OLG Frankfurt vom 10.05.2012 (3 UF 52/12)

Stichworte: einstweilige Anordnung, Ablehnung, Beschwerdefrist; Beschwerdefrist, einstweilige Anordnung, Ablehnung; Wiedereinsetzung, Beschwerdefrist, anwaltliche Vertretung; Rechtsanwalt, Wiedereinsetzung;
Normenkette: FamFG 17 Abs 2; 49 ff, 63 Abs 2 Nr 1;
Orientierungssatz:
  • Auch für die Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gilt die Zweiwochenfrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG
  • Die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung ist bei anwaltlicher Vertretung für die Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht ursächlich, es sei denn es handelt sich um eine ungewöhnliche verfahrensrechtliche Situation, die nicht sicher zu beantwortende rechtliche Zweifelsfragen aufwirft, oder eine Sache, in der die Rechtsmittelzuständigkeit fraglich ist. Dies ist bei der Frist für die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung nicht der Fall.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 30.012012 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Königstein im Taunus vom 29.12.2011 am 10.05.2012 beschlossen:

    Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

    Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist wird der Antragstellerin nicht gewährt.

    Der Antragstellerin werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

    Der Beschwerdewert wird auf 1.000,00 € festgesetzt, §§ 49 Abs. 1, 1. Alternative, 41, 40 Abs. 1 FamGKG.

    Gründe:

    Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz zurückgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung weist das Amtsgericht darauf hin, dass binnen einer Frist von einem Monat bei dem Amtsgericht das Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt werden könne. Der Beschluss wurde dem Antragstellervertreter am 09.01.2012 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 30.01.2012 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom 21.03.2012 hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Beschwerdefrist zwei Wochen beträgt und grundsätzlich eine Wiedereinsetzung wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung bei anwaltlicher Vertretung nicht in Betracht komme.

    Die Antragstellerin hält an ihrer Beschwerde fest und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.2012 - AZ V ZB 198/11, V ZB 199/11 -, MDR 2012, 417. Danach wäre zumindest hilfsweise Wiedereinsetzung zu gewähren.

    Die gem. § 58 FamFG statthafte Beschwerde der Antragstellerin ist gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG als unzulässig zu verwerfen, da sie verfristet ist.

    Die Beschwerde ist grundsätzlich gem. § 57 Satz 2 FamFG statthaft, da sie sich gegen eine Zurückweisung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz richtet (§ 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG). Sie wurde jedoch nicht innerhalb der maßgeblichen Beschwerdefrist von zwei Wochen, § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, angefochten. Der angefochtene Beschluss wurde am 09.01.2012 zugestellt, die Beschwerde ist am 30.01.2012, mithin nach Ablauf der Zweiwochenfrist beim Amtsgericht eingegangen. Zwar wird in der Literatur unter Hinweis auf den vermeintlichen Wortlaut des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG, wonach Beschwerde binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen ist, wenn sie sich gegen eine einstweilige Anordnung richtet, vertreten, dass bei Beschlüssen, die eine einstweilige Anordnung ablehnen, die Einmonatsfrist nach § 63 Abs. 1 FamFG gelte, vgl. Prütting/Helms-Abramenko, FamFG, 2. Aufl., § 63 Randnr. 4; Zöller-Feskorn, ZPO, 29. Aufl., § 63 FamFG, Randnr. 3; Keidel-Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 63 Randnr. 14. Nach Auffassung des Senats ist diese Auslegung abzulehnen. Richtigerweise ist § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG dahingehend zu verstehen, dass die Zweiwochenbeschwerdefrist bei jeder Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren Anwendung findet. Diese Auslegung ist vom Wortlaut gedeckt, entspricht dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers und erfüllt den Zweck des einstweiligen Anordnungsverfahrens als Eilverfahren, wie hier OLG Zweibrücken vom 08.10.2010, FamRZ 2011, 794; KG Berlin vom 18.04.2011, FamRZ 2012, 51; Prütting/Helms-Stößer, FamFG, 2. Aufl., § 57 Randnr. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Auflage, § 63 FamFG Randnr. 4; Schulte-Bunert/Weinreich-Unger, FamFG, 3. Aufl., § 63 Randnr. 6; Musielak/Borth, FamFG, 3. Aufl., § 63 Randnr. 2; wohl auch Dose, Einstweiliger Rechtschutz in Familiensachen, 3. Aufl., Randnr. 430. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut, da auch eine ablehnende Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung als „eine einstweilige Anordnung“ anzusehen ist, vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O. In der Begründung des Gesetzgebers zu § 63 Abs. 2 FamFG(vergl. Bundestagsdrucksache 16/6308, Seite 205) wird nicht darauf hingewiesen, dass die verkürzte Frist nur für stattgebende Beschlüsse im einstweiligen Anordnungsverfahren gelten solle. Es hätte nahegelegen, dass der Gesetzgeber gesondert darauf hinweist, wenn er ablehnende Entscheidungen einer anderen Beschwerdefrist unterwerfen möchte. Dem deutschen Rechtsmittelsystem ist eine unterschiedliche Frist zwischen stattgebenden und ablehnenden Entscheidungen grundsätzlich fremd, weswegen ein Hinweis des Gesetzgebers zumindest in der Begründung, besser noch im Wortlaut der Norm zu erwarten gewesen wäre. Für den Gleichlauf der Frist spricht auch, dass der Gesetzgeber mit dem FamFG zum ersten Mal die Anfechtung ablehnender Entscheidungen beschwerdefähig ausgestattet hat. Nach der Vorgängerregelung in § 620 c ZPO waren lediglich stattgebende Entscheidungen beschwerdefähig. Die neue Regelung entspricht der Erkenntnis, dass für Rechtssuchende die Ablehnung einer Entscheidung ähnlich einschneidend sein kann, wie eine stattgebende. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn der Gesetzgeber, den Regelungscharakter ablehnender Entscheidungen erkennt, jedoch eine andere Frist wünschen würde. Dem entspricht auch der Hinweis in der Begründung, dass in einstweiligen Anordnungsverfahren ein besonderes Bedürfnis für eine verkürzte Rechtsmittelfrist besteht. Auch hier unterscheidet der Gesetzgeber nicht zwischen stattgebender und ablehnender Entscheidung, weswegen der hier vorgenommenen Auslegung der Vorzug zu geben ist.

