OLG Frankfurt vom 06.05.2010 (3 UF 350/08)

Stichworte: Sorgerecht; Aufenthaltsbestimmungsrecht; Entzug des Sorgerechts oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts; Auflagen;
Normenkette: BGB 1666, 1666a
Orientierungssatz:
  • Die mangelnde Erziehungsfähigkeit eines Elternteils kann durch die Verhaltensauffälligkeit eines Kindes und dessen Neigung zu Aggressivität und zu extremen Wutanfällen indiziert sein.
  • Bedeutung der Aufrechterhaltung einer höchst problematischen Beziehung zu einem Partner, bei dem nicht ausgeräumter Verdacht der Kindesmisshandlung besteht, für die Frage der Erziehungseignung
  • Anordnung der Fortsetzung einer bereits begonnenen Psychotherapie für das Kind entsprechend den Empfehlungen des Jugendamtes
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache betreffend die minderjährigen Kinder...

    ...

    Verfahrenspflegerin ...

    an der beteiligt sind:

    1. A. N.

    Antragstellerin und Beschwerdeführerin,

    Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt S

    Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte K

    2. Kreisjugendamt G

    Antragsgegner und Beschwerdegegner,

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die befristeten Beschwerden der Antragstellerin vom 24.11.2008, des Jugendamtes vom 26.11.2008 und der Verfahrenspflegerin vom 10.12.2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Groß-Gerau vom 04.11.2008 am 06.05.2010 beschlossen:

    Auf die Beschwerden des Jugendamtes und der Verfahrenspflegerin wird der angefochtene Beschluss teilweise abgeändert:

    Bezüglich Al wird der Kindesmutter die Auflage erteilt, die bereits begonnene Psychotherapie bis zu dem Zeitpunkt fortzusetzen, den das Jugendamt - in Abstimmung mit dem jeweiligen Therapeuten - als erforderlich ansieht.

    Das Recht der Antragstellerin zum Umgang mit ihrem Sohn X wird dahin abgeändert, dass der Kontakt einmal im Monat, und zwar jeweils am ersten Samstag im Monat von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr stattfindet. Die Antragstellerin hat sich bei der Gestaltung des Umgangs nach den Weisungen des Jugendamtes zu richten, das berechtigt ist, den Rahmen - z.B. Besuch eines bestimmten Spielplatzes oder sonstigen Ausflugsortes - vorzugeben. An dem Umgang ist lediglich - außer der Antragstellerin und X - Al zu beteiligen. Sollte der Umgang aus zwingenden Gründen nicht wie vorgesehen stattfinden können, so ist er jeweils am darauf folgenden Samstag nach Maßgabe der oben getroffenen Bestimmungen nachzuholen.

    Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 13a Abs.1 S.1 FGG).

    Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (§ 131 Abs.3 KostO).

    Beschwerdewert: 6 000 EUR (§§ 94 Abs.2, 30 Abs.2,S.2 KostO)

    Gründe:

    Im vorliegenden Beschwerdeverfahren streiten die Beteiligten in erster Linie um die elterliche Sorge, hilfsweise um das Umgangsrecht der Antragstellerin bezüglich des im Rubrum genannten Kindes X, geb. am 21.01.2005. Außerdem geht es um die Bestimmung von familiengerichtlichen Maßnahmen, welche die Antragstellerin nach Auffassung des Jugendamts und der Verfahrenspflegerin bezüglich ihrer Tochter Al, geb. am 25.05.2001, beachten sollte.

    Der Einleitung des Verfahrens liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

    In den Jahren 2005 und 2006 gingen bereits beim Jugendamt anonyme Gefährdungsmeldungen ein, wonach bei X Verletzungen festgestellt worden seien, die auf Misshandlungen hindeuten ließen. Diese Vorwürfe ließen sich jedoch nicht verifizieren.

    Im Januar 2007 fanden zwei Erziehungsberatungsgespräche beim Jugendamt statt. Danach lehnte die Kindesmutter die Fortführung solcher Gespräche ab (Blatt 9 der Sorgerechtsakte)

    Im Mai 2007 hatte X ein Hämatom am Penis. Die Kinderärztin vertrat damals die Auffassung, dass man keine Misshandlungen feststellen könne (Blatt 3 der Sorgerechtsakte). Allerdings empfahl sie der Antragstellerin, sich vom Jugendamt beraten zu lassen. Diese hatte eingeräumt, mit der Erziehung der Kinder manchmal überfordert zu sein (Bl. 3 der Sorgerechts-Akte). Allerdings hatte sie gleichzeitig betont, dass die häufigen Verletzungen von X auf dessen Ungeschicklichkeit zurückzuführen seien.

