OLG Frankfurt vom 05.10.1998 (3 UF 93/98)

Stichworte: Aufstieg, eheliche Lebensverhältnisse, PKH-Raten, Anrechnungsmethode, überobligationsmäßig, Sozialleistungen
Normenkette: BGB 1610a, 1577 Abs. 2
Orientierungssatz: Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils ist das volle Einkommen des Beklagten aus A 14 bei der Unterhaltsbemessung einzubeziehen. Daß es sich nicht um eine Regelbeförderung gehandelt hat, sondern der Beklagte sich bewerben mußte, läßt den Aufstieg nach A 14 nicht als außergewöhnlich erscheinen. Ob generell der Auffassung des OLG Koblenz ( FamRZ 1991, 438 ) zu folgen ist, daß Prozeßkostenhilferaten unterhaltsrechtlich irrelevant seien, weil sich ihre Höhe unter Berücksichtigung der Unterhaltslast bestimme, kann vorliegend dahinstehen. Die Einkünfte aus der schon mit Rücksicht auf das Alter der beiden Töchter von der Klägerin zweifelsfrei überobligationsmäßig aufgenommenen Erwerbstätigkeit haben die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt, sind also nach der Anrechnungsmethode zu behandeln ( vgl. BGH FamRZ 1983, 144 und 146 ff., 150). Mit dieser Maßgabe hat die Unterhaltsermittlung nach den Grundsätzen des § 1577 II BGB zu erfolgen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht Remlinger als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. 8. 1998 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Bad Homburg v.d.H. vom 2. 4. 1998 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab dem 1. 1. 1997 monatlichen Unterhalt in Höhe von 150 DM zu zahlen, fällig im voraus bis zum 3. Werktag eines jeden Monats.

Unter Abweisung der weitergehenden Klage wird die Berufung im übrigen zurückgewiesen.

Von den Kosten erster Instanz haben die Klägerin 6/7 und der Beklagte 1/7 zu tragen, von den Kosten der Berufunginstanz die Klägerin 3/5 und der Beklagte 2/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d

(wird ausgeführt)

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 ZPO abgesehen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Das an sich statthafte Rechtsmittel wahrt alle Form- und Fristerfordernisse und ist damit zulässig. In der Sache hat es teilweise Erfolg.

Mit Recht hat das Amtsgericht der Klägerin Unterhalt aus § 1570 BGB zugesprochen, weil von ihr infolge der Betreuung der beiden jetzt erst 10 und 8 Jahre alten Kinder der Parteien mit Rücksicht auf die Behinderung xxs. keinerlei Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Die Berechnung bedarf aber der Korrektur.

Aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils ist das volle Einkommen des Beklagten aus A 14 bei der Unterhaltsbemessung einzubeziehen. Daß es sich nicht um eine Regelbeförderung gehandelt hat, sondern der Beklagte sich bewerben mußte, läßt den Aufstieg nach A 14 nicht als außergewöhnlich erscheinen. Wie die mit der Ernennung zum Studienleiter verbundene spätere Aufstufung nach sogar A 15 zu beurteilen sein wird, ist derzeit nicht zu entscheiden. Die im übrigen von keiner Seite gerügte Ermittlung des Nettoeinkommens durch das Amtsgericht mit mtl. 5.344 DM kann danach übernommen werden.

Dieses Verfügungseinkommen ist um die eheprägende hohe Belastung an Unterhalt für vier Kinder zu bereinigen.

Der Tabellenunterhalt für die beiden ehelichen Kinder von ( 680 x 2 = ) 1.360 DM ist nicht angegriffen. Nach § 1610 a BGB ist bei der Feststellung eines Unterhaltsanspruches zu vermuten, daß Sozialleistungen, die wegen eines Gesundheitsschadens gewährt werden, die Aufwendungen nicht überschreiten. Dem ist bei der Bemessung des Unterhalts für das Kind XXXX. im Hinblick auf den Zufluß der 1.300 DM auch voll Rechnung getragen. Ferner haben die Unterhaltsansprüche der beiden nachrangigen Töchter des Beklagten aus erster Ehe die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt.

