OLG Frankfurt vom 07.07.2011 (3 WF 150/11)

Stichworte: Gewaltschutz, VKH, Hauptsache-neben eA-Verfahren;
Normenkette: FamFG 76 Abs. 2, 210 ff; ZPO 114; FamFG 76 Abs. 2, 210 ff; ZPO 114;
Orientierungssatz:
  • In Gewaltschutzsachen ist die Einreichung eines ansonsten mit einem eA-Antrag inhalts-und zeitgleichen Hauptsacheantrags(auch) dann mutwillig,wenn der einzige Unterschied darin besteht dass statt oder neben der eigenen eidesstattlichen Versicherung die Vernehmung von Zeugen angeregt wird
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 3. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Wiesbaden vom 09.05.2011 - Nichtabhilfebeschluss vom 16.05.2011 - durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Grabowski als Einzelrichter am 07.07.2011 beschlossen:

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Der Antragstellerin werden die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz (GewSchG). Mit ihrer Antragsschrift vom 09.05.2011 hat sie beantragt, dem Antragsgegner zu verbieten, sich im Umkreis von 100 m ihrer Wohnung in X. sowie der Wohnung ihrer Mutter in Y. aufzuhalten, sich ihr auf weniger als 100 m zu nähern, ihr aufzulauern, mit ihr unter Anwendung von Fernkommunikationsmittel Verbindung aufzunehmen und ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Beteiligten von Juni 2008 bis Ende September 2010 in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammengelebt hätten, aus der zwei knapp 2 und knapp 3 Jahre alte Kinder hervorgegangen seien. Nach der Trennung sei der Antragsgegner ihr gegenüber gewalttätig geworden, habe sie in Anwesenheit Dritter und der Kinder misshandelt, wovon sie Prellungen und Hämatome davongetragen habe, habe sie ins Gesicht geschlagen, ihr ins Gesicht gegriffen, sie bedroht, beschimpft und mit dem Tode bedroht. Gleichzeitig und offenbar mit derselben Begründung hat sie einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereicht. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung abgelehnt, dass es mutwillig sei, zeit- und inhaltsgleich in einem Gewaltsschutzverfahren einen Hauptsacheantrag und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen. Mit ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass sie anders als in ähnlichen von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen paralleler Einreichung von Hauptsache- und einstweiligen Anordnungsanträgen ihren einstweiligen Anordnungsantrag auf eine eigene eidesstattliche Versicherung, den Hauptsacheantrag dagegen auf die Vernehmung von Zeugen gestützt habe. Es sei ihr daher nicht zuzumuten gewesen, den Hauptsacheantrag gegebenenfalls erst nach der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung anhängig zu machen. Außerdem gewähre eine antragsgemäß ergehende einstweilige Anordnung lediglich einen befristeten Schutz.

    Die zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Hauptsacheantrag gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 S. 1 ZPO abgelehnt, da die Einreichung des lediglich hinsichtlich der benannten Beweismittel abweichenden, ansonsten aber inhaltsgleichen Hauptsacheantrags gleichzeitig mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aufgrund des Gewaltschutzgesetzes als mutwillig anzusehen ist.

    Eine Versagung der Verfahrenskostenhilfe mit dieser Begründung verstößt nicht gegen den Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gem. Art. 3 Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 Grundgesetz, da derjenige, der die Verfahrenskosten nicht aus eigenen Mitteln tragen kann, nur demjenigen "Bemittelten" gleichgestellt werden muss, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG FamRZ 2009, 191).

    Demzufolge gilt eine Rechtsverfolgung dann als mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Zöller-Philippi, ZPO, 28. Auflage, Rn. 30 zu § 114 m.w.N.). Ein verständiger Beteiligter, der seine Verfahrenskosten selbst tragen muss und nicht vom Steuerzahler finanziert bzw. vorfinanziert erhält, würde nicht gleichzeitig und inhaltsgleich mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Gewaltsschutzanordnung (§ 214 FamFG) auch einen Hauptsacheantrag einreichen, der lediglich anstelle der eigenen eidesstattlichen Versicherung die Anregung der Vernehmung von Zeugen enthält, würde stattdessen zumindest abwarten, bis die gerichtliche Entscheidung über den einstweiligen Anordnungsantrag vorliegt. Denn es ist zu erwarten, dass er bereits mit dem vorläufigen Verfahren sein Rechtsschutzziel erreicht.