    Der Antragstellerin kann auch nicht gem. § 17 Abs. 1 FamFG Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung von Rechtsmittelfristen in Familiensachen kommt nach § 17 Abs. 1 FamFG nur dann in Betracht, wenn der Verfahrensbeteiligte die Frist ohne sein Verschulden versäumt hat. Dies wird bei anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten gem. § 17 Abs. 2 FamFG vermutet, vergl. BGH vom 23.06.2010, FamRZ 2010, 1425 Randnr. 11; Senatsbeschluss vom 05.05.2010 - 3 UF 3/10 -.

    Bei anwaltlicher Vertretung, ist ein Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet und verhindert eine Wiedereinsetzung, vergl. BGH a.a.O.. Von einem Rechtsanwalt muss regelmäßig die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der ZPO und des FamFG erwartet werden. Entsprechend können auch rechtsmittelsystemwidrige Äußerungen von Richtern einen Irrtum des Anwalts nur entschuldigen, wenn der vom Gericht mitverursache Irrtum nachvollziehbar und daher verständlich erscheint. Dies dürfte beispielsweise in ungewöhnlichen verfahrensrechtlichen Situationen, die nicht sicher zu beantwortende rechtliche Zweifelsfragen aufwerfen oder in Fällen, in denen die Rechtsmittelzuständigkeit fraglich sein kann, der Fall sein, wenn das Gericht diese Fragen selbst unzutreffend beurteilt hat. So mag der Fall in dem von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.2012, MDR 2012, 362 gelegen haben, der auf Besonderheiten im Rechtsmittelsystem nach WEG Recht abstellt. Vorliegend geht es um eine Grundfrage der Beschwerdefrist im einstweiligen Anordnungsverfahren nach dem FamFG, welche seit Inkrafttreten im Jahre 2009 kontrovers diskutiert wird. Soweit ersichtlich sind lediglich die beiden vom Oberlandesgericht Zweibrücken und Kammergericht Berlin getroffenen Entscheidungen veröffentlicht, die jeweils die Vierzehntagefrist befürworten. Ebenso stellt die weitüberwiegend veröffentlichte Literatur auf die Vierzehntagesfrist ab, sodass von einem Rechtsanwalt die Kenntnis dieser Rechtsprechung und der Literatur zu erwarten gewesen wäre. Die verkürzte Rechtsmittelfrist entspricht auch dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des FamFG. Eine Kausalität des vom Amtsgericht veranlassten Rechtsirrtums über die zutreffende Beschwerdefrist scheidet in diesen Fällen aus. Der Rechtsanwalt wäre gehalten gewesen, selbst bei Zweifeln, den sichereren Weg zu wählen.

    Auch wenn man den Maßstab der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde legt, wonach ein Rechtsirrtum dann entschuldbar ist, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursacht Irrtum nachvollziehbar ist, scheidet eine Wiedereinsetzung aus. Angesichts der veröffentlichten Rechtsprechung und der Vielzahl der in der Literatur wiedergegebenen Äußerungen zu dem Thema ist die Rechtsmittelbelehrung wohl schon als offenkundig fehlerhaft zu beurteilen, zumindest wäre der durch sie verursachte Irrtum nicht mehr nachvollziehbar.

    Da der Antragstellerin das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten zuzurechnen ist, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand aus.

    Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu der grundsätzlich anzusehenden Rechtsfrage ist gem. § 70 Abs. 4 FamFG ausgeschlossen.

    Grabowski Menz Reitzmann