OLG Frankfurt vom 22.11.2021 (4 UF 105/21)

Stichworte: Versorgungsausgleich, Ausschluss; Teilausschluss; Unbilligkeit; Versorgungslage; Zusammenveranlagung
Normenkette: VersAusglG 27
Orientierungssatz:
  • Haben Ehegatten über eine längeren Zeitraum (hier ein Drittel der Ehezeit) getrennt gelebt, kann die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs allein deshalb grob unbillig sein (§ 27 VersAusglG), sofern in der Trennungszeit eine wirtschaftliche Verselbstständigung eingetreten ist und keine ehebedingte Bedürfnislage eintritt.
  • Werden die getrennt lebenden Ehegatten allerdings noch über 7 Jahre nach ihrer Trennung gemeinsam zur Einkommenssteuer veranlagt, liegt in dieser Zeitspanne noch keine wirtschaftliche Verselbstständigung vor. Der Versorgungsausgleich ist dann nach den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen.
  • 77 F 177/19
    AG Groß-Gerau

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache ...

    hat der 4. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 22.09.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Groß-Gerau vom 15.03.2021 am 22. November 2021 beschlossen:

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Von der Erhebung von Gerichtskosten und von der Anordnung eines Ausgleichs außergerichtlich angefallener Kosten wird abgesehen.

    Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird festgesetzt auf 1.000 €.

    Gründe

    I.

    Mit dem angefochtenen Beschluss schied das Familiengericht auf den am … .2019 zugestellten Scheidungsantrag die am … .1983 geschlossene Ehe der beteiligten früheren Eheleute und führte den Versorgungsausgleich durch. Bei der Ermittlung der Ausgleichswerte richtete sich das Familiengericht nach dem Inhalt der von der Deutschen Rentenversicherung … und der Deutschen Rentenversicherung … als jeweils einzigen Versorgungsträgern der Eheleute eingeholten Auskünfte, auf die Bezug genommen wird. Auf das Begehren der Antragsgegnerin, nach § 27 VersAusglG einen Teilausschluss des Versorgungsausgleichs anzuordnen, ging das Gericht in seiner Entscheidung, auf deren weiteren Inhalt verwiesen wird, nicht ein.

    Mit ihrer am … .2021 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde gegen den ihrer Bevollmächtigten am … .2021 zugestellten Beschluss beantragt die Antragsgegnerin eine Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich dahingehend, dass ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt wird. Sie trägt zur Begründung sinngemäß vor, ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs sei nach § 27 VersAusglG geboten, weil sie ehezeitlich ganz überwiegend alleine den Lebensunterhalt der Familie finanziert habe und die Eheleute sich bereits im März 2008 getrennt hätten. Ihr sei der Aufbau einer eigenen zureichenden Altersvorsorge zudem nicht mehr möglich.

    Der Antragsteller wendet sich gegen die Beschwerde und beantragt ihre Zurückweisung, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Entscheidung. Die Trennungszeit mache nur 29,15 % der Ehezeit aus, ein Ausschluss des Versorgungsausgleichs sei deshalb nicht gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin habe wegen ihrer Alkoholerkrankung in der Ehezeit zweimal ihre Anstellung verloren und sich danach selbstständig gemacht. Der Antragsteller sei ihr Angestellter gewesen und habe durch seine Tätigkeit alleine den Lebensunterhalt der früheren Eheleute finanziert. Sie habe aber auch dieses Unternehmen durch ihre Alkoholsucht ruiniert, so dass der Antragsteller anschließend keine weitere Altersvorsorge mehr habe betreiben können. Bei der Trennung habe die Antragsgegnerin einen für die gemeinsame Altersvorsorge bestimmten „erheblichen Betrag“ für sich vereinnahmt. Die Antragsgegnerin habe zudem 2009 und erneut 2016 den jeweiligen Scheidungswunsch des seit 2008 mit einer anderen Frau zusammenlebenden Antragstellers abgelehnt.

    Ergänzend wird Bezug auf den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung und der von den Beteiligten in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze genommen.

    Der Senat hat die Beteiligten mit Beschluss vom 07.07.2021 darauf hingewiesen, dass der Versorgungsausgleich für den Zeitraum vom … .2009 bis zum Ehezeitende … .2019 auszuschließen sein dürfte und auf diesen Zeitraum bezogene Auskünfte der beiden Versorgungsträger eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Auf weiteren Hinweis des Senatsberichterstatters vom … .2021 haben die beteiligten früheren Eheleute übereinstimmend mitgeteilt, dass sie bis zum Steuerjahr 2016 einschließlich gemeinsam steuerlich veranlagt wurden.

    II.

    Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt in der Sache auch im Lichte des Beschwerdevorbringens ohne Erfolg. Die familiengerichtliche Entscheidung zum Versorgungsausgleich begegnet jedenfalls im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Insbesondere ist der Versorgungsausgleich entgegen der vom Senat noch mit Beschluss vom 07.07.2021 vertretenen Auffassung nicht nur begrenzt auf die bis zum … .2019 erworbenen Anwartschaften der früheren Eheleute durchzuführen.

