OLG Frankfurt vom 02.06.1999 (3 UF 40/99)

Stichworte: Sonderbedarf Mehrbedarf Klassenfahrten Nachhilfestunden
Normenkette:
Orientierungssatz: Die Kosten der Klassenfahrt sind als Sonderbedarf im Sinne des § 1613 II BGB anzusehen, da es sich um einen unregelmäßigen und außergewöhnlich hohen Bedarf handelt Die Verpflichtung des Beklagten zur Mittragung der Nachhilfekosten ist rechtlich unter dem Gesichtspunkt des Mehrbedarfs und nicht des Sonderbedarfs i. S. von § 1613 II BGB zu beurteilen, denn diese Kosten waren kein unregelmäßiger und außergewöhnlich hoher Bedarf, der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftrat.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht Ostermöller als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.4.1999 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Frankfurt am Main vom 16.12.1998 teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:

.......

(Von der Wiedergabe des Tenors im übrigen wird hier abgesehen)

Tatbestand

...............

(Von der Wiedergabe des Tatbestands wird hier abgesehen).

Von der weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird unter Bezugnahme auf den Inhalt der vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die Parteien haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt (§ 524 Abs. 4 ZPO).

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Das Berufungsbegehren auf Abweisung der Klage läßt nur hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der anteiligen Kosten für die Klassenfahrt und die Nachhilfestunden sowie zur Zahlung des erhöhten rückständigen und laufenden Unterhalts für die Klägerin zu 2) eine Beschwer erkennen. Die weitergehende Verurteilung zur Zahlung des Kindesunterhalts ist dagegen für den Beklagten nicht nachteilig, da der erstinstanzlich ausgeurteilte Unterhalt unter dem im Prozeßvergleich vom 23.07.1996 festgesetzten Unterhalt liegt und für den Beklagten sogar eine Herabsetzung seiner Unterhaltsleistungen bedeutet.

Die Berufung ist jedoch nur teilweise begründet.

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Abänderungsklage sind angesichts des Alters der Klägerin zu 2), der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beklagten und des Bedarfs des Klägers zu 1) gegeben. Da der abzuändernde Titel ein gerichtlich protokollierter Vergleich ist, gilt die Schranke des § 323 Abs. 3 ZPO nicht.

Für die Zahlung des laufenden Unterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle ist der Beklagte allein barunterhaltspflichtig, insoweit steht seiner Zahlungspflicht die Naturalunterhaltsleistung der Kindesmutter gleichwertig gegenüber (§ 1606 Abs. 3 ZPO).

Auszugehen ist von einem unstreitigen monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von DM 2.969,55. ..Wird ausgeführt...

Damit errechnet sich ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von rund DM 2.795,-.

Weil der Beklagte nur seinen beiden Kindern unterhaltspflichtig ist, würde sich grundsätzlich eine Höherstufung in die nächste Einkommensgruppe rechtfertigen. Da allerdings nur der Beklagte Rechtsmittel eingelegt hat, ist die in dem angefochtenen Urteil für den Beklagten günstige Einstufung in die dritte Einkommensstufe auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß das Einkommen nur geringfügig über dem Grenzbetrag von DM 2.700,- liegt, nicht zu beanstanden.

....Wird ausgeführt....

Neben diesem regelmäßigen Unterhalt ist der Senat ist der Auffassung, daß der Kläger zu 1) auch Zahlung für die Kosten der Klassenfahrt und die Nachhilfestunden verlangen kann.

Die Kosten der Klassenfahrt sind als Sonderbedarf im Sinne des § 1613 II BGB anzusehen, da es sich um einen unregelmäßigen und außergewöhnlich hohen Bedarf handelt. Nach der Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1982, 145, 146; 1983, 29, 30; 1984, 470) ist ein Bedarf unregelmäßig, wenn er nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deshalb als einmaliger, der Höhe nach im vorhinein nicht abschätzbarer Aufwand bei der Bemessung des laufenden Unterhalts nicht berücksichtigt werden konnte.

