenfalls nicht.

    Einer Wertfestsetzung von Amts wegen, § 55 II FamGKG, bedarf es nicht, da wertabhängige Gerichtsgebühren nicht zu erheben sind.

    Diehl Fischer Dr.Fritzsche