OLG Frankfurt vom 16.09.2022 (3 UF 86/22)

Stichworte: Umgang; Teilentscheidung, unzulässige; Verfahrenserledigung; Einstweilige Anordnung
Normenkette: BGB 1684 Abs. 3; FamFG 57; FamFG 69 Abs. 1 Satz 2; FamFG 156 Abs. 3
Orientierungssatz:
  • Es liegt eine unzulässige Teilentscheidung in einem Umgangsverfahren vor, wenn das Gericht den Umgang lediglich für einen kurzen Zeitraum von einigen Monaten regelt und bereits zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung davon auszugehen ist, dass nach Durchführung der angeordneten Termine ein weiterer Regelungsbedarf besteht.
  • Die Tenorierung, es werde davon ausgegangen, dass für die anschließende Zeit ein unbegleiteter Umgang stattfindet, prognostiziert eine Erwartungshaltung, die die inhaltlich nur vorläufige Regelung des Umgangs nicht zu einer den Verfahrensgegenstand erledigenden Endentscheidung werden lässt.
  • Sofern ein vorläufiger Regelungsbedarf besteht, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht zu ziehen.
  • 13 F 960/21
    AG Königstein

    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    betreffend den Umgang

    hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – 3. Familiensenat – auf die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Königstein i. Ts. vom 29.06.2022 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Fritz sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Kummer-Sicks und Sandmüller am 16.09.2022 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss und das Verfahren werden aufgehoben und an das Amtsgericht Königstein i. Ts. – auch zur Entscheidung über die Kosten der Beschwerde – zurückverwiesen.

    Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 4.000 €.

    GRÜNDE:

    I.

    Die Beteiligten zu 3. und 4. sind die seit Sept. 2017 rechtskräftig geschiedenen Eltern der am … 2011 geborenen S, die seit der Trennung der Eltern im Januar 2015 in der Obhut der Kindesmutter lebt. Der Kindesvater hatte zunächst in gewissen, zum Teil auch unregelmäßigen Abständen Umgang mit S, die auch gelegentlich von Samstag auf Sonntag bei ihm übernachtet hatte. Mit Beginn der Corona-Pandemie in 2020 fanden diese Umgangskontakte ein Ende, der Umgang erfolgte nur noch in der Gestalt von gemeinsamen Spaziergängen im Freien in Begleitung von weiteren Personen (u.a. Lebensgefährtin des Kindesvaters, Ehemann der Kindesmutter). In 2021 endeten auch diese Umgänge und der Kontakt des Kindesvaters zu seiner Tochter beschränkte sich auf Videotelefonate. Mit beim Amtsgericht am 17.12.2021 eingegangenem Antrag hat der Kindesvater sodann das vorliegende Umgangsverfahren eingeleitet mit dem Ziel nach allmählichem Ausbau eines anfänglichen Umgangs alle zwei Wochen samstags oder sonntags von 12:00 bis 15:00 Uhr perspektivisch zu einem Umgang alle zwei Wochen von Freitag 18:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr zu gelangen. Die Kindesmutter war diesem Begehren entgegengetreten und hat dies damit begründet, der Kindesvater habe S wiederholt in gefährliche Situationen gebracht. Außerdem lehne S einen persönlichen Kontakt zum Vater ab.

    Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Eltern, der übrigen Beteiligten sowie von S mit Beschluss vom 29.06.2022 einen begleiteten Umgang des Kindesvaters mit seiner Tochter an fünf konkret bezeichneten Terminen vom 25.07. – 19.09.2022 angeordnet und weiter im Tenor festgestellt, dass für die anschließende Zeit davon ausgegangen werde, dass ein unbegleiteter Umgang stattfinde und weitere Termine in Abstimmung zwischen Kindesvater, Kindesmutter und S vereinbart würden. Wegen der Anordnungen im Einzelnen wird auf den Beschlusstenor Blatt 113, 114 d. A. Bezug genommen.

    Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass ein Umgangsausschluss nicht in Betracht komme. Unter Berücksichtigung des über mehrere Jahre ausgeübten mehr oder weniger regelmäßigen Umgangs bis zum Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 werde dem ablehnenden Willen des Kindes keine so überragende Bedeutung beigemessen, dass dies einen Umgangsausschluss rechtfertigen könne. Keineswegs werde mit dem Beschluss der Kindeswille gebrochen. Er stelle vielmehr ein Angebot an das Mädchen dar, sich in einem geschützten Raum mit ihrem Vater treffen zu können. Mit den getroffenen Anordnungen einschließlich der durch das Jugendamt und der Umgangsbegleiterin im Zuge der Vor- und Nachbereitung zu führenden Gespräche werde die Hoffnung verbunden, dass die Vater-Tochter-Beziehung wiederaufgebaut und gefestigt werde.

    Gegen diese ihr am 04.07.2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Kindesmutter mit der am 06.07.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, mit der sie unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Abweisung des Umgangsantrages des Kindesvaters verfolgt. Der angeordnete begleitete Umgang des Kindesvaters mit S sei entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts kindeswohlschädlich. Für S stelle der Beschluss einen schweren Vertrauensbruch dar, habe sie doch geglaubt, dass das Amtsgericht sie vor weiteren Kontakten mit dem Vater beschützen werde. S` Gemütszustand wechsele seitdem zwischen Resignation und Enttäuschung bis hin zu Verzweiflung und Wutausbrüchen. Sie leide unter Schlaflosigkeit, Albträumen, Magen-Darm-Beschwerden mit Übelkeit und könne sich nicht mehr auf die Schule konzentrieren. Es sei völlig unverständlich, warum sich das Amtsgericht in keiner Weise mit den eidesstattlich versicherten gefährlichen Situationen auseinandergesetzt habe, in die der Kindesvater S wiederholt gebracht habe und die das Kind in Angst versetzt hätten. Der Anregung der Verfahrensbeiständin folgend hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.

    Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 12.08.2022 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass von einer unzulässigen Teilentscheidung auszugehen und beabsichtigt sei, das Verfahren unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der Kindesvater hat daraufhin auch den Antrag gestellt, das Verfahren an die erste Instanz zurückzuverweisen. Die Kindesmutter hat gegen die Ausführungen ausdrücklich keine Einwände erhoben.

    II.

    Die gem. § 58 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache insoweit – vorläufigen – Erfolg. Die angefochtene Entscheidung und das Verfahren waren aufzuheben und an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten der Beschwerde – zurückzuverweisen, weil es sich um eine unzulässige – verdeckte – Teilentscheidung handelt (§ 69 Abs. 1 S. 2 FamFG). Das Amtsgericht hat nicht endgültig über einen selbständigen oder aber abtrennbaren Teil des geltend gemachten Rechts entschieden. Es hat vielmehr eine vorläufige Entscheidung über den einzigen und einheitlichen Verfahrensgegenstand getroffen, nämlich den Umgang des Kindesvaters mit seiner Tochter.

    In Abgrenzung zu einer echten, das Verfahren nicht abschließenden, Teilentscheidung im Sinne des § 38 Abs. 1 S. 1 FamFG liegt eine unzulässige Teilentscheidung in einem Umgangsverfahren vor, wenn das Amtsgericht den Umgang lediglich für einen kurzen Zeitraum von einigen Monaten regelt und bereits zum Zeitpunkt seiner Beschlussfassung davon auszugehen ist, dass nach Durchführung des letzten der angeordneten Termine ein weiterer Regelungsbedarf besteht (Erman/Döll, BGB, 16. A., § 1684 Rn. 20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.09.2018, 4 UF 62/18, FamRZ 2019, 214). Eine abschließende „Regelung des Umgangs“ im Sinne des § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB liegt dann nicht vor; damit auch keine vollständige Verfahrenserledigung.

    Wenn das Amtsgericht das Verfahren dennoch dem äußeren Anschein nach formell abgeschlossen hat, indem es neben der (inhaltlich nicht abschließenden) Umgangsregelung beispielweise auch eine Kostenentscheidung getroffen und den Verfahrenswert festgesetzt hat, ist im Falle einer Beschwerde das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen, damit eine Regelung auch für den bislang noch nicht geregelten Zeitraum in erster Instanz getroffen werden kann.