Wie die Klägerin mit Kontoauszug aus dem Jahre 1992 belegt hat, betrug die Zahllast seinerzeit mtl. insgesamt nur 875 DM. Wann und warum der Beklagte den Betrag auf mtl. 1000 DM angehoben haben will, hat er nicht dargetan. Es mag naheliegen, daß der Eintritt der Volljährigkeit der beiden Töchter nach 1992 dazu Anlaß war. Es bleibt indessen offen, ob eine Rechtspflicht hierzu bestand. Die Höhe des vom Beklagten gezahlten Unterhalts spricht für eine Beteiligung der Mutter der beiden volljährigen Studentinnen. Die Quote kann zum Vorteil des Beklagten zu verschieben sein. Dieser hat trotz des Bestreitens der Klägerin hierzu nichts vorgetragen und muß sich mit dem von der Klägerin zugestandenen früheren Unterhaltsaufwand für die nachrangigen Studentinnen als dem unterhaltsrechtlich relevanten Abzugsposten begnügen.

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die vom Beklagten aufgebrachten Raten ( für Prozeßkostenhilfe Kostenstundung seitens der Gerichtskasse ) aus den mit dem Scheitern der Ehe verbundenen Rechtsstreitigkeiten bei der Unterhaltsbemessung der Klägerin nicht abgesetzt. Ob generell der Auffassung des OLG Koblenz ( FamRZ 1991, 438 ) zu folgen ist, daß Prozeßkostenhilferaten unterhaltsrechtlich irrelevant seien, weil sich ihre Höhe unter Berücksichtigung der Unterhaltslast bestimme, kann vorliegend dahinstehen. Der BGH hat zwar in FamRZ 1997, 806 inzident eine Entscheidung des OLG Karlsruhe bestätigt, bei der Prozeßkostenhilferaten vom Verfügungseinkommen abgesetzt waren; dabei handelte es sich indessen um bereits die ehelichen Lebensverhältnisse prägende Lasten. Vorliegend sind die Kosten aber allenfalls trennungsbedingter Mehraufwand des Beklagten, der den eheangemessenen Bedarf der Klägerin nicht zu mindern geeignet ist ( so auch OLG München FamRZ 1994, 898 ). Ob sie die Unterhaltshöhe mit Rücksicht auf die erforderliche Leistungsfähigkeit des Beklagten beeinflussen können, weil dessen Selbstbehalt nach Berücksichtigung der Ratenzahlungsbelastung gewahrt sein sollte (so OLG München a.a.O.), ist vorliegend mit Rücksicht auf das Ergebnis nicht entscheidungserheblich.

Der eheangemessene Bedarf der Parteien wird aber nicht nur von dem Nettoeinkommen des Beklagten von - nach Abzug des Kindesunterhalts - 3.109 DM geprägt. Vielmehr stand der Familie bereits vor der Trennung der Teil des für Johanna mit Rücksicht auf deren Schwerbehinderung gezahlte Pflegegeldes von 1.300 DM zur Verfügung, der nicht für die pflegebedingten Baraufwendungen für Dritte benötigt wurde. Diesen hat das Amtsgericht mit 200 DM zu niedrig geschätzt.

Bereits in erster Instanz hat die Klägerin beispielsweise für die beiden ersten Monaten 1996 mtl. 250 DM Betreuungskosten belegt. Für die ersten 5 Monate 1998 sind Fremdvergütungen in etwa gleicher Höhe geflossen. Da erfahrungsgemäß zumindest ein kleiner im Einzelfall nicht voll abzurechnender Teil an Pflegekosten verbleibt, erlaubt § 287 ZPO vorliegend eine Anhebung auf 300 DM. Eine kleinliche Betrachtungsweise auf dem § 1610 a BGB berührenden Gebiet ist den Gerichten nach dem Grundgedanken dieser Bestimmung nämlich verwehrt. Für eine weitergehende Höherschätzung ist mangels konkreten Vortrags der Klägerin aber kein Raum.

Für den eheangemessenen Unterhalt der Klägerin sind mithin die 3.109 DM Einkünfte des Beklagten abzüglich des Erwerbstätigenbonus, mithin 2.487 DM, zuzüglich der 1.000 DM verbleibenden Pflegegeldes, zusammen 3.487,20 DM, zugrundezulegen. Die auf die Klägerin entfallende Hälfte beträgt gerundet 1.745 DM.

