OLG Frankfurt vom 18.11.2009 (3 UF 272/09)

Stichworte: Zustellung, gemeinsamer Briefkasten Ersatzzustellung, gemeinsamer Briefkasten Anhörung, Sorgerecht Sorgerecht, Anhörung
Normenkette: ZPO 178 Abs. 2, 180 FGG 50b Abs. 3
Orientierungssatz:
  • Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstücks in den Briefkasten ist in entsprechender Anwendung von § 178 Abs. 2 ZPO dann unwirksam, wenn der Briefkasten vom Zustellungsempfänger und dem Verfahrensbeteiligten gemeinsam genutzt wird.
  • Auch bei einer (vermeintlich) einvernehmlichen Sorgerechtsübertragung ist die persönliche Anhörung der Eltern stets erforderlich.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die befristete Beschwerde des Antragsgegners vom 18.08.2009 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 30.03.2009 am 18.11.2009 beschlossen :

    Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

    Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht - Familiengericht - Hanau zurückverwiesen.

    Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

    Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

    Gründe:

    Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die nicht verheirateten Eltern der beiden Kinder x, geboren 1999 und y, geboren 2003. Für beide Kinder wurden unter dem 15.10.2003 gemeinsame Sorgeerklärungen abgegeben.

    Im amtsgerichtlichen Verfahren hat die Kindesmutter vorgetragen, dass sich die Beteiligten zu 1. und 2. im Jahre 2000 getrennt hätten. Die Kindesmutter wolle nunmehr im Einverständnis mit dem Kindesvater sich die elterliche Sorge übertragen lassen, da der im Transportwesen berufstätige Kindesvater wegen häufiger Abwesenheiten nicht immer erreichbar sei. Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 25.02.2009 wurde der Sorgeantrag dem Kindesvater unter der Anschrift L. zugestellt. Mit Fax und im Original datiert auf den gleichen Tag wurde ein mit dem Schriftzug des Kindesvaters unterzeichnetes Schreiben bei Gericht eingereicht, wonach er der Übertragung des Sorgerechts zustimme. Nach dem Bericht des Jugendamtes vom 19.03.2009 habe sich der Kindesvater bei einem gemeinsamen Gespräch im Jugendamt mit der Übertragung der elterlichen Sorge einverstanden erklärt.

    Mit Beschluss vom 30.03.2009 hat das Amtsgericht ohne Anhörung der Eltern und der Kinder die elterliche Sorge auf die Kindesmutter übertragen.

    Ausweislich der Zustellungsurkunde vom 15.04.2009, Bl. 24 d. A., wurde der Beschluss in den zur Wohnung des Kindesvaters gehörenden Briefkasten eingelegt.

    Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Kindesvaters. Dieser macht geltend, dass er erst Ende Juli nach einer Vorsprache beim Jugendamt von dem Beschluss des Amtsgerichts und von dem gerichtlichen Verfahren Kenntnis erlangt habe. Er habe bis Ende Mai mit der Kindesmutter in L. zusammengelebt. Er selbst habe keine Post vom Amtsgericht erhalten. Diese sei vermutlich von der Kindesmutter abgefangen worden. Die zur Akte gelangte Zustimmung zur Übertragung des Sorgerechts stamme nicht von ihm. Im Termin zur Anhörung erklärte der Kindesvater, dass die Unterschrift von ihm stamme, er aber das Schreiben nicht kenne.

    Mittlerweile ist die Kindesmutter mit den beiden Kindern untergetaucht und hält sich vermutlich in den USA auf. Nach Mitteilung des Kindesvaters habe die Kindesmutter sich auf den Namen des Kindesvaters eine Kreditkarte erschlichen. Aus den zugesandten Kreditkartenabrechnungen gehe hervor, dass die Kindesmutter in den USA Umsätze tätige.

    Der Senat hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 10.09.2009 (Bl. 86 f. d. A.) durch den Berichterstatter als beauftragten Richter. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.10.2009 verwiesen.

    Die Beschwerde ist statthaft, §§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 1 ZPO. Die Beschwerde ist auch fristgerecht erhoben. Die gemäß §§ 621 e Abs. 3, 517 ZPO mit der Zustellung beginnende Beschwerdefrist ist noch nicht abgelaufen, da der Beschluss dem Kindesvater nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Eine Ersatzzustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen des zuzustellenden Schriftstücks in den Briefkasten ist in entsprechender Anwendung von § 178 Abs. 2 ZPO dann unwirksam, wenn der Briefkasten vom Zustellungsempfänger und dem Verfahrensbeteiligten gemeinsam genutzt wird, vgl. OLG Nürnberg vom 27.04.2004 - 7 WF 792/04 -, FamRZ 2005, 727 f. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Vernehmung der Zeugin E. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Kindesmutter bis zu ihrem Verschwinden mit dem Kindesvater gemeinsam zunächst in L., dann zuletzt in H. gewohnt hatte. Nach dem glaubhaften Bekunden der Zeugin war für die Kindesmutter lediglich unter der Adresse der Zeugin eine Strohadresse eingerichtet worden, damit die Kinder weiterhin in H. auf die dortige Schule gehen können. Da die Kindeseltern bis zum Abtauchen der Kindesmutter, vermutlich im Juli 2009, gemeinsam Zugang zu dem Briefkasten im ... in L. hatten, ist die Zustellung entsprechend § 178 Abs. 2 ZPO als unwirksam anzusehen. Die am 19.08.2009 erhobene befristete Beschwerde ist somit fristgerecht eingelegt.

    In der Sache ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht wegen eines schweren Verfahrensfehlers zurückzuverweisen.

    Das Amtsgericht hätte gemäß den §§ 50 a Abs. 1, 50 b Abs. 1 FGG sowohl die Eltern, als auch die Kinder persönlich anhören müssen. Die vermeintliche Zustimmung des Kindesvaters zur Übertragung der elterlichen Sorge führt nicht dazu, dass die Anhörungspflichten nach den genannten Vorschriften entfallen. Die Anhörung der beteiligten Eltern und Kinder in Sorgerechtsverfahren dient gerade dazu, den Sachverhalt eingehend zu ermitteln und den tatsächlichen Willen der Parteien und der Kinder in Erfahrung zu bringen, um sich einen unmittelbaren Eindruck von den Beteiligten zu verschaffen (vgl. Bundesverfassungsgericht FamRZ 2007, 1078, 1079). Schwerwiegende Gründe, die ein Absehen von einer auf die besonderen Umstände des Falles Rücksicht nehmenden Anhörung erlauben könnten (§ 50 b Abs. 3 FGG), sind nicht ersichtlich. Wie gerade das vorliegende Verfahren zeigt, ist auch bei einer vermeintlich einvernehmlich zu übertragenden Sorge die persönliche Anhörung stets erforderlich. Der schwerwiegende Verfahrensfehler führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, OLG Frankfurt FamRZ 1997, 571. Eines besonderen Antrages bedurfte es für das FGG-Verfahren nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht (vgl. OLG Frankfurt OLG-Report 2003, 319; OLG Frankfurt Beschluss vom 16.01.2008 - 3 UF 376/07). § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO verweist nicht auf § 538 ZPO. Eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer Gesetzeslücke, da in der enumerativen Aufzählung des § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO die Vorschrift des § 538 ZPO nicht versehentlich ausgelassen wurde (vgl. OLG Köln FamRZ 2004, 1301).

    Grabowski Kummer-Sicks Reitzmann