    Am 14.04.2008 kam es zu dem Vorfall, welcher zum Auslöser für das vorliegende Verfahren wurde: In der Kindertagesstätte wurden bei X Verletzungen entdeckt. Er wurde noch am Mittag desselben Tages von der medizinischen Sachverständigen Dr. N untersucht. Diese stellte u.a. punktförmige rötliche Einblutungen in der gesamten Gesichtshaut und "unzählige petechiale Einblutungen in der Nackenhaut, disseminiert verteilt, sowie deutlich auch in der Haut der Halsvorderseite und den seitlichen Halsregionen, mit Übergang auf die obere Brustregion" und außerdem "schmalstreifige rötliche Hauteinblutungen" am Hals fest (Bl. 26 der SoR-Akte). Die Sachverständige zog daraus in ihrem Gutachten den Schluss, dass keine vernünftigen Zweifel daran bestünden, dass die Einblutungen auf eine Gewalteinwirkung von dritter Hand zurückzuführen seien.

    Die Polizei wurde verständigt und der Lebensgefährte der Antragstellerin wurde wegen des Verdachts der Kindesmisshandlung festgenommen. Er musste mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringen. Im Rahmen des Strafverfahrens wurden noch zwei weitere medizinische Sachverständigengutachten von Prof. Dr. B (Bl. 154 der SoR-Akte) und von Prof. Dr. D (Bl. 263ff der HK-Akte) eingeholt, die sich insbesondere mit der Frage der Nachweisbarkeit einer vorsätzlichen Körperverletzung und der Lebensgefahr für X befassten. Die Sachverständigen kamen gleichfalls zu dem Ergebnis, dass eine massive Thorax/Rumpf-Kompression, möglicher Weise kombiniert mit einer zusätzlichen Halskompression, stattgefunden haben müsse. Bezüglich der zwingenden Ursachen haben sie sich allerdings nicht festgelegt sondern eine umfassende Beweiswürdigung - unter Einbeziehung des medizinischen Befundes - als erforderlich angesehen.

    Am 15.04.2008 fand ein Krisengespräch zwischen Jugendamt und Kindesmutter statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kindesmutter ein "blaues Auge", das sie damit begründete, dass sie sich selbst gestoßen habe.

    Mit Datum vom 30.04.2008 erstattete die Verfahrenspflegerin ihren ersten Bericht (Blatt 33ff der Sorgerechtsakte). Dort heißt es u. a., die Kindesmutter habe gesagt, dass sie sich von ihrem Lebensgefährten getrennt habe. Er habe sie belogen und betrogen. Irgendwelche Internet- Geschichten seien gelaufen. Eine Erklärung für die am 14.04.2008 festgestellte Verletzung von X habe sie nicht anführen können.

    Am 2.5. 2008 besuchte die Verfahrenspflegerin die Kinder, die sich inzwischen bei einer Pflegefamilie befanden. Die Pflegemutter berichtete von heftigen Wutanfällen von X. Sie habe der Verfahrenspflegerin auch erzählt, dass X gesagt habe, sein Papa habe ihm "Aua" gemacht. Das Kind habe weiter gesagt, dass sein Papa nicht in seinem Bett schlafen solle. Er möge ihn nicht. Sein Papa habe ihm ganz viel "Aua" gemacht und sei ganz böse. Der Tod sei ein großes Thema im Spiel von X. Alle würden tot geschossen.

    Am 07.05.2008 fand die erste mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht statt. Am Ende der Sitzung hat das Familiengericht mehrere Beschlüsse verkündet, und zwar hat es den Antrag des Jugendamtes auf Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für Al zurückgewiesen und die Herausgabe des Kindes an die Kindesmutter angeordnet. Es hat ihr allerdings untersagt, ihren früheren Lebensgefährten in Gegenwart ihrer Tochter in die Wohnung zu lassen oder ihn in Gegenwart ihrer Tochter zu treffen. Bezüglich X wurde der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge sowie das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig entzogen.