Hierauf ist zunächst der der Klägerin seit jedenfalls der Scheidung alleine zufließende Pflegegeldteil von 1.000 DM anzurechnen. Diese volle Anrechnung räumt die vom Beklagten für seine anteilige Betreuung begehrte Teilhabe aus. Die Auseinandersetzung der Parteien ist insoweit "unterhaltsrechtlich" gelöst.

Der von der Klägerin erstinstanzlich angesprochene Erwerbstätigenbonus auf das Pflegegeld ist nicht zu gewähren. Diesem ist keine "Anreizfunktion" für die dem Kind Johanna über die normale Pflege und Betreuung wie etwa der Schwester hinaus zu erbringenden Leistungen beizumessen, wie sie neben den konkret nicht faßbaren Nebenkosten einer Berufstätigkeit Rechtfertigungsgrund für den Bonus ist.

Es ergibt sich mithin ein Restbedarf von 745 DM. Dieser ist von der Klägerin in weitergehendem Umfange aus ihrem neuen Erwerbseinkommen gedeckt, als es das Amtsgericht angenommen hat.

Dessen Ermittlung des Nettoeinkommens der Klägerin mit mtl. 1.735,77 DM wird von keiner Seite angegriffen. Es ist zunächst um 127,67 DM eheangemessene Krankenzusatzversicherung sowie 30 DM Unfallversicherung zu bereinigen. Die zur Altersvorsorge für eine Lebensversicherung aufgebrachten mtl. 150 DM kann die Klägerin indessen nicht als Abzugsposten einführen. Sie stellen Vermögensbildung dar und übersteigen den von Beklagten allenfalls geschuldeten, von der Klägerin aber nicht eingeklagten Vorsorgeunterhalt des § 1578 III BGB bei weitem.

Bei der Schätzung der berufsbedingten Fahrtkosten der Klägerin mit 40 DM hat das Amtsgericht zugrundegelegt, daß der PKW in vollem Umfange von dem LWV finanziert werde. Demgegenüber hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz glaubhaft versichert, die laufenden Kosten für Steuern, Versicherung und Unterhaltung selbst tragen zu müssen. In erster Instanz hatte sie deswegen 150 DM mtl. Werbungskosten geltend gemacht. Weil dieser Betrag ihr vom Beklagten auch vorprozessual zugestanden worden war, wird er im Wege der Schätzung kurzerhand übernommen.

Von der Zurechnung eines Nutzungsvorteils wie bei einem Dienstwagen ist wegen der mithin bei der Klägerin verbleibenden Folgekosten abzusehen. Es sind keine ersparten Aufwendungen feststellbar. Bei den gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin ohne den Zuschuß des LVW einen entsprechend teuren PKW angeschafft hätte.

Es verbleiben mithin 1.428 DM, auf die der Klägerin ebenfalls der Erwerbstätigenbonus von einem Fünftel zugute kommt, so daß 1.142 DM zu berücksichtigen sind. Ein weiterer Bonus von 300 DM hierauf scheidet aus, weil die Klägerin nicht geltend macht, daß sie wie bei einer Ganztagstätigkeit an z.B. der Wahrnehmung günstigerer Einkaufsmöglichkeiten gehindert wäre.

Das Erwerbseinkommen als Schulpsychologin ist entgegen der vom Amtsgericht gewählten Berechnungsweise nicht in eine Differenzunterhaltsberechnung einzustellen. Die Einkünfte aus der schon mit Rücksicht auf das Alter der beiden Töchter von der Klägerin zweifelsfrei überobligationsmäßig aufgenommenen Erwerbstätigkeit haben die ehelichen Lebensverhältnisse nicht geprägt, sind also nach der Anrechnungsmethode zu behandeln ( vgl. BGH FamRZ 1983, 144 und 146 ff., 150). Mit dieser Maßgabe hat die Unterhaltsermittlung nach den Grundsätzen des § 1577 II BGB zu erfolgen.

