OLG Frankfurt vom 05.12.2003 (3 UF 121/03)

Stichworte: Elternunterhalt Bedarf, Elternunterhalt, wirtschaftliche Verhältnisse
Normenkette: BGB 1602, 1610
Orientierungssatz: Der Unterhaltsbedarf von Eltern wird jedenfalls auch unter Berücksichtigung der Art und Weise bestimmt, mit der sie ihre eigene Altersvorsorge zur Zeit des Erwerbslebens betrieben haben, d.h.haben sie entgegen ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten nur geringe Vorsorge getroffen, ist dies bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 18.02.2003 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2003 durch Richter am Oberlandesgericht Kirschbaum als Einzelrichter gem. § 526 ZPO für Recht erkannt:

Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Wiesbaden vom 18.02.2003 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit 01.01.2002 bis 31.12.2002 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 425,--EUR und ab dem 01.01.2003 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 181,--EUR zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Berufungswert: 8.928,--EUR, ab Beginn der mündlichen Verhandlung nur noch 6.120,--EUR (§ 17 Abs. 1 GKG).

Gründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.

Auf das angefochtene Urteil vom 18.02.2003 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 19.09.2003 wird Bezug genommen.

Mit notarieller Urkunde vom 24.10.1988 (vgl. Bl. 32 f. d.A.) erteilte der Beklagte seinen beiden Eltern, und zwar jedem für sich allein, Vollmacht, ihn beim Ankauf und Verkauf von Grundbesitz oder grundstückgleichen Rechte in jeder Hinsicht gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten; auf die Urkunde wird Bezug genommen. Mit notarieller Urkunde vom 23.12.1988 kaufte der Beklagte, vertreten durch seine Eltern, eine Eigentumswohnung in der X-Straße in Y.; in diesem Kaufvertrag wurde für die Eltern des Beklagten ein Wohnrecht an der Eigentumswohnung eingeräumt. Unter dem 10.06.1989 genehmigte der Beklagte den vorgenannten Kaufvertrag ausdrücklich (vgl. den Kaufvertrag Bl. 36 ff. d.A. und die Genehmigungsurkunde Bl. 41 d.A.). Mit einem Kaufvertrag vom 26.11.1993 kaufte der Beklagte, erneut vertreten durch seine Eltern, eine weitere Eigentumswohnung in der Z-Straße in Y.. Auch in diesem Kaufvertrag wurde den Eltern ein Wohnrecht eingeräumt (auf den Vertrag Bl. 43 ff. d.A. wird Bezug genommen). Der Kläger und seine Ehefrau, d.h. die Eltern des Beklagten bewohnen diese Wohnung in der Z-Straße in Y., und zwar seit Ende 1993/Anfang 1994. Der Kläger war mit seiner Ehefrau zum oben genannten Zeitpunkt aus der Wohnung in X-Straße in die nunmehr gekaufte Wohnung in der Z-Straße umgezogen. Seit dem Umzug des Klägers in die Z-Straße ist die Wohnung in der X-Straße ermietet, die Mieteinnahmen erhält der Beklagte.

Der am 04.07.1935 geborene Kläger bezieht in dem hier betroffenen Zeitraum seit Januar 2002 jedenfalls eine Altersrente in Höhe von rund 130,--EUR, darüber hinaus erhält er seit Januar 2003 noch eine Grundrente in Höhe von ca. 244, --EUR monatlich. Die Ehefrau des Klägers ist bereits über 62 Jahre alt, seit 1966 hat sie nicht mehr sozialversicherungspflichtig gearbeitet. Sie hat keinerlei Einkünfte, auch kein Renteneinkommen; jedenfalls hat der am 05.04.1961 geborene Beklagte dies nicht substantiiert bestritten.

Bezüglich des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Erstmals mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 10.11.2003 hat der Beklagte seine Leistungsfähigkeit in Abrede gestellt.

Der Beklagte schuldet dem Kläger, seinem Vater, den aus dem Urteilstenor ersichtlichen monatlichen Elternunterhalt (§§ 1601 bis 1603 BGB). Der Kläger kann seinen notwendigen Unterhaltsbedarf auch unter Berücksichtigung seines mietfreien Wohnens (vgl. insoweit sein Wohnrecht) nicht aus seinen Renteneinkünften (Altersrente zuzüglich Grundrente) bestreiten, der Beklagte ist zur Zahlung des hier ausgeurteilten monatlichen Unterhaltes leistungsfähig; das erstmalige Bestreiten seiner Leistungsfähigkeit im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 10.11.2003 war als verspätet zurückzuweisen, d.h. nicht weiter zu berücksichtigen. Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass seine Mutter ihrem Ehemann, dem Kläger, vorrangig unterhaltspflichtig sei, seine Mutter hat kein eigenes Einkommen, sie kann im Hinblick auf ihr Alter auch nicht verpflichtet werden, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, somit kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt eine Berufschance bestände.