    Mit Datum vom 05.08.2008 (Blatt 43 der Umgangsrechtsakte) hat der Sachverständige Dr. M sein Gutachten zu der Frage der Sorgerechtsübertragung erstattet. Er empfahl, dass Al bei ihrer Mutter - trotz deren eingeschränkter Erziehungsfähigkeit - bleiben solle und dass dieser das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu belassen sei. Dagegen hielt er es bei X für erforderlich, der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. X weise erhebliche Verhaltensauffälligkeiten und eine reaktive Bindungsstörung auf. Solchen Kindern müssten konstante Bezugspersonen zur Verfügung gestellt werden. Soweit dies in der Herkunftsfamilie nicht in dem erforderlichen Maße möglich sei, sei die Herstellung eines bindungsstabilen, entwicklungsfördernden Milieus in einer Pflegefamilie oder einer stationären Jugendhilfe erforderlich. Wegen der beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten von X und der eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter sei es zweckmäßig, X in einer Pflegefamilie mit professionellem Hintergrund unterzubringen. Außerdem sei ein unbegleiteter Umgang der Kindesmutter einmal pro Woche in der Bereitschaftspflegefamilie zu ermöglichen, der zunächst auf zwei Stunden zu begrenzen sei. Der Kindesmutter wurde zudem eine Psychotherapie zur Bearbeitung ihrer eigenen belastenden Vergangenheit empfohlen.

    Am 27.08.2008 hat das Amtsgericht eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt und die Zeuginnen W vernommen. Danach soll die Kindesmutter gegenüber den Zeuginnen zugegeben haben, dass ihr am 15.04.2008 vorhandenes "blaues Auge" durch eine von Seiten ihres Lebensgefährten vorgenommene Misshandlung verursacht worden sei.

    Am 04.11.2008 fand eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht statt, die mit dem angefochtenen Beschluss abgeschlossen wurde. Danach wurde die elterliche Sorge für Al insgesamt bei der Kindesmutter belassen und das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, für X auf das Jugendamt übertragen. Außerdem wurde das Umgangsrecht der Kindesmutter dahin geregelt, dass diese einmal wöchentlich für die Dauer von zwei Stunden (Samstag von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr) Umgang mit X haben dürfe.

    Am 21.12.2008 kam X zu der Pflegefamilie, bei der er sich jetzt noch befindet.

    Mit Datum vom 13.03. 2009 hat der Senat die Einholung eines weiteren kinderpsychologischen Gutachtens, zu erstatten von der Sachverständigen Dr. K, angeordnet.

    Im Jahr 2009 kam es immer wieder zu Unstimmigkeiten bezüglich des Umgangsrechts der Kindesmutter mit X. Das Jugendamt ist der Auffassung, die Antragstellerin erschwere die Situation dadurch, dass sie dem Kind in Aussicht stelle, dass es bald wieder zu ihr zurückkommen könne.

    Mit Datum vom 17.06.2009 hat das Jugendamt beim Amtsgericht beantragt, die bestehende Umgangsregelung auszusetzen (Blatt 434 der HK-Akte). Es wurde auch ein entsprechender Hauptsacheantrag gestellt (Blatt 450 der HK-Akte). Mit Schreiben vom 20.07. 2009 hat das Jugendamt mitgeteilt, dass es zu einer Vereinbarung hinsichtlich des Umgangsrechtes der Kindesmutter dahin gekommen sei, dass diese ihren Sohn alle drei Wochen für zwei Stunden sehen könne (Blatt 452 der HK Akte).

    Mit Datum vom 27.10.2009 hat die Sachverständige Dr. K ihr Gutachten erstattet. Sie sieht die Kindesmutter ebenfalls als nur eingeschränkt erziehungsfähig an. Sie meint allerdings, dass die elterliche Sorge bezüglich Al bei ihr belassen werden könne. Bei Al trete der Förderbedarf nicht so massiv auf und ihm könne man auch voraussichtlich mit Unterstützung der Familienhelferinnen gerecht werden. Unter Abwägung der negativen Folgen einer Fremdplatzierung und der Bindung zu ihrer Mutter sei der Verbleib des Mädchens bei der Mutter eher als geeignete Lösung zu erachten.

    Bezüglich X sieht die Sachverständige - auch auf dem Hintergrund des verbleibenden Risikos bezüglich der jeweiligen Urheber der zahlreichen Verletzungen von X - und unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Erziehungskompetenzeinschränkung der Kindesmutter die Gefahr einer erheblichen Fehlentwicklung des Kindes und einer Kindeswohlgefährdung als gegeben an. Sie empfiehlt deswegen gleichfalls, der Kindesmutter die elterliche Sorge für X zu entziehen.