    Verfahren in Gewaltsschutzsachen (§§ 210-216a FamFG) sind zwar Antragsverfahren, es gilt jedoch der Amtsermittlungsgrundsatz und dies auch im Falle einer beantragten einstweiligen Anordnung. Dem Familiengericht steht es frei, unter Beachtung der Eilbedürftigkeit auch im einstweiligen Anordnungsverfahren benannte Zeugen zu hören, insbesondere dann, wenn sie als präsente Zeugen zum Anhörungstermin gestellt werden (vgl. § 31 Abs. 2 FamFG). Die Zulassung der eigenen eidesstattlichen Versicherung zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für die Gewaltsschutzanordnung (§§ 51 Abs. 1 S. 2 und 31 Abs. 1 FamFG) ist lediglich eine für das einstweilige Anordnungsverfahren wegen der besonderen Eilbedürftigkeit gewährte Erleichterung. Sowohl im Hauptsache- wie im einstweiligen Anordnungsverfahren sollen die gerichtlichen Anordnungen befristet werden und kann die Frist verlängert werden (§ 1 Abs. 1 S. 2 Gewaltschutzgesetz).

    Wenn der eine Maßnahme nach dem Gewaltschutzgesetz begehrende Beteiligte seine Antragsschriften auf identische Sachverhaltsschilderungen zu stützen und ein identisches Rechtsschutzziel zu formulieren gedenkt, ist - jedenfalls bis zum Abschluss des einstweiligen Anordnungsverfahrens - nicht zu erkennen, dass er mit einem Hauptsacheantrag diesem Rechtsschutzziel näher kommt als mit dem einstweiligen Anordnungsantrag. "Die im Wege einstweiliger Anordnung getroffenen Schutzmaßnahmen kommen" - wie es das OLG Saarbrücken in seinem Beschluss vom 12.07.2010 (6 UF 42/10, FPR 2011, 234) ausdrückt - "aus Gründen des gebotenen effektiven Opferschutzes in ihrer persönlichen, örtlichen und gegenständlichen Reichweite meist den in einer deckungsgleichen Hauptsache zu erlassenden zumindest sehr nahe, wenn nicht gleich".

    Auch die grundsätzlich vorläufige Natur einer einstweiligen Anordnung in Gewaltsschutz Sachen (siehe § 214 FamFG) nötigt nicht zur gleichzeitigen Anhängigmachung eines Hauptsacheverfahrens. In der großen Mehrheit der Fälle erledigt sich die Gewaltsschutz Angelegenheit im einstweiligen Anordnungsverfahren oder aufgrund des einstweiligen Anordnungsverfahrens. Auch deswegen ist ein Zuwarten mit einem etwaigen Hauptsacheantrag jedenfalls bis zum Abschluss des einstweiligen Anordnungsverfahrens zumutbar und sinnvoll. Schon die gesetzliche Regelung in § 52 FamFG macht deutlich, dass eine verständige Partei sich so verhalten würde. Diese würde dabei insbesondere auch das doppelte Kostenrisiko (s. hierzu Fischer in MDR 2011, 642, 643) berücksichtigen.

    Wie hier haben das OLG Celle (FamRZ 2010, 1586 = NJW-RR 2011, 82 = MDR 2010, 1212 und das OLG Zweibrücken (FamRZ 2010, 666 = NJW 2010, 540) entschieden. Die vorliegende Entscheidung steht nicht in Widerspruch zur Entscheidung des OLG Hamm vom 09.12.2009 (10 WF 274/09, NJW 2010, 539 = FamRZ 2010, 825). Denn das OLG Hamm hatte einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Räumung der gemeinsamen Wohnung ging und der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung von vornherein auf die Dauer von 3 Monaten befristet war, während der Antrag im Hauptsacheverfahren keine Befristung enthielt.

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1912 des Kosten¬verzeichnisses (Anlage 1) zu § 3 Abs. 2 FamGKG.

    Grabowski