OLG Frankfurt vom 10.10.2005 (3 UF 202/05)

Stichworte: Begründungszwang, Bezugnahme computerunterstütze Berechnung, Bezugnahme Quotierung, schuldrechtlicher Ausgleich
Normenkette: ZPO §§ 313 Abs. 2 S. 2, 329 Abs. 1, 317 Abs. 2 S. 1 VAHRG 3b Abs. 1 Nr. 1, 2
Orientierungssatz:
  • Der für rechtsmittelfähige Beschlüsse geltende Begründungszwang und das Unterschriftsgebot verlangen als Bestandteil einer geordneten Rechtspflege, dass die Berechnung zur Höhe des Versorgungsausgleichs tragender und nachvollziehbarer Teil der Begründung der Entscheidung sein muss. Verweise auf außerhalb des geschlossenen Textkörpers liegende und als Anlage zum Beschluss genommene Ausdrucke einer computerunterstützten Berechnung des Gerichts, die ergänzende, die Begründung der Entscheidung mit tragende Textbestandteile des Beschlusses enthalten, sind unzulässig.
  • Führt die Anwendung der Quotierungsmethode bei der Verrechnung von Gegenrechten dazu, dass noch ein Restbetrag dem schuldrechtlichen Ausgleich verbleibt, können vom Gericht nach freiem Ermessen die dem analogen Quasisplitting unterliegenden Anrechte mit einer höheren Quote herangezogen werden, als es an sich dem Gesamtausgleichsverhältnis entspricht, um den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vollkommen zu vermeiden. Obere Grenze der Heranziehung dieses weiteren Anrechts ist, dass dem Verpflichteten mindestens die Hälfte eines jeden Anrechts verbleibt, da anderenfalls der Berechtigte eine bessere Sicherung erhielte als der Verpflichtete.
  • Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    B E S C H L U S S

    In der Familiensache

    hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Einzelrichter auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 1.7.2005 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 16.6.2005 am 10. Oktober 2005 beschlossen:

    Der angefochtene Beschluss wird abgeändert:

    Vom Versicherungskonto Nr. des Antragsgegners bei der LVA Hessen werden auf das Versicherungskonto Nr. XXX der Antragstellerin bei der DRB Rentenanwartschaften von monatlich 308,37 EUR, bezogen auf den 31. 01. 2004, übertragen.

    Zu Lasten der Versorgung des Antragsgegners bei der VBL (Personalnummer) werden auf dem Versicherungskonto Nr. xxxxxder Antragstellerin bei der DRB Rentenanwartschaften von monatlich 38,31 EUR, bezogen auf den 31. 01. 2004, begründet.

    Zusätzlich werden vom Versicherungskonto Nr. des Antragsgegners bei der LVA Hessen auf das Versicherungskonto Nr. xxxx der Antragstellerin bei der DRB Rentenanwartschaften von monatlich 48,30 EUR, bezogen auf den 31. 01. 2004, übertragen.

    Der Monatsbetrag der Rentenanwartschaften ist in Entgeltpunkte umzurechnen.

    Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden im Verhältnis der Parteien gegeneinander aufgehoben (§ 93a ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 21 GKG n.F.).

    Beschwerdewert: EUR 2.000,00 ( § 49 GKG n.F. ).

    Gründe:

    Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main vom 22.9.2004 wurde nach vorhergehender Abtrennung der Folgesache Versorgungsausgleich auf den am 4.2.2004 zugestellten Scheidungsantrag die am 25.9.1978 geschlossene Ehe der Parteien geschieden. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.6.2005 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Frankfurt am Main den Versorgungsausgleich durchgeführt. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf den Inhalt des Beschlusses und den ihm als Anlage beigefügten Ausdruck einer computerunterstützten Berechnung Bezug genommen.

    Mit ihrer hiergegen gerichteten, am 1.7.2005 beim Beschwerdegericht eingegangenen befristeten Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Berechnung der BVV-Anrechte bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs. Die DRB (vormals BfA) hat sich unter dem 20.7.2005 der Beschwerde mit der Rüge des durchgeführten analogen Quasisplittings angeschlossen.

    Auf die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde und Anschlussbeschwerde (§ 621e I, III ZPO, § 20 FGG) war der angefochtene Beschluss abzuändern.