    Nach § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich nur dann ausnahmsweise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre, was nur dann der Fall ist, wenn die gesamten Umstände des Einzelfalls es – anders als hier – rechtfertigen, von der Halbteilung der während der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte abzuweichen.

    Die Vorschrift ist zum 1.9.2009 an die Stelle des § 1587c BGB a.F. getreten. Eine inhaltliche Änderung der zu einem teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Versorgungsausgleichs führenden Tatbestände gegenüber der bis zum 31.8.2009 geltenden Rechtslage ist damit nicht verbunden (vgl. BT-Drucks. 16/10144, S. 68).

    Durch die Härteklausel sollen weiterhin wirtschaftlich fragwürdige Ergebnisse verhindert werden, welche mit der bisherigen und fortwirkenden Versorgungsgemeinschaft der geschiedenen Ehegatten nicht zu rechtfertigen sind und welche der Gerechtigkeit in unerträglicher Weise widersprechen (vgl. BVerfG FamRZ 1984, 653; BVerfG FamRZ 1992, 405, 406; BGH FamRZ 2013, 1200; FamRZ 1989, 1062, 1063). In die erforderliche Gesamtabwägung sind sämtliche Lebensumstände der Ehegatten einzubeziehen, die für ihren gegenwärtigen oder zukünftigen wirtschaftlichen Stand von Bedeutung sind (vgl. BGH FamRZ 2013, 1200; FamRZ 1982, 475, 477).

    Nach der noch zu § 1587c BGB a.F. entwickelten Rechtsprechung kommt ein vollständiger oder teilweiser Ausschluss des Versorgungsausgleichs insbesondere dann in Betracht, wenn der Versorgungsausgleich sein Ziel, zu einer ausgewogenen sozialen Sicherheit der Ehegatten für den Fall des Alters oder der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beizutragen, nicht erreichen kann, sondern im Gegenteil zu einem erheblichen wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu Lasten des Ausgleichspflichtigen führen würde, z.B. wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Versorgungsausgleich klar abzusehen ist, dass der Ausgleichsberechtigte bei Erreichen der Altersgrenze über eine im Verhältnis zum Ausgleichspflichtigen unverhältnismäßig hohe Altersversorgung verfügen wird oder bereits anderweitig angemessen abgesichert ist, während der Ausgleichspflichtige auf die von ihm in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften zur Sicherung seines Unterhalts dringend angewiesen ist (vgl. BGH FamRZ 2005, 1238; 1996, 1540, 1542; 1988, 489, 490; OLG Hamm FuR 2021, 488; Senat FamRZ 2020, 1637; OLG Frankfurt am Main FamRZ 2014, 132; MüKoBGB/Siede, 8. A., § 27, Rn. 19 m.w.N.). Daher sind bei der Entscheidung insbesondere die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Situation der Eheleute zu berücksichtigen und alle bereits bekannten oder vorhersehbaren Lebensumstände in Betracht zu ziehen, die ihre Versorgungslage beeinflussen (Wick, Der Versorgungsausgleich, 4. A., lit. E, Rn. 558; MüKoBGB/Siede, aaO., Rn. 10).

    Eine lange Trennungsdauer alleine führt nach diesen Maßstäben nicht notwendig dazu, dass der Versorgungsausgleich im Hinblick auf die nach der Trennung erworbenen Anteile von Anrechten als unbillig anzusehen ist. Allerdings kommt bei einer außergewöhnlich langen Trennungszeit auch dann, wenn außer der langen Trennungszeit keine Härtegründe vorhanden sind, eine Ausklammerung der auf die Trennungszeit entfallenden Anwartschaften beider Ehegatten in Betracht. Bei einer im Verhältnis zur Ehezeit langen Trennungszeit und einer fehlenden Versorgungsgemeinschaft nach der Trennung kann der Versorgungsausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten für während der Trennungszeit erworbene Versorgungsanwartschaften daher ausgeschlossen werden (vgl. OLG Dresden, NJW-RR 2021, 582; OLG Hamburg, NJW-RR 2016, 776; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.07.2013, - 15 UF 68/13 - juris).

    Davon ist vorliegend aber nicht auszugehen. Antragsteller und Antragsgegnerin waren allerdings gut 35 Jahre verheiratet. Hierbei steht einem Getrenntleben von gut 11 Jahren (nach Angaben des Antragstellers erfolgt die Trennung tatsächlich sogar bereits im Jahre 2007) ein eheliches Zusammenleben von 24 Jahren gegenüber. Grundsätzlich kann bei einer Trennungszeit von einem Drittel der Ehezeit zwar von einer Versorgungsgemeinschaft der Ehegatten, die Grundlage des Gedankens des Versorgungsausgleichs ist, nicht mehr ausgegangen werden; vielmehr ist, sofern konkrete Anhaltspunkte nicht entgegenstehen, ohne Weiteres anzunehmen, dass die Eheleute ihre Versorgungsgemeinschaft endgültig und nachhaltig aufgehoben und sich in dieser Zeit wirtschaftlich verselbständigt haben (vgl. auch BGH FamRZ 2008, 1836, 1840 und OLG Saarbrücken, FamRZ 2008, 1865, die beide bereits eine acht Jahre übersteigende Trennungsdauer als ausreichend für einen Teilausschluss des Versorgungsausgleichs erachten). Dass es während der Trennungszeit beide Beteiligte in der Hand hatten, die Ehezeit durch Stellung eines Scheidungsantrages zu beenden, ändert grundsätzlich nichts daran, dass mit der Trennung von Eheleuten auch ihre Versorgungsgemeinschaft aufgehoben wird (vgl. OLG Stuttgart, aaO., Rn. 17).

