OLG Frankfurt vom 02.10.2003 (3 UF 101/03)

Stichworte: Erwerbsobliegenheit, Kinderbetreunung, 8-jähriges Kind Ausbildungsunterhalt
Normenkette: BGB 1570, 1575 Abs. 1
Orientierungssatz: 1) i.d.R. keine Erwerbsobligenheit bei Betreuung eines noch nicht 8-jährigen Kindes. 2) Es besteht kein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt, wenn durch die Ehe keine Ausbildungsnachteile eingetreten sind.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main

U R T E I L

In der Familiensache

hat der 3. Familiensenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Berufung der Klägerin (zu 1) gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Frankfurt am Main/Abt. Höchst vom 27.02.2003 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2003 durch Richter am Oberlandesgericht Kirschbaum als Einzelrichter gemäß § 526 ZPO für Recht erkannt:

Das angefochtene Urteil wird abgeändert.

Das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Groß-Gerau vom 11.07.2000 (Aktenzeichen 7 F 195/00) wird dahin abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin (zu 1) für die Zeit vom 01.08.2002 bis 31.07.2003 einen monatlichen Elementarunterhalt von 2.000,-- EUR (statt nur 3.600,-- DM) zuzüglich 265,05 EUR Krankenvorsorgeunterhalt (statt nur 220,-- DM) zzgl. für die Zeit 01.08.2002 bis 31.12.2002 monatlich 588,28 EUR und für die Zeit 01.01.2003 bis 31.07.2003 monatlich 600,60 EUR Altersvorsorgeunterhalt (statt nur 694,80 DM monatlich) zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen, d.h. für die Zeit ab dem 01.08.2003 verbleibt es bei dem im angefochtenen Urteil vom 27.02.2003 festgelegten Unterhalten (Elementar- und Vorsorgeunterhalt).

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt derBeklagte die vollen Kosten der Klägerin zu 2); im übrigen werden die Kosten erster Instanz sowie die Kosten des Berufungsverfahrens zwischen den Parteien(Klägerin zu 1 und Beklagter) gegeneinander aufgehoben. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Berufungswert wird auf 13.034,15 EUR (12 x 1.086,18 EUR gemäß § 17 Abs. 1 GKG) festgesetzt.

Gründe:

Auf das angefochtene Urteil vom 27.02.2003 wird Bezug genommen. Die am 17.01.1995 geborene Tochter der Parteien besuchte seit dem Beginn des Schuljahres 2002/2003 eine private Schule, und zwar die internationale Schule in Frankfurt; die Unterrichtszeit war täglich von 8.30 Uhr bis 15.15 Uhr (vgl. die Angaben der Klägerin zu 1) Bl. 161, 96 d.A.). Zwischenzeitlich ist die Klägerin zusammen mit der gemeinsamen Tochter nach Berlin verzogen, - X. besucht dort die britische Schule, deren Unterricht von 8,40 Uhr bis 15.00 Uhr stattfindet (vgl. Bl. 251 d.A.).

Die Klägerin, die vor der Ehe keine abgeschlossene Ausbildung hatte, nach ihrem Realschulabschluß hat sie lediglich zeitweise im Verkauf gearbeitet, hat noch im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, dass sie einer Gesangsausbildung nachgehe (vgl. das Protokoll des Termins vom 23.01.2003), sie wusste noch nicht, was sie "mit dieser Ausbildung arbeiten werde". Mit Vertrag vom 01.04./02.04.2003 hat sich die Klägerin bei dem privaten Institut "XYZ" in Berlin zu einem "Vorbereitungskurs im Tageskurs zum staatlich geprüften Kommunikationswirt" angemeldet (vgl. Bl. 166 f. d.A.). Dieses Institut hat unstreitig eine Zweigstelle im Raum Wiesbaden, es wird von einem Bekannten der Klägerin geführt (der Beklagte behauptet, von dem Lebensgefährten der Klägerin, die Klägerin bestreitet dies). Im übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat nur den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg, der Beklagte schuldet der Klägerin die ausgeurteilten Unterhalte gemäß § 1570 BGB. - Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin auch aus § 1573 Abs. 2 BGB (Differenzunterhalt) ergeben könnte, jedenfalls für die hier betroffene Zeit steht der Klägerin noch Betreuungsunterhalt im ausgeurteilten Umfange zu.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren einen geringfügig höheren Vorsorgeunterhalt fordert, als im erstinstanzlichen Verfahren, ist diese Klageerweiterung sachdienlich und damit zulässig.