    Die Begründetheit der Beschwerde folgt bereits daraus, dass der angefochtene Beschluss keine hinreichende Begründung zur Höhe des durchgeführten Versorgungsausgleichs enthält und damit unter einem schwerwiegenden Verfahrensmangel leidet. Nach allgemeiner Auffassung müssen Beschlüsse, die einem Rechtsmittel unterliegen, begründet sein. Im Verfahren betreffend den Versorgungsausgleich gilt dies Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Normierung sowohl in isolierten Familiensachen (§ 621a ZPO, § 53b III FGG) als auch im Verbundverfahren (§§ 623, 629 I, 313 ZPO). Der Begründungszwang als Bestandteil einer geordneten Rechtspflege verlangt, dass die Berechnung zur Höhe des Versorgungsausgleichs tragender und nachvollziehbarer Teil der Begründung der Entscheidung sein muss, um zu gewährleisten, dass ein Beteiligter, in dessen Rechte eingegriffen wird oder dessen Begehren abgelehnt wird, seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann.

    Diesem Erfordernis genügt der als Anlage dem angefochtenen Beschluss beigefügte Computerausdruck über einen durchgeführten Berechnungsvorgang nicht. Er steht außerhalb des Beschlusstextes und ist ohne weitere Erläuterung aus sich heraus für die Beteiligten weder verständlich noch nachvollziehbar. Im übrigen enthält er überflüssige Ausführungen, beispielsweise zum Tenor. Ausdrucke computerunterstützter Berechnungen des Gerichts sind keine dem Sach- und Streitstand zuzurechnenden Unterlagen, auf die verwiesen werden könnte (vgl. § 313 II Satz 2 ZPO). Sie können lediglich der internen Vorbereitung und Erleichterung eines Berechnungsvorganges dienen, entbinden das Gericht aber nicht von einer übersichtlichen Darstellung der Berechnung im Beschluss. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot des fairen Verfahrens folgt die Verpflichtung, computerunterstützte Berechnungen nicht unbesehen zu übernehmen, sondern darauf zu überprüfen, ob sie den Verhältnissen im Einzelfall entsprechen und ob die zugrundeliegenden Parameter mit der geltenden Gesetzes- und Rechtsprechungslage übereinstimmen, bevor sie bei der Abfassung der für die Beteiligten nachvollziehbar zu formulierenden Beschlussbegründung verarbeitet werden können.

    Hinzu kommt, dass die als Anlage dem Beschluss beigefügte Berechnung nicht vom Richter unterschrieben ist. Das für rechtsmittelfähige Beschlüsse regelmäßig geltende Unterschriftsgebot (vgl. §§ 329 I, 317 II Satz 1 ZPO) dient der Abgrenzung zum bloßen Entwurf. Mit seiner Unterschrift verdeutlicht der Richter, dass der Beschluss mit allen seinen Bestandteilen als Ergebnis seines Erkenntnisprozesses und Entscheidungswillens von ihm gedeckt ist und dass er für die Vollständigkeit und den Inhalt der gesamten Entscheidung verantwortlich zeichnet. Dies kann nur sichergestellt werden, wenn auch die Berechnungen integrierter Bestandteil des über der Unterschrift des Richters stehenden Beschlusstextes sind. Infolgedessen sind Verweise auf außerhalb des geschlossenen Textkörpers liegende ergänzende, die Begründung der Entscheidung mit tragende Textbestandteile des Beschlusses unzulässig (vgl. u.a. BGH NJW 1971, 39; NJW-RR 1991, 830; Hess VGH NJW 1984, 2429; OLG Celle FamRZ 1990, 419; OLG Hamm FamRZ 1993, 719; OLG Zweibrücken FamRZ 2004, 1735).

    Von einer Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung sieht der Senat ab, weil die Beschwerde in der Sache zur Endentscheidung reif ist.

    Die Ehezeit (§ 1587 II BGB) begann am 01.09.1978 und endete am 31.01.2004. In dieser Zeit haben die Parteien folgende Anrechte erworben:

    A. Anwartschaften der Antragstellerin:

    1. Bei der DRB (Auskunft vom16.8.2004)....233,75 EUR

    2. Bei dem BVV "Stammrente" (Auskunft vom 19.4.2004)

    Monatsrente...........46,11 EUR

    Die Monatsrente ist als volldynamisch zu bewerten (BGH FamRZ 1992, 921; 1052).