    Die Kindesmutter behauptet, die Verletzungen von X seien nicht in ihrem Umfeld erfolgt. Insbesondere traue sie auch ihrem Lebensgefährten solche Verletzungshandlungen nicht zu. Sie hält es für möglich, dass die im Kindergarten festgestellten Verletzungen auch dort verursacht worden seien. Sie sei ansonsten bereit, Hilfen in Anspruch zu nehmen, was bezüglich Al schon seit längerer Zeit geschehe. Im Übrigen sei X ein besonders tollpatschiges Kind und habe deswegen immer wieder diverse Verletzungen aufgewiesen.

    Sie meint, sie sei - jedenfalls mit unterstützenden Maßnahmen der Familienhilfe - in der Lage, die elterliche Sorge für beide Kinder auszuüben und auch X wieder zu betreuen.

    Sie hat deswegen gegen den o.g. Beschluss des Amtsgerichts vom 04.11.2008 befristete Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, dass sie wieder die alleinige elterliche Sorge für X ausüben kann. Hilfsweise strebt sie die Erweiterung ihres Umgangsrechts an.

    Die Verfahrenspflegerin hat ebenfalls Rechtsmittel eingelegt. Sie will die Einschränkung der Besuche und Festlegung familiengerichtlicher Maßnahmen für Al erreichen.

    Auch das Jugendamt hat Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegt, mit der es vor allem eine Reduzierung des Umgangsrechts der Kindesmutter auf einmal im Monat und außerdem erreichen will, dass die Antragstellerin zur Fortsetzung der Psychotherapie von Al verpflichtet wird.

    Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 621e BGB, 517 ZPO).

    In der Sache hat das Rechtsmittel der Antragstellerin - u.a. aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, auf die Bezug genommen wird - keinen Erfolg. Auch das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Entscheidung. Das körperliche und geistige Wohl von X wäre schwerwiegend gefährdet, wenn die Kindesmutter das Sorgerecht in naher Zukunft ausüben könnte. Das folgt aus einer zusammenfassenden Würdigung des Vortrags der Antragstellerin, der Berichte des Jugendamtes, der Sachverständigengutachten, der Stellungnahmen der Verfahrenspflegerin und aus dem sonstigen Akteninhalt. Die Beschwerdeführerin hat in der Zeit des Zusammenlebens mit ihrem Sohn bei der Wahrnehmung ihrer elterlichen Pflichten versagt (§ 1666 Abs. 1 BGB) und ist deswegen zurzeit als nicht geeignet anzusehen, X zu betreuen.

    Die Sachverständigen Dr. M und Dr. K haben übereinstimmend bei der Kindesmutter eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit festgestellt und es als nicht ausreichend in Bezug auf X angesehen, im Rahmen von Erziehungshilfe auf die Kindesmutter einzuwirken und sie im übrigen das Kind weiter betreuen zu lassen. Die mangelnde Erziehungsfähigkeit der Mutter werde insbesondere durch die Verhaltensauffälligkeit ihres Sohnes und dessen Neigung zu Aggressivität und extremen Wutanfällen bestätigt. So haben die Pflegeeltern bei ihrer Anhörung berichtet, dass immer noch heftige Zornesausbrüche des Kindes vorkämen, wenn sie auch inzwischen seltener wären sich aber insbesondere nach Kontakten mit der Antragstellerin ereigneten. Die Sachverständige hat ihre bereits im schriftlichen Gutachten vorgenommene Empfehlung bei ihrer Anhörung durch den Senat am 20.04.2010 bestätigt. Sie hat erklärt, dass X große Probleme in sich trage, von großer Unruhe geprägt sei und dass immer wieder Impulsdurchbrüche bei ihm aufträten. Teilweise seien diese Eigenschaften und Besonderheiten möglicher Weise auch auf eine schwierige Veranlagung zurückzuführen. Jedoch führten sein Verhalten und seine Wesensart zu einem erhöhten Förder- und Therapiebedarf, was die Kindesmutter nicht leisten könne. X habe große Schwierigkeiten, Vertrauen und Bindungen zuzulassen. Diese gravierende und die Entwicklung des Kindes in vielfältiger Beziehung beeinträchtigende Störung müsse jedenfalls in erheblichem Umfang auf das Erziehungsverhalten der Kindesmutter und auf das von ihr in der Zeit von 2005 - 2008 für X geschaffene Umfeld zurückgeführt werden. Das folge aus allgemein anerkannten Ergebnissen der kinderpsychologischen Forschung, wonach die unverzichtbare Basis für die Fähigkeit des Menschen, Bindungen einzugehen, während der ersten beiden Lebensjahre entwickelt werde.