Der Klägerin steht bezüglich der Zeit bis einschließlich Juli 2003 in vollem Umfange Betreuungsunterhalt zu, d.h. insoweit kann ihr noch kein fiktives Arbeitseinkommen zugerechnet werden. Der Senat folgt insoweit seiner ständigen Rechtsprechung, nach der eine Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils regelmäßig (im Sinne eines allgemeinen Erfahrungssatzes) verneint wird, solange das betreute Kind noch nicht 8 Jahre alt ist (so auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, vgl. BGH FamRZ 83, 456; FamRZ 84, 356, FamRZ 89, 487).

Von dieser Rechtsprechung abzuweichen sieht der Senat keinen Anlaß, dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die gemeinsame Tochter der Parteien erst ab September 2002 eine private Ganztagsschule besuchte und zunächst insoweit auch beobachtet werden musste, inwieweit diese Einschulung beibehalten werden konnte, inwieweit neben dieser schulischen Betreuung überhaupt eine Arbeitsaufnahme möglich ist. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes und der sich an diese Beobachtungsphase anschließenden Berufsfindungsphase erscheint es dem Senat angemessen, hier jedenfalls vor August 2003 (ca. 6 Monate nach Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes) noch von keiner Arbeitsverpflichtung auszugehen, d.h. der Klägerin war bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Arbeitseinkommen zuzurechnen.

Für die Zeit ab August 2003 folgt der Senat dem angefochtenen Urteil, insoweit ist die Klägerin verpflichtet, jedenfalls einer Teilzeitarbeit entsprechend ihrer Qualifikation nachzugehen. Einen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt hat die Klägerin insoweit nicht, sie hat durch ihre Eheschließung keine Ausbildungsnachteile erlitten, sie hatte vor der Eheschließung keine qualifizierte Ausbildung, sie hat keine derartige Ausbildung durch die Ehe unterbrechen müssen, sie hatte auch keine derartige Ausbildung bei Eheschließung angefangen gehabt (vgl. Henrich u.a. "Eherecht" 3. Auflage § 1575 Rdnr. 1, 5). Dies gilt um so mehr, als die Klägerin noch in erster Instanz angegeben hat, sie gehe einer Gesangsausbildung nach, nunmehr aber einen Ausbildungsvertrag zur "Kommunikationswirtin" vorlegt. Nach allem ist kein Ausbildungsunterhaltsanspruch gemäß § 1575 BGB gegeben, es verbleibt vielmehr lediglich bei dem Betreuungsunterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB. Im Hinblick auf die ganztägige Schulbetreuung des gemeinsamen Kindes ist es der Klägerin in jedem Falle zuzumuten, es entspricht ihrer unterhaltsrechtlichen Obliegenheit (vgl. § 1569 BGB), jedenfalls einer Teilerwerbstätigkeit nachzugehen.