Dem Unterhalsanspruch des Klägers kann der Beklagte auch nicht entgegenhalten, der Kläger sei durch sittliches Verschulden bedürftig geworden, er habe früher seine eigene Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Beklagten gröblich vernachlässigt, auch nicht darauf, dass sich der Kläger einer "schweren Verfehlung" gegen den Beklagten schuldig gemacht habe, d.h. der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten steht § 1611 BGB nicht entgegen.

Soweit der Beklagte behauptet, der Kläger habe sich nicht ausreichend unterhaltsrechtlich während seiner Kindheit um ihn gekümmert, kann er damit nicht gehört werden. Unstreitig hat die Familie des Klägers zusammen mit der Schwiegermutter in einem Haus gewohnt, hat die Ehefrau des Klägers das Geschäft der Schwiegermutter geführt, so dass diese zu Haus bleiben konnte und den Enkel versorgen. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass es zwischen der Schwiegermutter und dem Kläger und dessen Ehefrau zu irgendwelchen finanziellen Problemen und Schwierigkeiten gekommen ist, derartiges behauptet auch der Beklagte selbst nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Form des Zusammenlebens der damaligen Planung aller 3 Generationen entsprach, eine Vernachlässigung von Unterhaltspflichten im Sinne des § 1611 BGB kann hier somit nicht angenommen werden.

Soweit der Beklagte dem Unterhaltsanspruch des Klägers entgegenhält, dass dieser es versäumt habe, eigene ausreichende Altersvorsorge zu treffen, stellt dies ebenfalls kein sittliches Verschulden im Sinne des § 1611 BGB dar. Auch insoweit entsprach es der ehelichen Planung, zunächst während des gemeinsamen Verdienens zu leben und nur eine geringe Altersvorsorge zu betreiben. Aus der nur geringfügigen Rücklagenbildung für Altersversorgung folgt lediglich, dass der Bedarf des Klägers entsprechend niedrig anzusetzen ist.

Schließlich kann der Beklagte auch nicht damit gehört werden, dass sich seine Eltern in den beiden Wohnungen X-Straße und Z-Straße jeweils ein Wohnrecht haben einräumen lassen. Hier ist zunächst festzustellen, dass der Beklagte seine Eltern ausdrücklich auch zu derartigen Geschäften mit der notariellen Urkunde vom 24.10.1988 bevollmächtigt hat. Er muss sich auch entgegenhalten lassen, dass er die Einräumung des Wohnrechtes auf der Wohnung X-Straße unter dem 10.06.1989 genehmigt hat. Unstreitig muss sich der Beklagte weiter entgegenhalten lassen, dass seine Eltern von dem Wohnrecht in der X-Straße keinen Gebrauch machen, dass er selbst seit 1994 die Miete aus dieser Wohnung erhält. Es brauchte ja nicht entschieden zu werden, inwieweit die Eltern des Beklagten ggfs. verpflichtet sind, auf ihr Wohnrecht an der Wohnung in der X-Straße zu verzichten (vgl. insoweit die Hinweise im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2003). - Schließlich muss sich der Beklagte, bezogen auf das Wohnrecht an der Wohnung in der Z-Straße auch entgegenhalten lassen, dass ihm dieses Wohnrecht seit der Nutzung der Wohnung durch die Eltern bekannt ist, dass er bisher nie den Versuch unternommen hat, die Bestellung dieses Wohnrechtes anzufechten. Im Hinblick auf das aufgezeigte Verhalten des Beklagten bezüglich der ihm bekannten Vollmachtserteilung und der ihm bekannten notariellen Verträge, kann unter keinem Gesichtspunkt in der Bestellung der Wohnrechte eine vorsätzliche schwere Verfehlung der Eltern des Beklagten gegenüber diesem gesehen werden.

Aus dem Gesagten folgt, dass der Beklagte dem Kläger dem Grunde nach gemäß § 1601 BGB zu Unterhaltszahlungen verpflichtet ist.

