OLG Frankfurt vom 20.09.2011 (3 WF 100/11)

Stichworte: Kostenhaftung; Gerichtskosten; Übernahmeschuldner; Vergleich;
Normenkette: GKG 29 Nr 2, 31 Abs 3; ZPO 122 Abs 1 Nr 1a; FamGKG 24 Nr 2, 26 Abs 3; GKG 29 Nr 2, 31 Abs 3; ZPO 122 Abs 1 Nr 1a; FamGKG 24 Nr 2, 26 Abs 3;
Orientierungssatz: Die PKH-berechtigte Partei haftet im Falle der Prozessbeendigung durch Vergleich mit gegenseitiger Kostenaufhebung nicht als Übernahmeschuldner für die auf sie entfallende Hälfte der Gerichtskosten

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

B E S C H L U S S

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hanau vom 24.11.2010 am 20.09.2011 beschlossen:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Mit ihrer am 03.07.2009 eingegangenen, mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbundenen Klageschrift machte die Klägerin gegen den von ihr getrennt lebenden beklagten Ehemann rückständige und laufende Kindesunterhaltsansprüche für die beiden bei ihr lebenden gemeinsamen minderjährigen Kinder geltend. Ein Gerichtskostenvorschuss wurde nicht angefordert und nicht geleistet. Nach Eingang der Stellungnahme des Beklagten zum Prozesskostenhilfeantrag bestimmte das Amtsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung, in dem es, nachdem der Beklagte zwischenzeitlich ebenfalls einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt hatte, beiden Parteien unter Beiordnung ihrer jeweiligen Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe ohne Ratenfestsetzung bewilligte. In der Fortsetzungsverhandlung vom 24.03.2010 schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem der Beklagte sich zur Zahlung laufenden Kindesunterhalts für die Zeit ab April 2010 und rückständigen Kindesunterhalts für die Zeit bis einschließlich März 2010 verpflichtete. Unter Ziffer 4 des Vergleichs vereinbarten die Parteien Folgendes: "Die Kosten des Rechtsstreites und des Vergleiches werden gegeneinander aufgehoben." Nach Festsetzung des Streitwertes (7490,00 EUR) erteilte die Gerichtskasse am 01.06.2010 beiden Parteien unter Zugrundelegung der Nr. 1211 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (GKG) je eine Rechnung über die hälftigen Gerichtskosten in Höhe von 83,00 EUR und führte hierzu aus: "Für die Gerichtskosten des Vergleichs haften Sie als Übernahmeschuldner gem. § 29 II GKG (Entscheidung OLG Frankfurt am Main 14 W 85/08). Diese Haftung wird durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht ausgeräumt." Auf die Erinnerung des Beklagten hob das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Kostenrechnung auf und ordnete an, dass beim Beklagten vorbehaltlich einer Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Gerichtskosten nicht zu erheben sind. Zugleich ließ es die Beschwerde zu. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass der Beklagte aufgrund der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO von der Haftung für die Gerichtskosten vorbehaltlich einer Bedürftigkeitsprüfung befreit sei. Er hafte für die hälftigen Gerichtskosten auch nicht als Übernahmeschuldner gemäß § 29 Nr. 2 GKG. Zwar trete die Befreiung nach § 122 Abs. 1 ZPO im Falle einer Kostenübernahme nach § 29 Nr. 2 GKG nicht ein. Der Vergleichstext enthalte aber gar keine Übernahmeerklärung. Der Satz unter Ziffer 4 des Vergleichs besage lediglich, dass eine von § 98 ZPO abweichende Regelung über die Kosten nicht getroffen werden solle, und habe deshalb nur rein deklaratorische Bedeutung. Eine bedürftige Partei dürfe durch Kostennachteile nicht an der Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Prozessvergleichs gehindert werden. Kostenrechtliche Nachteile für sie seien allenfalls dann gerechtfertigt, wenn sie einen höheren Anteil der Gerichtskosten übernehme, als sie nach der gesetzlichen Regelung tragen müsste. Der Verweis auf die Möglichkeit, eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO herbeizuführen sei nicht überzeugend, da dadurch infolge der vom Gericht zu treffenden Kostenentscheidung höhere Kosten verursacht würden, die die Partei möglicherweise bei Aufhebung der Prozesskostenhilfe tragen müsse.