    Schon wegen der genannten schwerwiegenden Störungen von X und wegen der eingeschränkten Erziehungskompetenz der Antragstellerin sei von einer erheblichen Gefährdung des Wohls von X auszugehen, wenn dieser in naher Zukunft in den Haushalt seiner Mutter zurückkehren und von dieser betreut würde.

    Die Kindeswohlgefährdung erhöht sich nach Auffassung der Sachverständigen noch durch die ungeklärten Gewaltfragen.

    Gerade in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass wichtige Indizien vorhanden sind, die dafür sprechen, dass die im April 2008 am Körper des Jungen festgestellten Verletzungen vom Lebensgefährten der Mutter, Herrn B, stammen (wenn man unterstellt, dass nicht die Mutter selbst Täterin war, wofür es keine Anhaltspunkte gibt). Herr B hat sich in den Jahren von 2005 bis 2008 oft in der Wohnung der Antragstellerin aufgehalten und eine so wichtige Rolle für die Kinder gespielt, dass diese ihn mit "Papa" angeredet haben. X hat während dieses Zeitraums wiederholt kleinere und größere Verletzungen aufgewiesen. Diese sind teilweise unstreitig und teilweise wurden sie durch die Zeuginnen W übereinstimmend bekundet (Sitzung vom Sinn 20.08.2008, Blatt 189 der Akten) und zudem vom Kindergarten bestätigt (Blatt 92 der Sorgerechtsakte). X hat auch gegenüber der ersten Pflegemutter öfters erklärt, dass der Papa "Aua gemacht" und die Mutter ihm am Hals weh getan habe (Bl.92 der SoR-Akte). Herr B war es auch, der den Jungen zum Kindergarten gebracht hat, wo die Verletzungen erstmals entdeckt wurden. Es kommt hinzu, dass die Mutter selbst am 14.4.2008 ein blaues Auge gehabt hat, was für die Einwirkung von Gewalt auch gegen ihre Person spricht. Nach den Aussagen der Zeuginnen W hat sie diesen gegenüber zugegeben, dass der Lebensgefährte B ihr diese Verletzung zugefügt habe. Das jetzige Bestreiten einer Misshandlung durch die Kindesmutter ist wenig überzeugend. Die von ihr gegebene Erklärung ist nicht nachvollziehbar. Sie behauptet, sie sei mit dem Auge an den Rand eines Waschbeckens gestoßen, als sie im Keller versucht habe, den Hauptwasserhahn abzudrehen. Dies sei erforderlich geworden, weil X ein Waschbecken im Obergeschoss verstopft habe. Warum sie aber unter diesen Umständen nicht einfach den Wasserhahn über dem verstopften Beckens abgedreht hat, ist nicht verständlich. Es ist zudem nicht ersichtlich, warum sich beide Zeuginnen W der Gefahr einer Strafverfolgung wegen falscher Aussagen aussetzen sollen, obwohl nicht erkennbar ist, welche Vorteile ihnen durch eine solche falsche Bekundung entstünden. Die Auffassung der Kindesmutter, die Zeuginnen W hätten lediglich beabsichtigt, ihren Lebensgefährten schlecht zu machen, überzeugt nicht. Ein solcher Wunsch dürfte in der Regel nicht dazu ausreichen, das Risiko der Bestrafung wegen eines Aussagedeliktes einzugehen.

    Soweit die Antragstellerin behauptet, X sei ein sehr ungeschicktes Kind und habe sich oft schon selbst - insbesondere auch im Kindergarten - verletzt, führt das nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Pflegemutter hat im Rahmen ihrer Anhörung diese Äußerung nicht bestätigt. X weise keineswegs ungewöhnlich viele blaue Flecken, Schürf- oder andere Wunden auf. Es komme zwar vor, dass er sich weh tue aber keineswegs sei das ungewöhnlich oft. X bewege sich viel und gern und weise dabei eher Geschicklichkeit auf.