    Hier hat das Amtsgericht zwar formal eine abschließende Entscheidung getroffen. Nicht nur enthält der angefochtene Beschluss eine Kostenentscheidung und ist der Verfahrenswert festgesetzt worden. Das Amtsgericht hat im Tenor auch festgehalten, für die anschließende Zeit davon auszugehen, dass ein unbegleiteter Umgang stattfindet und weitere Umgangstermine in Abstimmung zwischen dem Kindesvater, der Kindesmutter und dem Kind vereinbart werden könnten.

    Diese das Verfahren formal abschließende Tenorierung kann aber nicht über den wahren Charakter der Entscheidung als bloß vorläufige Entscheidung über das Umgangsrecht des Vaters hinwegtäuschen. Inhaltlich hinreichend konkret geregelt hat das Amtsgericht lediglich das zur Vorbereitung und Durchführung der beschützten Umgänge erforderliche Einleitungsgespräch sowie die nachfolgenden fünf Termine des begleiteten Umgangs. Der im Tenor ausgedrückten Erwartung, dass nach Beendigung der begleiteten Umgangskontakte die weiteren Umgänge nach individueller Absprache der Kindeseltern stattfinden werden, fehlen jegliche tatsächlichen Anknüpfungstatsachen. Bezeichnenderweise ist diese Erwartung vom Amtsgericht auch nicht begründet und allein als „Hoffnung“ (Blatt 111 d. A.) formuliert worden, dass „… mit der Anordnung des begleiteten Umgangs einschließlich der durch das Jugendamt und der Umgangsbegleiterin im Zuge der Vor- und Nachbereitung geführten Gespräche … die Vater-Tochter-Beziehung wiederaufgebaut und gefestigt wird“.

    Es sind jedoch keinerlei konkrete Gesichtspunkte zu erkennen, die die Erwartung, dass die Eltern nach dem letzten begleiteten Umgang am 19.09.2022 eigenständig eine Umgangsregelung des Vaters mit S finden werden, stützen. Vielmehr ist angesichts des – auch vom Amtsgericht so gewürdigten - erheblichen Elternkonfliktes, der sich deutlich in der zunehmend einschränkenden Entwicklung des Umgangs des Vaters mit S seit Beginn der Corona-Pandemie und der von der Kindesmutter hierfür angegebenen Begründung niedergeschlagen hat, gerade nicht die Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern zu einer eigenverantwortlichen Umgangsregelung zu prognostizieren. Anders als in der Entscheidung des OLG Frankfurt vom 17.09.2018, 4 UF 62/18, FamRZ 2019, 214 ff, Rn. 12, kann hier auch nicht ansatzweise ein „kooperatives Verhalten der Eltern“ und deren „Einsicht in die Bedürfnisse ihres Kindes“ festgestellt werden.

    Angesichts dessen handelt es sich bei der tenorierten Prognose, dass es einer weitergehenden familiengerichtlichen Regelung des Umgangs nicht bedürfe, um eine nicht auf Tatsachen basierenden Erwartungshaltung, die die inhaltlich nur vorläufige Regelung des Umgangs nicht zu einer abschließenden Endentscheidung machen kann.

    Sofern das Amtsgericht vor der Endentscheidung einen Regelungsbedarf erkannt hat, hätte es vorab eine nach § 57 FamFG unanfechtbare einstweilige Anordnung erlassen können. In Umgangsverfahren hat das Gericht gem. § 156 Abs. 3 FamFG, wenn eine einvernehmliche Regelung im Termin nicht erreicht werden kann, mit den Beteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern (Giers, NZFam 2021, 651, Anm. zu OLG Frankfurt NZFam 2021, 651).

    Ist nach alledem von einer unzulässigen „verdeckten“ Teilentscheidung auszugehen, war diese gem. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG aufzuheben und an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten der Beschwerde zu entscheiden haben.

    Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG.

    Dr. Fritz Kummer-Sicks Sandmüller