Mit ihrer Beschwerde besteht die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Hanau darauf, dass ein Fall der Kostenübernahme nach § 29 Nr. 2 Halbs. 2 GKG vorliege und bezieht sich hierzu auf die Beschlüsse . des OLG Zweibrücken vom 2. Februar 2010, 4 W 2/10, MDR 2010, 595, . des OLG Saarbrücken vom 29. Oktober 2009, 6 WF 105/09, AGS 2009, 596, . des OLG Schleswig vom 13. Mai 2003, 9 W 21/03, OLG-Report Schleswig 2003, 449, . des BGH; Beschluss vom 23.10.2003, III ZB 11/03, NJW 2004, 366 = FamRZ 2004, 178 = MDR 2004, 295 und . des 25. Zivilsenats des OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.10.2002, 25 W 70/02, OLG-Report Frankfurt 2003, 180.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-Reformgesetz findet das bis zum 31.08.2009 geltende Recht weiter Anwendung, da das Verfahren vor dem 01.09.2009 eingeleitet wurde. Die dementsprechend gemäß § 66 Abs. 2 S. 2 GKG zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Inanspruchnahme des Beklagten steht § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO entgegen. Danach darf die Staatskasse vom Beklagten, dem (ratenfreie) Prozesskostenhilfe bewilligt ist, keine Gerichtskosten einziehen. Aus § 29 Nr. 2 GKG, wonach die Kosten (auch) derjenige schuldet, der sie in einem vor Gericht abgeschlossenen Vergleich übernommen hat, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Zwar hat der Beklagte durch den Vergleich vom 24.03.2010 die Hälfte der Gerichtskosten "übernommen". Denn die vereinbarte gegenseitige Aufhebung der Kosten des Rechtsstreits bedeutet, dass die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last fallen (§ 92 Abs. 1 S. 2 ZPO). In § 29 GKG (dem § 24 FamGKG inhaltlich entspricht) ist jedoch lediglich geregelt, wer als Kostenschuldner in Betracht kommt. § 122 ZPO regelt demgegenüber, inwieweit der Kostenschuldner, dem Prozesskostenhilfe bewilligt ist, von der Staatskasse in Anspruch genommen werden kann. Die Vorschrift unterscheidet nicht zwischen Entscheidungs- und Übernahmeschuldner und hindert die Staatskasse daran, gegenüber der Partei des Rechtsstreits, der Prozesskostenhilfe bewilligt ist, den auf sie entfallenden Anteil an den Gerichtskosten anzusetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.07.2011, 11 UF 127/10; OLG Köln JurBüro 1992, 101 = OLG-Report 1992, 32; OLG Rostock JurBüro 2010, 147). § 123 ZPO ist nicht einschlägig.

Die Vertreterin der Staatskasse kann ihre entgegengesetzte Ansicht nicht auf die von ihr angeführten Gerichtsentscheidungen stützen. Denn in den genannten Entscheidungen ging es um die Festsetzung eines Teils der von der gegnerischen, nicht prozesskostenhilfeberechtigten Partei verauslagten Gerichtskosten, die die prozesskostenhilfeberechtigte Partei nach Meinung dieser Gerichte durch die vereinbarte Kostenregelung übernommen und daher trotz der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu tragen hatte. Entsprechendes gilt für die Entscheidungen des OLG Koblenz vom 28.01.2004 (MDR 2004, 472), des OLG Düsseldorf vom 21.01.2010 (10 W 124/09) und des OLG Rostock vom 06.06.2011 (10 UF 118/09; Vorlage an das BVerfG). Der 12. Zivilsenat des OLG Frankfurt, der im übrigen im Beschluss vom 10.11.1999 (12 W 258/99, OLG-Report Frankfurt 2000, 21 = NJW 2000, 1120 = MDR 2000, 479) die gegenteilige Meinung vertritt, befasst sich ebenfalls mit der Frage der Festsetzung vom Gegner der PKH-berechtigten Partei gezahlter Gerichtskosten gegen die PKH-berechtigte Partei.

Anders als der 13., der 14. und der 18. Zivilsenat des OLG Frankfurt (Beschlüsse vom 25.09.2008 -14 W 85/08-, 04.11.2010 -18 W 226/10-, 18.03.2011 -18 W 42/11-, 01.07.2011 -18 W 149/11- und 12.07.2011 -13 U 29/10-) geht der Senat auch nicht von einer Haftung der PKH-berechtigten Partei für den auf sie entfallenden Anteil der Gerichtskosten infolge einer in § 31 Abs. 3 GKG zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers aus. § 31 Abs. 3 GKG regelt die Inanspruchnahme eines anderen Kostenschuldners, wenn dem Entscheidungsschuldner Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Ob der Kostenschuldner, dem Prozesskostenhilfe bewilligt ist, von der Bundes- oder Landeskasse in Anspruch genommen werden kann, ist in § 122 Abs. 1 ZPO geregelt, wonach die Bundes- oder Landeskasse Gerichtskosten nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft, gegen die PKH-Partei geltend machen kann. Allein § 122 ZPO regelt also das Verhältnis der PKH-berechtigten Partei zur Staatskasse (OLG Stuttgart a.a.O., so wohl auch OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1323). Eine andere Wertung widerspricht dem Gesetzeswortlaut des § 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO. Im übrigen hat in den einschlägigen Fällen eine Wertung aufgrund gesetzlicher Vorschriften bereits dadurch stattgefunden, das der Partei durch das Gericht Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, was voraussetzt, dass ihrer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Erfolgsaussicht und fehlende Mutwilligkeit zuerkannt wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.

Grabowski Menz Knauth