    Vorliegend ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin nicht nur bis 2016 mit zweitem Wohnsitz beim Antragsteller gemeldet war, sondern dass die Eheleute bis zum Jahr 2016 unbestritten gemeinsam steuerlich veranlagt wurden. Zur Erstellung der gemeinsamen Steuererklärung ist die Antragsgegnerin über mehrere Jahre hinweg auf Kosten des Antragstellers zu diesem angereist. Mit der Zusammenveranlagung haben sich beide Eheleute nicht nur Splittingvorteile verschafft, sie wurden nach § 4 Abs. 1 AO zugleich auch Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB) ihrer Steuerschuld. Auch ist zu berücksichtigen, dass die gemeinsame Veranlagung zur Einkommensteuer nur bis zum Ablauf des ersten Trennungsjahrs zulässig ist. Ob sich aus der gemeinsamen Veranlagung im Einzelfall Steuererstattungsansprüche oder im Gegenteil sogar -nachteile für beide Eheleute oder für einen von ihnen ergeben haben, kann dabei dahinstehen. Maßgeblich ist alleine, dass sie sich steuerlich nicht verselbstständigt und damit ihre eheliche Versorgungsgemeinschaft trotz der Trennung nicht in vollem Umfang aufgehoben haben (vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2014, 19907 = FamRZ 2015, 412 (Ls.); MüKoBGB/Siede VersAusglG § 27 Rn. 32 mwN; BeckOGK/Maaß VersAusglG § 27 Rn. 61). Damit kann die Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Zeitraum bis 2016 und angesichts der darüber hinaus nur bis 2019 währenden Ehedauer auch insgesamt aber nicht mehr grob unbillig angesehen werden (so auch OLG Koblenz FamRZ 2015, 1116; OLG Brandenburg, Beschluss vom 23. September 2013 – 3 UF 4613 3 UF 46/13 - juris).

    Andere Gründe, die einen (Teil-)Ausschluss des Versorgungsausgleichs nach § 27 VersAusglG rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere trägt auch der – bestrittene – Umstand einen Ausschluss nicht, dass die Antragsgegnerin ehezeitlich ganz überwiegend zum Familieneinkommen beigetragen hat, der Antragsteller dagegen nicht (vgl. MüKoBGB/Siede VersAusglG § 27 Rn. 17 mwN.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller über mehrere Jahre hinweg entgeltlich in dem von der Antragsgegnerin begründeten Unternehmen tätig war und dort nicht nennenswert entlohnt wurde. Auch kann sich die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf berufen, die vom Antragsteller nach der Trennung übernommene eheliche Wohnung habe seit der Übernahme infolge des derzeitigen Immobilienbooms erheblich an Wert gewonnen, wovon sie aber unbilligerweise nicht mehr profitiere. Für die Übertragung ihres hälftigen Miteigentumsanteils hat sie im Jahre 2008 einen Kaufpreis von 110.000 € erhalten.

    Der vom Familiengericht mit der angefochtenen Entscheidung vorgenommene Ausgleich der beiderseitigen Versorgungsanrechte (Übertragung von 0,0557 Entgeltpunkten auf das Versicherungskonto der Antragsgegnerin, von 21,7745 Entgeltpunkten auf das Konto des Antragstellers) begegnet im Übrigen keinen Bedenken und wird auch von den Beteiligten nicht angegriffen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 1, 3, 4 Satz 1 FamFG. Eine Belastung der Beteiligten mit den durch die Beschwerde verursachten Gerichtskosten wäre im Hinblick auf den dem Familiengericht unterlaufenen Fehler (Nichtbescheidung des Antrags auf teilweise Ausschließung des Versorgungsausgleichs) unbillig.

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 und 2, 50 Abs. 1 FamGKG. Vom Beschwerdeverfahren betroffen waren beide Anrechte der früheren Eheleute, so dass für die Wertberechnung grundsätzlich zwei mal zehn Prozent des in drei Monaten erzielten Nettoeinkommens ([0 € + 1…. €] x 2 x 10 %) zu ermitteln sind, hier im Ergebnis also 8..,.. €. Da damit aber der Betrag von 1.000 € unterschritten wird, war dieser als gesetzlicher Mindestwert nach § 50 Abs. 1 Satz 2 FamGKG in Ansatz zu bringen.

    Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, § 70 Abs. 2 FamFG.

    Reitzmann Dr. Wierse Dr. Kischkel