Der Senat ist der Ansicht, daß allein das Überraschungselement für die Beurteilung der Unregelmäßigkeit des Bedarfs nicht entscheidend ist. Wie auch das OLG Hamburg (FamRZ 1991, 109) bereits ausgeführt hat, kann unregelmäßiger Bedarf überraschend entstehen, er kann sich aber auch schon längere Zeit im voraus ankündigen. Die Reduzierung des Merkmals der Unregelmäßigkeit auf die Vorhersehbarkeit der Kosten mit entsprechender Ansparmöglichkeit überzeugt schon dann nicht, wenn aus dem verfügbaren Einkommen ohnehin keine Rücklagen hätten gebildet werden können bzw. die Ausgabe bei der Bemessung des laufenden Unterhalts nicht berücksichtigt worden ist. Selbst in der mittleren Gruppe der Tabelle ist der Unterhalt nicht so bemessen, daß eine gewisse Rücklagenbildung auch für längerfristig vorhersehbare außergewöhnliche Ausgaben möglich ist, da die Lebenshaltungskosten eines minderjährigen Kindes tatsächlich höher liegen als in der Tabelle angesetzt. Auch ist nicht zu erkennen, daß bei der Bemessung des im Vergleich festgesetzten Unterhalts im Jahre 1996 bereits eine eventuell in Zukunft stattfindende Klassenfahrt einkalkuliert worden ist. Die Kosten der Klassenfahrt sind zudem außergewöhnlich hoch im Sinne des § 1613 II BGB. Sie stellen gemessen an dem Unterhalt des Klägers zu 1) eine unzumutbar belastende Aufwendung dar. Im Verhältnis zu dem monatlichen Unterhalt macht ein Betrag von DM 350,- rund 75 % der zur Verfügung stehenden Mittel aus ( vergleiche zur Problematik Oberlandesgericht Hamm FamRZ 1992, 346; 1993, 996; Oberlandesgericht Karlsruhe FamRZ 1997, 967; Oberlandesgericht Köln NJW 1999, 295).

Die Einwendungen des Beklagten gegen eine Teilnahme des Klägers zu 1) an der Klassenfahrt überzeugen nicht. Klassenfahrten haben einen hohen pädagogischen Wert und dienen der Förderung des sozialen Gefüges innerhalb der Klassengemeinschaft. Der Umstand, daß andere Mitschüler den Kläger zu 1) nicht in einer den Nachhilfeunterricht ersetzenden Weise unterstützen, steht der Teilnahme nicht entgegen. Ein solches Ansinnen an die Solidarität der Mitschüler würde deren Einsatzfähigkeit und Hilfsbereitschaft völlig überfordern.

Der Kläger zu 1) hat den Beklagten im übrigen bereits im Januar 1998 über die bevorstehende Klassenfahrt unterrichtet und zur Übernahme der anteiligen Reisekosten unter Fristsetzung aufgefordert. Der Beklagte konnte seine Unterhaltsverpflichtungen überblicken und auf den Sonderbedarf einstellen.

Die Verpflichtung des Beklagten zur Mittragung der Nachhilfekosten ist rechtlich unter dem Gesichtspunkt des Mehrbedarfs und nicht des Sonderbedarfs i. S. von § 1613 II BGB zu beurteilen, denn diese Kosten waren kein unregelmäßiger und außergewöhnlich hoher Bedarf, der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftrat. Im Gegensatz zu einer Klassenfahrt kündigt sich die Notwendigkeit von Nachhilfeunterricht durch die Entwicklung der schulischen Leistungen allmählich und nicht unerwartet an, worauf dann zunächst ein geeigneter Nachhilfelehrer gesucht wird und mit diesem die entsprechenden Stunden vereinbart werden müssen. Wie die Schulbescheinigung vom 17.9.1998 ausweist, waren die Noten des Klägers zu 1), der bereits die 7. Klasse wiederholen mußte, in drei Fächern ausreichend beziehungsweise mangelhaft, weshalb schon zu diesem frühen Zeitpunkt absehbar war, daß ein Nachhilfeunterricht für das Erreichen des Klassenziels erforderlich war. Der Bedarf war danach nicht überraschend aufgetreten und war der Höhe nach in gewissem Rahmen im voraus abschätzbar (vergleiche zur rechtlichen Behandlung von Nachhilfekosten Oberlandesgericht Düsseldorf, FamRZ 1981, 75 f., Oberlandesgericht Braunschweig FamRZ 1995, 1010; Oberlandesgericht Hamm FamRZ 1991, 857; Oberlandesgericht Köln NJW 1999, 295).

Grundsätzlich müssen Nachhilfekosten in gewissem Umfang aus dem laufenden Unterhalt gedeckt werden, insbesondere wenn sie nur in geringem Umfang oder nur gelegentlich anfallen (Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 4. Aufl., Rz. 267). Etwas anderes gilt allerdings, wenn diese Kosten in einer Höhe entstehen, daß ihre volle Zuweisung zum Tabellenunterhalt zu einer übermäßig starken Verkürzung der Mittel für die übrigen Bedarfspositionen führt. Dies ist anzunehmen, denn eine monatliche Gebühr in Höhe von DM 178,- DM ist angesichts des Tabellenbetrages nicht ohne zusätzliche Leistungen zu bestreiten.

Soweit sich der Beklagte gegen die Auswahl der Nachhilfeeinrichtung wegen der Vertragslaufzeit und des Kostenumfangs wendet, geht dieser Einwand fehl. Es obliegt grundsätzlich der sorgeberechtigten Mutter, die für die Entwicklung des Kindes gebotenen Entscheidungen zu treffen. Soweit diese nicht unsachlich oder willkürlich getroffen werden, hat der Barunterhaltspflichtige dies hinzunehmen.