    Der Ehezeitanteil der Betriebsrente ermittelt sich wie folgt: Anfang der Betriebszugehörigkeit. 01. 09. 1972

    Ende der Betriebszugehörigkeit. 01. 10. 2022 Gesamtzeit in Monaten: 602

    in Ehezeit in Monaten: 305

    Ehezeitanteil in % 50,6645

    Das ergibt als Betrag: 46,11 * 50,6645% = 23,36 EUR

    3. Bei dem BVV "Überschussrente" (Auskunft vom 19.4.2004)

    Monatsrente . 47,94 EUR

    Auch diese Monatsrente ist als volldynamisch zu bewerten (BGH a.a.O.).

    Der Ehezeitanteil der Überschussrente, der nur für die Zeit bis zum Ende der Ehezeit ermittelt wird, errechnet sich wie folgt:

    Anfang der Betriebszugehörigkeit. 01. 09. 1972

    Ende bei Eheende. 31. 01. 2004

    Gesamtzeit (Monate): 377

    in Ehezeit (Monate): 305

    Ehezeitanteil in % 80,9019

    Das ergibt als Betrag: 47,94 * 80,9019% =. 38,78 EUR

    B. Anwartschaften des Antragsgegners:

    1. Bei der LVA Hessen (Auskunft vom 17.5.2004). 850,48 EUR

    2. Bei der VBL (Auskunft vom 1.3.2005)

    In der Ehezeit begründete Jahresrente 169,84 * 12 = .2.038,08 EUR

    Der Ehezeitanteil der Versorgung ist daher gemäß § 1587a III, IV BGB in eine dynamische Rente umzurechnen. Dafür ist nach der BarwVO der Barwert zu berechnen. Es sind die Werte der Tabelle 1 der BarwVO zu verwenden, weil die Versorgung für den Fall des Alters und der Invalidität zugesagt ist. Die Tabellenwerte sind um den Faktor 1,65 zu erhöhen, denn die Versorgung ist im Rententeil volldynamisch (vgl. BGH FamRZ 2004, 1474).

    Alter bei Ehezeitende: 53

    Barwertfaktor: 5,7 * 165% = 9,405

    Barwert: 19.168,14 EUR

    Aus dem Barwert ist fiktiv eine dynamische Rente zu berechnen, indem ein Betrag in dieser Höhe fiktiv in die Rentenversicherung eingezahlt wird. Der Betrag ist mit dem für das Ehezeitende geltenden Umrechnungsfaktor der Rechengrößenbekanntmachung in Entgeltpunkte (EP) und diese mit Hilfe des aktuellen Rentenwerts (ARW) nach § 1587a III, IV BGB in eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung umzurechnen.

    Umrechnungsfaktor für den Barwert als Beiträge in EP:0,0001742628

    Entgeltpunkte: 3,3403

    aktueller Rentenwert: 26,13 EUR

    Betrag der dynamischen Rente: 3,3403 * 26,13 = ..87,28 EUR

    3. Bei der Deutschen Lufthansa (Auskunft vom 4.2.2005)

    In der Ehezeit begründete Monatsrente. 288,15 EUR

    (Differenz: 457,99 EUR - 169,84 EUR VBL-Anwartschaft)

    Jahresrente 288,15 * 12 = 3.457,80 EUR

    Zunächst ist nach der BarwVO der Barwert zu berechnen. Es sind die Werte der Tabelle 1 der BarwVO zu verwenden, die wiederum um den Faktor 1,65 zu erhöhen sind, denn die Versorgung ist ausweislich der erteilten Auskunft des Versorgungsträgers ebenfalls im Rententeil volldynamisch (so auch std. Senatsrechtsprechung, vgl. OLG Frankfurt am Main, 3 UF 253/04; Beschluss vom 9.11.2004).

    Alter bei Ehezeitende: 53

    Barwertfaktor: 5,7 * 165% = 9,405

    Barwert: 32.520,61 EUR

    Der Betrag ist nach obigem Maßstab in eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung umzurechnen.

