OLG Frankfurt vom 07.03.2023 (3 WF 143/22)

Stichworte: Ergänzungspflegschaft; Anhörungspflicht; Zurückverweisung
Normenkette: BGB 1789 Abs. 2; FamFG 69 Abs. 1 S. 3; FamFG 159, 160, 162
Orientierungssatz:
  • Zur Notwendigkeit der persönlichen Anhörung von Kind und Eltern in Kindschaftsverfahren, die von Rechtspflegerinnen / Rechtspflegern geführt werden (hier Ergänzungspflegschaft).
  • Nachzuholende Anhörungen der Beteiligten stehen dem in § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG erwähnten Erfordernis einer „umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme“ gleich.
  • 471 F 17019/22
    AG Frankfurt/Main

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend die elterliche Sorge …

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 3. Familiensenat - auf die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 06.09.2022 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Fritz sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Dr. Fink und Sandmüller am 07.03.2023 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss und das Verfahren werden aufgehoben und an das Gericht des ersten Rechtszuges – auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens – zurückverwiesen.

    Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 4.000 €

    Gründe:

    I.

    Die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens streiten über die Notwendigkeit der Bestellung einer Ergänzungspflegschaft für das betroffene Kind für ein vom Kindesvater betriebenes Vaterschaftsanfechtungsverfahren.

    Die Beteiligten zu 2. und 3. unterhielten seit 2004 eine außereheliche Beziehung, Der Beteiligte zu 3. hielt sich im Oktober 2008 mehrere Tage bei der Beteiligten zu 2. in Albanien auf und hatte in dieser Zeit auch Geschlechtsverkehr mit ihr. Mit beim Standesamt in … am 05.10.2012 beurkundeter Erklärung hat der Beteiligte zu 3. seine Vaterschaft zu dem Kind L anerkannt. Spätestens im März 2014, nachdem die Ehefrau und die aus dieser Ehe hervorgegangenen erwachsenen Kinder des Beteiligten zu 3. von dieser außerehelichen Beziehung erfahren hatten, endete die Beziehung. Im Kontext mit einem Streit über die Höhe des von dem Beteiligten zu 3. zu zahlenden Kindesunterhaltes verlangte dieser von der Beteiligten zu 2. die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung gem. § 1598 a BGB. Das Amtsgericht Frankfurt hat mit Beschluss vom 27.09.2019, 471 F 17146/15, die Zustimmung der Mutter und des Kindes zu einer bei einem konkret benannten Institut durchzuführenden Abstammungsuntersuchung ersetzt und weiter angeordnet, dass das Kind für diese Abstammungsuntersuchung die Entnahme eines Mundschleimhautabstriches durch einen Arzt/eine Ärztin zu dulden hat. Der Senat hat die hiergegen geführten Beschwerden, 3 UF 225/19, zurückgewiesen. Diese Abstammungsuntersuchung ist noch immer nicht durchgeführt worden, weil die Mitwirkungspflichten zwangsvollstreckt werden müssen.

    Der Beteiligte zu 3. betreibt zwischenzeitlich mit Antrag vom 22.04.2021 vor dem Amtsgericht Frankfurt ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren, 471 F 17077/21 PF, und beantragt nunmehr für dieses Verfahren, für das Kind das Jugendamt als Ergänzungspfleger zu bestimmen. Das Amtsgericht hat sowohl der Kindesmutter als auch dem betroffenen Kind schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Bestellung von Frau Rechtsanwältin … als Ergänzungspflegerin eingeräumt.

    Mit Beschluss vom 06.09.2022 hat sodann das Amtsgericht der Kindesmutter die elterliche Sorge teilweise betreffend die Vertretung des Kindes im Abstammungsverfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt, Az.: 471 F 17049/21 AB entzogen und Frau Rechtsanwältin … als Ergänzungspflegerin übertragen. Zur Begründung des Ausschlusses der Vertretungsmach der Kindesmutter nach den §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 1 BGB hat das Amtsgericht ausgeführt, dass das Verhalten der Kindesmutter in dem Verfahren auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung gem. § 1598a BGB den Gegensatz der Interessen der Kindesmutter mit dem Interesse des Kindes an einer Klärung der Vaterschaft zeige.

    Gegen diese ihr am 01.12.2022 durch Aufgabe zur Post zugestellte Entscheidung wendet sich die Kindesmutter mit der am 22.12.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, mit der sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung begehrt und die zuständige Rechtspflegerin am Amtsgericht wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnt. Dabei bemängelt sie u.a., dass ein mutmaßliches Interesse für den Eingriff in das Sorgerecht nicht genüge, vielmehr der Gegensatz der Interessen der Kindesmutter mit denen des Kindes konkret herauszuarbeiten sei und nicht ohne persönliche Anhörung von Eltern und Kind hätte entschieden werden dürfen. Die Parteilichkeit der Rechtspflegerin offenbare sich insbesondere in dem Begründungssatz, „Gründe:, welche gegen die Vaterschaft sprechen, sind hier nicht ersichtlich“.