Soweit die Klägerin erstmals im Berufungsverfahren vorträgt, sie sei arbeitsunfähig krank (traumatische Nachwirkung eines an ihr verübten Verbrechens) erscheint dieser Vortrag verspätet. Die Frage der Verspätung brauchte jedoch in letzter Konsequenz nicht vom Senat entschieden zu werden, das vorgelegte fachärztliche Attest vom 03.04.2003 (vgl. Bl. 168 d.A.) lässt nicht erkennen, dass es der Beklagten gesundheitlich nicht zumutbar ist, wenigstens stundenweise einer Berufstätigkeit nachzugehen; eine stundenweise Berufstätigkeit lässt der Klägerin genügend Raum, um sich der im Attest empfohlenen weiteren Behandlung zu unterziehen. Im Hinblick auf das Gesagte kann es auch dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin vorgetragene Traumatisierung aufgrund eines Vorfalls im Sommer 2000 überhaupt zu einem Unterhaltsanspruch gemäß § 1572 BGB führen kann, die Ehe der Parteien war bereits seit dem 27.03.1998 rechtskräftig geschieden.

Nach allem folgt der Senat für die Zeit ab August 2003 dem angefochtenen Urteil, d.h. der Klägerin ist ab diesem Zeitpunkt aufgrund ihrer Erwerbsobliegenheit ein fiktives Arbeitseinkommen zuzurechnen, dass hierbei mit einem Betrag in Höhe von 600,-- EUR netto monatlich zu veranschlagen ist (vgl. das angefochtene Urteil).

Der Beklagte ist zur Zahlung der ausgeurteilten Unterhalte auch leistungsfähig. Jedenfalls derzeit ergibt sich die Leistungsfähigkeit des Beklagten aus seinem eigenen Vortrag und der vorgelegten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 und 2001 (vgl. Bl. 36, 43 ff., 73, 46, 49 d.A.); für das Jahr 2000 hatte der Beklagte bei einem Gesamtbruttoeinkommen von 203.045,-- DM einen Betrag von 112.117,-- DM zu versteuern, im Jahre 2001 waren von Gesamteinkünften in Höhe von 378.045,-- DM 282.908,-- DM zu versteuern. Ausgehend von den vorgenannten zu versteuernden Einkommen ergibt sich bei Anwendung der Steuerklasse III/2 und einem steuerpflichtigen Bruttolohn von 282.908,-- DM und Gesamteinkünften von 378.045 DM ein durchschnittliches monatliches Einkommen (nach Abzug von Lohnsteuer, Solidarzuschlag, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Pflegeversicherung entsprechend dem Computerprogramm Netto 2001) ein monatlicher Betrag von 11.072,-- EUR bezogen auf das Jahr 2001. - Der Beklagte gibt sein durchschnittliches Einkommen in den Jahren 2000 und 2001 im Schriftsatz vom 25.11.2002 nach Abzug der von ihm zu zahlenden Kindesunterhalte mit 5.169,-- EUR monatlich an (vgl. Bl. 88 d.A.).

Auch ausgehend vom Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 09.07.2003 (vgl. Bl. 226) verbleibt es bei der Leistungsfähigkeit für die hier ausgeurteilten Unterhalte. Nach diesem Vortrag bezieht er nunmehr nur noch ein durchschnittliches monatliches Bruttogehalt von 12.600,-- EUR. Entsprechend dem Computerprogramm "Netto 2003" ergibt sich unter Berücksichtigung gesetzlicher Sozialversicherungsbeiträge in der Steuerklasse III und Kinderfreibeträgen von 2,5 ein durchschnittlicher Auszahlungsbetrag von monatlich ca. 7.180,-- EUR. Ein derartiges Einkommen ist auch unter Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen an 3 Kindern der ersten bzw. zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle jeweils aus der Einkommensgruppe 13 in Höhe von insgesamt 1.278,-- EUR (Düsseldorfer Tabelle, Stand 01.07.2003) ausreichend, die hier ausgeurteilten Unterhaltsansprüche der Klägerin zu erfüllen, ohne eigene oder sonstige Unterhaltsverpflichtungen des Beklagten zu gefährden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 91 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, sie folgt den Bestimmungen der §§ 1570,1575, 1569 BGB und der dazu ergangenen Rechtsprechung.

Kirschbaum