    Die Auffassung der Antragstellerin, die Verletzung müsse im Kindergarten - vielleicht bei der Beschäftigung mit einem Pferdegeschirrspielzeug - passiert sein, könnte zwar denktheoretisch zutreffen; sie widerspricht jedoch jeglicher Lebenserfahrung. Bei professionellen Kinderbetreuungsstätten ist in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle davon auszugehen, dass derartig gefährliches Spielzeug - schon auf Grund von Kontrollen, Richtlinien und der Ausbildung der Erzieherinnen - nicht vorhanden ist. Dass eine der Mitarbeiterinnen sogar vorsätzlich die bei X festgestellten petechialen Einblutungen durch heftige Kompression verursacht haben könnte, ist noch unwahrscheinlicher. Es ist praktisch als ausgeschlossen anzusehen, dass dies bei der Vielzahl der Menschen in einer solchen Einrichtung unentdeckt bliebe. Zudem ist eine solche Wut und unbeherrschte Aggressivität, die für die Herbeiführung der festgestellten Verletzungen erforderlich gewesen wäre, bei einer Erzieherin kaum vorstellbar. Eine solche Veranlagung zu Jähzorn wäre für eine Person, die in einer Kinderbetreuungseinrichtung beschäftigt ist, mehr als ungewöhnlich und würde auch relativ schnell auffallen. Soweit die Kindesmutter meint, mit der Vernehmung einer damals im Kindergarten beschäftigten Zeugin beweisen zu können, dass X morgens noch unverletzt in den Hort gekommen sei, überzeugt auch das nicht, weil mehrfach bekundet worden ist, dass die petechialen Einblutungen im Gesicht relativ unauffällig waren und die Petechien am Körper Xs von den Erzieherinnen erst beim Wickeln entdeckt wurden.

    Selbst wenn die gravierenden belastenden Indizien nicht für eine strafrechtliche Verurteilung des Lebensgefährten ausreichen sollten, so hätten sie dennoch genügend Anlass für eine verantwortungsbewusst denkende Kindesmutter sein müssen, ihre Beziehung zu überdenken und bis zu einer weiteren Klärung keine Begegnungen der Kinder mit Herrn B zu riskieren. Stattdessen lebt dieser inzwischen wieder im Wesentlichen bei der Antragstellerin. Al hat dazu bei ihrer Anhörung gesagt, er "wohne mit ihnen zusammen" und sie rede ihn (weiter) mit "Papa" an. Die Kindesmutter hat es auch - trotz des laufenden Verfahrens - nicht als erforderlich angesehen, sich an die ausdrückliche gerichtliche Weisung im Beschluss vom 07.05.2008 (Bl. 15 der HK-Akte) zu halten, wonach es ihr untersagt war, Herrn B in die Wohnung zu lassen und in Gegenwart von Al zu treffen. In einem Fall hat sie sogar ein Treffen von X mit ihrem Lebensgefährten zugelassen. Nicht einmal der von diesem begangene schwerwiegende Vertrauensbruch, der darin bestand, dass er ihr jahrelang verschwiegen hatte, dass er mit einer anderen Frau verheiratet ist und mit dieser auch eine Tochter hat, konnte ein angemessenes Misstrauen ihrerseits begründen. Dieses Verhalten lässt vermuten, dass die Antragstellerin nicht in der Lage oder auch nicht willens ist, ihre eigenen Interessen zurückzustellen, dem Wohl ihrer Kinder Vorrang einzuräumen und jegliche Gefährdung - sei sie physisch oder psychisch - so weit wie möglich zu vermeiden. Es ist zu befürchten, dass ihr eigenes Wunschdenken und ihr Bedürfnis nach einer Partnerschaft verhindern, dass sie Realitäten wahrnehmen und Gefahren für ihre Kinder im erforderlichen Maße verhindern kann.

    Sie hat darüber hinaus durch die Gestaltung des Umgangs mit X gezeigt, dass sie nur sehr eingeschränkt fähig ist, die Belange des Kindes zu erkennen und bestmöglich unter den gegebenen Umständen zu wahren. So hat sie X in der kurzen Zeit der Besuche immer noch mit zahlreichen anderen Personen konfrontiert und dem Kind so nicht die Gelegenheit gegeben, die Begegnung mit ihr zu genießen. Sie hat ihm das Herz schwer gemacht, indem sie - aus falsch verstandener Mutterliebe - immer wieder ihre Absicht deutlich gemacht hat, dass sie ihn bald zu sich zurückholen werde. Sie hat damit das Kind, das sich in seiner neuen Umgebung zurechtfinden muss, ständig neuen emotionalen Zerreißproben ausgesetzt.

