OLG Frankfurt vom 22.02.2011 (3 UF 460/10)

Stichworte: Kindesunterhalt, Familienstreitsache, Beschwerde, Einstellung Zwangsvollstreckung;
Normenkette: FamFG 64 Abs. 3,116 Abs. 2,120 Abs. 2 S. 2
Orientierungssatz:
  • In Unterhaltssachen ist ein Antrag auf Einstellung der Vollstreckung nach § 64 Abs. 3 FamFG unzulässig, wenn der Schuldner es versäumt hat, erstinstanzlich einen Antrag nach § 120 Abs. 2 S. 2 FamFG zu stellen und die Gründe hierfür bereits erstinstanzlich hätten vorgebracht werden können.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf den Antrag des Beschwerdeführers, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts (Familiengericht) Friedberg vom 14.10.2010 einstweilen einzustellen, am 22.02.2011 beschlossen:

    Der Antrag wird verworfen.

    Gründe:

    Das Amtsgericht Friedberg hat in seiner angefochtenen Entscheidung Unterhaltsansprüche der Antragstellerin zu 1), des minderjährigen Kindes X. und des volljährigen Antragstellers zu 2) tituliert. Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt. Er beruft sich darauf, dass das Amtsgericht sein Nettoeinkommen und das der Antragstellerin zu 1) unzutreffend ermittelt habe, dass ihm Fahrtkosten mit dem privaten PKW und Beiträge zu einer zusätzlichen Altersvorsorge anzuerkennen seien und dass bei der Bedarfsermittlung hinsichtlich des Trennungsunterhalts die Kindesunterhaltszahlungen an die studierende Tochter des Antragsgegners und der Antragstellerin zu 1) zu berücksichtigen seien. Ferner erhebt er die Einrede der Verwirkung. Der Antragsgegner begehrt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, insbesondere hinsichtlich des titulierten Unterhaltsrückstands in Höhe von insgesamt 2.949,60 €. Ein unersetzbarer Nachteil entstehe ihm dadurch, dass ihm nach Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses von seinem Verdienst nur noch 877,96 € ausgezahlt wurden, so dass er den Unterhalt der volljährigen Tochter und die Erfüllung eigener Zahlungsverpflichtungen nicht mehr sicherstellen könne. Des weiteren sei zu befürchten, dass die Antragstellerin zur Rückzahlung nicht in der Lage sei.

    Der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist unzulässig, da der Beschwerdeführer in der ersten Instanz keinen Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG gestellt hat. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Beschluss des Familiengerichts kommt regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Unterhaltsschuldner es versäumt hat, im erstinstanzlichen Verfahren einen Schutzantrag nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG zu stellen, es sei denn, die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt wird, lagen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht noch nicht vor oder konnten aus anderen Gründen nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht werden. Insofern folgt der Senat hier den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung im Revisionsverfahren aufgestellt hat.

    Danach kommt eine Einstellung der Vollstreckung nach § 719 Absatz 2 ZPO regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Schuldner, der sich auf nicht zu ersetzende Nachteile als Folge einer Vollstreckung berufen will, im Berufungsrechtszug einen Schutzantrag gemäß § 712 ZPO nicht gestellt hat. Denn da dort über einen solchen Antrag regelmäßig erst nach mündlicher Verhandlung und zumindest nach Gewährung des rechtlichen Gehörs für den Vollstreckungsgläubiger befunden wird, bietet der Antrag aus § 712 ZPO - der ähnlichen Voraussetzungen unterliegt wie der Antrag aus § 719 Absatz 2 ZPO - für den Gläubiger die größere Gewähr, dass auch seine Interessen angemessen berücksichtigt werden. Die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen ist in besonderem Maße bei titulierten Unterhaltsansprüchen von Bedeutung, da die Vollstreckungsmöglichkeiten aus Titeln, welche regelmäßig den Lebensunterhalt des Gläubigers sicherstellen, mit der Regelung des FamFG gestärkt werden sollen. Der Gesetzgeber hat insoweit nicht das im Zivilprozess herrschende System der vorläufigen Vollstreckbarkeit übernommen, sondern durch § 116 Absatz 3 Satz 3 FamFG die sofortige Wirksamkeit von Unterhaltstiteln wegen deren besonderer Bedeutung zur Sicherung des Lebensbedarfs zum Regelfall erklärt (OLG Hamm, Beschluss vom 07.09.2010, 11 UF 155/10). Auch wenn § 712 ZPO in familiengerichtlichen Verfahren nach dem FamFG nicht mehr zur Anwendung kommt, ist die bisher zu § 712 ZPO ergangene Rechtsprechung auch auf die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 120 Absatz 2 FamFG, der der Regelung des § 62 Absatz 1 ArbGG nachempfunden ist, übertragbar. Die Interessenlage ist in allen Fällen vergleichbar. Die §§ 712 ZPO, 62 Absatz 1 Satz 2 ArbGG und 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG gewähren dem jeweiligen Schuldner die Möglichkeit, bei drohenden nicht zu ersetzenden Nachteilen die Vollstreckbarkeit schon im jeweiligen Titel zu begrenzen. Die Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht darin, dass das Vorhandensein eines nicht zu ersetzenden Nachteils möglichst schon im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren und nicht erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung geprüft wird (LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.08.2007, 15 Sa 1630/07). Soweit das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg seine Rechtsprechung durch Beschluss vom 06.01.2009 zu 15 Sa 2311/08 geändert hat, ist dem nicht zu folgen. Das Landesarbeitsgericht begründet seine geänderte Rechtsauffassung damit, dass die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs drauf beruhen, dass ein Vollstreckungsschutzantrag bei einem Revisionsgericht nur als letztes Hilfsmittel des Vollstreckungsschuldners in Betracht kommen darf, wodurch die Interessenlage nicht identisch sei mit Verfahren, die noch eine zweite Tatsacheninstanz vor sich haben. Des weiteren führe das Erfordernis eines erstinstanzlichen Vollstreckungsantrages nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 06.01.2009 zu einer Überfrachtung des erstinstanzlichen Verfahrens, wodurch es zu zusätzlichen Verzögerungen kommen könne. Diese Auffassung vertritt auch das Oberlandesgericht Bremen in seinem Beschluss vom 21.09.2010, 4 UF 94/10. In vielen Fällen würde ein Antrag auf Vollstreckungsschutz in erster Instanz, wenn man ihn als Voraussetzung eines Antrages nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG ansähe, bloß aus formellen Gründen zu stellen sein, was auf eine unbillige Überfrachtung der ersten Instanz mit vorsorglichen, sachlich oft nicht gebotenen Anträgen nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG hinauslaufe.