Der vom Beklagten dem Kläger geschuldete Unterhalt richtet sich nach dem Unterhaltsbedarf des Klägers abzüglich dessen Eigeneinkünfte und dessen mietfreien Wohnen.

Grundsätzlich richtet sich der Bedarf eines Elternteils gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach dessen Lebensstellung. Das heißt, es ist zunächst zu beachten, wie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des betreffenden Elternteils tatsächlich gestaltet sind. Hierbei ist nicht nur auf das aktive Berufsleben abzustellen, sondern auch darauf, wie sich voraussehbare Veränderungen der Einkommensverhältnisse darstellen, das heißt auch darauf, wie sich der Ruhestand wirtschaftlich auswirkt. Hier musst sich der Kläger dann entgegenhalten lassen, dass er während seines aktiven Berufslebens nur bescheidene Altersvorsorge betrieben hat. Diese bescheidene Altersvorsorge ist im Rahmen seiner Bedarfsbemessung für die Zeit des beruflichen Ruhestandes in Ansatz zu bringen (vgl. zur Bedarfsbemessung beim Elternunterhalt BGH FamRZ 2003, 860 ff. m.w.N.). Das wirtschaftliche Verhalten des Elternunterhalt fordernden Klägers ist also bei seiner Bedarfsbemessung zu berücksichtigen, das heißt es ist nicht von seinem früheren Lebensstil während des aktiven Berufslebens auszugehen, auch nicht von den Einkommensverhältnissen des Beklagten, sondern allein von seiner wirtschaftlichen Situation nach Eintritt in den Ruhestand, die er selbst vorbereitet hat. Diese Bedarfsermittlung kann jedoch nicht unter das Existenzminimum zurückfallen. Der Bundesgerichtshof, dem sich der Senat anschließt, hat in seiner oben genannten Entscheidung ausgeführt, dass der Unterhaltsbedarf jedenfalls nicht unter das sozialhilferechtliche Existenzminimum bzw. die notwenigen Eigenbedarfssätze, der von den Oberlandesgerichten in Unterhaltssachen angewandten Tabellen zurückfallen kann (vgl. BGH a.a.O.). Da der Kläger hier keine gesonderten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge geltend macht, ist also der Bedarf des Klägers entsprechend der vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung angewandten Unterhaltsgrundsätze des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (vgl. FamRZ 2001, 1205 ff.; FamRZ 2003, 1528 ff.) mit 840,--EUR monatlich in Ansatz zu bringen (notweniger Selbstbehalt). Da der Kläger mietfrei wohnt, ist dieser Bedarf um den darin enthaltenen "Kaltmietanteil" in Höhe von 285,--EUR auf 555,--EUR zu reduzieren, das heißt der dem Kläger zustehende Bedarf (ohne Kaltmiete) beläuft sich auf monatlich 555,--EUR. Auf diesen Bedarf ist die vom Kläger bezogene Altersrente und ab Januar 2003 auch die von ihm bezogene Grundrente in Ansatz zu bringen, das heißt für die Zeit Januar bis Dezember 2002 verbleibt ein offener Unterhaltsbedarf des Klägers von monatlich 425,--EUR (555,-- minus 130,--) und ab Januar 2003 ein monatlich ungedeckter Bedarf von 181,--EUR (555,-- minus 130,-- minus 244,--).

Da der Beklagte im Verfahren seine Leistungsfähigkeit nicht bestritten hat, der nicht nachgelassene Schriftsatz vom 10.11.2003 konnte nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. §§ 530, 520, 521 ZPO) musste er zur Zahlung der dort genannten Unterhaltsbeträge verurteilt werden. - Da der Beklagte auch im Verfahren nicht im Einzelnen dargelegt hat, inwieweit er in der Vergangenheit Nebenkosten für die Wohnung des Klägers bezahlt hat, konnte insoweit auch keine Reduzierung der oben errechneten Beträge erfolgen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92, 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 709 Ziff. 8, 711, 713 ZPO, der Berufungswert ergibt sich aus § 17 Abs. 1 GKG, hierbei war zu berücksichtigen, dass vor Beginn der mündlichen Verhandlung - nach insoweit verweigerter Prozesskostenhilfe - eine Teilrücknahme der Berufung erfolgte. Die Revision war nicht zuzulassen, die Entscheidung steht nicht im Widerspruch zur obergerichtlichen Unterhaltsrechtsprechung, sie hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Kirschbaum