Da es sich nicht um Sonderbedarf gemäß § 1613 II BGB, sondern um Mehrbedarfsunterhalt handelt, kann er nur ab Verzug verlangt werden; dieser ist aufgrund des Mahnschreibens im September 1998 eingetreten. Da sich die Leistungen des Klägers zu 1) nach dem Vortrag der Kindesmutter in der mündlichen Verhandlung inzwischen deutlich stabilisiert haben, endet die Kostenbeteiligung mit dem nächsten möglichen Ablauf des Vertrages zum September 1999.

Für die Erörterung der Frage, in welchem Umfang der Beklagte sich an den Kosten der Klassenfahrt und der Nachhilfestunden beteiligen muß, ist davon auszugehen, daß er insoweit nur noch begrenzt leistungsfähig ist. Nach Abzug des bis Juni 1998 geschuldeten monatlichen Unterhalts verbleiben ihm für eine Beteiligung an den Kosten der Klassenfahrt im Mai 1998 nur monatlich DM 1.700,- (bereinigtes Einkommen in Höhe von DM 2.795,- abzüglich Kindesunterhalt in Höhe von DM 615,- und DM 480,-). Auch für eine Beteiligung an den Kosten des Nachhilfeunterrichts von September 1998 bis September 1999 verbleiben ihm nur mtl. rund DM 1.740,- (bereinigtes Einkommen in Höhe von DM 2.795,- abzüglich Kindesunterhalt in Höhe von DM 573,- und DM 484,-)

Wegen dieser beengten wirtschaftlichen Verhältnisse teilt der Senat die Auffassung, daß sich die ebenfalls berufstätige Kindesmutter an diesen Kosten anteilig beteiligen muß und insoweit nicht mehr von dem Regelfall des § 1606 Abs. 3 BGB ausgegangen werden kann. (vergleiche zur Problematik Oberlandesgericht Hamm FamRZ 1992, 346; Oberlandesgericht Zweibrücken FamRZ 1994, 770; Oberlandesgericht Köln NJW 1999, 295, Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil zu 3 UF 340/95). Ausgehend von ihren Darstellungen zu ihrem Einkommen sind im Monat durchschnittlich rund 1.990,- DM anzusetzen. Als Werbungskosten kann auch sie nur die Fahrtkosten für ein öffentliches Verkehrsmittel absetzen. In der Preisstufe 3 des RMV-Tarifs sind dies für die Jahreskarte 1.075,00 DM, das sind monatlich rund 90,- DM. Ferner sind die durch die neben der Berufstätigkeit auszuübende Kindesbetreuung entstehenden Mehrbelastungen angemessen zu berücksichtigen, die der Senat mit 100,- DM schätzt (§ 287 ZPO), so daß ein bereinigtes Einkommen in Höhe von 1.800,- DM anzusetzen ist. Die Kostenbeteiligung der Eltern richtet sich nach dem Verhältnis ihrer den notwendigen Selbstbehalt von 1.500,- DM übersteigenden Einkünfte, so daß auf den Beklagten zwei Fünftel und auf die Kindesmutter drei Fünftel der Kosten entfallen.

Eigenes Einkommen des Klägers zu 1) hat demgegenüber sowohl bei der Ermittlung des regelmäßigen Unterhalts nach der Düsseldorfer Tabelle als auch bei der Verpflichtung zur Zahlung des Sonder- und Mehrbedarfs außer Betracht zu bleiben. Studenten und Schüler trifft grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit (BGH FamRZ 1995, 475). Eigene Einkünfte unterliegen deshalb bis zur Deckung des vollen Unterhalts keiner Anrechnung, im übrigen kann eine Anrechnung allenfalls nach Billigkeit erfolgen ( arg § 1577 Abs. 2 BGB). Angesichts des geringen Kindesunterhalts, der zur Deckung der gesamten Lebensbedürfnisse des Klägers zu 1) nicht ausreicht, besteht keine Veranlassung, aus Billigkeitsgründen die geringen Einnahmen aus seiner wöchentlichen überobligatorischen Teilzeittätigkeit anzurechnen. Sie verbleiben ihm zur Deckung der sonstigen altersgemäßen Bedürfnisse als Taschengeld.

Damit errechnet sich für den Beklagten eine Zahlung von DM 140,- als Anteil am Sonderbedarf der Klassenfahrt und eine Zahlung von DM 89,20 für September 1998 und ab Oktober 1998 monatlich DM 71,20 als Anteil an dem Mehrbedarf durch die Nachhilfestunden.

Die bezüglich der Kosten der Klassenfahrt geltend gemachten Zinsen in Höhe von 4 % ab Rechtshängigkeit sind nach § 291 ZPO gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 I, 100 ZPO und entspricht in ihrer Quotelung dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Parteien. Hierbei war zu berücksichtigen, daß die Berufung nur zu einem geringen Teil gegenüber der Forderung des Klägers zu 1) zum Erfolg führte, während das Rechtsmittel gegenüber der Klägerin zu 2) erfolglos blieb.

Auch über die Kosten der ersten Instanz war zu befinden (wird ausgeführt)

Ostermöller