    Der Senat schließt sich dieser Auffassung nicht an. Soweit ein Vollstreckungsschutzantrag bereits in erster Instanz begründet gestellt werden kann, ist kein Raum mehr für eine Prüfung der inhaltlichen Voraussetzungen einer Einstellung der Zwangsvollstreckung im Rahmen des Verfahrens zweiter Instanz. Die Grundentscheidung über das Zurücktreten der Vorrangigkeit des Vollstreckungsinteresses des Gläubigers hat vielmehr grundsätzlich in derjenigen Instanz zu erfolgen, die allgemein über die Vollstreckbarkeit zu befinden hat und sich insoweit auch bereits mit der Sach- und Rechtslage ausführlich befasst. Andernfalls würde entgegen den gesetzlichen Regelungen die abschließende Entscheidung über die Vollstreckbarkeit eines Titels in die nächste Instanz verlagert werden. Insofern kommt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen der Gleichheit der Interessenlage der Parteien eine über das Revisionsverfahren hinausgehende allgemeine Bedeutung zu, die auch die zweite Instanz betrifft (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.09.2003, 4 U 154/03).

    Sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, als auch in der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Familiengerichtsbarkeit sieht der jeweilige Gesetzeswortlaut ausdrücklich die Möglichkeit, Vollstreckungsschutzanträge in erster Instanz zu stellen, vor.

    Eine Überfrachtung der ersten Instanz durch unnütze Vollstreckungsschutzanträge, die in Anbetracht der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung zumindest in der ordentlichen Gerichtsbarkeit bereits hätten aufgetreten sein müssen, hat der Gesetzgeber bei der Schaffung des FamFG jedoch offensichtlich nicht festgestellt. Ansonsten wäre in der Regelung des § 120 Absatz 2 FamFG gerade nicht die Möglichkeit des Vollstreckungsschutzantrages in der ersten Instanz vorgesehen worden. Eine unbillige Überfrachtung der ersten Instanz dürfte sich zudem gerade in familiengerichtlichen Verfahren nicht ergeben, da bereits die Prüfung der Anordnung der sofortigen Wirksamkeit nach § 116 Absatz 3 FamFG nach pflichtgemäßen Ermessen des Familiengerichts unter Abwägung aller Umstände zu erfolgen hat. Soweit das Oberlandesgericht Bremen weiter ausführt, dass der Unterhaltsschuldner in erster Instanz regelmäßig nicht gehört werden kann, weil das Amtsgericht ihn ohnehin nur zur Leistung verpflichten kann, wenn es seine Leistungsfähigkeit als gegeben ansieht und das Amtsgericht die Verpflichtung zur Zahlung des Unterhalts im Rahmen der Prüfung des Vollstreckungsschutzantrages nicht anders beurteilen wird, als bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für den Unterhaltsanspruch, ist der Senat anderer Auffassung.

    Die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch, insbesondere der Höhe des Einkommens des Unterhaltspflichtigen einschließlich der vorzunehmenden Abzüge sowie der Frage der Leistungsfähigkeit ist nicht gleichzusetzen mit der Prüfung nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG. Auch dann, wenn die Abwägung im Rahmen des § 116 Absatz 3 Satz 2 und 3 FamFG zur Anordnung der sofortigen Wirksamkeit geführt hat, kann der Schuldner eine Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung verlangen, wenn ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (Keidel, FamFG, § 120 Rz. 14).

    So ist der nicht zu ersetzende Nachteil nicht zwingend mit der Frage der Leistungsfähigkeit gleichzusetzen. Auch einem Unterhaltsschuldner, der von dem Familiengericht als leistungsfähig beurteilt wird, kann durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil drohen, wenn die Annahme der Leistungsfähigkeit davon abhängt, wie bestimmte Rechtsfragen in erster und in zweiter Instanz beurteilt werden.

    Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die erstinstanzlichen Gerichte rein schematisch die Anträge nach § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG zurückweisen werden, wenn die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet wird, so dass die Vorschrift des § 120 Absatz 2 Satz 2 FamFG in erster Instanz von Bedeutung ist.

    Soweit der Antragsgegner in der Beschwerdeinstanz erstmalig die Einrede der Verwirkung erhebt und Vortrag zu einer zusätzlichen Altersvorsorge und den Unterhaltszahlungen an die Tochter hält, ist nicht ersichtlich, dass er diesen Vortrag nicht bereits in der ersten Instanz hätte vorbringen können.

    Grabowski, Kummer-Sicks, Sermond