    Nach Hinweis des Senats mit Verfügung vom 04.01.2023, dass das erstinstanzliche Verfahren an wesentlichen Verfahrensfehlern leide, haben sowohl der Kindesvater als auch die bestellte Ergänzungspflegerin nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG beantragt, die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen.

    II.

    Die Beschwerde ist nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft, weil es sich bei der Entscheidung über die Entziehung der Vertretungsmacht um eine Endentscheidung handelt (Staudinger/Veit (2020) BGB § 1796 Rn. 86; Oberloskamp/Dürbeck, Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft für Minderjährige, 5. A., Kap. 1 Rn. 152).

    Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist die Kindesmutter beschwerdeberechtigt und ist das Rechtsmittel binnen der Frist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt worden. Der Nichtabhilfeentscheidung des Amtsgerichts hätte es gem. § 68 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht bedurft (Oberloskamp/Dürbeck a.a.O.).

    In der Sache führt die Beschwerde zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens und zur Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszuges (§ 69 Abs. 1 S. 3).

    Das erstinstanzliche Verfahren leidet an wesentlichen Verfahrensfehlern. Weder sind das Kind gem. § 159 FamFG noch die Eltern gem. § 160 FamFG angehört und das Jugendamt gem. § 162 Abs. 1 S. 1 FamFG beteiligt worden. § 159 FamFG gilt entgegen weit geübter Praxis auch in den vom Rechtspfleger / von einer Rechtspflegerin geführten Kindschaftssachen (Oberloskamp/Dürbeck, a.a.O., Kap. 1 Rn. 96). Auch in dem Verfahren nach § 1796 BGB a.F. (§ 1789 Abs. 2 BGB n.F.) dient die Anhörung nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs der Beteiligten, sondern auch der Sachverhaltsaufklärung (Staudinger/Veit (2020) BGB § 1796 Rn. 74).

    Allein mit der mit der Verfügung vom 12.05.2022 der Kindesmutter und mit der mit Verfügung vom 09.06.2022 dem Kind eingeräumten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme ist dem gesetzlichen Anhörungserfordernis nicht genügt worden. Die Regelung in § 159 FamFG sieht eine persönliche Anhörung vor, was nicht nur die persönliche Anhörung im engeren Sinne umfasst, sondern auch das Verschaffen eines persönlichen Eindrucks (Prütting/Helms/Hammer, FamFG, 6. A., § 159 Rn. 7). Bezogen auf das Kind bedeutet persönliche Anhörung im engeren Sinne, dass dem Kind Gelegenheit zur mündlichen Äußerung gegenüber dem Gericht zu geben ist, wobei sich das Gericht dabei auch zugleich einen persönlichen Eindruck verschafft (Prütting/Helms/Hammer, a.a.O., Rn. 8). Wegen des Erfordernisses der Unmittelbarkeit der Anhörung bedarf es dafür zwingend eines persönlichen Kontaktes zwischen Rechtspflegerin und Kind (Prütting/Helms/Hammer, a.a.O., Rn. 11).

    Diese Grundsätze zur persönlichen Anhörung gelten in gleichem Maße auch für die Anhörung der Eltern (Prütting/Helms/Hammer, a.a.O., § 160 Rn. 8, 9).

    Schwerwiegende Gründe:, die ausnahmsweise ein Absehen von der persönlichen Anhörung rechtfertigen könnten (§§ 159 Abs. 2, 3; 160 Abs. 3 FamFG), sind nicht ersichtlich.

    Weiterhin wird auch das Jugendamt gem. § 162 Abs. 1 FamFG zu beteiligen und die Bestellung eines Verfahrensbeistandes / einer Verfahrensbeiständin zu prüfen sein.

    Zur Entscheidung sind die Anhörungen der Beteiligten nachzuholen, was dem in § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG allein erwähnten Erfordernis einer „umfangreichen und aufwändigen Beweisaufnahme“ gleichsteht (Heilmann/Dürbeck, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. A., § 69 FamFG Rn. 7; Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, § 69 Rn. 25; Oberloskamp/Dürbeck, a.a.O., Kap. 1 Rn. 97; OLG Bamberg NZFam 2022, 176; OLG Frankfurt NJOZ 2021, 1140; a.M.: Zöller/Feskorn, ZPO, 34. A., § 69 FamFG Rn. 10).

    Der für die Zurückverweisung erforderliche Antrag ist von dem Kindesvater gestellt worden.

    Mit der Aufhebung und Zurückverweisung hat das Gericht erster Instanz auch über die Kosten der Beschwerde zu entscheiden (Prütting/Helms/Abramenko, a.a.O., § 69 Rn. 20).

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40 Abs.1, 45 Abs. 1 FamGKG

    Dr. Fritz Dr. Fink Sandmüller