Der vom Beklagten aus seinem bereinigten Einkommen von 3.109 DM rechnerisch aufzubringende Quotenunterhalt übersteigt den vollen eheangemessenen Aufstockungsunterhalt von 745 DM nach Berücksichtigung der 1.000 DM des Pflegegeldes bei der Klägerin. Es bleibt mithin keine von der Klägerin etwa selbst abzudeckende Spitze, wie sie oftmals bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber der eheangemessenen Situation insbesondere wegen trennungsbedingten Mehrbedarfs eintritt. Damit liegen aber auch die Voraussetzungen des § 1577 Abs. 2 S. 1 BGB nicht vor, nach dem ein Teil des weiteren Einkommens der Klägerin gänzlich unberücksichtigt gelassen werden könnte. Insbesondere ist es nicht angängig, den den angemessenen Selbstbehalt der Düsseldorfer Tabelle Frankfurt Praxis von 1.800 DM unterschreitenden vollen Unterhaltsbedarf der Klägerin wenigstens um 55 DM bis dahin aufzustocken.

Die 1.142 DM sind danach gem. § 1577 II S. 2 BGB anzurechnen, soweit dies unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse billig ist. Dabei kann Ansatz grundsätzlich das vom Amtsgericht angewandte Halbierungsprinzip sein. Eine Abweichung zugunsten einer der Parteien, insbesondere zugunsten der Klägerin, erscheint vorliegend nicht geboten. Vor dem zu klärenden Aufstockungsunterhalt stehen der Klägerin für sich ( 1.000 + 1.428 = ) 2.428 DM monatlich zur Verfügung, dem Beklagten ver-bleiben von 5.344 DM nach Kindesunterhalt von ( 1.360 + 1.000 = ) 2.360 DM und Prozeßkosten von 440 DM nur 2.544 DM. Bereits vorprozessual hatte er darauf hingewiesen, daß er trotz umfangreichen Betreuungsaufwandes für Johanna nicht am Pflegegeld partizipiere. Mit Recht führt er auch an, daß das mit Hilfe des LWV angeschaffte Fahrzeug der Klägerin auch dann zur Verfügung steht, wenn er wochenends das Kind betreut und - mangels Fahrzeugs - keine Ausflüge unternehmen kann.

Werden mithin ( 1.142 : 2 = ) 571 DM aus der überobligatorischen Erwerbstätigkeit auf die 720 DM eheangemessenen Restbedarf angerechnet, bleiben 150 DM Ehegattenunterhalt zu zahlen. Der angemessene Selbstbehalt des Beklagten von 1.800 DM wird dabei noch lange nicht tangiert. Daß der Klägerin dann nach dem Ergebnis der vorstehenden Billigkeitsbetrachtung ein etwas höherer Betrag monatlich zur Verfügung steht als dem Beklagten, entspricht der Intention des § 1577 II 2 BGB ( vgl. Göppinger/Kindermann, 6.A., Rz. 1273; Kalthoener/ Büttner, 6.A., Rz. 467; Born, Überobligationsmäßige Einkünfte im Unterhaltsrecht, FamRZ 1997, 129, 135 ).

Der Hilfsaufrechnung steht aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils das Aufrechnungsverbot gegen Unterhaltsansprüche entgegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

Bei der Kostenquotelung für die erste Instanz ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin entgegen dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ihren Klageantrag nicht dem Umfange der Prozeßkostenhilfebewilligung für nur 500 DM mtl. angepaßt hat. In der mündlichen Verhandlung vom 12. 2. 1998 haben die Parteien ausweislich der Verhandlungsniederschrift keine Anträge gestellt. Eine schriftsätzliche Beschränkung der unbedingt erhobenen Klage ist nicht erfolgt. Damit ist für die Annahme kein Raum, ein höherer Betrag als 500 DM sei in dem schriftlichen Verfahren nicht mehr verlangt worden. Vielmehr ist die Klägerin in dem Verhältnis zum ursprünglichen Klageantrag mit 6/7 unterlegen.

Die weiteren Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Für die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Zulassung der Revision wegen der Behandlung der PKH-Raten besteht mangels Vorgreiflichkeit kein Anlaß.

R e m l i n g e r