    Einer Rückübertragung der entzogenen Teile der elterlichen Sorge steht letztlich noch entgegen, dass es für X nach den von ihm bereits gemachten traumatischen Erfahrungen verheerend wäre, wenn er einen erneuten Beziehungsabbruch - diesmal zu seinen Pflegeeltern, die einen überaus kompetenten und hoch engagierten Eindruck machen - hinnehmen müsste. Damit würde gegen den grundsätzlich zu wahrenden Kontinuitätsgrundsatz in gravierender Weise verstoßen. Es kann als sicher angesehen werden, dass die Kindesmutter, deren Erziehungskompetenz sowie so nach dem Ergebnis beider Gutachten als eingeschränkt anzusehen ist, auch nicht annähernd in der Lage wäre, die sich hieraus ergebenden zusätzlichen belastenden Konsequenzen aufzufangen.

    Aus den obigen Ausführungen folgt bereits, dass die Gefahren für eine gesunde körperliche und seelische Entwicklung von X, die bei einer Weiterbetreuung durch die Kindesmutter entstünden, nicht durch andere Maßnahmen i.S.d. § 1666a Abs.1 BGB , insbesondere auch nicht durch Familienhilfe, abgewendet werden können. Die Beschwerdeführerin ist - nach den Ausführungen in beiden Gutachten - nicht fähig zur Selbstkritik und neigt deswegen dazu, die Schuld für negative Erscheinungen nicht bei sich bzw. ihrem Freund zu suchen. Deswegen erscheint es als undenkbar, die Sicherheit von X durch Eingriffe zu gewährleisten, die unterhalb der Schwelle des Entzugs von wesentlichen Teilen des Sorgerechts liegen. Das gilt, obwohl das Amtsgericht, das Jugendamt und die Sachverständigen die Kindesmutter als hinreichend geeignet angesehen haben, für ihre Tochter in Zukunft weiter - wenn auch mit externer Unterstützung - die elterliche Sorge auszuüben. Dazu hat die Sachverständige ausgeführt, dass dies kein Widerspruch sei. Al sei - auf Grund ihrer Wesensart, ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer bisherigen Entwicklung - bei weitem nicht so gefährdet wie X. Bei ihr sei davon auszugehen, dass die Schäden, die durch die Trennung von der Mutter verursacht werden könnten, schwerer wiegen würden als die Gefahren, die durch die Aufrechterhaltung der jetzigen Situation verursacht werden könnten.

    Die von der Kindesmutter bisher vorgenommene Gestaltung ihrer Treffen mit X führt dazu, dass der angefochtene Beschluss bezüglich ihres Umgangsrechts abzuändern und dieses vorerst auf einmal im Monat zu beschränken ist. Es drängt sich auf, dass zurzeit für den sowie so schon hoch belasteten X Kontakte mit der Mutter kaum zu verkraften sind, wenn diese nicht verbergen kann, dass für sie der Aufenthalt ihres Sohnes bei "fremden" Leuten nicht akzeptabel und eigentlich unerträglich ist. Das spiegelt sich auch im Verhalten von X nach dem Umgang wider. So war er nach dem letzten Treffen überaus aggressiv und bewarf den Schwiegervater der Pflegemutter mit einem Stein. Unter diesen Umständen erscheint es als angemessen, zunächst lediglich einen vierstündigen Kontakt im Monat zuzulassen, bei dem nur die Mutter und Al zugegen sein dürfen. Auf diese Weise können sich die drei besser aufeinander konzentrieren und die Treffen eher und unbefangener genießen, als wenn noch andere Personen - im Zweifel als Zeugen und zur Kontrolle - dabei sind. Soweit das Jugendamt einen bestimmten Rahmen für das Umgangsrecht festlegt, hat sich die Kindesmutter danach - jedenfalls in der nächsten Zeit - zu richten.

    Die Auflage bezüglich Al war auf Antrag von Jugendamt und Verfahrenspflegerin zu verhängen, um zum Wohle des Mädchens zu gewährleisten, dass die bereits begonnene Therapie fortgesetzt wird. Das erscheint auf Grund der Vorfälle der letzten zwei Jahre und wegen der eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter als erforderlich.

    Grabowski Reitzmann Menz