    Umrechnungsfaktor für den Barwert als Beiträge in EP:0,0001742628

    Entgeltpunkte: 5,6671

    aktueller Rentenwert: 26,13 EUR

    Betrag der dynamischen Rente: 5,6671 * 26,13 = 148,08 EUR

    Das ergibt folgende Übersicht:

    Anrechte des Antragsgegners:

    splittingfähig gem. § 1587b I BGB: 850,48 EUR

    Quasisplitting nach § 1 III VAHRG: 87,28 EUR

    Schuldrechtlicher Ausgleich § 2 VAHRG, inländisch: 148,08 EUR

    insgesamt: 1.085,84 EUR

    Anrechte der Antragstellerin:

    splittingfähig gem. § 1587b I BGB: 233,75 EUR

    Schuldrechtlicher Ausgleich § 2 VAHRG, inländisch: 62,14 EUR

    insgesamt: 295,89 EUR

    Nach § 1587a I BGB ist der Ehegatte mit den höheren Anrechten ausgleichspflichtig, d.h. der Antragsgegner in Höhe von 394,98 EUR ( 1.085,84- 295,89 = 789,95 EUR x 1/2 ).

    Nach § 1587b I BGB hat der Versorgungsausgleich durch Rentensplitting zu erfolgen in Höhe von [ (850,48 - 233,75) x 1/2 ] 308,37 EUR.

    Für die Verrechnung von Gegenrechten wendet der Senat grundsätzlich die Quotierungsmethode an (vgl.Hahne/Glockner FamRZ 1983, 221, 225; BGH FamRZ 1994, 90). Es sind noch 86,61 EUR auszugleichen (394,98 - 308,37 EUR). Die Summe der ausgleichsfähigen Anrechte beträgt 235,36 EUR (87,28 + 148,08 EUR). Nach der reinen Quotierungsmethode errechnete sich der Ausgleich zunächst durch analoges Quasisplitting nach § 1 III VAHRG nur in Höhe von 32,12 EUR ( 87,28 / 235,36 x 86,61). Dem schuldrechtlichen Ausgleich blieben demnach 54,49 EUR.

    Anstelle des schuldrechtlichen Ausgleichs nach § 2 VAHRG können nach § 3b I Nr.1 VAHRG bis zu Höhe von 2 % der allgemeinen Bezugsgröße nach SGB IV § 18 auch andere in oder vor der Ehe erworbene Versorgungen, die durch Übertragung oder Begründung von Anwartschaften ausgeglichen werden können, herangezogen werden, und zwar im Höchstwert von 48,30 EUR. Der Ausgleich erfolgt danach durch erweitertes Splitting in dieser Höhe. Nach der reinen Quotierungsmethode verblieben dem schuldrechtlichen Ausgleich demnach noch 6,19 EUR.

    Sofern die Anwendung der Quotierungsmethode Verrechnung von Gegenrechten dazu führt, dass noch ein Restbetrag dem schuldrechtlichen Ausgleich verbleibt, können vom Gericht nach freiem Ermessen die dem analogen Quasisplitting unterliegenden Anrechte mit einer höheren Quote herangezogen werden, als es an sich dem Gesamtausgleichsverhältnis entspricht, um den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vollkommen zu vermeiden. Obere Grenze der Heranziehung dieses weiteren Anrechts ist, dass dem Verpflichteten mindestens die Hälfte eines jeden Anrechts verbleibt, da anderenfalls der Berechtigte eine bessere Sicherung erhielte als der Verpflichtete (vgl. BGH FamRZ 1994, 90; 2001, 477 ff; Johannsen/Henrich, Eherecht, 4. Auflage, § 3b VAHRG, Rn. 9).

    Der Ausgleich durch analoges Quasisplitting könnte bis zum Höchstbetrag von 43,64 EUR erfolgen (87,28 EUR x 1/2). Um den restlichen schuldrechtlichen Ausgleich zu vermeiden, erscheint es angemessen, das Anrecht bei der VBL statt nur mit 32,12 EUR mit insgesamt 38,31 EUR heranzuziehen.

    Der Höchstbetrag nach § 1587b V BGB ist nicht überschritten.

    Die Anordnung der Umrechnung in Entgeltpunkte folgt § 1587b VI BGB.

    Ostermöller